Buchbesprechung:

Der Niedergang der österreichischen Sozialdemokratie

Norbert Leser: Der Sturz des Adlers. 120 Jahre österreichische Sozialdemokratie, Verlag Kremayr & Scheriau, 2008

Wie alle reformistischen Organisationen ist auch die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) politisch weit nach rechts gerückt. Sie hat deshalb seit den siebziger Jahren drei Viertel ihrer Mitglieder verloren und bei den letzten Wahlen schwere Niederlagen hinnehmen müssen. Umfragen zufolge trauen nicht einmal mehr 20 Prozent der Österreicher einer sozialdemokratischen Regierung eine Verbesserung der gesellschaftlichen Lage zu.

Während die Führung der Partei ihren rechten, wirtschaftsfreundlichen Kurs unbeirrt fortsetzt, betrachten einige diese Entwicklung mit Sorge. Sie fürchten, dass sich die wachsende Radikalisierung von Arbeitern und Jugendlichen außerhalb der Kontrolle der Partei abspielen könnte.

Einer der bekanntesten Vertreter dieser Tendenz ist der Politikwissenschaftler und Sozialphilosoph Norbert Leser. Mit "Der Sturz des Adlers" hat Leser jüngst sein drittes Buch über die österreichische Sozialdemokratie vorgelegt. 1968 war "Zwischen Reformismus und Bolschewismus – der Austromarxismus in Theorie und Praxis" und zwanzig Jahre später "Salz der Gesellschaft – Wesen und Wandel des österreichischen Sozialismus" erschienen.

Lesers neues Buch soll eine Art Abrechnung mit der gegenwärtigen Politik der SPÖ darstellen. Er geht "mit der heutigen SPÖ hart ins Gericht", wie der Verlag im Klappentext ankündigt. Doch die Kritik bleibt an der Oberfläche. Leser untersucht nicht, weshalb das sozialreformistische Programm der SPÖ unter den Bedingungen der Globalisierung gescheitert ist. Stattdessen erklärt er den Niedergang der Partei mit rein subjektiven Faktoren – dem Mangel an innerparteilicher Demokratie. Er stellt der heutigen SPÖ die SPÖ der 1970er Jahre als leuchtendes Beispiel entgegen und schürt so die Illusion, man könne dieser verkommenen Partei neues Leben einhauchen.

Lesers zentraler Vorwurf lautet: "Die SPÖ war und ist längst keine demokratische Partei mehr." Er bescheinigt ihr "eine oligarchische Struktur", in der "ein kleiner Kreis von Spitzenfunktionären" die wichtigen Entscheidungen einsam treffe. Als Beispiel führt er die Wahl des ehemaligen Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer zum Parteichef an, die unter der Hand von wenigen Spitzenfunktionären im Wiener Rathauskeller beschlossen worden sei.

Besonders jenen Parteigrößen, die die SPÖ nach 1983 führten – Alfred Sinowatz, Franz Vranitzky, dem heutigen Bundespräsidenten Heinz Fischer und Alfred Gusenbauer – wirft Leser vor, die innerparteiliche Demokratie beseitigt und nach dem Motto "Möglichst alles vertuschen" agiert zu haben. Entsprechend sei auch über die zahlreichen Wahlniederlagen und die Gründe dafür nie offen diskutiert worden. Der jetzige Kanzler und Parteichef Werner Faymann wird in diesem Zusammenhang kaum erwähnt, doch das liegt nur daran, dass das Buch bereits im Juni in Druck ging.

Die Ära Kreisky

Lesers Kritik setzt nicht zufällig 1983 an. In diesem Jahr ging die Ära von Bruno Kreisky zu Ende, der die Partei und das Land 13 Jahre lang unangefochten regiert hatte. Kreisky sei eine "herausragende Persönlichkeit, wie sie der Politik nur selten beschieden ist", schreibt Leser, der die Politik des "Sonnenkönigs" Kreisky bereits in früheren Büchern, Essays und Reden als "goldene Ära" der SPÖ dargestellt hatte.

