Seine Rolle in der Nazizeit wird systematisch verschwiegen

Zum Tod von Kurt Waldheim (1918 - 2007)

Am vergangenen Donnerstag ist der ehemalige, UNO-Generalsekretär und österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim im Alter von 88 Jahren gestorben. Er erlag einem Herz-Kreislauf-Versagen im Kreise seiner Familie.

Die offiziellen Nachrufe würdigen ihn als großen österreichischen und internationalen Staatsmann. Der frühere österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) sprach von Waldheim als "einen großen Kämpfer für Frieden und Freiheit in der Welt". UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und Diplomaten mehrerer Staaten sprachen der Republik Österreich und der Familie Waldheims ihr Mitgefühl aus.

Niemand seitens der Vereinten Nationen erinnerte an Waldheims Zeit als Nationalsozialist und Wehrmachtsoffizier. Presseberichten zufolge kam "die deutlichste Anspielung an Waldheims Vergangenheit in der NS-Zeit" vom mexikanischen UNO-Botschafter Claude Heller. Er sprach von Waldheim als einem Politiker mit "außergewöhnliche Fähigkeiten" als Diplomat, der einer Generation angehört habe, die eine "turbulente Phase der Geschichte" erlebt habe.

Mit solch beschönigenden Formulierungen spricht der mexikanische UNO-Botschafter von den Jahren 1933 bis 1945, in denen das Hitlerregime den 2. Weltkrieg entfachte, dem rund 50 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Diese "turbulente Phase der Geschichte" umfasste auch den Holocaust, in dem mehr als 6 Millionen Juden vernichtet wurden. Schuld an diesen größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte hatten viele im Naziregime auf sich geladen. Einer davon war Kurt Waldheim. Doch wie so viele andere wurde er dafür nie zur Rechenschaft gezogen.

Zeit seines Lebens hat Kurt Waldheim die Verbrechen der Nationalsozialisten und seine Beteiligung daran verschwiegen, verdrängt, verharmlost und zurückgewiesen.

Waldheim wurde als Sohn eines Lehrers am 21. Dezember 1918 in Niederösterreich geboren. Nach dem Abitur meldete er sich freiwillig zum Militärdienst, von 1937 bis 1938 studierte er Jura in Wien. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Waldheim zur Wehrmacht eingezogen und kam, von Dezember 1940 an als Leutnant, zu einer Kavallerie-Aufklärungseinheit bei der 45. Infanteriedivision.

Mit seiner Division nahm er am Russlandfeldzug teil und wurde im Dezember 1941 verwundet. Nach Lazarettaufenthalten in Frankfurt an der Oder und Wien kam er im April 1942 als Offizier in den Westen Bosniens und war unter anderem als Verbindungsoffizier zu den italienischen Besatzungstruppen eingesetzt.

Ab April 1943 gehörte er als Offizier der Heeresgruppe E an, deren Stab im nordgriechischen Saloniki lag. Als Offizier im Stab General Alexander Löhrs in Saloniki musste er Kenntnis von der Deportation von rund 40.000 Juden in die Konzentrationslager Auschwitz und Treblinka gehabt haben. Ebenso waren ihm die Abtransporte italienischer Gefangener in das Deutsche Reich bekannt, zu einem Zeitpunkt, als zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien kein Kriegszustand herrschte.

In Westbosnien war Waldheim als Stabsoffizier ebenfalls über die dort verübten Massaker an jugoslawischen Partisanen sowie über die Zerstörung zahlreicher Dörfer informiert. Waldheim kannte die taktischen, strategischen und administrativen Anordnungen und war selbst mit der Erstellung von Lageberichten für den Stab befasst.

Waldheim war Mitglied in der Reiterstaffel der SA (Sturmabteilung) der Nazis sowie im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB). Noch während des Kriegs, 1944 schloss Waldheim sein Jurastudium ab und promovierte auch gleich zum Dr. jur. Im Frühjahr 1945 wurde er bis Kriegsende nach Triest versetzt.

Wie in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Alt-Nazis Karriere im neuen Staat machten, schien nach Kriegsende nichts gegen eine steile Diplomaten-Karriere von Kurt Waldheim zu sprechen. Noch 1945 trat er in den diplomatischen Dienst Österreichs ein. 1948 bis 1951 war er Erster Botschaftssekretär in Paris und leitete die Personalabteilung im Außenministerium. Im Mai 1955 wurde Waldheim als ständiger Beobachter Österreichs bei den Vereinten Nationen nach New York entsandt, im März 1956 ging er als Botschafter nach Kanada.

