Verteidigungsminister der USA weitet Doktrin der präventiven Kriege auf Atomangriffe aus

In einer bemerkenswerten Rede über Atompolitik, die der US Verteidigungsminister Robert Gates am 28. Oktober an der Carnegie Endowment for International Peace (CEIP), hielt, malte er ein düsteres Bild der internationalen Beziehungen. Gates erklärte, dass Washington seine Doktrin der präventiven Kriege auf den möglichen Einsatz von Atomwaffen erweitern müsse.

Gerüchte deuten daraufhin, dass Barack Obama im Falle eines Wahlsiegs Gates als Verteidigungsminister behalten wolle. Die Rede Gates, die in den letzten Tagen der Präsidentschaft Bush gehalten wurde, hat damit den Charakter eines politischen Manifests für die kommende US Regierung.

Gates begann mit einer langen und ausführlichen Schilderung von Parallelen zwischen der heutigen Weltsituation und jener, die während der Gründung des Carnegie Institutes 1910, vier Jahre vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges, herrschte. Zu dieser Zeit 1910 bis 1911, so erklärte er, sei die Wall Street von Panik beherrscht gewesen, die durch eine Kreditkrise verursacht worden war. Die USA hätten kurz zuvor einen Aufstand auf den Philippinen unterdrückt,die 4200 Amerikaner das Leben kostete, vergleichbar mit der heutigen Zahl gefallener US Soldaten im Irak, während "Europa sich selbst bis an die Zähne bewaffnete und eine Reihe von Allianzen bildete, deren Implikationen für jeden deutlich waren, der sich bemühte, einen Blick darauf zu werfen."

Gates argumentierte, dass die pazifistischen Illusionen, die der CEIP Gründer Andrew Carnegie verbreitete, Washington nicht von der Vorbereitung auf einen größeren Krieg abhalten sollten. Carnegie war ein US-amerikanischer Stahlbaron, der in der Arbeiterklasse wegen der brutalen Unterdrückung des Homestead Streiks von 1892 berüchtigt war.

"Im August 1913", so führte Gates aus, "erklärte Carnegie dass die einzige Maßnahme zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens heutzutage eine Übereinkunft zwischen drei oder vier der führenden zivilisierten Nationen sei,... um gemeinsam gegen die Störer des Weltfriedens vorzugehen." Gates betonte, dass derselbe Andrew Carnegie vier Jahre später in einem Brief an Woodrow Wilson, "den Präsidenten mit deutlichen Worten dazu aufforderte, den Krieg zu erklären, denn es gebe nur diesen Weg, den Konflikt zu lösen." Wilson war 1916 wegen seines Versprechens gewählt worden, die USA aus dem Krieg herauszuhalten.

Auf die US Atompolitik eingehend, sagte Gates, "So lange andere über Atomwaffen verfügen, müssen wir selbst auch ein bestimmtes Quantum dieser Waffen behalten, um potentielle Gegner abzuschrecken und das Vertrauen unserer über zwei Dutzend Verbündeten und Partner zu stärken, die sich auf unseren nuklearen Schutzschild für ihre Sicherheit verlassen und um es ihnen zu ersparen, solche Waffen selbst zu entwickeln."

Dieser Kommentar gibt Einblick, wie angespannt und instabil die internationalen Beziehungen gegenwärtig sind und mit welcher Paranoia die Vertreter der USA darauf reagieren. Gates Angst vor der Verbreitung von Atomwaffen beschränkt sich nicht auf die bereits vorhandenen Programme "potentieller Gegner", zu denen Gates auch "Schurkenstaaten wie Nordkorea und Iran zählt oder auf die russischen oder chinesischen strategischen Modernisierungsprogramme." Seine Angst erstreckt sich auch auf die Atompolitik aller Staaten, darunter die gegenwärtigen Verbündeten der USA.

