Am 30. April trat Ex-Bundespräsident Roman Herzog auf einer Pressekonferenz im Pressezentrum des Parlaments zusammen mit dem ehemaligen sozialdemokratischen "Superminister" Wolfgang Clement auf, um das neueste Buch des so genannten Konvent für Deutschlands publik zu machen. Der Konvent für Deutschland ist ein rechter Think Tank, zu dessen Mitarbeitern bedeutende Mitglieder des politischen, unternehmerischen und Banken-Establishments in Deutschland gehören.
Die Äußerungen von Herzog (CDU) und anderen auf der Pressekonferenz in Berlin machten deutlich, dass der Konvent für Deutschland fest entschlossen ist, den Druck auf die Große Koalition zu erhöhen, damit sie wesentlich schonungsloser mit den Angriffen auf Arbeitsplätze und Sozialleistungen (Agenda 2010 und Hartz IV) weitermacht, die von der früheren Rot-Grünen Koalition begonnen wurden, in der Clement führendes Mitglied war.
Das neue Buch des Konvents mit dem Titel Mut zum Handeln besteht aus 28 Interviews mit führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Bankenwelt und Politik. Der allgemeine Tenor der Interviews ist, Deutschland befinde sich in einem Reformstillstand und die gegenwärtige Elite habe nicht den "Mut", die schonungslosen und unpopulären wirtschaftlichen Angriffe auf den Lebensstandard der großen Mehrheit der Bevölkerung durchzuführen, die der Konvent für notwendig erachtet.
Gleichzeitig übt der Konvent Kritik am politischen Establishment des Landes und vor allen Dingen an der gegenwärtigen Großen Koalition, weil sie zu zögerlich bei der Durchsetzung weit reichender Veränderungen des politischen Systems in Deutschland ist.
Die Tatsache, dass Wolfgang Clement bei der Pressekonferenz mit auf dem Podium saß, machte in aller Deutlichkeit klar, dass der Konvent für Deutschland mit den Reformen zufrieden ist, welche die Rot-Grüne Koalition unter Vorsitz von Schröder durchgeführt hat. Die Reformen unter Schröder waren der umfassendste Angriff auf den deutschen Sozialstaat seit dem Zweiten Weltkrieg.
Wie Clement jedoch auf der Pressekonferenz vom letzten Mittwoch verlauten ließ, leidet der Reformprozess in Deutschland unter einer "Reformstarre", und das neue Buch des Konvents ist so etwas wie ein "Weckruf", um Deutschland von dem übertriebenen rechtlichen Vorschriftendickicht für die Wirtschaft und einer lähmenden Bürokratie zu befreien.
Jürgen Großmann, amtierender Vorsitzender des Energiekonzerns RWE äußerte sich auf der Pressekonferenz noch unverblümter. Großmann erklärte: "Was wir brauchen ist nicht weniger als eine Revolution!" - das heißt, eine "Revolution", die die Errichtung einer autoritären Regierung zum Ziel hat, die in der Lage ist, den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung gegen die Politik der Agenda 2010 schonungslos zu bekämpfen.
Herzog gab in seiner Antwort auf die Frage eines Journalisten einen Einblick in die durch und durch elitäre Denkweise des Konvents. Als er gefragt wurde, wie er glaubt, die Unterstützung der deutschen Bevölkerung für seine Vorschläge zu bekommen, platzte er mit folgender Antwort heraus: "Das Volk folgt... das sagt doch schon der Name." Als er merkte, dass er zu weit gegangen war, versuchte Herzog schnell, seine Äußerung zu korrigieren und seinen entlarvenden Ausrutscher herunterzuspielen.
Was ist der Konvent für Deutschland
Der Konvent für Deutschland wurde vor fast fünf Jahren gegründet. Seine Mitgliederliste liest sich wie das Who’s Who der deutschen Geschäftswelt und Bankenkreise, gewürzt mit einer Reihe führender rechter Politiker, darunter prominente Mitglieder der SPD.
