US-Wahlen: Die Klassenfragen

Wenn die Wahllokale am Dienstagabend schließen, haben um die 140 Millionen Menschen ihre Stimme abgegeben, um einen neuen amerikanischen Präsidenten zu wählen und die Zusammensetzung des US-Parlaments, des Senats und des Repräsentantenhauses zu bestimmen. Weltweit erwarten Milliarden Menschen das Ergebnis mit Spannung. Sie tun dies nicht, weil sie den Präsidenten der USA als "Führer der freien Welt" ansehen - dieser Titel ist eine Erfindung der Medien -, sondern weil sie aus bitterer Erfahrung wissen, dass der amerikanische Präsident als Führer des mächtigsten imperialistischen Landes einen Kurs verfolgen kann, der ihr Leben und die gesamte Welt verwüstet.

Hoffen und Bangen sind bei dieser Wahl besonders ausgeprägt, und zwar innerhalb wie außerhalb der Vereinigten Staaten. Es ist keine Übertreibung festzustellen, dass George W. Bush meistgehasste Präsident der amerikanischen Geschichte ist. Dafür hat er hart gearbeitet, er hat es wirklich verdient. Menschlich und politisch ist er die verachtenswerteste Figur, die jemals als Präsident amtierte. Das besagt viel in einem Land, das einen Gangster wie Richard Nixon im Weißen Haus sitzen hatte.

Millionen Amerikaner haben die vergangenen acht Jahre als Albtraum erlebt. Die Regierung Bush wird für immer mit Begriffen wie "Abu Ghraib", "Rendition" (Geheime Gefangenenflüge der CIA), "Präventivkrieg", "Water-boarding", "Guantánamo", "Katrina", "Sub-Prime Hypotheken", "Bankenrettungspaket", "Kernschmelze des Finanzsystems" und "Zwangsversteigerungen" verbunden bleiben.

Das Verlangen nach einer Veränderung ist tief und verbreitet. Wachsende Armut, der Verlust von Haus und Arbeitsplatz, ein nicht funktionierendes Gesundheitssystem, ein verkommenes öffentliches Bildungswesen und eine Infrastruktur, die nach Jahren der Vernachlässigung zusammenkracht, haben in Verbindung mit einer beispiellosen Ballung des Reichtums an der Spitze der Gesellschaft zu einer Stimmung der Wut, der Frustration und der Verbitterung geführt. Außerdem findet die Wahl unter den Bedingungen einer Wirtschaftskrise statt, wie es sie seit der Großen Depression zwischen den beiden Weltkriegen nicht mehr gegeben hat.

Bei Öffnung der Wahlurnen liegt Barack Obama in den Meinungsumfragen deutlich vor seinem Konkurrenten, dem Republikaner John McCain. Es ist möglich, dass Obama und die Demokraten die Wahl gewinnen. Der Demokratische Kandidat hat jedoch kaum an die Unzufriedenheit in der Bevölkerung appelliert und jede Anklage gegen die sozialen und wirtschaftlichen Interessen vermieden, die die Politik der Regierung Bush bestimmt haben.

Diese Beschränktheit, die den von Obama und der Demokratischen Partei vertreten Klasseninteressen entspringt, ist die Achillesferse seiner Wahlkampagne. Die rassistischen Anspielungen der Republikanischen Partei und ihre ständigen Appelle an soziale Rückständigkeit, die im reaktionären politischen Klima der USA ein bedeutender Faktor bleiben, könnten nur bekämpft und besiegt werden, indem die Klasseninteressen der arbeitenden Menschen unmittelbar angesprochen werden.

Obama, der sich innerhalb der Normen amerikanischer Politik bewegt, die jede Erwähnung der Arbeiterklasse verbieten und die Masse der arbeitenden Bevölkerung als "Mittelklasse" bezeichnen, hat es vermieden, an die Arbeiterklasse zu appellieren. Wenn er die Empörung der Bevölkerung ansprach, tat er dies weitgehend auf der Grundlage seiner eigenen Biografie. Die Demokratische Partei war bemüht, die Hoffnung auszubeuten, Obamas Wahl werde wegen seiner persönlichen Lebensgeschichte einen Richtungswechsel in Amerika bewirken. Diese Meinung ist nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern überall auf der Welt weit verbreitet. Sie ist aber eine Illusion.

