Ex-Außenminister Fischer warnt vor israelischem Militärschlag gegen Iran

In einem Artikel, der Ende Mai in der englischsprachigen Ausgabe des Daily Star (Libanon) und der National Post (Kanada) erschien, warnt der ehemalige deutsche Außenminister und führende Grüne, Joschka Fischer vor einem Angriff Israels auf den Iran in naher Zukunft.

Unter der Überschrift: "Krieg mit dem Iran zeichnet sich ab", erklärt Fischer, dass eine "fehlgeleitete amerikanische Politik" zu einer Situation geführt habe, in der "eine weitere militärische Konfrontation wie eine dunkle Wolke drohend über dem Nahen Osten hängt".

Fischer schreibt, eine Folge der Politik der Bush-Regierung sei, dass die Feinde der Vereinigten Staaten gestärkt worden seien und im Nahen Osten neue Bündnise geschmiedet wurden.

Er zitiert eine Reihe von Faktoren, welche die Wahrscheinlichkeit eines israelischen Militärschlags gegen den Iran erhöhen. Dazu gehören: "Anhaltend hohe Ölpreise, die neue finanzielle und politische Möglichkeiten für den Iran eröffnet haben; die mögliche Niederlage des Westens und seiner regionalen Verbündeten in den Stellvertreterkriegen im Gaza und im Libanon; und das Scheitern des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen dabei, den Iran zu bewegen, zumindest einen vorübergehenden Stopp seines Nuklear-Programms zu akzeptieren."

Fischer hebt hervor, dass das zentrale Anliegen des jüngsten Besuchs von Präsident George Bush in Israel nicht war, eine Lösung des Konflikts zwischen Palästina und Israel voranzubringen, sondern vielmehr eine Allianz für härtere Maßnahmen gegen den Iran zu schmieden, inklusive militärischen Optionen.

Er schreibt: "Diejenigen, die erwartet hatten, sein Besuch drehe sich in erster Linie um die ins Stocken geratenen Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern, wurden bitter enttäuscht." Er fährt fort: "Bushs zentrales Thema - auch in seiner Rede vor der israelischen Knesset - war der Iran. Bush hatte versprochen, den Konflikt im Nahen Osten noch vor Ende seiner Amtszeit in diesem Jahr einer Lösung näher zu bringen. Aber sein abschließender Besuch in Israel scheint darauf hinzuweisen, dass er ein anderes Ziel hatte: Es hat den Anschein, dass er zusammen mit Israel plant, das iranische Nuklear-Programm zu stoppen - und zwar mit militärischen statt mit diplomatischen Mitteln."

Fischer zählt im Weiteren sechs Faktoren im Zusammenhang mit Bushs Besuch anlässlich der Feier zum 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israel auf, die darauf hinweisen, dass ein israelischer Angriff auf den Iran wahrscheinlich ist:

Als erstes: Bushs Aufruf,Schluss mit der Beschwichtigungspolitik!’ ist eine Forderung, die quer durch das politische Spektrum Israels geht - und gemeint ist die angebliche nukleare Bedrohung, die vom Iran ausgeht.

Zweitens: Während Israel feierte, wurde Verteidigungsminister Ehud Barak mit den Worten zitiert, eine militärische Konfrontation auf Leben und Tod sei zweifellos möglich.

Drittens: Der scheidende Oberbefehlshaber der israelischen Luftwaffe erklärte, die Armee sei zu jeder noch so schwierigen Mission in der Lage, um die Sicherheit des Landes zu verteidigen. Die Zerstörung einer angeblichen syrischen Atomanlage im letzten Jahr, die keinerlei ernsthafte internationale Reaktionen hervorgerufen hat, wird als Testballon für einen kommenden Einsatz gegen den Iran gesehen.

Viertens: Die israelische Wunschliste in Bezug auf US-Waffenlieferungen, die mit dem amerikanischen Präsidenten diskutiert wurde, konzentriert sich vor allem auf die Verbesserung der Angriffsfähigkeit und der Präzision der israelischen Luftwaffe.

Fünftens: Die diplomatischen Initiativen und UN-Sanktionen gegen den Iran werden als völlig wirkungslos angesehen.

Und sechstens: Mit dem nahenden Ende der Bush-Präsidentschaft und der Unsicherheit über die Politik seines Nachfolgers wird befürchtet, dass sich das Zeitfenster für israelisches Handeln schließt.

Fischer betont, dass "die letzten beiden Faktoren besonderes Gewicht haben...in Israel herrscht das Gefühl, dass die politische Möglichkeit anzugreifen jetzt während der letzten Monate der Präsidentschaft Bushs gegeben ist."

Fischers Warnung vor einem israelischen Angriff auf den Iran innerhalb der nächsten Monate sollte sehr ernst genommen werden. Fischer war in der rot-grünen Koalitionsregierung von 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler und pflegte sowohl im Nahen Osten als auch in den USA umfangreiche politische Kontakte.

