Angesichts hoher Verluste an der Wall Street schlägt Washington ein Konjunkturprogramm vor

Angesichts der Tatsache, dass die großen Finanzhäuser der Wall Street erneut Dutzende Milliarden Dollar Verluste verbuchen, die Immobilienpreise im Vergleich zum letzten Jahr um 30 Prozent sinken und der Einzelhandelsumsatz einbricht, gaben das Weiße Haus, die Demokratische Führung und der Vorsitzende der Notenbank am Donnerstag zu verstehen, dass sie die Verabschiedung eines Konjunkturprogramms unterstützen. Zur verschärften Finanzkrise kommt noch der Anstieg der Arbeitslosigkeit auf fünf Prozent - der höchste Stand seit zwei Jahren.

Die Forderung nach Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft kam, als die Aktien an drei aufeinander folgenden Tagen fielen, wobei der Dow-Jones-Industrieaktienindex um 306,95 Punkte oder 2,5 Prozent einbrach und der technologieorientierte Nasdaq-Index um 2 Prozent.

Die jüngste Talfahrt führte zu einem Verlust für die S&P 500 - die Referenzliste der großen börsennotierten US-Firmen - von 9,2 Prozent seit Anfang des Jahres.

Analysten sahen die Ursache für den Börsensturz in neuen Anzeichen für eine drohende Rezession der US-Wirtschaft und in der wachsenden Überzeugung, dass die Regierung nicht in der Lage ist, sie zu stoppen.

Ein Bericht der Notenbank von Philadelphia von Donnerstag zeigte auf, dass die Produktion in den Fabriken der Region sehr viel stärker zurückgegangen ist, als erwartet wurde. Der Produktionsindex fiel um 20,9 Prozent - verglichen mit einem Rückgang um 1,6 Prozent im Monat zuvor - er erreichte damit den niedrigsten Stand seit Oktober 2001.

Der Bericht der Philadelphia-Notenbank wird als Barometer für Produktionstätigkeit in den gesamten USA angesehen. Finanzanalysten haben in den Zahlen das bislang deutlichste Signal dafür gesehen, dass die USA am Rande einer Rezession stehen oder sogar schon mittendrin sind; außerdem als Zeichen dafür, dass die sich verschärfende Kreditknappheit über den angeschlagenen Immobilienmarkt hinaus das Zentrum der US-Wirtschaft erreicht hat.

Obendrein hat die Aussage des Notenbankchefs Ben Bernanke vor dem Kongress am Donnerstag die Panikverkäufe an der Börse angeheizt. Bei seinem Auftritt vor dem Haushaltsausschuss lieferte Bernanke eine größtenteils von Klischees beherrschte Einschätzung der Wirtschaftslage. Er bestätigte ein gebremstes Wachstum, beharrte aber darauf, dass die Notenbank keine Rezession prognostiziert. Außerdem versicherte er den Abgeordneten, dass die Notenbank die Inflation nicht "ignoriert"; er reagierte damit, auf einen Bericht des Arbeitsministeriums, der zeigt, dass die Großhandelspreise im Januar um 6,3 Prozent gestiegen sind, der höchste Anstieg seit 27 Jahren.

Für die Wall Street kündigte der Notenbankchef offensichtlich keine ausreichend schnelle und starke Senkung der Zinssätze an, wie sie notwendig wären, um den Investoren aus der Klemme zu helfen und einen Zusammenbruch des Marktes abzuwenden. Der Markt geht schon jetzt davon aus, dass die Notenbank auf ihrem nächsten Treffen Ende des Monats die Zinssätze für kurzfristige Anleihen um einen halben Prozentpunkt senken wird, und es wird in wachsendem Maße darüber spekuliert, dass eine Senkung um 0,75 Prozent möglich ist. Das wäre die erste Senkung in einem solchen Ausmaß seit 1982 in der Zeit der schonungslosen Geldverknappung unter dem damaligen Notenbankchef Paul Volcker, als die Zinssätze auf 20 Prozent getrieben wurden.

Der Leitzins der Notenbank, der jetzt bei 4,5 Prozent liegt, wurde seit September letzten Jahres dreimal gesenkt.

In seiner Aussage vor dem Kongress befürwortete Bernanke außerdem sorgfältig formuliert ein steuerliches Ankurbelungspaket, und erklärte, das sei "im Prinzip hilfreich", und fügte hinzu, jede Maßnahme dieser Art müsse "schnell umgesetzt" werden, um Einfluss auf den Konsum zu haben.

