Romano Prodi steht auch in Zukunft an der Spitze der italienischen Regierung. Er gewann am Mittwoch eine Vertrauensabstimmung im Senat, wo seine Neun-Parteien-Koalition über eine äußerst knappe Mehrheit verfügt, mit 162 zu 157 Stimmen. Erforderlich wären 160 Stimmen gewesen. Die Abstimmung im Abgeordnetenhaus am Donnerstag war danach nur noch eine Formsache. Hier verfügt Prodis Koalition über eine sichere Mehrheit.
Prodi geht damit gestärkt aus einer Regierungskrise hervor, die er selbst ausgelöst hatte, als er am vergangenen Mittwoch nach einer Abstimmungsniederlage über seine Außenpolitik zurücktrat. Alle neun Koalitionspartner haben sich inzwischen verpflichtet, die Grundlinien von Prodis Politik vorbehaltlos zu unterstützen.
Der Regierungschef hat sie ein zwölf Punkte umfassendes Ultimatum unterzeichnen lassen, das unter anderem die Zustimmung zu dem umstrittenen (und von der Bevölkerungsmehrheit abgelehnten) Militäreinsatz in Afghanistan, dem Ausbau der US-Militärbasis Vicenza, dem Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke (TAV) nach Frankreich und der "Reform" der Renten beinhaltet. Außerdem bevollmächtigt es Prodi, bei Meinungsverschiedenheiten in der Koalition eigenmächtig zu entscheiden.
Für Prodi hat auch Senator Franco Turigliatto gestimmt, dessen Stimmenthaltung vor einer Woche maßgeblich zu Prodis Abstimmungsniederlage beigetragen hatte.
Turigliatto wurde als Mitglied von Rifondazione Comunista (PRC) in den Senat gewählt. Er gehört der Tendenz Sinistra Critica (Kritische Linke) an, die international dem pablistischen Vereinigten Sekretariat angeschlossen ist, das lange Zeit von Ernest Mandel geführt wurde. Die italienischen Mitglieder des Vereinigten Sekretariats arbeiten seit der Gründung von Rifondazione im Jahr 1991 innerhalb dieser Partei und haben maßgeblich zu ihrem Aufbau beigetragen.
Nachdem sich Turigliatto der Stimme enthalten hatte, sprach sich der Vorstand von Rifondazione für seinen Ausschluss aus der Partei aus. Turigliatto selbst hat die Rückgabe seines Senatmandats beantragt. Bis diese offiziell genehmigt ist, gehört er nicht mehr der Fraktion von Rifondazione, sondern der "gemischten Fraktion" des Senats an.
Turigliattos Verhalten, der erst gegen Prodi votierte und ihm eine Woche darauf das Vertrauen aussprach, wirft ein bezeichnendes Licht auf den krassen Opportunismus, der nicht nur seine Tendenz, sondern zahlreiche Strömungen des kleinbürgerlichen Radikalismus auf der ganzen Welt kennzeichnet.
Auf der seinen Seite sind Turigliatto und die Sinistra Critica bemüht, sich als Gegner des Kapitalismus und als Sozialisten auszugeben. Sie üben Kritik an zahlreichen Aspekten der Politik der Regierung Prodi. Gleichzeitig bestehen sie darauf, dass es keine Alternative zu dieser Regierung gibt, außer der Rückkehr der Rechten unter Silvio Berlusconi. Mit dieser Begründung sind sie Mitglieder der Regierungspartei Rifondazione und unterstützen die Regierung im Parlament.
Was sie vehement ablehnen, ist eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen die kapitalistische Gesellschaft und deren herrschende Elite als Ganze richtet. Sie Beschwören zwar immer wieder die Mobilisierung der Straße. Aber da sie gleichzeitig die Regierung Prodi unterstützen, besteht ihre Rolle darin, einer solchen Mobilisierung die Spitze zu brechen und sie in eine politische Sackgasse zu lenken. Anders gesagt: Sie dienen Prodi als linkes Feigenblatt.
Neun Monate nach der Regierungsübernahme durch Prodi ist klar, dass sich dessen arbeiterfeindliche und pro-imperialistische Politik nicht von der seines Vorgängers Silvio Berlusconi unterscheidet. Das zwingt die italienischen Pablisten zu immer groteskeren Windungen und Verrenkungen, um ihre Unerstützung der Regierung zu rechtfertigen.
Eine Konferenz der Sinistra Critica, die am 27. und 28. Januar tagte, musste unumwunden feststellen, dass "die Bilanz der Teilnahme der Partei Rifondazione Comunista an der Regierung der Union, der von Romano Prodi geführten Mitte-Links-Koalition, katastrophal ist".
Die Führerin der Tendenz, Flavia d’Angeli, berichtet in International Viewpoint, dem internationalen Organ der Pablisten: "Nach der Annahme des Budgets für das Jahr 2007, des strengsten Budgets in der gesamten Geschichte der Republik, der Entsendung von Truppen in den Libanon, der Beibehaltung der Truppen in Afghanistan, der Unterordnung unter das Diktat des Vatikans in Bürgerrechtsfragen und beim Säkularismus, bekräftigten die Genossen der Sinistra Critica die Notwendigkeit, eine linke Opposition zu dieser Regierung aufzubauen, um eine Antwort auf das wachsende Elend in der italienischen Gesellschaft zu geben."
Die naheliegende Schlussfolgerung, mit der Regierungspartei Rifondazione zu brechen, zog die Konferenz aber nicht. Sie beschloss, sich als "Vereinigung" zu konstituieren, "ohne jedoch von der PRC zu spalten", wie es in d’Angelis Bericht heißt.
