Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party

Teil 5

Die US-amerikanische Socialist Equality Party (SEP) hat vom 3. bis 9. August 2008 ihren Gründungskongress durchgeführt. Der Kongress diskutierte und verabschiedete ein Dokument über die "historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party", das wir hier in deutscher Übersetzung in elf Teilen veröffentlichen. Bereits in deutscher Übersetzung erschienen sind ein Bericht über den Gründungskongress und die Grundsatzerklärung der SEP, die ebenfalls vom Gründungskongress verabschiedet wurde.

Das Kriegsende und die Pufferstaaten

95. Der europäische Kapitalismus war durch den Krieg wirtschaftlich ruiniert. Große Teile der Bourgeoisie waren wegen ihrer Unterstützung für den Faschismus diskreditiert. In dieser Situation spielten das Sowjetregime und sein Netzwerk stalinistischer Parteien die entscheidende Rolle, um die Arbeiterklasse von der Machtübernahme abzuhalten. Die Stalinisten nutzten ihre politische Autorität - die durch den Sieg der Roten Armee über Hitlers Wehrmacht gestiegen war -, um die gegen Kriegsende ausgebrochenen Massenkämpfe zu zerstreuen und abzulenken. In Frankreich, Italien und Deutschland instruierte der Kreml die stalinistischen Parteien vor Ort, bürgerliche Regierungen zu unterstützen, die Widerstandskämpfer zu entwaffnen und jede unabhängige Initiative aus der Arbeiterklasse zu unterdrücken. In Griechenland verweigerte die Sowjetbürokratie später den Aufständischen die dringend benötigte Hilfe und garantierte dadurch den Sieg der Bourgeoisie im Bürgerkrieg.

96. In Osteuropa, wo der Kreml aus Gründen der militärischen Abwehr keine von den Vereinigten Staaten kontrollierten Marionettenregimes dulden konnte, schuf die Sowjetunion eine Reihe von "Pufferstaaten" (Ostdeutschland, Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Bulgarien und Rumänien), die unter ihrer Kontrolle standen. Doch die Verstaatlichungen in diesen Ländern (die zum Teil um mehrere Jahre hinausgeschoben wurden) waren begleitet von einer systematischen Entmündigung der Arbeiterklasse. Die Schaffung von stalinistischen Polizeistaatsregimes bedeutete nicht die Ausdehnung einer sozialistischen Revolution, sondern ein besonderes und zeitlich begrenztes Arrangement, das letztlich dem konservativen Ziel diente, Nachkriegseuropa zu stabilisieren. In Jugoslawien fanden die Verstaatlichungen unter etwas anderen Bedingungen als in den Pufferstaaten statt. Unter Führung von Titos Kommunistischer Partei kamen nach dem Zweiten Weltkrieg die Partisanen an die Macht. Doch wenn auch das Erbe des Partisanenkampfes Tito mehr Legitimität verlieh und ihm eine Popularität verschaffte, die in den anderen stalinistisch kontrollierten Staaten unvorstellbar war, wurde die Arbeiterklasse daran gehindert, ihre eigenen Vertretungen und Räte zu schaffen, durch die sie die politische Macht hätte ausüben können. Das Tito-Regime degenerierte bald zum Polizeistaat, in dem Tito selbst die Mittlerrolle zwischen den zerstrittenen Fraktionen der Bürokratie übernahm, die sich nach nationalen und ethnischen Gesichtspunkten herausbildeten. Dieses Gefüge hatte letztlich keinen dauerhaften Bestand, was sich nach Titos Tod im Jahre 1980 zeigte.

