In seiner gestrigen Montagskolumne für Die Zeit bezeichnete der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) die Quintessenz von "Barack Obamas Berliner Botschaft" mit folgenden Worten: "Schluss mit der Trittbrettfahrerei der Europäer, wenn es militärisch Ernst wird!"
Der Kampf gegen den Terrorismus sei "mitnichten beendet". Der Krieg im Irak sei zwar falsch gewesen, der Krieg gegen Al Qaida und die Taliban in Afghanistan sei "aber unausweichlich". Europa müsse in Afghanistan "dasselbe Risiko wie die USA" eingehen.
Die Arbeitsteilung, "dass die USA kämpfen und die Europäer aufbauen", werde von einem Präsidenten Obama nicht mehr akzeptiert werden. Europa und Deutschland werden sich künftig "stärker und mit mehr Risiko" engagieren müssen. "Afrika wird unter einem Präsidenten Obama eine größere Bedeutung bekommen, und das ist ebenfalls eine gute Botschaft", schreibt Fischer. Die mehrmalige Bezugnahme auf die Tragödie in Darfur in seiner Berliner Rede bedeute, dass Deutschland auch in dieser Region eine "stärkere Lastenteilung bei den Risiken" übernehmen müsse.
Fischer begrüßt Obamas Ankündigung, in Bezug auf internationale Krisen "gemeinsam vorzugehen und zu verhandeln". Wenn diese diplomatischen Bemühungen aber scheitern, werde Obama nicht zögern, "seine Bündnispartner auch bei den harten Alternativen in die Pflicht nehmen", betont Fischer und schlussfolgert: "Iran könnte dafür das erste Beispiel werden."
Deutlicher als manch andere Kommentatoren versucht der ehemalige Außenminister der Grünen, die Hoffnungen vieler Menschen auf ein Ende der verhassten Bush-Regierung und die damit verbundenen Illusionen in Barack Obama in ausgesprochen rechte, politische Bahnen zu lenken. Mit Hilfe einer ständig angefachten "Obamamanie" soll hierzulande einer rechten Agenda der Weg bereitet werden.
Es ist daher notwendig, sich von der verbreiteten Pro-Obama-Stimmung nicht mitreißen zu lassen und einen kühlen Kopf zu bewahren.
Ein Wesenszug des Obama-Fiebers ist ein sehr oberflächliches Verständnis von Politik. Durch die ständige Medienpräsenz der politischen Spitzenkräfte wird der Eindruck erzeugt, dass politische Entscheidungen vor allen Dingen von den Personen abhängen, die sie nach außen vertreten. Doch diese Personifizierung der Politik lässt völlig außer Acht, dass wichtige politische Fragen in einem komplizierten Verfahren in den führenden Kreisen der herrschenden Klasse entschieden werden und deren Klasseninteressen zum Ausdruck bringen.
Fischer vertritt eine besonders vulgäre Form der Personifizierung von Politik. Er schreibt: "Zuerst und vor allem verkörpert Obama das Gegenbild zu George W. Bush und seinen Neocons, und allein diese Tatsache macht ihn für sehr viele Europäer zum Erlöser." Zweitens verkörpere Obama eine "neue Generation" und drittens verfüge er über "sehr viel Charisma", das seinen Botschaften hohe Glaubwürdigkeit vermittele.
Doch weder ist Bush der Satan, noch ist Obama der Messias. In kaum einem anderen Land ist die Auswahl der Spitzenpolitiker, allen voran des Präsidenten, mit einem Wahlverfahren verbunden, indem es vor allem auf viel Geld ankommt. Im Jahr 2000 wurde George W. Bush vom einflussreichen Geldadel sogar ins Amt gehieft, obwohl er nicht die Stimmenmehrheit erreicht hatte.
Die Kriegspolitik, die dann folgte, durchgesetzt ohne UN-Beschluss in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak, war nicht ein Ergebnis persönlicher Ambitionen des Präsidenten oder seiner Berater. Viel mehr war es eine Reaktion von einflussreichen Teilen der amerikanischen Elite auf den anhaltenden wirtschaftlichen Niedergang der USA. Durch die militärische Besetzung des Irak und die Errichtung der Kontrolle über einige der wichtigsten Ölfelder der Welt sollte die Macht der USA in dieser strategischen Region gestärkt werden.
Seitdem hat sich die Wirtschaftskrise weiter verschärft und die militärischen Ambitionen nehmen zu. Ein möglicher Angriff auf den Iran und die bereits angekündigte Kiegsausdehnung in Afghanistan sind mit dem Versuch verbunden, eine stärkere Kontrolle über die großen Ölvorkommen in der kaspischen Region zu errichten. Hier liegt der Grund, warum das Ende der Ära Bush nicht das Ende der US-Kriegsabenteuer bedeuten wird.