Der Vorsitzende des Konvents ist Roman Herzog, der von 1994 bis 1998 Bundespräsident war. Als junger Mann studierte Herzog Rechtswissenschaft an der Universität München und war von 1958 bis 1964 Assistent des führenden Rechtsgelehrten Theodor Maunz. Maunz’s eigene juristische Karriere begann in den frühen 1930er Jahren, als er die Nationalsozialisten juristisch beriet. In der gesamten Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zählte Maunz zu den begeisterten Anhängern der Faschisten und spielte als Juraprofessor in Freiburg eine führende Rolle dabei, der Arbeit der deutschen Polizei unter den Nazis einen legalen Rahmen zu schaffen. Maunz wurde nach dem Krieg erlaubt, seine juristische Karriere fortzusetzen und gab dann - zusammen mit seinem Assistenten Roman Herzog - einen maßgebenden Kommentar zur Nachkriegsverfassung Deutschlands heraus.
Herzog sorgte im April 1997 für Schlagzeilen, als er in seiner Funktion als Bundespräsident im Berliner Hotel Adlon seine so genannte "Ruck"-Rede hielt. Herzog drückte seinen Missmut über das Tempo der politischen Entwicklung unter CDU-Kanzler Helmut Kohl aus. Herzog gab dem Druck höchster Wirtschaftskreise Ausdruck und forderte, ein "Ruck" müsse durch Deutschland gehen, um "verkrustete Strukturen" zu überwinden.
Die drastischen Einschnitte bei den Sozialsystemen, die wenige Jahre später von der Koalition unter Schröder durchgesetzt wurden, waren eine erste Reaktion auf Herzogs Appell. Herzogs Forderung nach radikalen Änderungen und einem "Ruck" wurde kürzlich vom gegenwärtigen Bundespräsidenten Horst Köhler wiederholt.
Eins der Hauptthemen des Konvent für Deutschlands ist die demographische Entwicklung in Deutschland. In dieser Frage haben Herzog und andere Mitglieder des Konvents wiederholt in die Diskussion über die Zukunft des deutschen Rentensystems eingegriffen. Als Vorsitzender einer Kommission, die von der CDU eingerichtet wurde, hatte Herzog bereits 2003 Vorschläge gemacht, das Pensionsalter von 65 auf 67 Jahre heraufzusetzen und die Renten zu kürzen.
Herzog kehrte vor einigen Wochen zu diesem Thema zurück. In einem Interview mit der Bild -Zeitung, beklagte sich Herzog über den Einfluss von älteren Bürgern auf das politische Leben und erklärte: "Ich befürchte, wir erleben den Beginn einer Rentner-Demokratie: Die Zahl der Senioren wächst ständig und sie bekommen eine überproportional hohe Aufmerksamkeit sämtlicher Parteien. Das könnte letztendlich darauf hinauslaufen, dass die Senioren die Jungen ausbeuten."
Herzogs Klagen über die Ausbeutung der Jugend durch die Rentner ist starker Tobak, vor allem weil sie von einem Mann kommen, der für seine 5-jährige Amtszeit als Bundespräsident vom deutschen Finanzministerium eine monatliche Rente in Höhe von 17.000 Euro bezieht. Das ist wesentlich mehr als ein durchschnittlicher deutscher Rentner in einem ganzen Jahr bekommt! Und obendrein ist Herzogs Pension nur die Spitze des Eisbergs; darin sind noch nicht seine Einkünfte aus anderen politischen Ämtern, Investitionen, Vorträgen, Büchern etc. enthalten.
Neben Herzog finden sich auf der Mitgliederliste des Konvent für Deutschlands deutsche Industriekapitäne wie Harry Roels, der Vorsitzende des riesigen Energiekonzerns RWE, Klaus Zumwinkel, der erst kürzlich wegen massiver Steuerhinterziehung als Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Post zurückgetreten ist, Hartmut Mehdorn, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, und Wendelin Wiedeking, Vorstandsvorsitzender bei Porsche.
Die Banken-Welt wird von Deutschlands bestbezahltem Banker Josef Ackermann vertreten. Weitere führende Persönlichkeiten aus der Finanzwelt sind Andreas Dombret, stellvertretender Vorsitzender der europäischen Aktivitäten der Bank of America und Thomas R. Fisher, Stellvertretender Vorsitzender der WestLB (die kürzlich in Zusammenhang mit der US-amerikanischen Hypothekenkrise Verluste in Milliardenhöhe gemeldet hat).