Die Vereinigten Staaten und die erneute Stabilisierung des Kapitalismus

97. Die Verrätereien des Stalinismus verschafften den Vereinigten Staaten die benötigte Atempause, um ihre Hegemonie wiederherzustellen und mit der Stabilisierung der daniederliegenden Weltwirtschaft zu beginnen. Eine Periode des nachhaltigen Wirtschaftswachstums nach dem Krieg war möglich, da (1) die europäische und asiatische Wirtschaft im Krieg größtenteils zerstört worden war und (2) die wirtschaftliche Stärke der amerikanischen Industrie auf fortschrittlichen Produktionsmethoden beruhte. Der amerikanische Kapitalismus wollte durch eine Finanz- und Währungsordnung (das Bretton Woods System) die "Welt neu organisieren", wobei der amerikanische Dollar die Rolle einer weltweiten Reservewährung spielte, mit festgelegten internationalen Umtauschkursen und einer Dollar-Gold-Konvertibilität. Mit Unterstützung anderer kapitalistischer Mächte schufen die Vereinigten Staaten Institutionen wie den Internationalen Währungsfond (IWF) und die Weltbank, um die Wirtschaft in internationalen Fragen zu regulieren. Mit dem Marshallplan stimulierte der amerikanische Kapitalismus ab 1947 die wirtschaftliche Erholung Europas und Asiens, die für die weitere Expansion der US-Wirtschaft eine notwendige Voraussetzung darstellte. Auf dieser Grundlage amerikanischer Hegemonie über das kapitalistische System expandierte der Welthandel nach dem Krieg schnell.

98. Diese internationale Stabilisierung der Wirtschaft bildete die materielle Grundlage für eine nationale Reformpolitik in vielen Ländern auf dem ganzen Erdball. In den Vereinigten Staaten verfolgte die amerikanische Bourgeoisie eine keynesianische Politik der Nachfragestimulation. Auch als Reaktion auf die Streikwelle nach Kriegsende wurden den Industriearbeitern bedeutende wirtschaftliche Zugeständnisse gemacht und die Reformpolitik aus der Ära des New Deal fortgesetzt, die schon damals zur Verhinderung einer sozialen Revolution gedacht war. Gleichzeitig wurden mit Unterstützung der rechten Gewerkschaftsbürokratien AFL und CIO die Gewerkschaften und andere Organisationen rücksichtslos von sozialistisch orientierten Arbeitern und Mitgliedern der Kommunistischen Partei gesäubert. In Europa setzte sich ein ähnliches Programm nationaler Sozialreformen und der Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Unternehmensverbänden durch, wobei die Sozialdemokraten und Gewerkschaften tatkräftige Hilfe leisteten. In den wirtschaftlich zurückgebliebenen ehemaligen Kolonialländern konnten nationale bürgerliche Regimes eine gewisse Unabhängigkeit erlangen, indem sie zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten hin- und herlavierten. Durch eine Politik, die Importe durch eigene Produkte ersetzte (Importsubstitution), konnten viele ehemalige Kolonien eine begrenzte Politik eigener industrieller Entwicklung verfolgen und Agrarreformen vorantreiben. In der Sowjetunion fand unter Aufsicht der stalinistischen Bürokratie eine beachtliche Entwicklung der sowjetischen Industrie auf Basis nationaler Wirtschaftsplanung statt, die jedoch von der Bürokratie selbst vollkommen verzerrt und entstellt war.

99. In Hinblick auf die internationalen Beziehungen wollten die Vereinigten Staaten jeden Ausbruch eines direkten Konflikts zwischen den kapitalistischen Großmächten verhindern und sorgten für die Etablierung von Institutionen wie den Vereinten Nationen, um die internationalen Beziehungen zu regulieren. Mit dem Kriegsende ging der Beginn des "Kalten Krieges" einher, dem Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Die unmittelbare Euphorie, mit der die amerikanische Bourgeoisie ihr Monopol auf die Atombombe feierte, verflog schnell, als auch die Sowjetunion mit der Herstellung von Atomwaffen begann. Ein erbitterter Kampf entspann sich innerhalb der politischen Elite Amerikas zwischen den Fraktionen, die einerseits für eine "Eindämmung" der UdSSR, andererseits für ein militärisches "Rollback" eintraten. Die letztere Position konnte leicht zu einem umfassenden Atomkrieg führen, wie damals sehr wohl verstanden wurde. Der Konflikt innerhalb der Bourgeoisie erreichte 1950, während des Koreakriegs, einen Höhepunkt, als General Douglas MacArthur den Abwurf von Atombomben auf China forderte, damit der Vormarsch chinesischer Truppen auf der koreanischen Halbinsel gestoppt werde. US-Präsident Truman feuerte MacArthur. Die "Eindämmungsfraktion" hatte sich durchgesetzt. Die stalinistische Bürokratie setzte ihrerseits strategisch auf eine gütliche Einigung mit dem Imperialismus, was sich in der Politik der "friedlichen Koexistenz" ausdrückte, einer logischen Fortsetzung der Theorie des "Sozialismus in einem Land". Diese unsichere Waffenruhe, bei der sich zwei "Supermächte" in einem nuklearen Wettrüsten zu übertreffen versuchten und um Einfluss in den unterentwickelten Ländern buhlten, drohte regelmäßig in einen offenen und umfassenden Konflikt umzuschlagen.