Der Stellungnahme des Notenbankchefs folgten hektische Treffen zwischen führenden Kongressabgeordneten der Demokraten und Republikaner und am Donnerstag eine Konferenz zwischen Präsident Bush und den Kongress- und Senatsführern beider Parteien, um ein Konjunkturprogramm zu diskutieren. Das Weiße Haus kündigte an, Bush werde am Freitag eine Rede halten, um eine solche Maßnahme anzukündigen.

Die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi hielt eine ungewöhnliche Konferenz mit dem Führer der Minderheit John Boehner ab, um Gesetze zur Ankurbelung der Wirtschaft zu diskutieren. Im Anschluss lobte Pelosi Boehner für seine "konstruktiven" Ideen und betonte wiederholt ihre Entschlossenheit zu einer "Partei übergreifenden" Lösung.

Laut den Berichten, die bisher erschienen sind, ist ein 100- bis 150-Milliarden Dollar-Konjunkturprogramm in Planung - eine Summe, die im Verhältnis zu Amerikas Wirtschaftsleistung von 14 Billionen Dollar weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein ist, und die nicht einmal im Ansatz der Tiefe der gegenwärtigen Krise gerecht wird. Diese Summe würde nicht einmal ausreichen, die Erhöhung der Gaspreise der letzten fünf Monate zu finanzieren und schon gar nicht, um die 2,5 Billionen Dollar wettzumachen, um die das Vermögen der Haushalte durch das vorhergesagte Sinken der Immobilienpreise um 15 Prozent geschmälert wird.

Weder die Demokraten noch die Republikaner haben bisher irgendwelche Details über das vorgeschlagene Paket bekannt gegeben. Es sieht so aus, als werde eine Neuauflage der Maßnahmen diskutiert, die nach dem Terrorangriff vom 11. September 2001 getroffen wurden, zu einer Zeit als die Wirtschaft schon in die Rezession gerutscht war. Das Kernstück des Programms würde darin bestehen, dass die Regierung Schecks mit Steuerrückzahlungen verteilt, die sich auf 300 Dollar pro Person oder 600 Dollar pro Familie belaufen. Die Demokraten schlagen, wie verlautet, außerdem eine Ausweitung des Arbeitslosengeldes und eine Erhöhung der Zahlungen für Lebensmittelgutscheine vor.

Beim Ankurbelungspaket von 2001, daran sollte erinnert werden, haben die einmaligen Rückzahlungsschecks nur die wirkliche Stoßrichtung des Programms verschleiert: die Einführung von dramatischen Steuersenkungen für die Reichen, was auf eine massive Verschiebung des Reichtums auf die Großverdiener hinauslief.

Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das neue Programm sich davon unterscheiden wird. Republikaner im Kongress haben schon zu verstehen gegeben, dass sie versuchen werden, die vorgeschlagenen Maßnahmen mit dem Antrag zu koppeln, die Steuersenkungen von 2001 auf Dauer festzuschreiben - sie sollten 2010 auslaufen. Ob sie in demselben Gesetz verabschiedet oder als Teil eines Partei übergreifenden Abkommens getrennt davon in Kraft gesetzt werden, bleibt abzuwarten.

In einem Kommentar, der diese Woche in der Zeitschrift The Hill veröffentlicht wurde, schrieb der Führer der Republikaner im Kongress: "Jetzt, wo wir mit einem Wirtschaftsabschwung konfrontiert sind, hoffen wir, dass wir aus der Geschichte gelernt haben und Partei übergreifend daran arbeiten, diese Steuersenkungen dauerhaft zu machen."

Steuersenkungen für die Unternehmen

Beide Parteien scheinen sich darüber einig zu sein, dass die Steuerrückzahlungs-Schecks für Steuerzahler mit Steuersenkungen für große Unternehmen verbunden sein sollten, einschließlich steuerlichen Abschreibungen für Neuinvestitionen und Unternehmensverluste.

Wie die Washington Post am Donnerstag berichtete, hat die Erwartung eines wirtschaftlichen Ankurbelungsprogramms eine regelrechte Eingabewelle unter Lobbyisten aus dem Unternehmerlager ausgelöst. "Inzwischen verstopfen die Lobbyistengruppen von so unterschiedlichen Industriezweigen wie der Spitzentechnologie und dem Hotelgewerbe die Empfangszimmer und E-Mail-Boxen von ranghohen Abgeordneten, um sie dazu zu bewegen, die von ihrer Gruppe bevorzugten Zuschüsse in ein Ankurbelungsprogramm mit aufzunehmen", berichtete die Zeitung. "Kleinere Firmen versuchen, neue Anlagen schneller abzuschreiben. Große Unternehmen bitten um niedrigere Steuern. Und Bauherren plädieren dafür, ihre Verluste von heute von dem zu versteuernden Einkommen aus vergangenen Jahren absetzen zu können."