Kreisky wurde durch eine Welle sozialer Proteste an die Macht getragen, die bis in die 1950er Jahre zurück reichten und sich Ende der 1960er Jahre unter dem Eindruck der Ereignisse in Frankreich radikalisierten. 1970 löste er den konservativen Josef Klaus (ÖVP) als Bundeskanzler ab, einen fanatischen Antikommunisten, der entschlossen war, Proteste und Streiks mit brutaler Härte zu bekämpfen. Klaus war in den 1930er Jahren Leitungsmitglied der "Deutschen Studentenschaft" gewesen, einer antisemitischen Organisation, die die parlamentarische Demokratie strikt ablehnte.

Als Kanzler initiierte Kreisky eine sogenannte "austrokeynesianische" Wirtschafts- und Sozialpolitik. Durch soziale und demokratische Reformen – bessere Arbeitsgesetze, höhere Sozialleistungen, Legalisierung der Abtreibung – und die Öffnung des Hochschulzugangs für breitere Schichten gelang es ihm vorübergehend, viele rebellische Arbeiter und Jugendliche an die SPÖ und die Gewerkschaften zu binden. Viermal wurde er wieder gewählt, jedes Mal mit größeren Mehrheiten. Die Mitgliederzahl der SPÖ erreichte unter ihm ihren Gipfelpunkt.

Außenpolitisch pflegte Kreisky gute Beziehungen zu arabischen Staatschefs wie Gaddafi und Sadat und kritisierte offen die Politik Israels gegenüber den Palästinensern. Als erster westlicher Regierungschef besuchte er die DDR.

Kreisky wird oft mit Willy Brandt verglichen, der von 1969 bis 1974 in Deutschland Bundeskanzler war und heute ebenfalls von "linken" Sozialdemokraten als Vorbild verherrlicht wird.

Tatsächlich waren Brandts und Kreiskys Politik auf Sand gebaut. Ihr Reformkurs diente dazu, die Arbeiter- und Jugendrevolte unter Kontrolle zu bringen. Als ihnen dies gelungen war, ging die herrschende Klasse zur Gegenoffensive über. In den USA und Großbritannien gelangten Ronald Reagan und Margaret Thatcher an die Macht und griffen die Arbeiterklasse scharf an. In abgeschwächter Form geschah dies auch in Deutschland und Österreich.

Kreisky hatte die Sozialreformen ausschließlich durch eine Erhöhung der Staatsverschuldung finanziert. Vor allem in den letzten Jahren seiner Regierung geriet er deshalb auch innerparteilich stark unter Kritik. Sein Nachfolger Fred Sinowatz nahm die Verschuldung dann zum Anlass für tief greifende Einschnitte. Seither ist die SPÖ kontinuierlich weiter nach rechts gerückt.

Heute, unter den Bedingungen der Globalisierung und einer weltweiten Wirtschaftskrise, bestehen weder die ökonomischen noch die politischen Voraussetzungen für eine Wiederbelebung der Reformpolitik der siebziger Jahre.

Austromarxismus

Bereits die Ära Kreisky war das Ergebnis einer lang andauernden Degeneration der SPÖ. Um den Schein der Reformierbarkeit der SPÖ zu wahren, stellt Leser deren Geschichte buchstäblich auf den Kopf.

Am deutlichsten wird dies im ersten Teil des Buches, der die Geschichte der Partei von ihren Anfängen in den Jahren 1888/89 bis zum Jahr 1934 schildert. Nicht zufällig beginnt dieser Teil mit einem Zitat Karl Poppers. "Der Marxismus", heißt es darin, "hat besonders die österreichische Sozialdemokratie in eine Sackgasse geführt und außerdem in eine Situation gebracht, wo die wirklichen Probleme durch andere verdrängt wurden."

Lesers Verteufelung des Marxismus zieht sich durch das gesamte Buch. Er spricht ihm den wissenschaftlichen Anspruch ab mit der Begründung, er habe in der Praxis nicht funktioniert. Den Zusammenbruch der stalinistischen Regime Ende der 80er Jahre setzt er pauschal mit dem Scheitern "des Sozialismus" oder dem "kommunistischen Wirtschaftssystem" gleich.

Lob spendet er dagegen dem Austromarxismus, jener spezifisch österreichischen Form des Reformismus, die sich in marxistische Phrasen kleidete, aber jede revolutionäre Initiative ablehnte. Die austromarxistischen Führer der SPÖ waren maßgeblich für die Niederlagen der 1930er Jahre verantwortlich, die 1933 die Errichtung des austrofaschistischen Ständestaates unter Engelbert Dollfuß ermöglichten.