Aufbegehren der Massen in der Nachkriegsperiode

100. Im Rahmen der erneuten wirtschaftlichen Stabilisierung des Weltkapitalismus zeichnete sich die Nachkriegsperiode durch ein gewaltiges Aufbegehren der internationalen Arbeiterklasse und unterdrückten Massen aus. In Asien, Nahost, Afrika und Lateinamerika versuchten zig Millionen Arbeiter und Bauern, die Fesseln des Kolonialismus abzustreifen. Diese Massenkämpfe verdeutlichten, wie enorm relevant die Theorie der Permanenten Revolution und die Lehren aus Trotzkis Kampf gegen Stalins Verrat der Chinesischen Revolution waren. Einmal mehr konnten die wesentlichen Probleme, die mit dem antiimperialistischen Kampf verbunden sind - die Zerschlagung aller Überreste des Feudalismus und der Dominanz von Großgrundbesitzern, das Ende der Kolonialherrschaft und die Herstellung nationaler Unabhängigkeit, die Gestaltung des Wirtschaftslebens zur Abschaffung von Armut und die Hebung des sozialen und kulturellen Niveaus der Massen - nur unter Führung der revolutionären Arbeiterklasse erreicht werden, die mit einem demokratischen und internationalen sozialistischen Programm bewaffnet ist. Doch die objektive Notwendigkeit eines solchen Programms und einer solchen Perspektive stand im Gegensatz zur führenden Rolle der nationalen Bourgeoisie in der antiimperialistischen Bewegung, die noch von den stalinistischen Parteien unterstützt wurde.

101. In Indien bestätigte sich die Theorie der Permanenten Revolution durch den katastrophalen Verrat der antiimperialistischen Unabhängigkeitsbewegung durch Gandhi, Nehru und die bürgerliche Kongresspartei in den Jahren 1947/48. Die indische Bourgeoisie akzeptierte die Teilung des Landes in ein vorwiegend hinduistisches Indien und ein muslimisches Pakistan, was umgehend zu religiös motivierten Konflikten führte, die bis zu einer Million Menschen das Leben kosteten. Das schreckliche Erbe der Teilung zeigt sich in den Jahrzehnten von Krieg, Gewalt und einer anhaltenden Massenarmut. In der einen oder anderen Form brachte die Unterordnung der Arbeiterklasse unter die von der Bourgeoisie geführten nationalen Bewegungen in einem Land nach dem anderen politische Katastrophen hervor. Die Schlüsselrolle spielten dabei die stalinistischen Parteien, die unbeeindruckt ihre von Klassenkollaboration geprägte "Zwei-Stadien-Theorie" vertraten - zunächst die Unabhängigkeit unter Führung der Bourgeoisie und später, zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft, der Sozialismus. Dadurch verhinderten sie den Kampf der Arbeiterklasse um die politische Vorherrschaft in der antiimperialistischen Massenbewegung und die Machtübernahme.