Wie immer das Gesetz letztendlich aussehen wird, es wird so gut wie nichts bewirken, um die Krise zu entschärfen, mit der Millionen von arbeitenden Menschen in Amerika konfrontiert sind, die dem Verlust ihrer zwangsvollstreckten Häuser, der Vernichtung ihrer Arbeitsplätze und der ständigen Aushöhlung ihres Lebensstandards entgegensehen.

Grundsätzlich wird der geringe Anstieg der Verbraucherausgaben, den ein solches Ankurbelungspaket angeblich bringt, den sich beschleunigenden wirtschaftlichen Zusammenbruch, der sich auf den Finanzmärkten der Welt ausbreitet, nicht rückgängig machen können. Das hat sich auch in dem Ausverkauf an der Wall Street am Donnerstag widergespiegelt.

Ein Überblick über die Folge von wirtschaftlichen Schocks, die sich während der letzten Tage ereignet haben, macht das Ausmaß der Krise und die vollkommene Unzulänglichkeit der in Washington vorgeschlagenen Maßnahmen deutlich.

Am Donnerstag meldete Merrill Lynch Verluste in Höhe von 10 Milliarden Dollar für das vierte Quartal 2007. Die Firma war außerdem gezwungen 14,6 Milliarden an Vermögenswerten abzuschreiben, wovon etwa 5,5 Milliarden mit besicherten Schuldbriefen in Zusammenhang standen, die aus Hypothekenschulden bestehen, die gebündelt, dann wieder aufgesplittet und in Form von Wertpapieren verkauft werden. Merrill war der größte Händler mit solchen Vermögenswerten. Die Verluste der Firma waren dreimal so hoch wie erwartet.

Vor Merrill hatte die Citigroup die am Dienstag ankündigt, etwa 18 Milliarden Dollar an dubiosen Hypothekenschulden abschreiben zu müssen, und über die 17.000 Entlassungen hinaus, die sie im letzten Frühjahr angekündigt hatte, zusätzlich 4000 Mitarbeiter zu entlassen. JP Morgan Chase folgte am Mittwoch mit einer etwas geringeren Abschreibung von 1,3 Milliarden Dollar.

Citigroup verlor im vierten Quartal insgesamt 9,38 Milliarden Dollar und versucht 12,5 Milliarden Dollar an Vorzugsaktien auszugeben, um die Verluste auszugleichen. Die wichtigsten Käufer sind die regierungseigene Singapore Investment Corporation, die Anteile für 6,88 Milliarden Dollar kaufen wird, die Kuwaiti Investment Authority und der saudische Prinz Alaweed bin Talal. Die Verluste der Citigroup beliefen sich auf das Doppelte dessen, was Finanzanalysten erwartet hatten. Merrill Lynch versucht sich ebenfalls aus der Klemme zu helfen, indem sie 13 Milliarden Dollar an Vorzugsaktien mit der Absicht ausgibt, sie an staatliche Investoren im Nahen Osten und Asien zu verkaufen.

Der Bericht über die Abschreibungen von Merrill Lynch erschien am selben Tag wie die Zahlen des Handelsministeriums, die zeigen, dass der Bau neuer Häuser und die Genehmigung von Neubauten seit letztem Jahr um 30 Prozent zurückgegangen sind, der höchste Rückgang in einem Jahr seit dem Beginn der Rezession von 1980. Die Zahlen lassen erkennen, dass Bauherren sich als Reaktion auf den Rückgang bei der Nachfrage nach Häusern massiv zurückziehen. Die Immobilienpreise sind im Verlauf des Jahres, das im Oktober 2007 endete, um 6 Prozent gefallen.