Er half sicherzustellen, dass Deutschland sich nicht an der von den USA geführten "Koalition der Willigen" beteiligte, die 2003 in den Irak einfiel. Es erregte Aufsehen, als Fischer 2003 dem damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld öffentlich ins Gesicht sagte, er "sei nicht überzeugt" von den Gründen, die Rumsfeld als Rechtfertigung für den Irakkrieg angeführt hatte. Gleichzeitig baute er enge Beziehungen zur israelischen Regierung auf und betonte wiederholt, dass sich Deutschland immer bemühen werde, die israelischen Interessen zu verteidigen.

Nach der Niederlage des rot-grünen Bündnisses im Jahr 2005, verkündete Fischer seinen Rückzug aus den führenden politischen Ämtern bei den Grünen. Er schreibt jedoch weiterhin regelmäßig Artikel zu außenpolitischen Fragen. Als Gastwissenschaftler am Woodrow Wilson International Centre in Washington unterhält Fischer enge Beziehungen zu führenden politischen Persönlichkeiten.

Im April 2006 gehörte Fischer zu einer Gruppe von ehemaligen Außenministern - aus Frankreich, den Niederlanden, Polen, Luxemburg und den USA (Madeleine Albright) - die die Bush-Regierung öffentlich aufforderte, direkte Gespräche mit Teheran über das Urananreicherungs-Programm der iranischen Regierung aufzunehmen.

Als Außenminister vertrat Fischer konsequent die Interessen des deutschen Imperialismus - speziell im Nahen Osten. Er lehnte zwar jede direkte Rolle im Irak-Krieg ab, versuchte aber auch, eine Konfrontation mit den USA zu vermeiden.

Man sollte außerdem beachten, dass Fischer, obwohl er vor den Gefahren eines israelischen Militärschlags gegen den Iran warnt, trotzdem die Argumentation rechtfertigt, die die Israelis selbst für einen derartigen Aggressionsakt benutzen, d. h. die Auffassung von einer Existenzbedrohung Israels durch Teheran. Statt die israelische Kriegstreiberei zu kritisieren, betont Fischer, Iran müsse einlenken und Konzessionen machen, um einen Konflikt zu vermeiden. Fischer macht klar, dass er im Falle eines Krieges für Israel (und die USA) Partei ergreifen würde.

Fischers Warnungen vor einem bevorstehenden Krieg mit dem Iran kommen zu einem Zeitpunkt, an dem sich eine tiefe Spaltung innerhalb der Großen Koalition über die Frage entwickelt, wie man auf die US-amerikanische und israelische Aggression im Nahen Osten reagieren soll.

Im März diesen Jahres besuchte Kanzlerin Angela Merkel Israel und hielt eine Rede vor dem israelischen Parlament, in der sie erklärte, Deutschland werde nicht zögern, "zusätzliche, härtere Sanktionen zu befürworten, um den Iran zu zwingen, sein Nuklear-Programm zu stoppen". Jedes Zögern in dieser Hinsicht, erklärte sie weiter, würde bedeuten, dass "wir weder unsere historische Verantwortung verstanden, noch ein Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit entwickelt haben".

Merkels Erklärung wurde als unzweideutige Solidaritätsadresse an Israel und die USA in ihrer Kampagne gegen den Iran verstanden. 2001 hatte Merkel den amerikanischen Imperialismus bedingungslos unterstützt, und sich für die US-Invasion im Irak ausgesprochen.

Seit Merkels Besuch in Israel im März hat die deutsche Unternehmerlobby, die umfassende Interessen im Iran hat, ihren Unmut über die Haltung der Kanzlerin geäußert. Ein Artikel in der Wirtschaftszeitung Handelsblatt von Ende April stellte fest, Merkel werde zur "engsten Verbündeten Washingtons gegen den Iran" und warnte, Merkels Kanzleramt habe im Großen und Ganzen in den Beziehungen zu Teheran das Außenministerium und das Wirtschaftsminsterium "kaltgestellt".

Während Frank-Walter Steinmeier, Fischers Nachfolger als Außenminister und Vizekanzler, bemüht ist, öffentlich die Differenzen mit Kanzlerin Merkel herunterzuspielen, gibt es dennoch wachsende Anzeichen dafür, dass die Koalitionspartner gegenüber dem Iran unterschiedliche Ansätze vertreten.

Deutsche Banken und Unternehmen leiden unter dem amerikanischen Druck, schärfere Sanktionen durchzusetzen, was eine Reihe von großen Unternehmen dazu gezwungen hat, ihre Geschäfte im Iran aufzugeben. Auf amerikanischen Druck haben sich drei führende deutsche Banken (Commerzbank, Deutsche Bank and Dresdner Bank) 2007 aus dem Iran zurückgezogen. Es gibt allerdings Anzeichen dafür, dass das Außenministerium und Wirtschaftskreise versuchen, Merkel und das Kanzleramt zu umgehen und ihre Beziehungen zur iranischen Regierung auszubauen.