102. In scharfem Kontrast zu den Stalinisten nahm die trotzkistische Bewegung in Ceylon (später Sri Lanka), die in der Bolschewistisch-Leninistischen Partei Indiens (BLPI) organisiert war, einen prinzipiellen und internationalistischen Standpunkt ein. Sie wandte sich gegen die politische Übereinkunft, die zwischen der nationalen Bourgeoisie und dem britischen Imperialismus ausgehandelt worden war und formal den Kolonialstatus beendete. Diese Haltung wurde umgehend bestätigt, als die Bourgeoisie in Sri Lanka ein Staatsbürgerschaftsrecht einführte, dass eben jene Bevölkerungsteile entrechtete, die im Kampf gegen die britische Herrschaft eine höchst wichtige Rolle gespielt hatten: die tamilischen Plantagenarbeiter. Seit der Unabhängigkeit setzte die singhalesische Bourgeoisie hauptsächlich auf Rassismus gegenüber der tamilischen Minderheit, um von der sozialen Spaltung abzulenken und eine vereinte Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern.

Die Chinesische Revolution

103. In China nahm die nationalistische Bewegung die Form eines Bauernaufstands unter direkter Führung der Kommunistischen Partei Chinas an. Nach ihrer katastrophalen Niederlage im Jahre 1927 hatte sich die Kommunistische Partei aufs Land zurückgezogen und unter Teilen der Bauernschaft "Rote Armeen" aufgebaut. Mit welchen praktischen und pragmatischen Gründen sie auch immer ihre Umorientierung zu rechtfertigen versuchte - die Abkehr der Kommunistischen Partei von ihren städtischen und proletarischen Wurzeln führte zu einem umfassenden Wandel im politischen und sozialen Charakter der Partei. Die Beibehaltung marxistischer Phrasen änderte nichts an der Tatsache, dass die chinesischen Stalinisten sich jetzt hauptsächlich auf die Bauernschaft stützten. Bezeichnenderweise spielte Mao Tsetung, der vor der Niederlage von 1927 dem rechten Flügel der KPCh angehörte, die führende Rolle bei den Veränderungen in strategischer Orientierung und gesellschaftlicher Basis der Partei.

104. Trotzki verfolgte die Ereignisse in China aufmerksam, auch nachdem er 1927 aus der Kommunistischen Partei Russlands und der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen worden war. In einem Brief aus dem Jahre 1932 an Anhänger der Linken Opposition in China erklärte er, welche Folgen die politische und soziologische Entwicklung der KPCh hat: Käme die Kommunistische Partei auf Grundlage einer Bauernbewegung an die Macht, würde ihre Politik letztlich die Interessen und Anschauungen dieser gesellschaftlichen Basis widerspiegeln. Trotzki sah die Möglichkeit eines Konflikts zwischen Bauernschaft und Arbeitern voraus: "Die Bauernbewegung ist ein mächtiger revolutionärer Faktor, sofern sie sich gegen die Großgrundbesitzer, die Militärmachthaber, die Feudalherren und Wucherer richtet. Aber in der Bauernbewegung selbst gibt es sehr starke, eigentumfixierte und reaktionäre Tendenzen, die sich in einem gewissen Stadium feindlich - sogar mit Waffengewalt - gegen die Arbeiter richten können. Wer den Doppelcharakter der Bauernschaft vergisst, ist kein Marxist. Man muss die fortschrittlichen Arbeiter lehren, hinter den kommunistischen’ Aushängeschildern und Bannern die wirklichen gesellschaftlichen Prozesse zu erkennen."[67]

105. Als die japanische Besatzung am Ende des Zweiten Weltkriegs zusammenbrach, begann die KPCh eine Offensive, die schließlich im Oktober 1949 zur Eroberung der politischen Macht führte. Maos Sieg war weitaus weniger seiner "Genialität" geschuldet - die weder vor noch nach 1949 besonders in Erscheinung trat - sondern vielmehr außergewöhnlich günstigen Ausgangsbedingungen, die durch den militärischen Zusammenbruch des japanischen Reiches gegeben waren. Außerdem versuchte die KPCh selbst nach dem japanischen Zusammenbruch wiederholt, eine Übereinkunft mit Tschiang Kai-schek und der Kuomintang auszuhandeln. Es lag vielmehr an Tschiangs Unnachgiebigkeit denn an Maos Entschlossenheit, dass kein Kompromiss zwischen den beiden Lagern zustande kam. Die KPCh kam widerwillig zu dem Schluss, dass Tschiangs Sturz notwendig war.

