Belegschaft besetzt Autozulieferer in Hohenlockstedt

Die rund 100 Beschäftigten des insolventen Autozulieferers HWU (Hohenlockstedter Werkzeugbau und Umformtechnik) halten seit vergangenem Freitag ihr Werk besetzt. Sie versuchen damit, die für das Ende des Jahres geplante Schließung des Werks zu verhindern und ihre Arbeitsplätze zu verteidigen.

Die HWU stellt Bauteile für Katalysatoren, Lenkräder und Türschlösser her. Sie entstand durch die Ausgliederung der Beschäftigten des Hohenlockstedter Werkes der Nier GmbH.

Das besetzte Werk in Hohenlockstedt

Die Nier GmbH war 2006 wurde nach einer Insolvenz von der Vollmann-Gruppe mit Hauptsitz in Nordrhein-Westfalen aufgekauft worden. Da die Vollmann-Gruppe im Gegensatz zur Nier GmbH nicht bei der IG Metall tarifgebunden war und kein Interesse daran hatte, sich mit den neuen Beschäftigten erstmalig einen Tarifvertrag in die Firmengruppe zu holen, wurde die HWU als neues Tochterunternehmen gegründet und die Beschäftigten dorthin ausgegliedert. In der HWU galt dann der bisherige Tarifvertrag exklusiv weiter.

Die HWU umfasst lediglich noch die Beschäftigten selbst, während die Maschinen und das Gebäude des Werkes im Besitz der Vollmann-Gruppe verblieben sind, die wiederum der einzige Auftraggeber für die HWU ist.

Im Juni 2008 verkaufte die Vollmann Gruppe die HWU dann an den Rentner Horst Strodtkötter, einen ehemaligen Beschäftigten der HWU. Die Belegschaft erfuhr von dem Verkauf erst am 30. Juni auf einer Belegschaftsversammlung, auf der der neue Geschäftsführer nicht einmal anwesend war.

Am 29. Oktober erklärte Strodtkötter der überraschten Belegschaft dann, dass die HWU die Löhne für Oktober nicht mehr bezahlen könne und dass er die Insolvenz des Unternehmens angemeldet habe. Als Grund für die Zahlungsunfähigkeit nannte der Geschäftsführer einen Auftragsrückgang von 30 Prozent, der auf die Absatzkrise der Automobilindustrie zurückzuführen sei.

Die Beschäftigten reagierten mit einer spontanen 24-stündigen Betriebsbesetzung. So wollten sie verhindern, dass Werkzeug aus dem Betrieb entfernt und damit die Weiterarbeit in Hohenlockstedt unmöglich gemacht wird. Nachdem der Insolvenzverwalter dem Unternehmen eine gute Auftragslage bescheinigt hatte und die ausgefallenen Löhne durch Insolvenzgeld kompensiert werden konnten, kehrten die Beschäftigten zunächst an ihre Arbeit zurück.

Seitdem wurde die Belegschaft über das weitere Vorgehen völlig im Dunkeln gelassen. Weder vom Geschäftsführer noch vom Insolvenzverwalter erhielt sie irgendwelche Informationen, wie es mit dem Unternehmen weitergehen solle. Als dann schließlich bekannt wurde, dass es ab Anfang 2009 kein Insolvenzgeld mehr geben soll, kam es am vergangenen Freitag zur erneuten Besetzung des Betriebes, die nach wie vor anhält.

Am Dienstagmorgen informierte der Betriebsrat die Belegschaft schließlich über die beschlossene Schließung des Werkes. Dem Großteil der Beschäftigten soll zum 31. Dezember gekündigt werden. Lediglich 25 bis 30 sollen noch bis Ende März im Werk arbeiten. Dann sei endgültig Schluss. Jetzt könne man nur noch versuchen, den Arbeitsplatzverlust durch eine Transfergesellschaft etwas aufzufangen.