Zu den bekannten politischen Persönlichkeiten des so genannten Konvent für Deutschlands gehören sein stellvertretender Vorsitzender Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD, ehemaliger Hamburger Bürgermeister), Wolfgang Clement (von 2002 bis 2005 Wirtschafts- und Arbeitsminister), Oswald Metzger (früher Mitglied der Grünen, vor kurzem in die CDU eingetreten), Otto Graf Lambsdorff (ehemaliger Wirtschaftsminister, FDP), Monika Wulf Mathies (SPD, von 1982 bis 1994 Vorsitzende der ÖTV, danach Mitglied der EU-Kommission in Brüssel) und der frühere Vorsitzende des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Hans Olaf Henkel.
Einen Einblick in die durch und durch reaktionären politischen Ideen und Prioritäten des Konvents erhält man in einer weiteren Publikation: Das Ende des Weißen Mannes, verfasst von einem seiner Gründungsmitglieder Professor Dr. Manfred Pohl. Pohl ist einer der führenden Theoretiker des Konvent für Deutschland, der als junger Mann seine Bank-Karriere unter Hermann Josef Abs begonnen hatte. Abs war von 1937 bis zum Ende des Kriegs Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Bank und spielte in dieser Zeit eine führende Rolle bei der "Arisierung" der deutschen Wirtschaft - d. h. der zwangsweisen Enteignung der Juden. Wie Maunz war Abs nach dem Krieg in der Lage seine Tätigkeit fortzusetzen und leitete bis weit in die 1950er Jahre die Deutsche Bank.
Eine der wichtigsten Funktionen, die sein Schüler Pohl zurzeit bekleidet, ist die Leitung der internationalen "kulturellen Aktivitäten" der Deutschen Bank.
Pohls wichtigste These in diesem Buch ist, dass Europa von Immigranten überflutet wird; das bedrohe genetisch die Vorherrschaft des "weißen Mannes". Pohl argumentiert, dass es für Nationalstaaten notwendig ist, ihre Interessen zu verteidigen. "In Deutschland, Europa und den USA muss die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl deutsch, europäisch und amerikanisch bleiben."
Pohls Lösung für das "demographische Problem" in Deutschland ist die Forderung in Das Ende des Weißen Mannes, deutsche Rentner im Alter von 60 bis 80 Jahren sollten unbezahlte Gemeindearbeiten machen. Gleichzeitig müssten Schritte unternommen werden, um die Geburtenrate zu erhöhen. Pohls Ideen in dieser Hinsicht sind genauso reaktionär wie seine Vorschläge für Rentner.
Laut Pohl wird ein Mann, der die Hausarbeit erledigt und sich um ein Baby kümmert, "verweiblichen" und unattraktiv für Frauen: "... welche Frau fühlt sich von solch einem Mann angezogen? Diese Art Mann würde verweiblichen, da dann das männliche Testosteron nicht zu Entfaltung kommen und verkommen würde." [Seite 170] Mit dem Ergebnis, à la Pohl, dass in Deutschland noch weniger Kinder geboren werden.
Über Erziehung schreibt Pohl:
"Die rund fünf Prozent der Menschen, die intellektuell in der Lage sind, geistige Hochleistung zu vollbringen, etwa durch Erfindungen, müssen frühzeitig aus dem Durchschnitt herausgefiltert und spätestens nach dem Kindergarten spezifisch gefördert werden. Die etwa 30 Prozent, die Erfindungen umsetzen, installieren und warten oder Bildung weitergeben können, bedürfen ebenfalls eines eigenen Bildungsweges, genauso wie die restlichen 65 Prozent, die Maschinen bedienen und einfache geistige Arbeiten verrichten. Von ihnen ist etwa ein Drittel nicht bildungsfähig, egal wie viele Millionen für ihre Bildung aufgewandt werden. " [Seite 150]
Das Ekel erregende elitäre Denken, das Manfred Pohl an den Tag legt, könnte man als das Genörgel eines politisch Frustrierten übergehen, wenn dieses Buch nicht die Widmung von ausgerechnet Roman Herzog enthielte. Der politische Einfluss des Konvent für Deutschland selbst wird noch dadurch unterstrichen, dass Kanzlerin Angela Merkel Hauptsprecherin auf einem Symposium des Konvents im Dezember letzten Jahres war.