106. Maos Regime setzte bürgerlich-nationalistische Maßnahmen durch, darunter die Enteignung der Großgrundbesitzer, stand aber der Arbeiterklasse zutiefst feindselig gegenüber. Es unterdrückte brutal die chinesischen Trotzkisten, die nach der Niederlage 1927 weiterhin in den proletarisch geprägten Stadtzentren aktiv waren. Nach langem Zögern übernahm das Regime die Kontrolle über einen Großteil der chinesischen Industrie. Die KPCh errichtete einen bürokratischen Polizeistaat nach stalinistischem Vorbild, verband die Verstaatlichung der Industrie und sozialistische Rhetorik mit einer Innenpolitik, die rücksichtslos jede Opposition, insbesondere aber die von links, unterdrückte. Die nationalistische Politik der KPCh, darunter auch der so genannte "Große Sprung nach vorn", hatte katastrophale Folgen und verursachte unter anderem eine Hungersnot, die etwa 30 Millionen Menschen das Leben kostete. Auf internationaler Ebene hielt der Maoismus an der stalinistischen Theorie einer Allianz mit der Bourgeoisie in rückständigen Ländern fest. Das hatte katastrophale Konsequenzen in ganz Asien, zum Beispiel in Indonesien (wo das indonesische Militär und antikommunistische, paramilitärische Kräfte in den Jahren 1965/66 mit Rückendeckung der CIA eine Million Arbeiter und Bauern abschlachteten) und in Vietnam (wo die Stalinisten 1954 mit dem französischen Imperialismus eine Teilung des Landes aushandelten, die den Boden für die US-Intervention schuf).

Die Gründung des Staates Israel

107. Das Prinzip national ausgerichteter Politik und Reformen fand einen etwas anderen Ausdruck in der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 durch die Teilung des britischen Protektorats Palästina. Weltweit betrachteten viele Menschen die Gründung des jüdischen Staates Israel mit Sympathie, denn sie waren über den faschistischen Horror entsetzt, der zur Vernichtung von zwei Dritteln der europäischen Juden geführt hatte. Objektiv betrachtet war die Gründung Israels gesellschaftlich wie politisch reaktionär, da sie auf dem Prinzip ethnisch-religiöser Ausgrenzung beruhte und die Palästinenser ihrer Heimat beraubte. Der Staat Israel sollte später zur Hauptstütze und Militärbastion des amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten werden. Diese Tragödie sowohl für die jüdische als auch die arabische Bevölkerung wurde durch den Stalinismus ermöglicht, der durch seine Verrätereien und seinen Antisemitismus viele ursprünglich sozialistisch orientierte Juden in die Arme des Zionismus trieb. In den 1920er Jahren hatte die Kommunistische Partei Palästinas für eine vereinte Bewegung von jüdischen und arabischen Arbeitern gekämpft. Doch die nationalistische Degeneration der stalinistischen Parteien wirkte sich auch in der KPP aus, die sich noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs entlang ethnischer Linien teilte. Die sowjetische Bürokratie vervollständigte ihren Verrat an der Arbeiterklasse in dieser Weltregion, indem sie als Teil ihrer Nachkriegsabkommen mit dem Imperialismus die Gründung Israels befürwortete. Im Gegensatz dazu vertrat die Vierte Internationale eine internationalistische Position, die sich auf die Einheit der Arbeiterklasse stützte. Sie schrieb im Jahre 1948:

"Die Vierte Internationale weist die zionistische Lösung’ der jüdischen Frage als utopisch und reaktionär zurück. Sie erklärt, dass eine vollkommene Ablehnung des Zionismus die notwendige Bedingung ist, um die Kämpfe der jüdischen Arbeiter mit den sozialen, nationalen und Befreiungskämpfen der arabischen Werktätigen zu vereinen. Sie erklärt, dass die Forderung nach jüdischer Einwanderung in Palästina durch und durch reaktionär ist, wie es überhaupt reaktionär ist, die Einwanderung von unterdrückenden Völkern in Kolonialländer zu fordern. Sie ist der Auffassung, dass die Frage der Einwanderung sowie die Beziehung zwischen Juden und Arabern erst dann angemessen gelöst werden kann, wenn der Imperialismus durch eine frei gewählte verfassungsgebende Versammlung vertrieben wird, in der die Juden als nationale Minderheit volle Rechte genießen."[68]