Gates wiederholte diesen Punkt später: "Wir können die Zukunft nun einmal nicht vorhersehen. [...] unsere Gegner und auch andere Nationen werden immer danach streben, jeden Vorteil zu nutzen, den sie finden können. Dessen müssen wir uns bewusst sein und uns auf Eventualitäten vorbereiten, die wir möglicherweise noch nicht bedacht haben."

Die von Gates vorgelegte Liste der den USA gewogenen Staaten, die sich entschieden haben, keine Atomwaffen zu entwickeln, ist bezeichnend: Südkorea, Taiwan, Argentinien, Südafrika und Libyen. Zwei der Länder die man auf der Liste erwartet hätte, die ehemaligen Gegner im zweiten Weltkrieg, Japan und Deutschland, wurden nicht erwähnt. Gates erklärte nicht, welche politischen Faktoren ihn zu diesen Schritt bewogen haben.

Gates sprach dann eine bemerkenswerte Drohung aus: "So lange andere Staaten Atomwaffen haben oder sich in ihren Besitz bringen wollen - und uns oder unsere Alliierten und Freunde bedrohen könnten - müssen wir die Möglichkeit haben, Folgendes klarzumachen: Wer die USA auf dem Gebiet der Nukleartechnik - oder mit anderen Massenvernichtungswaffen - herausfordert, muss mit einer gewaltigsamen, katastrophalen, Antwort rechnen."

Gates zufolge müssten die USA in der Lage sein, einen nuklearen Holocaust gegen jeden Staat zu entfesseln, der die USA auf dem Feld der Nukleartechnik oder anderer "Massenvernichtungswaffen" "herausfordert". Wörtlich stellte er fest, es sei noch nicht einmal notwendig, dass ein Staat tatsächlich ABC-Waffen besitze. Es reiche schon aus, dass ein Staat "versucht", an solche Waffen heranzukommen, um ein potentielles Ziel für eine präventive "gewaltsame, katastrophale Antwort" durch die Vereinigten Staaten zu werden.

Diese Doktrin hat nicht nur gewaltige Auswirkungen für das amerikanische Atomwaffenprogramm, sondern für die Gesamtheit der US Außenpolitik. Es setzt voraus, dass jede ausländische Macht der Welt davon ausgehen muss, dass der Versuch Atomwaffen zu entwickeln, einen Atomschlag der USA provoziert. Demnach wären die USA tatsächlich verpflichtet, jedes Land - wie den Iran und Nord Korea - mit Atomwaffen anzugreifen, das im Verdacht steht, solche zu entwickeln. Der Rest der Welt solle nicht davon ausgehen, dass die Vereinigten Staaten diese Drohung nicht wahrmachen.

Gates erweitert damit die Bush Doktrin des präventiven Krieges - die er der Welt vor der unprovozierten Invasion des Irak auf Grund von Lügen über angebliche Massenvernichtungswaffen in diesem Land verkündet hatte - durch den Zusatz, dass ein US-amerikanischer Erstschlag auch den Einsatz von Nuklearwaffen in großem Stil mit sich bringen könne.

In seiner Rede forderte er eine bedeutende Erhöhung der Ausgaben für Atomwaffen, darunter auch der möglichen Wiederaufnahme von Atomwaffen Tests. "Es gibt absolut keinen anderen Weg. Wir müssen eine glaubwürdige Abschreckung aufrechterhalten. Wenn wir die Anzahl an Waffen in unserem Arsenal reduzieren wollen, müssen wir entweder die Tests unserer Bestände wieder aufnehmen oder ein Modernisierungsprogramm verfolgen," erklärte er.

Gates zitierte eine "düstere" Prognose über drängende technische und personelle Probleme des US amerikanischen, strategischen Nuklearwaffenprogramms und erklärte, dass seine Politik auf die größten und mächtigsten Waffen des US Arsenals ausgerichtet sei: "Das Programm, das wir im Sinn haben, dreht sich nicht um neue Ressourcen - Miniaturbomben oder Anti-Bunkerwaffen oder taktische Atomwaffen. [...] Es geht um die zukünftige Glaubwürdigkeit unserer strategischen Abschreckungsmittel."