Keine Hoffnung unter den Beschäftigten

In der Belegschaft hegt allerdings niemand große Hoffnungen in eine solche Transfergesellschaft. Jedem im Werk ist klar, dass die Chancen, in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise einen neuen Arbeitsplatz zu finden, ziemlich aussichtslos sind. Viele Belegschaftsmitglieder haben seit mehr als zwanzig Jahren in dem Unternehmen gearbeitet. Sie sind überhaupt nicht darauf vorbereitet, sich irgendwo um einen neuen Arbeitsplatz zu bewerben.

Hohenlockstedt, der Standort des Werkes, ist ein relativ kleiner Ort mit etwa 6.200 Einwohnern und liegt in einer strukturschwachen Region im ländlichen Schleswig-Holstein. Das Werk war einst ein Vorzeigebetrieb mit bis zu 700 Beschäftigten. Ältere Bewohner des Ortes wissen noch aus ihrer Kindheit zu berichten, wie vor etwa 50 Jahren im Drei-Schichten-Betrieb produziert wurde. Doch davon sind nur noch Erinnerungen übrig.

Heinz (Name von der Reaktion geändert) arbeitet seit dem Beginn seiner Lehrzeit vor 37 Jahren in dem Unternehmen. Er beschrieb der WSWS, wie er dort Werkzeugmacher gelernt habe, für die Firma auf Montage gefahren sei und in den letzten Jahren dann vorwiegend Ersatzteilfertigung gemacht habe. Die Situation sei für viele der Beschäftigten sehr bitter:

"Egal wer betroffen ist, da hängt grundsätzlich die ganze Existenz dran. Es gibt viele, die haben hier angefangen und sich ein Haus gebaut, die haben kleine Kinder. Und von einem auf den anderen Tag steht man plötzlich vor dem Nichts. Man hat hier über 35 Jahre gearbeitet, und am 1. Januar guckt man sich das Betriebstor von draußen an."

Paul (Name von der Reaktion geändert), der seit 20 Jahren im Betrieb als Werkzeugmacher arbeitet, pflichtet seinem Kollegen bei und betont, dass es in der Region mit Arbeitsplätzen sehr schlecht aussieht: "Also im Extremfall müsste man hier wegziehen, um neue Arbeit zu finden. Aber da sie ja alle am Abbauen sind, wird das wohl sehr schwer."

Ein jüngerer Kollege, der 1988 seine Lehre im Betrieb gemacht hat und nach seinem Zivildienst dort regulär arbeitete, weißt auf die riesengroße Wut der Beschäftigten hin. Die Wut käme vor allem daher, dass man viel zu spät mit Informationen über die Insolvenz versorgt worden sei, und auch daher, dass auf einmal das ganze Wissen, das in dem Betrieb stecke, einfach so zertrampelt werde.

Steffen Schmidt und Alfred Butt

Die WSWS sprach auch mit dem Vorsitzenden des Betriebsrates Steffen Schmidt und seinem Stellvertreter Alfred Butt. Vor die Frage gestellt, warum die IG Metall keine größere Kampagne zur Verteidigung der Beschäftigten organisiere, verwiesen sie auf die Streitereien zwischen den "Betriebsratsfürsten" der großen Automobilhersteller, die jeweils nur die Interessen ihrer eigenen Standorte verteidigten und dadurch jeder Möglichkeit zu übergreifender Solidarität den Boden entzögen.

Die Perspektive der IG Metall

Der geplanten Werkschließung ging eine ganze Reihe von Sanierungsmaßnahmen voraus. Diese wurden den Beschäftigten von der Geschäftsführung und der IG Metall jedes Mal als notwendige Alternative zum Arbeitsplatzabbau und der Schließung des Werkes verkauft. Das Ergebnis ist die jetzt geplante komplette Stilllegung des Werkes. Die Perspektive, Arbeitsplätze durch Lohnkürzungen und andere Zugeständnisse zu erhalten, ist katastrophal gescheitert.