Angesichts großer militärischer Rückschläge im Irak und wachsenden Widerstands in Afghanistan streben nun Teile der US-Elite aber eine Änderung in den transatlantischen Beziehungen an. Ein stärkeres Engagement der europäischen Regierungen soll das Vordringen der USA unterstützen. Das ist einer der Gründe, warum Obamas Nominierungskampagne von Teilen der Wall Street und anderen Finanzmagnaten unterstützt wird. Sein Aufruf "For a Change!" ist nicht der Ruf nach Beendigung der Kriegsabenteuer, sondern Vorbereitung einer Änderung in der Außenpolitik mit dem Ziel, von den Europäern stärkere finanzielle und militärische Unterstützung und auch einen höheren Blutzoll einzufordern.
Während Joschka Fischer dem amerikanischen Senator noch Beifall spendet, mehren sich bereits die kritischen Stimmen. Unter der Überschrift: "Amerikas Tauschgeschäft" schreibt Peter Blechschmidt in der Süddeutschen Zeitung zum Wochenbeginn, dass Obamas Forderung nach mehr deutschen Truppen in Afghanistan wohl vielen seiner deutschen Anhänger "nicht gefallen" habe.
Weiter heißt es in dem Artikel: "Noch weniger dürfte den Obama-Fans schmecken, was der demokratische Politiker sich von einem stärkeren Engagement der Verbündeten verspricht: Wenn die Nato mehr Soldaten an den Hindukusch schickt, könnten die USA bei der Armee viel sparen. Mit diesen Milliarden, verriet Obama am Wochenende, wolle er die Steuern senken und seine Landsleute so für die stark gestiegenen Spritpreise entschädigen."
Das mache deutlich, dass auch ein Barack Obama die Außen- und Bündnispolitik vor allem aus einem innenpolitischen Blickwinkel betrachte und eigene Interessen verfolge.
Nicht anders ist es in der Berliner Regierung. Die Bündnisforderung nach mehr Soldaten und Kampfverbänden wird genutzt, um eine schnelle militärische Aufrüstung zu begründen. Die Verstärkung der Bundeswehr in Afghanistan dient aber unabhängig von diplomatischen Formulierungen der Durchsetzung deutscher Interessen. Bei manchen Gelegenheiten macht die Bundesregierung darauf aufmerksam, dass sie als rohstoffarmes Land für stabile Energiezufuhr sorgen müsse, und dass daher Afghanistan, als Brückenkopf zur kaspischen Region, schon immer für die deutschen Interessen bedeutsam war und ist. Immerhin wurden die ersten Bohrtürme in Baku am kaspischen Meer vor über hundert Jahren von deutschen Firmen errichtet.
Die Aufrufe nach engerer transatlantischer Zusammenarbeit können nicht darüber hinweg täuschen, dass unter der Oberfläche der Kampf um Macht und Einfluss zwischen den Großmächten zunimmt.
Die 200.000 Zuhörer - meist Studenten und viele Jugendliche, die aus anderen Städten angereist waren - die am vergangenen Donnerstag dicht an dicht standen und den Berliner Ost-West-Boulevard von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor füllten und die immer wieder Obama applaudierten, werden schon bald unsanft aus ihren Hoffnungen und Träumen gerissen werden. Der demokratische Präsidentschaftsbewerber ist für die Bevölkerung weder diesseits noch jenseits des Atlantiks eine Alternative. Seine unverblümte Forderung nach mehr deutschen Truppen in Afghanistan hat bereits erheblich zur politischen Ernüchterung beigetragen.
Jugendliche und Arbeiter sollten sich zurückerinnern an den Berliner Regierungswechsel vor zehn Jahren. Damals herrschte hierzulande schon einmal eine vergleichbare Wechselstimmung. Nach 16 Jahren CDU-Regierung unter Kanzler Helmut Kohl, waren viele überzeugt: Es kann nur besser werden. Doch die anschließende rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) bewies das Gegenteil und machte deutlich, wie schnell man vom Regen in die Traufe geraten kann. Der soziale Kahlschlag, den die rot-grüne Bundesregierung durchführte, stellte alles in den Schatten, was konservative Regierungen zuvor an Kürzungen und Sparmaßnahmen der Bevölkerung zugemutet hatten.
Joschka Fischer hat Erfahrung darin illusionäre Hoffnungen in der Bevölkerung in rechte politische Bahnen zu lenken.