Der Koreakrieg

108. Neben der Chinesischen Revolution fanden die antikolonialen Unruhen der Nachkriegsära ihren explosivsten Ausdruck beim Ausbruch des Koreakriegs im Juni 1950, bei dem die Streitkräfte Nordkoreas unter stalinistischer Führung rasch die Armee des von den Vereinigten Staaten unterstützten südkoreanischen Diktators Syngman Rhee überrannten. Unter dem Deckmantel einer UN-Resolution befahl US-Präsident Truman dem amerikanischen Militär einzugreifen und eroberte einen Großteil der Halbinsel zurück. Als sich die US-Streitkräfte der chinesischen Grenze näherten, griff China mit Truppen in den Konflikt ein und drängte die Amerikaner zurück; schließlich stabilisierten sich die Kämpfe entlang einer Linie, die in etwa der Vorkriegsgrenze entsprach. Die amerikanische SWP stellte den Kampf in Zusammenhang mit der um sich greifenden Revolution in den Kolonialländern und widersprach der Behauptung, die koreanische Bevölkerung sei nichts weiter als eine Moskauer Marionette. In einem offenen Brief an die US-Regierung erklärte Cannon:

"Die amerikanische Intervention in Korea ist eine brutale imperialistische Invasion, die sich in nichts von dem französischen Krieg in Indochina oder dem holländischen Überfall auf Indonesien unterscheidet. Amerikanische Jungens werden 10.000 Meilen weit weggeschickt, um zu töten und selbst getötet zu werden, nicht um das koreanische Volk zu befreien, sondern um es zu erobern und zu unterwerfen. Es ist abscheulich. Es ist eine Ungeheuerlichkeit."

Der Kampf des koreanischen Volkes, fuhr Cannon fort, "ist Bestandteil eines machtvollen Aufstandes der nach Hunderten von Millionen zählenden kolonialen Völker in ganz Asien gegen den westlichen Imperialismus. Das ist die Wahrheit, darum geht es. Die kolonialen Sklaven wollen nicht länger Sklaven sein."[69]

109. Der Koreakonflikt zeigte deutlich die reaktionären Implikationen der Theorien, die Sowjetunion stelle eine neue Form der Klassengesellschaft dar, ob sie nun als "bürokratischer Kollektivismus" oder "Staatskapitalismus" bezeichnet wurde. Der Theoretiker des "bürokratischen Kollektivismus", Max Shachtman, hatte zehn Jahre zuvor mit der Vierten Internationale gebrochen und dabei feierlich erklärt, eine unabhängige, "dritte" Position zu wahren. Aber im Jahre 1950 ging er offen in das Lager des amerikanischen Imperialismus über. Von Shachtmans damaliger Organisation, der so genannten Workers Party, entworfene Flugblätter wurden aus der Luft über chinesischen und nordkoreanischen Soldaten abgeworfen und lieferten ihnen "sozialistische" Argumente, um sich den amerikanischen Invasoren zu ergeben. Der führende Vertreter der "staatkapitalistischen" Ansicht, Tony Cliff, brach mit der Revolutionary Communist Party, die damals die Sektion der Vierten Internationale in Großbritannien war und Cannons kompromisslose Opposition gegen den imperialistischen Krieg unterstützte. Cliff dagegen nahm eine Position strikter Neutralität ein und verurteilte den von ihm so genannten "russischen Imperialismus" ebenso wie den der Vereinigten Staaten.

Wird fortgesetzt

 

Anmerkungen
67 Leo Trotzki, Schriften über China 1928-1940, "Der Bauernkrieg in China und das Proletariat", Rasch und Röhring, Hamburg 1990, S.766
68 David North, Das Erbe, das wir verteidigen, Arbeiterpresse Verlag 1988, Seite 138-139
69 ebenda, Seite 59-60

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