Etwas Unwirkliches umgibt die massive Lobhudelei der europäischen Medien für den Demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama anlässlich seines dreitägigen Besuchs in Europa.
Die überschwänglichsten Lobpreisungen für Obama erschienen in den Medien in Deutschland, wo Obama heute vor Hunderttausenden in Berlin sprechen wird. Der Spiegel spricht vom " Messias-Faktor", der sich aus dem "heftigen Verlangen nach einem neuen Amerika" nähre. Die Frankfurter Rundschau titelte "Lincoln, Kennedy, Obama", die Berliner Morgenpost nannte ihn den "neuen Kennedy", und Bild schloss sich an: "Dieser schwarze Amerikaner ist der neue Kennedy!"
In diesen Äußerungen steckt viel Selbsttäuschung, insbesondere bei den liberalen Medien. Eine Umfrage der britischen Zeitung Guardian kam zu dem Ergebnis, dass Obama fünfmal so viel Stimmen wie der Republikaner John McCain erhielte, wenn die Wahl im Vereinigten Königreich stattfände.
In einem Kommentar derselben Zeitung erklärte Gary Younge das Phänomen der "Obamamanie" als Nebenprodukt des "tiefen und gewaltigen" Schadens, den George Bush dem "Ansehen Amerikas in der Welt" zugefügt habe. "Die meisten Europäer sehen in ihm nicht nur Bushs wahrscheinlichen Nachfolger, sondern seine völlige Negation - den Anti-Bush. Wo der amtierende Präsident kriegerisch, beschränkt, gleichgültig und ungehobelt daherkommt, gibt sich Obama versöhnlich, weltmännisch, neugierig und kultiviert."
Der Observer, die Sonntagszeitung des Guardian, brachte einen Artikel von Constanze Stelzenmüller, die den gleichen Grund für die Verherrlichung Obamas entdeckte.
"Präsident Obama ist endlich nach Europa gekommen! Sicher, die Amerikaner haben ihn nicht gewählt.....noch nicht. Wir finden, das ist nur noch Formsache. Wir haben uns schon lange entschieden: unser Präsident ist Barack Obama."
Die Vorstellung, die Medien spiegelten nur die Illusionen der breiten Bevölkerung, dass Obama nach dem Wahnsinn der Bush-Ära eine Rückkehr zu zivilisierter Politik darstelle, ist allerdings falsch. Wir haben es hier nicht mit den politisch wenig Informierten zu tun, die der Darstellung Obamas als Anti-Kriegs-Kandidat vielleicht Glauben geschenkt haben, auch nicht mit der Stimme der Besitzlosen. Die Zeitungen des gesamten offiziellen politischen Spektrums rühren die Werbetrommel für Obama. Herausgeber und Journalisten sind darunter, die Obamas jüngste Reden zur Außenpolitik genau verfolgt haben. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass nun die Möglichkeit existiert, bessere Beziehungen zwischen den europäischen Mächten und den USA herzustellen, wenn sie einen Mann unterstützt, der besser versteht, wie Amerikas militärische und politische Macht einzusetzen ist, und der dabei wahrscheinlich weniger unilateral handelt als Bush. Kurz, sie sehen die Chance, einen größeren Anteil der Beute zu ergattern.
Obama hat der amerikanischen Wirtschaft in den letzten Wochen immer wieder die Gewissheit gegeben, dass er ihren Interessen verpflichtet und fähig ist, diese weltweit zu verteidigen.
In mehreren programmatischen Reden und Interviews hat er deutlich gemacht, dass seine Forderung nach einer Reduzierung der Truppen im Irak innerhalb von 16 Monaten seines Amtsantritts keinesfalls einen vollständigen Truppenabzug meint. Er verbindet außerdem den Truppenabzug mit der Forderung, die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan um bis zu 10.000 aufzustocken, und mit Drohungen, grenzüberschreitende Operationen in Pakistan durchzuführen.
Das trifft sich weitgehend mit den außenpolitischen Prioritäten der europäischen Mächte, die beunruhigt darüber sind, dass das Debakel der USA im Irak das Ansehen Amerikas weltweit beschädigt und nicht nur den Nahen Osten, sondern die ganze Welt destabilisiert hat.
Die europäischen Mächte können es sich nicht leisten, auf Kosten Amerikas Schadenfreude zu genießen. Auch nach dem Ende des Kalten Krieges sehen sie die USA immer noch als Hauptstütze der imperialistischen Weltordnung und als entscheidendes Gegengewicht zu ihren chinesischen und russischen Rivalen. Sie umarmen Obama großenteils deshalb, weil sie mutmaßen, er könnte ein sicherer Steuermann sein als McCain, oder zumindest besser in der Lage sein, die USA in der Welt zu verkaufen.