Waldheim nutzte seine alten Seilschaften, um im Diplomatischen Dienst rasch aufzusteigen. Zwischen 1960 und 1964 leitete er diverse Abteilungen im Wiener Außenministerium. Seit der Aufnahme Österreichs in die UN im Jahre 1955 war er zudem jeweils Mitglied der österreichischen Delegation bei den Generalversammlungen der Vereinten Nationen. Von Anfang 1965 an vertrat er dann Österreich bei der UNO.

Von 1968 bis 1970 war der damals noch parteilose Waldheim Außenminister Österreichs. 1971 wurde er dann von der konservativen Volkspartei (ÖVP) für die Bundespräsidentenwahl nominiert. Das Bundespräsidentenamt hat ähnlich wie in Deutschland vor allem repräsentative Aufgaben, der Bundespräsident wird aber anders als in Deutschland durch die Bevölkerung direkt gewählt. Waldheim verlor 1971 diese Wahl, gewann aber kurz darauf als Nachfolger von U Thant aus Birma das Amt des UNO-Generalsekretärs. Dieses Amt hatte er die kommenden zehn Jahre bis 1981 inne.

Die Waldheim-Affäre

1986 stellte ihn die ÖVP erneut für die Bundespräsidentenwahl auf. Waldheim versuchte mit dem Amt des UNO-Generalsekretärs zu punkten. So warb etwa ein Wahlplakat mit dem Slogan "Ein Österreicher, dem die Welt vertraut" und dem Portrait Waldheims vor der Skyline New Yorks.

Hubertus Czernin vom österreichischen Nachrichten-Magazin Profil deckte damals in einem gründlich recherchierten Bericht, Waldheims Rolle während des Kriegs auf. In Erinnerung an die Waldheim-Affäre schreibt Profil heute: "Czernin war nicht der erste Journalist gewesen, der dunkle Winkel in Waldheims Vita entdeckt hatte." Bereits im Frühjahr 1971 - Waldheim stand für die ÖVP im Präsidentschaftswahlkampf - schrieb das rechte Salzburger Volksblatt, Waldheim sei Mitglied der "SS-Reiterstandarte" gewesen. "Davon werde sich die ÖVP aber hoffentlich nicht distanzieren, forderte das rechte Blatt forsch."

Laut Profil war das Gerücht falsch - Waldheim sei nie bei der SS gewesen. Doch das Bedeutende an der Volksblatt- Behauptung war, dass sich buchstäblich niemand für die Nazivergangenheit Waldheims interessierte, schon gar nicht die Sozialdemokraten. Die SPÖ hatte selbst erst kurz zuvor vier ehemalige NS-Mitglieder in ihre damalige Alleinregierung aufgenommen.

1986 war dies dann anders. Kurz zuvor hatte Waldheim ein autobiografisches Buch unter dem Titel "Im Glaspalast der Weltpolitik" veröffentlicht, indem er über seine Zeit während des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg nur wenig und viel Falsches zu berichten hatte. Seine Mitgliedschaft in NS-Organisationen wie dem SA-Reiterkorps und dem Nazi-Studentenbund als auch seine Tätigkeit als Ordonnanzoffizier in Saloniki von 1942 bis 1943 hatte er darin verschwiegen. Waldheim hatte behauptet, er sei an der Ostfront verwundet worden und habe die restliche Kriegszeit in Österreich verbracht. Von seiner Zusammenarbeit mit Wehrmachts-General Alexander Löhr, der am 16. Februar 1947 in Jugoslawien als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde, findet man in Waldheims Buch kein Wort.

Czernin hatte von Waldheim selbst Einsicht in seine Wehrmachtsakte erhalten und darin die Mitgliedschaft in SA und NS-Studentenbund bestätigt gesehen. Zwei Monate vor der Wahl wollte Czernin Waldheim über seine NS-Vergangenheit befragen, als er diesem an einem Abend ins Schloss Ebreichsdorf bei Wien nachfuhr, so Profil, wo die Aristokraten-Familie Drasche Waldheim einen noblen Kandidatenempfang ausrichtete. "Ich bin im Foyer gesessen und habe gewartet", erzählte Czernin später. "Plötzlich kam Waldheim auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte:,Machen Sie sich keine Sorgen.‘" Die Vermerke im Akt könne er sich jedenfalls nicht erklären.

Offenbar hatte Waldheim die Lage damals völlig falsch eingeschätzt. Weil der Journalist Czernin aus "gräflichem Hause" stammte und Waldheim seinen Großvater - den Industriellen Franz-Josef Mayer-Gunthof - gut gekannt hatte, glaubte er offenbar, Czernin wolle ihn bloß warnen.