Leser bemerkt zwar die "Halbheit" des Austromarxismus, lobt ihn aber dennoch als "Kulturbewegung, die voller edler Ambitionen war und ... ungezählten Menschen, die ansonsten von den Freuden des Lebens ausgeschlossen waren, ... inmitten von wirtschaftlicher Not und Elend nicht nur die Illusion einer schöneren Zukunft, sondern auch ein Stück Glück und Erfüllung in der Gegenwart" ermöglichte.

Mit dem "Stück Glück" spielt Leser auf das "Rote Wien" der Zwischenkriegszeit an, dem er in seinem Buch ein ganzes Kapitel widmet. Hier zeigte sich die sozialreformistische Theorie der Austromarxisten in der Praxis. Die Parteiführer verkauften der Bevölkerung den Ausbau der Gesundheitsfürsorge, des Wohnungsbaus und der Bildung in der Hauptstadt als "friedlichen Weg zum Sozialismus". Tatsächlich verschaffte diese Politik den rechten bürgerlichen Kräften, die das übrige Land beherrschten, die Zeit und die Möglichkeit, gegen die Arbeiterklasse und ihre Organisationen vorzugehen.

Leo Trotzki hatte bereits 1929 vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Was der Austromarxismus "im Wiener Gemeinderat leistet, reicht hin, um ihn in den Augen der Arbeiter von den bürgerlichen Parteien zu unterscheiden", schrieb er. Doch während er die Bourgeoisie in Artikeln und Reden entlarve, hindere er die Arbeiter daran, "sich gegen ihre Klassenfeinde zu erheben".

Trotzki warnte vor dem trügerischen Bild der Demokratie und den Versprechungen eines friedlichen Übergang zum Sozialismus: "Aber in der Epoche des Imperialismus, des Verfallskapitalismus, ist die Demokratie in eine Sackgasse geraten. In Österreich wurde die Verfassung von Sozialdemokraten gemacht, und die Sozialdemokratie hat, weil sie die Hauptstadt beherrscht, überaus große Bedeutung. Man erwartet, hier demokratische Formen des Übergangs von der Demokratie zum Sozialismus in besonders reiner Form zu sehen. Aber die Wirklichkeit ist ganz anders. Die Politik wird von den angreifenden faschistischen Banden auf der einen und den zurückweichenden, halbbewaffneten sozialdemokratischen Arbeitern auf der anderen Seite bestimmt." (Leo Trotzki, "Die österreichische Krise, die Sozialdemokratie und der Kommunismus", 1929)

Im Gegensatz zu Trotzki macht Leser nicht die abwartende, versöhnlerische Politik der Sozialdemokraten verantwortlich für die Machtübernahme der Austrofaschisten unter Dollfuss, die 1934 die bereits verbotenen Arbeiterorganisationen auch militärisch zerschlugen. Stattdessen sieht er die Schuld bei der "marxistischen Utopie", die er mit der Russischen Revolution gleich setzt. "Der Aufstieg und Sieg des Faschismus in verschiedenen Ländern Europas", schreibt er, "ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen: auf die russische Revolution und deren Rezeption in Form der Abwehr und Nachahmung und auf das Versagen der Sozialdemokratie aufgrund einer falschen Ideologie."

Die SPÖ nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten solche Auffassungen in der SPÖ-Führung. Bereits wenige Tage vor der endgültigen Befreiung Wiens durch die Sowjetarmee gründete sich die Sozialdemokratische Partei Österreichs. Die Führung übernahmen die Parteirechten Karl Renner und Adolf Schärf. Renner wurde erster Bundespräsident der Zweiten Republik und Schärf Parteivorsitzender.

Unter Renner bildeten Schärf, Leopold Figl von der Volkspartei und Johann Koplenig von der Kommunistischen Partei (KPÖ) die Köpfe der Regierung. Diese Regierung arbeitete über alle Parteigrenzen hinweg, mit dem Ziel, die bürgerliche Herrschaft zu stabilisieren. In der Bevölkerung waren nach dem Verrat der Sozialdemokraten, den Schrecken des Krieges und der Besatzung sozialistische Losungen sehr populär.