Nach Obamas Treffen mit dem irakischen Premierminister Nuri al-Maliki äußerte Regierungssprecher Ali al-Dabbagh Unterstützung für den vorgeschlagenen Zeitplan für einen Truppenabzug. Der Presse sagte er: "Wir können keinen genauen Fahrplan nennen, doch die irakische Regierung glaubt, dass Ende 2010 ein passender Zeitpunkt für den Abzug der Truppen ist."
Eine "Rest-Truppe" von etwa 60.000 Soldaten im Irak zu belassen, entspricht auch den Plänen McCains und der Republikaner, auch wenn sie mit anderslautenden Äußerungen Obama in Verlegenheit zu bringen suchen. Großbritanniens Premier Gordon Brown hat zu verstehen gegeben, dass er die noch verbliebenen britischen Soldaten von ihrem Stützpunkt am Flughafen von Basra gerne vor den nächsten Wahlen im Jahr 2010 abziehen würde, wenn es die Bedingungen zulassen; ohne vorherige Absprache mit der Bush-Regierung hätte er sich nicht so geäußert.
Obamas Politik ist für Europa auch insofern attraktiver als die McCains, da er sich eindeutiger für eine Verhandlungslösung mit dem Iran ausgesprochen hat. Die Mehrzahl der europäischen Staaten befürchtet bei einem Krieg mit dem Iran ein noch verheerenderes Desaster als im Irak.
Die europäischen Verbündeten in Europa waren bisher nicht bereit, ihre eigenen Truppen in Afghanistan einem hohen Risiko auszusetzen. Sie könnten dazu eher bereit sein, wenn sie glauben, dass Obama zu einem mehr multilateral geprägten Vorgehen in Fragen der Außenpolitik zurückzukehren bereit ist, womit sie an der Ausbeutung von Ölreserven im Nahen Osten und Zentralasien stärker partizipieren würden.
Etwaige Zweifel an den Motiven für die Lobeshymnen auf Obama sollten angesichts der Kommentare von Großbritanniens wichtigsten rechtsgerichteten Zeitungen, des Telegraph und der Sunday Times, ausgeräumt sein.
Der Telegraph plädierte in einem Leitartikel zugunsten von Obamas und Browns erklärter Absicht, Truppen aus dem Irak abzuziehen: "Diese Zeitung hat den Sturz der Baath-Tyrannei unterstützt, und sich gegen die Forderungen nach einem sofortigen Rückzug gestellt. Doch die Besatzung sollte nie ein Dauerzustand sein.
Vor zwei Jahren schrieben wir, dass das Gleichgewicht sich verschoben habe, dass die alliierten Truppen nicht so sehr den Bürgerkrieg im Zaum hielten, als ihn vielmehr durch ihre Anwesenheit verschlimmerten. Seitdem fordern wir einen Fahrplan für den Rückzug.
Sowohl Brown als auch Obama richten ihre Aufmerksamkeit nun verstärkt auf Afghanistan. Auch dies ist zu begrüßen."
Die Sunday Times wird von Rupert Murdochs News Corp. herausgegeben. Deswegen ist ihre Reaktion besonders bezeichnend. Am 20. Juli brachte diese wichtigste mediale Stütze der Republikaner einen Artikel von Andrew Sullivan unter dem Titel "Obamas und McCains Gegensätze verschwimmen".
Sullivan argumentiert, dass es in der Außenpolitik deutliche Übereinstimmungen zwischen Obama und McCain, ja selbst mit der amtierenden Bush-Regierung gibt.
"Alle scheinen miteinander übereinzustimmen, streiten es aber vehement ab", schreibt er
"Nehmen wir den Iran: Obama ist bekannt für sein Argument, dass die USA direkt mit den Mullahs reden, über die Nuklearfrage verhandeln und Gespräche ohne Vorbedingungen führen sollten. Das, wurde uns noch kürzlich versichert, sei ein deutlicher und entscheidender Unterschied, zwischen dem verantwortungslos beschwichtigenden Obama und den entschlossenen Bush-Leuten auf den Spuren Churchills.
"Und doch genehmigte Bush die Teilnahme von William Burns, einem hohen Beamten aus dem Außenministerium, an den Gesprächen mit Teherans Vertreter über das iranische Nuklearprogramm... Wenn man das im Lichte der kürzlichen Vereinbarung mit Nordkorea betrachtet, dann könnte der Unterschied der zweiten Amtszeit Bushs zur ersten kaum größer sein.
Und was ist mit dem Irak? Obama vertritt seit langem die Position, dass die Truppen rasch, aber überlegt abgezogen werden sollten, und dass das amerikanische Militär seinen Schwerpunkt auf Afghanistan und Pakistan verschieben sollte. Und siehe da, vergangene Woche erfuhren wir, dass Bush über einen beschleunigten Abzug aus dem Irak nachdenkt, um die Afghanistan-Mission zu stärken. Auch McCain ließ sich nicht lumpen und unterstützte in einer Rede eine, wie er sagte, 'Truppenverstärkung' in Afghanistan..."