Gates sprach zudem über Bedenken, die die Kommandostruktur der Atomstreitkräfte der US Luftwaffe betreffen, und bezog sich auf seine Suspendierung verschiedener hochrangiger Luftwaffenoffiziere am fünften Juni, nachdem bekannt geworden war, dass Teile von Atomraketen nach Taiwan verschickt wurden. Damals stellte die World Socialist Web Site die Frage, ob die Versendung dieser Teile nach Taiwan Teil einer inoffiziellen Außenpolitik von abtrünnigen Sektionen des US Militärs sei. Die bürgerliche Presse, für ihren Teil, akzeptierte die offizielle Erklärung, dass es sich einfach um ein technisches Versehen gehandelt habe.

Gates Aussagen konzentrierten sich jedoch nicht auf technische Fragen des Luftwaffenprotokolls für Frachtsendungen, sondern auf die Kontrolle der Politik der Luftwaffe. Er kündigte Maßnahmen zur Zentralisierung von "Atompolitik und Aufsichtsführung" an. Darunter zählt ein neues Hauptquartier beim Stab der Luftwaffe und ein Zentrum für Atomwaffen bei der Kirtland Luftwaffenbasis, die die Aufgabe haben sollen, "zweifelhafte Teile in der Kommandokette aufzudecken, die in der Vergangenheit für Probleme gesorgt haben."

Gates schloss seinen Vortrag mit der Aufzählung der Arten von Angriffen, bei denen die USA zur "Abschreckung" auf Atomwaffen oder andere Mitteln, zurückgreifen würden. Er sprach über "angemessene" Antworten auf Hackerangriffe auf die Computersysteme der Vereinigten Staaten, die Arten der Abschreckung vor einem Angriff auf die Kommunikationssatelliten der USA (die nur vom Militär technologisch fortgeschrittener Länder durchgeführt werden könnten) sowie die Entwicklung "neuer Technologien zur Identifizierung der besonderen Zusammensetzung" von atomaren Material, welche den USA erlauben würden, "jeden Staat, jede terroristische Gruppe oder andere nicht staatliche Akteure oder Individuen für die Unterstützung oder Ermöglichung terroristischer Bemühungen, diese Massenvernichtungsmittel zu erlangen oder sie zu benutzen, zur Verantwortung zu ziehen".

Festzuhalten ist, dass einige dieser Angriffe, speziell Hackerangriffe auf Computer oder terroristische Angriffe mit Massenvernichtungswaffen - ihrem Wesen nach nur schwer zurückzuverfolgen sind, was für Washington die Möglichkeit offenlässt, die Ergebnisse einer Untersuchung zu ihren Gunsten zu verändern. Dass eine solche Möglichkeit besteht, ist am besten durch die Angriffe mit Milzbrandviren aus dem Jahr 2001 zu verdeutlichen. Die Erreger stammten aus einem Laboratorium der Armee aus Fort Derrick und im Endeffekt war ein ziviler US Wissenschaftler der in Fort Derrick arbeitete, verantwortlich, dennoch verbreiteten die US Medien lange Zeit, dass es muslimische Terroristen gewesen seien.

Wenn man die bemerkenswert kriegerischen Kommentare von Gates einschätzt, ist zu beachten, dass seine Rechtfertigungen für einen präventiven Nuklearkrieg keineswegs allein dastehen. Im April sagte die damalige Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, dass im Falle eines Angriffs des Iran auf Israel, die USA mit der "Auslöschung" des Irans antworten würden. Diese Kommentare sind ein weiterer Beleg dafür, dass die herrschende Klasse der USA dabei ist, nach den Wahlen eine aggressivere Außenpolitik zu verfolgen als jemals zuvor.

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