Doch Schärf und sein späterer Innenminister Oskar Helmer standen den rechten Kräften der Republik deutlich näher als der Arbeiterschaft. Der Jurist Schärf hatte 1938 die Kanzlei eines jüdischen Anwalts "arisiert". Entsprechend lehnte er jeder Wiedergutmachung gegenüber den jüdischen Opfern des Faschismus ab. Er wandte sich auch strikt gegen die Heimkehr jüdischer Parteifunktionäre aus dem Exil.

Obgleich die KPÖ ein zuverlässiges politisches Werkzeug der Kreml-Bürokratie war und keine Versuche einer revolutionären Mobilisierung unternahm, führten Schärf und Helmer hysterische antikommunistische Kampagnen. Innerparteiliche Gegner, die eine Zusammenarbeit mit der KPÖ in Erwägung zogen, wurden aus der Partei verbannt. Gleichzeitig förderte Schärf die Bildung des Verbands der Unabhängigen (VdU), eines Sammelbeckens ehemaliger Nationalsozialisten, aus dem später die Freiheitliche Partei (FPÖ) hervorging.

Zusammen mit bürgerlichen und rechten Kräften schlug die SPÖ die militanten Streiks im Oktober 1950 nieder. Die Streiks richteten sich gegen die niedrigen Löhne und die noch immer schlechte Versorgungslage. Die Sozialdemokraten denunzierten die Streiks als "kommunistischen Putsch" und organisierten Streikbrecher.

Leser, erwähnt all dies in seinem Kapitel über Schärf und Helmer mit keinem Wort. Für ihn waren beide "Ehrenmänner der alten Schule" und "ganz besondere Persönlichkeiten".

Noch klarer wird Lesers politische Haltung in seiner Einschätzung von Franz Olah, einer der rechtesten und korruptesten Figuren der österreichischen Politik.

Von 1949 bis 1957 war Olah Vorsitzender der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter. In dieser Position war er 1950 maßgeblich an der Auflösung der Oktoberstreiks beteiligt, indem er Streikbrecher organisierte. Im sowjetisch besetzten Wien arbeitete die SPÖ eng mit der amerikanischen CIA zusammen, um den Einfluss der sowjetischen Behörden zu unterbinden. Olah koordinierte diese Zusammenarbeit. Zum Dank wurde er 1959 Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB). In dieser Funktion schloss er mit der konservativen Regierung von Julius Raab einen Partnerschaftsvertrag zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dies war der Grundstein für die Institutionalisierung der so genannten Sozialpartnerschaft.

Olah finanzierte 1959 den Start der rechtspopulistischen Kronen-Zeitung mit Gewerkschaftsgeldern. 1964 verwendete er eine Millionen Schilling aus der Gewerkschaftskasse, um der in finanziellen Schwierigkeiten steckenden rechten FPÖ aus der Patsche zu helfen.

Nachdem diese Skandale das Bild der SPÖ in der Öffentlichkeit allzu sehr ramponiert hatten, wurde Olah aus der Partei ausgeschlossen und erhielt später eine kurze Haftstrafe. Nach dem Ausschluss aus der SPÖ gründete er 1965 die rechtsradikale Demokratische Fortschrittliche Partei (DFP).

Lesers Beschreibung Olahs ist schlichtweg eine Unverschämtheit. Auf sechs Seiten lobt er Olah als "Arbeiterführer", der seine "Gegner überlebt und überstrahlt" habe. Die erwiesenen Fälle von Betrug und Korruption bezeichnet Leser als "Vorwand" der "Linken", um ihn zu kriminalisieren.

Abschließend lässt sich sagen: "Der Sturz des Adlers" ist Lesers mit Abstand schwächstes und uninteressantestes Buch. Es reduziert die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie auf subjektive Porträts und lässt historische und weltpolitische Ereignisse völlig außen vor. Im gesamten Buch findet sich kein Wort zu den sozialen und ökonomischen Veränderungen der letzten 120 Jahre. Es kann nur als gezielter Versuch gewertet werden, über den wahren Charakter dieser Partei zu täuschen.

Loading