Sullivan schloss: "Ein Präsident McCain würde wohl instinktiv aggressiver reagieren, hätte den Finger wohl schneller am Abzug als der überlegte, versöhnlichere Obama. Aber Obamas Bereitschaft, militärische Gewalt in Pakistan einzusetzen und sein Engagement für den Krieg in Afghanistan lassen auch keinen Jimmy Carter-Liberalismus erwarten.
Wenn man in der jüngeren Vergangenheit Beispiele sucht, um den außenpolitischen Stil der beiden Kandidaten zu vergleichen, dann wäre McCain Ronald Reagan und Obama dem ersten Präsidenten Bush ähnlich, dessen Diplomatie Obama regelmäßig lobt... wahrlich kein gravierender Unterschied."
Wenn die Murdoch Presse Obama mit Bush senior, vergleicht, den Architekten des ersten Golfkriegs von 1990, dann kann man daran ablesen, dass seine Botschaft für eine imperialistische Außenpolitik klar und deutlich angekommen ist.
In der gleichen Ausgabe der Sunday Times wird auch prophezeit, dass die europäischen Mächte für bessere Beziehungen zu einem Washington unter Obama einen Preis werden bezahlen müssen.
Sarah Baxter kommentiert: "Obama wird Europas Bewunderung mit "strenger Liebe" vergelten ... Obama hat die NATO-Partner schon aufgefordert, mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken und ihre Einsatzbeschränkungen zu lockern. Seine außenpolitische Chefberaterin Susan Rice warnte am Vorabend seiner Auslandsreise, dass es keine 'Trittbrettfahrer' mehr geben könne, die sich die Unpopularität Bushs zunutze machen, um Amerika die Schwerarbeit zu überlassen."
In dieser Hinsicht ist auch Stelzenmüllers Meinungsbeitrag im Observer wichtig. Sie ist die Direktorin des Berliner Büros des amerikanischen German Marshall Fund (GMF) und war früher Redakteurin für Fragen der Verteidigungspolitik und internationalen Sicherheit bei der Wochenzeitung Die Zeit. Der GMF wurde 1972 mit einer deutschen Spende ins Leben gerufen und hat seinen Sitz in Washington, DC. Sein Ziel ist die Förderung der amerikanisch-europäischen Beziehungen.
Stelzenmüller argumentiert zuerst, dass "die Beziehung zwischen Amerika und Europa sich vor einiger Zeit wieder verbessert hat. Ein Geist ruhiger, pragmatischer Kooperation herrscht heute in der transatlantischen Allianz. Er beruht auf der rationalen Erkenntnis, dass wir viele gleiche Werte und Interessen haben und uns oft, wenn nicht sogar immer, zur Erreichung gemeinsamer Ziele gegenseitig brauchen."
Damit Europa aus seinem erneuerten Eintreten für das gemeinsame Eigeninteresse alle Vorteile ziehen kann, muss es seinen Teil der militärischen Verantwortung schultern, argumentiert sie.
Europa ist "hinsichtlich robuster Einsätze schon viel besser geworden, als man (nicht zuletzt wir selbst) das Anfang der 1990er Jahre gedacht hätte, als Amerika für uns einspringen musste, um einen Völkermord auf dem Balkan zu stoppen. Die Anschläge vom 11. September und die Stabilisierung Afghanistans zwangen uns schließlich zu der Erkenntnis, dass wir für mehr als unsere eigene Sicherheit verantwortlich sind. Trotzdem sind wir immer noch weit davon entfernt, unseren Möglichkeiten gerecht zu werden."
Sie fährt fort, dass Europa "gezwungen worden ist, seine kollektive Nabelschau zu beenden und sich ernsthaft über seine Rolle und Verantwortung in der Welt Gedanken zu machen. Konflikte allenthalben, generationsübergreifende Herausforderungen wie der Klimawandel und der Aufstieg selbstbewusster autoritärer Mächte wie Russland und China haben die Einsicht verstärkt, dass Europa und Amerika - meistens jedenfalls - einander die besten Partner sind. Man könnte sogar von einer Koalition der Willigen sprechen.
Das alles bedeutet, dass der nächste amerikanische Präsident eher früher als später von Europa Hilfe und Unterstützung einfordern wird. Obama und McCain, Idealisten, die sie sind, werden hoffen, dass der neue Sinn der Europäer für ihre globale Verantwortung sie veranlassen wird, ja zu sagen. Sollten wir? Ja, wir sollten. Denn wenn wir es nicht tun, dann wird der Präsident als Realist weiterarbeiten - und dann ohne uns."
Ob der Wunsch der Europäer nach Obama als dem nächsten Präsidenten in Erfüllung geht oder nicht, dies sind die Überlegungen, die dem absurden Versuch zugrunde liegen, ihn als "Hoffnungsträger" für Amerika und die gesamte Menschheit zu glorifizieren. Sie kündigen keine friedlichere Welt an, sondern eine noch stärkere Zunahme des amerikanischen und europäischen Militarismus.