Die wirkliche Grundlage der Politik der Vereinigten Staaten ist wie in jedem anderen Land nicht die Rasse oder Volkszugehörigkeit, sondern die Klasse. Diese Tatsache anzuerkennen und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, bedeutet nicht, die grausame Geschichte der Ungerechtigkeiten gegen Afro-Amerikaner zu leugnen. Aber es war die Klassenstruktur der amerikanischen Gesellschaft, die den Rassismus in den Vereinigten Staaten am Leben gehalten hat.

Senator Obama ist nicht weniger ein Vertreter der Kapitalistenklasse als Senator McCain. Sein ethnischer Hintergrund ändert nichts an dieser Tatsache, genauso wenig wie der persönliche Hintergrund von Außenministerin Condoleeza Rice, des Richters am Obersten Gerichtshof Clarence Thomas oder des früheren Außenministers Colin Powell ihrer Politik einen progressiven Charakter verliehen hat.

Obama könnte nicht Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei sein, wäre er nicht der Verteidigung der Interessen der Finanz- und Wirtschaftsaristokratie der Vereinigten Staaten verpflichtet. Die World Socialist Website verrät kein Geheimnis, wenn sie darauf hinweist, dass mächtige Vertreter der herrschenden Politiker- und Finanzkreise sich deshalb hinter Obama gestellt haben, weil sie glauben, er könne nach acht verhängnisvollen Bush-Jahren dazu beitragen, das angeschlagene Image des amerikanischen Imperialismus aufzupolieren. Die Hunderte Millionen Dollar, die Obama aus Wirtschaftskreisen erhalten hat, sprechen eine deutliche Sprache über die gesellschaftlichen und finanziellen Interessen, die er vertritt.

Trotz aller Wahlkampfrhetorik ist der Unterschied zwischen den beiden Kandidaten weit geringer, als er von den jeweiligen Wahlkampfteams und den Medien dargestellt wird. Die Unterschiede zwischen ihnen widerspiegeln keine Klasseninteressen, sondern höchstens Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Elite über bestimmte Aspekte der Außen- oder Innenpolitik. Die grundlegende Übereinstimmung wurde sichtbar, als Obama und McCain gemeinsam das Rettungspaket für die Wall Street unterstützten.

Zu den Besonderheiten des politischen Lebens in Amerika gehört es, das Hauptaugenmerk zwanghaft auf die Persönlichkeit der beiden Kandidaten zu richten. Dabei wird kaum auf die objektiven Kräfte und Klasseninteressen geachtet, die die Politik der nächsten Regierung bestimmen werden, ganz gleich, wer die Wahl gewinnt.

Es überrascht nicht, dass die klarste Einschätzung der Lage, vor der der neu gewählte Präsident am 5. November stehen wird, (vorausgesetzt, dass die Wahl bis dann entschieden ist) in einer Zeitung außerhalb der Vereinigten Staaten erschienen ist. Martin Wolf, der Wirtschaftskolumnist der Londoner Financial Times, traf letzte Woche in einem Kommentar die folgende düstere Einschätzung:

"JP Morgan erwartet in diesem Quartal in den Vereinigten Staaten einen Wirtschaftsrückgang von 4 Prozent, in Großbritannien von 3 Prozent und in der Eurozone von 2 Prozent. Für 2009 prognostiziert die Bank ein globales Wachstum von 0,4 Prozent, wobei die Wirtschaft in den entwickelten Ländern um 0,5 Prozent schrumpft und in den Schwellenländern um 4,2 Prozent zunimmt.

Wenn man den Beinahe-Zusammenbruch des Bankensystems der westlichen Welt, die Flucht in sichere Anlagewerte, die Verknappung der an die reale Wirtschaft vergebenen Kredite, den Absturz der Wertpapierpreise, die Turbulenzen an den Devisenmärkten, den steilen Abfall der Immobilienpreise, den raschen Rückzug von Geldern aus Hedgefonds und den fortschreitenden Zusammenbruch des so genannten ‘Schatten-Banksystems’ berücksichtigt, dann kommen einem selbst diese Vorhersagen noch recht optimistisch vor. Der Verlauf des nächsten Jahre könnte noch weit schlimmer werden."

Er warnt jene Vertreter der Finanzelite, die Regierungsmaßnahmen gegen einen Kollaps ablehnen, und schreibt:

"Der Gedanke, eine rasche Rezession könnte die Welt von ihren vergangenen Exzessen heilen, ist lachhaft. Vielmehr droht die Gefahr eines Wirtschaftszusammenbruchs, wenn ein Berg von Privatschulden - in den USA dreimal so groß wie das Bruttoinlandsprodukt - zu massenhaften Konkursen führt. Die Abwärtsspirale würde anfangs zu einem weiterem Niedergang des Finanzsystems und danach wegen des allgemeinen Misstrauens zum Abschmelzen der Kredite, zur Schließung unzähliger Betriebe, zum Verfall der Warenpreise, zum wasserfallartigen Absturz der Vermögenswerte und zu ausufernden Pfändungen führen. Die Globalisierung würde die Katastrophe überall ausbreiten.