Der Abschwung auf dem Immobilienmarkt, der 2006 begann, hat einen beträchtlichen Anteil des Vermögens von Hausbesitzern vernichtet, und es vielen Hausbesitzern unmöglich gemacht, die risikoreichen Hypotheken zurückzuzahlen, zu denen die Kreditgeber sie ermutigt hatten. Der Abschwung hat nicht nur zu einem exponentiellen Anstieg der Zwangsversteigerungen, sondern auch zu einem Anstieg der privaten Bankrotte und dem Verzug bei der Rückzahlung von Kreditkartenschulden geführt. Banken widmen dem mittlerweile mehr Aufmerksamkeit. Um ein Beispiel zu nennen: JP Morgan hat seine Vorsorge für Verluste bei privaten Finanzdiensten, wie Eigenheimdarlehen auf 1,1 Milliarden Dollar für das kommende Jahr heraufgesetzt, im Vergleich zu 169 Millionen Dollar im letzten Jahr. Die Banken erkannten, dass 2007 viele Leute sich am Rande der Insolvenz bewegten und erwarten, dass im Jahr 2008 viele bankrott gehen. Die Rücklage für den Verlust bei Kreditkarten wurde ebenfalls um 40 Prozent auf 1,8 Milliarden Dollar erhöht.

In den letzten Tagen gab es weitere ungünstige Nachrichten sowohl über die Inflation als auch über die Verbraucherausgaben. Laut Zahlen des Handelsministeriums, die am Dienstag veröffentlicht wurden fiel der saisonbereinigte Einzelhandelsabsatz im Dezember um 0,4 Prozent. Das weist darauf hin, dass die Immobilienkrise zusammen mit dem jüngsten kurzfristigen Anstieg der Verbraucherpreise und die Arbeitslosigkeit dazu führten, dass die Menschen ihre Ausgaben einschränkten. Im Jahr 2007 hat es den geringsten Anstieg des Einzelhandelsabsatz seit der Rezession von 2003 gegeben. Letzte Woche erst war bekannt gegeben worden, dass die Arbeitslosigkeit von 4,7 Prozent im November auf 5 Prozent im Dezember gestiegen ist.

Diese Abnahme der Verbraucherausgaben wurde noch durch eine hohe Inflationsrate bei Lebensmitteln und Energie verschlimmert. Sowohl die Zahlen des Erzeugerpreisindex, die am Dienstag veröffentlicht wurden, als auch die Zahlen des Verbraucherpreisindex weisen auf erhebliche inflationäre Tendenzen hin. Der Erzeugerpreisindex, der sehr sensibel auf Lebensmittel- und Energiepreise reagiert, stieg 2007 um 6,3 Prozent, der größte Anstieg seit mehr als 25 Jahren. Zum Vergleich: derselbe Index zeigte im Jahr 2006 einen Anstieg um 1,1 Prozent. Die Zahlen des Verbraucherpreisindex, die am Mittwoch veröffentlicht wurden, zeigen ein ähnliches Bild. Die Zahlen zeigen, dass die Verbraucherpreise im gesamten Jahr 2007 um 4,1 Prozent gestiegen sind, die höchste Steigerungsrate seit 1990. Die Inflation des Verbraucherpreisindex war im Dezember höher als erwartet, sie lagen bei 0,3 Prozent statt bei erwarteten 0,2 Prozent.

Die jüngsten Zahlen deuten auf die ernste Gefahr einer Stagflation hin, was dazu führen könnte, dass Versuche, die Inflation mit Geldmarktpolitik zu bekämpfen, den inflationären Druck nur erhöhen werden. Zur Inflationsgefahr kommt noch, dass die Politik der Notenbank, den Kredit zu lockern, dazu tendiert, die Abwertung des Dollars im Verhältnis zu anderen Währungen zu beschleunigen.

Als Citigroup, Merrill Lynch und andere Finanzinstitute ihre gigantischen Verluste für das letzte Quartal verkündeten, veröffentlichte die Wall Street eine weitere viel sagende Zahl. Die Gratifikationen, die von den fünf größten Finanzunternehmen gezahlt wurden, haben 2007 die Rekordsumme von 27 Milliarden Dollar erreicht, wobei der Großteil dieses Vermögens an eine kleine Handvoll von oberen Führungskräften geht. Sie haben diese ungeheuren Summen eingesteckt, obwohl ihre Aktionäre Verluste von mehr als 80 Milliarden Dollar erlitten und sie eine Welle von Massenentlassungen vorbereiteten, die jetzt auch die Finanzindustrie erfasst

Siehe auch:
Anmerkungen zur politischen und ökonomischen Krise des kapitalistischen Weltsystems und die Perspektiven und Aufgaben der Socialist Equality Party
(16. Januar 2008)
Kredit- und Immobilienkrise bringt Börse ins Schwanken
( 7. November 2007)
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