Im Jahr 2002 unterzeichnete die IG Metall einen Tarifvertrag für das Werk, der für die damals noch 225 Beschäftigten ein ganzes Jahr lang die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 30 Stunden verbunden mit 14-prozentigen Lohneinbußen vorsah. Nur zwei Jahre nach Auslaufen dieses Absenkungstarifvertrages meldete die Geschäftsführung im Oktober 2005 zum ersten Mal Insolvenz an. Im Insolvenzverfahren wurde dann der Abbau von rund 80 der zu diesem Zeitpunkt noch 210 Arbeitsplätze vereinbart.

Die Gewerkschaft reagierte mit einem Sanierungstarifvertrag, der Arbeitszeitkonten einführte und das Weihnachtsgeld ersatzlos strich. Die abgebauten Beschäftigten landeten in einer Transfergesellschaft, die sie in neue Jobs vermitteln sollte.

Der Sanierungstarifvertrag lief bis September 2007 und wurde dann von einem weiteren abgelöst, der die Verlängerung der Stundenkonten festschreibt und den Wegfall des Weihnachtsgelds durch die Streichung des Urlaubsgelds ergänzte. Als Gegenleistung wurde den Beschäftigten eine Arbeitsplatzgarantie bis Ende 2009 versprochen, die durch die jetzige Insolvenz Makulatur geworden ist.

Nicht ein einziger Arbeitsplatz konnte durch die zahlreichen Zugeständnisse der Gewerkschaft erhalten werden. Stattdessen stehen die Beschäftigten nun völlig unvorbereitet der geplanten Werkschließung gegenüber.

Für die Gewerkschaft und den Betriebsrat ist die Schließung des Werkes bereits beschlossene Sache. Für sie geht es jetzt nur noch darum, über die Option einer Transfergesellschaft zu verhandeln.

Der Betriebsrat der HWU ließ durchblicken, dass die Betriebsbesetzung spätestens am Mittwochabend zu einem Produktionsstopp bei "einem der großen Automobilhersteller" führen werde. Der Betriebsrat dieses Automobilherstellers sei bereits informiert und in "heller Aufregung" darüber.

Eine solche Entwicklung würde die Position der HWU-Belegschaft stärken. Sie sollte genutzt werden, um die Beschäftigten des "großen Automobilherstellers" in den Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze bei der HWU einzubeziehen. Das ist allerdings nicht das Ziel der IG Metall. Sie wird alles tun, um einen Produktionsstopp zu verhindern, und den Druck auf die Beschäftigten der HWU erhöhen, ihre Betriebsbesetzung abzublasen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Aushang des Geschäftsführers, der am Dienstagnachmittag plötzlich im Werk der HWU aufgetaucht ist. Darin droht Strodtkötter den Beschäftigten mit fristloser Kündigung, sollte die Betriebsbesetzung nicht am Mittwoch beendet werden. Er kündigt Regressforderungen an, die in ihrem Umfang jeder Art von Transfergesellschaft den finanziellen Spielraum entziehen würden.

Die Betriebsbesetzung der HWU verdient die volle Unterstützung aller Arbeiter. Sie setzt wichtige politische Fragen auf die Tagesordnung, mit denen sich die Arbeiter bei der HWU und in anderen Betrieben auseinandersetzen müssen. Die wichtigste dieser Fragen lautet: Wer kontrolliert die Produktivkräfte und in wessen Interesse werden diese eingesetzt?

Die Entwicklungen bei der HWU sind ein Lehrstück über den Bankrott einer Perspektive, die auf den Interessensausgleich zwischen Kapital und Arbeit setzt. Die Ereignisse haben anschaulich gezeigt, dass Arbeitsplätze heute nur mit einer sozialistischen Perspektive verteidigt werden können. Die Betriebe und Banken müssen in gesellschaftliches Eigentum überführt und unter demokratische Kontrolle gestellt werden.

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