Viele Opfer wären nicht für die früheren Exzesse verantwortlich, und viele Hauptverantwortliche würden ihre unrechtmäßig erworbenen Vermögen behalten. Dies wäre kein Rezept für eine Rückkehr zum Laissez-Faire des 19. Jahrhunderts, sondern für Fremdenhass, Nationalismus und Revolution. Es sieht so aus, als seien solche Folgen möglich."

Die New York Times und ihr Wirtschaftskolumnist, Nobelpreisträger Paul Krugman, warnen vor einer globalen Deflation wie in den 1930er Jahren.

Obama hat auf diese Krise reagiert, indem er die Interessenidentität aller Gesellschaftsklassen - der Reichen und der Armen, der Wall Street und der Main Street - beschwor. Er rief nach Sparmaßnahmen und machte deutlich, dass das amerikanische Volk "Opfer" bringen müsse.

Nach den Wahlen wird es zu weiteren Entlassungen, Fabrikschließungen und Kürzungen der Sozialausgaben kommen. Das Wall Street Journal berichtet von einem starken Anstieg der Strom- und Wassersperrungen, weil die Versorgungsunternehmen schärfer gegen Kunden vorgehen, die ihre Rechnung nicht rechtzeitig bezahlen.

Der zweite wichtige Faktor, der die Politik der nächsten Regierung bestimmen wird, ist die internationale Lage des amerikanischen Imperialismus. Der Krieg im Irak wird weitergehen. Wenn Obama den Abzug von Truppen aus dem Irak verspricht, will er sie stattdessen nach Afghanistan schicken. Und dies sind nicht die einzigen Gebiete, für die US-Strategen hinter dem Rücken der Bevölkerung Kriegspläne schmieden.

Während sich die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Wahlen und die Wirtschaftslage konzentriert, führen Obama und seine Ratgeber einem Bericht der New York Times vom 3. November zufolge auf höchster Ebene geheime Diskussionen über die Vorbereitung eines Militärschlages gegen den Iran.

Die Socialist Equality Party lehnt die beiden Kandidaten der großen kapitalistischen Parteien ab. Wir wenden uns gegen die Politik des "kleineren Übels". Diese Politik dient seit Langem dazu, die Klasseninteressen zu verschleiern, die die Grundlage der amerikanischen Politik bilden.

Darüber hinaus sind wir grundsätzlich der Meinung, dass die Unterstützung eines Kandidaten bedeutet, dass man politische Verantwortung für das übernimmt, was er tut. Wir lehnen die opportunistische und feige Politik der "linken" und liberalen Gruppierungen entschieden ab, die - wie das Magazin The Nation - zu Täuschungsmanövern und offenem Betrug greifen, um die Klasseninteressen zu vertuschen, die dem Wahlkampf von Obama zugrunde liegen. Sie lassen die Arbeiterklasse unvorbereitet auf das, was auf sie zukommt.

Wir rufen auch nicht dazu auf, Ralph Nader oder irgendeinen anderen Kandidaten dritter Parteien zu unterstützen. Der Grund dafür ist nicht, dass diese Parteien "nicht gewinnen können", sondern dass sie keine prinzipielle politische und programmatische, keine sozialistische Alternative zu den beiden großen Parteien vertreten.

Jerry White und Bill van Auken kandidieren für die Socialist Equality Party als Präsident und Vizepräsident. Wir rufen die Unterstützer der SEP und die Leser der World Socialist Web Site auf, bei der Wahl eine klassenbewusste Wahlentscheidung zu treffen und die Namen unserer Kandidaten auf den Wahlzettel zu schreiben. Eine solche Wahl ist ein Zeichen des Ausdrucks der Ablehnung des reaktionären, korrupten Zwei-Parteien-System, das von der herrschenden Klasse kontrolliert wird und ihren Interessen dient.

Es ist auch eine Verpflichtung, den politischen Kampf für den Sozialismus nach dem Wahltag fortzusetzen - vor allem durch den Eintritt in die Socialist Equality Party.

Siehe auch:
Vor den US-Wahlen
(4. November 2008)
Nein zu Obama und McCain! Unterstützt die sozialistische Alternative 2008!
( 18. September 2008)
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