Auf einer von der Presse wenig beachteten Reise besuchte der stellvertretende iranische Außenminister S.E. Mehdi Safari im April für drei Tage Berlin, um Gespräche mit Vertretern des Außen-, Innen- und Wirtschaftsministeriums zu führen. Der stellvertretende iranische Außenminister kam auch zu Gesprächen mit Justizbeamten und Geschäftsleuten zusammen.

Während seines Aufenthalts in Berlin ermahnte Safari Deutschland, sich Geschäftsschancen im Iran nicht entgehen zu lassen. Er erklärte gegenüber Journalisten: "Der Handel zwischen unseren beiden Staaten ist zurückgegangen... Irans Handel mit asiatischen Nationen hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt... Wer ist hier der Verlierer? Das müssen Sie sich selbst fragen."

Nach Zahlen, die das Wirtschaftsministerium im Februar veröffentlichte, fielen die deutschen Exporte in den Iran im Jahr 2007 von 4,3 Milliarden Euro auf 3,2 Milliarden Euro.

Nachdem sie von 2005 bis 2007 zurückgegangen waren, stiegen die deutschen Exporte im Januar um 13 Prozent. Mit Lieferungen von 3,2 Milliarden Euro im letzten Jahr an den Iran, von denen Berlin 500 Millionen mit Export-Garantien gestützt hat, bleibt Deutschland der weltweit zweitgrößte Exporteur in den Iran.

Die vom Bundesamt für Außenwirtschaft herausgegebene Broschüre "Wachstumsmärkte im Nahen und Mittleren Osten" hebt hervor, dass Deutschland bei der Lieferung von allen Arten von Maschinen für den Iran die Nr.1 ist, ausgenommen Kraftwerksanlagen und das Baugewerbe, wo italienische Hersteller den iranischen Markt dominieren. Laut der deutsch-iranischen Industrie- und Handelskammer "sind 75 Prozent aller kleinen und mittleren Fabriken im Iran mit deutscher Technologie ausgestattet".

Diese umfangreichen Wirtschaftsinteressen geraten jetzt unter wachsenden Druck: auf der einen Seite durch die von den USA geführte Kampagne für Wirtschaftssanktionen gegen den Iran und auf der anderen Seite durch die wachsende Konkurrenz durch die Wirtschaften der asiatischen Schwellenländer Indien und China, die beide ihre Geschäftsbeziehungen mit Teheran ausgebaut haben. Bei einem kürzlichen Besuch in Teheran zu Gesprächen mit Safarai warnte Peter Ramsauer von der CSU, "es wäre eine Schande, wenn die Europäer einfach zulassen würden, dass ihnen dieser Markt entgleitet".

In der Folge des katastrophalen Irak-Kriegs hätte ein Militärschlag Israels gegen den Iran, verheerende Auswirkungen für die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, die das deutsche Außenministerium und die Geheimdienste über Jahrzehnte hinweg im gesamten Nahen Osten sorgfältig aufgebaut haben. Außenminister Steinmeier bereist zur Zeit den Nahen Osten. Nach einem Zwischenstop im Libanon reiste er weiter zu einem Besuch Israels.

Obwohl er nach außen das Bild einer gemeinsamen Position der Großen Koalition aufrechterhält, ist Steinmeier offensichtlich entschlossen, eine von Deutschland angeführte gemeinsame europäische Achse aufzubauen, die im Gegensatz zur immer lauter werdenden Kriegsrhetorik aus Tel Aviv and Washington eine diplomatische Lösung in der Frage der iranischen Urananreicherung anstrebt.

Es ist sicherleich kein Zufall, dass während Steinmeiers aktueller Reise ein führender deutscher Geheimdienstagent in der Region entscheidend bei einer Geste der Aussöhnung mitwirkte. Die Hisbollah übergab die Leichen israelischer Soldaten, die im Krieg von 2006 getötet worden waren, an die israelische Regierung.

Der ehemalige Außenminister hat sich jetzt in diesen außenpolitischen Konflikt eingemischt, um vor den Gefahren eines einseitigen Militärschlags Israels gegen Teheran zu warnen. In seinem letzten Artikel lässt Fischer die Alarmglocken schrillen. Nach dem Fiasko der US-Politik im Irak fürchten Fischer und eine einflussreiche Schicht der politischen und wirtschaftlichen Elite Deutschlands, dass Israel und die USA jetzt möglicherweise den gesamten Nahen Osten in einen politischen Strudel mit kaum absehbaren Folgen stürzen.

Siehe auch:
Europäische Mächte für weitere Sanktionen gegen Teheran
(15. Dezember 2007)
Die deutsche Kanzlerin an der Seite des amerikanischen Präsidenten
(12. November 2007)
US-Krieg gegen Iran:Bereitet Bush eine "Oktoberüberraschung" vor?
(24. Mai 2008)
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