Verfassungsänderungen
Herzog, Pohl und der Konvent sind sich im Klaren darüber, dass für die Durchsetzung ihrer sozialen und politischen Ziele entscheidende Verfassungsänderungen notwendig sind, um die obrigkeitsstaatlichen Befugnisse zu bekommen, die nötig sind, um das deutsche Sozialstaatssystem völlig umzukrempeln und eine unpopuläre Wirtschaftspolitik durchzusetzen. Deutschlands Fähigkeit, die Reformen fortzusetzen, wird, laut Konvent, durch zu viele Wahlen und zu viel Demokratie eingeschränkt.
Herzog schlägt radikale Änderungen des deutschen politischen Systems vor, darunter die Verlängerung der Legislaturperiode des Parlaments von vier auf fünf Jahre, weniger Macht für die einzelnen Bundesländer, und Landtagswahlen, Kommunalwahlen etc., die gegenwärtig getrennt abgehalten werden, gleichzeitig stattfinden zu lassen.
In seinem jüngsten Buch macht Pohl klar, dass sein Vorbild für einen modernen Staat der gut geführte Aufsichtsrat eines Unternehmens ist. Zusätzlich zu den Verfassungsänderungen, die Herzog fordert, schlägt Pohl vor, die gegenwärtig sechzehn Bundesländer auf acht zu reduzieren und eine Bundesversammlung mit weit reichenden politischen Befugnissen einzurichten.
Als Mitglieder einer solchen Bundesversammlung schlägt Pohl "unabhängige Weise" aus den acht Bundesländern vor. Zu den "unabhängigen Weisen" zählt Pohl offensichtlich sich selber, als Mitglied dieser Elite von Technokraten, Wirtschaftsfachleuten und Bankiers, ohne feste politische Bindung, aber den Profitinteressen ihrer Firma oder Bank absolut treu ergeben. Zusammen mit den Verfassungsvorschlägen von Herzog und anderen stellt Pohls Forderungskatalog einen substantiellen Angriff auf das demokratische System Deutschlands dar und ist ein Schritt hin zu einem zunehmend zentralisierten Obrigkeitsstaat.
Man muss die Vorschläge Herzogs und des Konvents für Deutschland sehr ernst nehmen. Durch ihre Verbindungen zur Großindustrie und dem deutschen Lobby-System waren sie schon in der Lage, Einfluss auf den Prozess der Veränderung des deutschen Föderalismus zu nehmen, und der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering beeilte sich, Herzogs Vorschlag für die Rente mit 67 Jahren aufzugreifen.
Herzogs ursprüngliche "Ruck"-Rede war an die konservative Regierung unter Helmut Kohl gerichtet. Kohls Regierung wurde 1998 von Schröders rot-grüner Koalition ersetzt, die begann, die "Reformen" durchzusetzen, die der Konvent für Deutschland und weite Teile der deutschen Wirtschaft gefordert hatten.
Jetzt sind Herzog und der Konvent besorgt, dass der "Reform"-Prozess an Schwung verliert, und erneuern den Druck auf die gegenwärtige Regierung, weitere Schritte zum Abbau des deutschen Sozialstaats zu unternehmen. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Finanzkrise und zunehmender Anzeichen von Unzufriedenheit und Widerstand in der Bevölkerung fordert der Konvent antidemokratische Reformen, um den Obrigkeitsstaat zu schaffen, mit dem sein wirtschaftliches und politisches Programm durchzusetzen ist.
Die Reaktion des Konvents und seines Präsidenten auf die wachsende soziale und politische Krise in Deutschland steht in einer langen und schändlichen Tradition.
Es war die große Koalition (1928-1931) unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller, welche die größten Angriffe auf den Sozialstaat in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts führte. 1930 empfahl Müller dann seiner Partei, die konservative Regierung unter Heinrich Brüning zu unterstützen. Brüning wiederum fegte die deutsche Verfassung hinweg und regierte per Notverordnungen, um den Widerstand in der Bevölkerung zu unterdrücken. Dadurch schuf er einen Präzedenzfall, der dann in vollem Maße 1933 vom Führer der Nationalsozialisten, Adolf Hitler, ausgenutzt wurde.
Es gibt natürlich viele Unterschiede zwischen der gegenwärtigen Situation und 1933, aber selbst eine oberflächliche Untersuchung der Perspektiven und der Aktivitäten des Konvents für Deutschland macht klar, dass diese Schicht der deutschen herrschenden Elite bereit ist, denselben gefährlichen Weg zu gehen wie Müller und Brüning in den 1930er Jahren.