Was der Unterschied zwischen einer "Strömung" und einer "Vereinigung" ist, bleibt ebenso der Fantasie des Lesers überlassen, wie die Frage, wie man "eine linke Opposition" zu einer Regierung aufbauen kann, in der man gleichzeitig Mitglied ist. Eines jedoch ist sicher - die beträchtlichen Einkommen, die Vertreter von Sinistra Critica aus ihren Parlamentsmandaten und der Mitgliedschaft in einer Regierungspartei beziehen, blieben ungefährdet.
Drei Wochen nach dieser Konferenz erfolgte dann die Rebellion auf den Knien, die mit dem Vertrauensvotum für Prodi endete.
Während Franco Turigliatto im Senat gegen Prodis Außenpolitik votierte, stimmten die anderen Senatoren und Abgeordneten von Sinistra Critica dafür. Als der Vorstand von Rifondazione dann Turigliattos Parteiausschluss beschloss, protestierte Sinistra Critica mit einer internationalen Solidaritätskampagne, die die Unterstützung zahlreicher bekannter Radikaler fand - von Noam Chomsky über George Galloway, Tariq Ali, Olivier Besancenot und Alex Callinicos bis hin zum Filmregisseur Ken Loach.
Der Solidaritätsaufruf verurteilt die "fehlerhafte Entscheidung" Rifondaziones, Turigliatto auszuschließen. Handlungen wie diejenige Turigliattos seien nötig, "um die Kluft zwischen der etablierten Politik und der Gesellschaft zu verkleinern, auch wenn sie kompliziert und schwierig sind", heißt es darin in entlarvender Offenheit. Mit anderen Worten, Turigliattos Vorgehensweise sollte die Glaubwürdigkeit der "etablierten Politik" und damit die Regierung Prodi aufpolieren, und nicht diese gefährden.
Turigliatto selbst begründete in einem "Offenen Brief an alle, die mir ihre Solidarität ausgesprochen haben", weshalb er der Regierung Prodi sein Vertrauen aussprechen werde, obwohl er alle zwölf Punkte Prodis ablehne, die "die Zustimmung zu einer Freihandelspolitik, zu einer Politik der Opfer und des multilateralen Kriegs" bedeuteten. Es sei nie seine Absicht gewesen, die Regierung Prodi zu Fall zu bringen, beteuert er. Er habe lediglich einen Dialog mit jenen Teilen der Bewegung und der Linken führen wollen, die so dächten wie er. "Dabei sollte es der Regierung erlaubt werden, bestehen zu bleiben."
Mit der freiwilligen Abgabe seines Senatsmandats erweist Turigliatto Prodi einen letzten Dienst. Er hätte das Parlament auch als Plattform für eine Offensive gegen die Regierung nutzen können.
Die Solidaritätsresolution der Critica Sinistra bringt es fertig, Turigliattos Rücktritt in ein- und demselben Satz zu begrüßen und zurückzuweisen. Es heißt dort: "In einem politischen Zusammenhang, in dem einem Parlamentssitz ein überragender Wert zugemessen wird, scheint uns der Rückzug aus dem Senat nach vierzig Jahren politischer Aktivität an der Seite der Arbeiter und nach der Beteiligung am Aufbau von Rifondazione von Anfang an eine noch nie da gewesene und moralisch korrekte Tat, selbst wenn wir denken, dass er seinen Rücktritt zurücknehmen sollte".
Die Entwicklung der Regierung Prodi und von Rifondazione ist für Marxisten keine Überraschung. Die World Socialist Web Site und die Zeitungen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die ihr vorangingen, haben seit den neunziger Jahren immer wieder aufgezeigt, dass diese Partei als linke Stütze der bürgerlichen Ordnung dient. Sie hatte schon damals die Technokratenregierungen unter den Notenbankern Lamberto Dini und Azeglio Ciampi sowie die erst Regierung Prodi parlamentarisch unterstützt. Alle drei Regierungen hatten massive Angriffe gegen die Arbeiterklasse durchgeführt.
Turigliatto und seine Gesinnungsgenossen haben dagegen Rifondazione nach Kräften verteidigt und unterstützt, wie dieser in seinem "offenen Brief" selbst schildert. Er schreibt: "Ich habe Rifondazione von Grund auf mit aufgebaut, ich habe sie verteidigt, wenn sie angegriffen wurde, ich habe Hunderte Stunden vor den Turiner Fabriken und auf Rundreisen durch Italien verbracht, um mit den Arbeiterinnen und Arbeitern zu sprechen."
Tatsächlich hat Turigliatto die Arbeiterinnen und Arbeiter in die Irre geführt und betrogen. Wenn er nun selbst aus Rifondazione ausgeschlossen wird und sich zu wilden politischen Drehungen und Kapriolen veranlasst sieht, um seine Unterstützung für die Regierung Prodi zu rechfertigen, so ist dies ein Ergebnis der tiefen Kluft, die sich zwischen der Regierungskoalition und der Bevölkerung aufgetan hat.
Arbeiter lassen sich nicht mehr so leicht an der Nase herumführen. Sie beginnen zu verstehen, dass Prodi und sein rechter Vorgänger Berlusconi die selben sozialen Interessen vertreten - die Interessen einer schmalen Oberschicht, die den gesellschaftlichen Reichtum an sich gerissen hat und die arbeitende Bevölkerung permanent angreift. Sie suchen nach einer gesellschaftlichen Alternative, nach einer revolutionären Perspektive, die es ihnen ermöglicht, die Gesellschaft von Grund auf zu verändern.
Dies zu verhindern war und bleibt die Aufgabe Turigliattos und seiner Gesinnungsgenossen in Rifondazione und der Sinistra Critica.