Doch zwei Tage später, am 3. März 1986, erschien Czernins Artikel unter dem Titel: "Waldheim und die SA". Nur einen Tag später veröffentlichte die New York Times ebenfalls einen Artikel über Waldheim und illustrierte diesen mit einem Foto, das Waldheim in Wehrmachtsuniform an der Seite von SS-Gruppenführer Arthur Phleps im bosnischen Podgorica zeigt.

Czernin fand etwas später auch heraus, dass Waldheim die Zvonimir-Medaille verliehen wurde, eine Auszeichnung des mit den Nazis kooperierenden Ustascha-Regimes in Kroatien.

Waldheims erste Reaktion war Leugnen. Später, als dies unhaltbar war, ging er zur Verteidigung über: "Ich habe im Krieg nichts anderes getan als hunderttausende Österreicher auch, nämlich meine Pflicht als Soldat erfüllt." Bei den Enthüllungen handele es sich um eine groß angelegte Verleumdungskampagne. "Sie werden nichts finden. Wir (!) waren anständig." Daher sei es "doch eine Schande, anständige Soldaten derart in den Kot zu ziehen".

Er verklagte den Vorsitzenden des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Edgar M. Bronfman, der ihn als "Teil und Rädchen der Nazi-Tötungsmaschinerie" bezeichnet hatte. Die Klage nahm Waldheim erst 1988 zurück, nachdem Bronfman sich bereit erklärte, dass der WJC seine Kampagne gegen ihn einstellen werde. Inzwischen hatten die USA Waldheim wegen seiner Vergangenheit als Wehrmachtsoffizier im Zweiten Weltkrieg auf dem Balkan auf die so genannte Watchlist gesetzt, was einem Einreiseverbot gleichkam. Er wurde von der Liste bis zu seinem Tode nicht gestrichen.

Waldheims Anhänger sprachen von einer "Schmutzkübelkampagne". Innerhalb der ÖVP gab es Stimmen, die Waldheim als Opfer "gewisser Kreise an der Ostküste" sahen, eine geläufige antisemitische Chiffre. Die Boulevard-Zeitungen waren voll mit antisemitischen Hetz-Leserbriefen. Michael Graff, damals Generalsekretär der ÖVP, sagte: "Solange nicht erwiesen ist, dass er eigenhändig sechs Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem." Wenig später musste Graff von seiner Position als Generalsekretär zurückzutreten. Dennoch: Der offizielle Slogan in der Präsidentschaftskampagne für Waldheim lautete nun: "Jetzt erst recht!"

Waldheim gewann die Wahl. Bis zum Ende seiner Amtszeit 1991 konnte er nur arabische Staaten und den Vatikan besuchen. In allen anderen Ländern war er zumindest offiziell ein unerwünschter Gast. Die österreichische Bundesregierung unter Kurt Vranitzky (SPÖ) setzte kurz nach Waldheims Wahl eine internationale Historikerkommission ein. Diese konnte keine Hinweise für eine direkte Beteiligung Waldheims an Kriegsverbrechen finden. Die Kommission wies Waldheims Mitgliedschaft in SA und Nationalsozialistischem Deutschen Studentenbund (NSDStB) sowie seine Stationierung als Stabsoffizier und Mitarbeiter des zentralen Nachrichtendienstes der Heeresgruppe E am Balkan nach, welche Waldheim abgestritten hatte.

Im Abschlussbericht der Kommission heißt es: "Die Kommission hat von keinem Fall Kenntnis erhalten, in welchem Waldheim gegen die Anordnung eines von ihm zweifellos erkannten Unrechts Einspruch erhoben, Protest geführt oder irgendwelche Gegenmaßnahmen getroffen hat, um die Verwirklichung des Unrechts zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Er hat im Gegenteil wiederholt im Zusammenhang rechtswidriger Vorgänge mitgewirkt und damit ihren Vollzug erleichtert."

Der Spiegel erinnert in seinem Nachruf auf Waldheim nicht zu Unrecht an den Fall Filbinger: "Der Fall erinnert nicht wenig an jenen des jüngst verstorbenen, früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, dessen Vergangenheit als NS-Marinerichter in Kombination mit seinem ungeheuerlichen und fatalen Ausspruch (‚Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein’) in den siebziger Jahren seinen Rücktritt vom Amt des Stuttgarter Regierungschefs erzwang."

In der Tat hat Waldheim - genau wie Filbinger - sich niemals von den Nazis distanziert. Noch in seinem schriftlichen Vermächtnis, kurz vor seinem Tod geschrieben, streitet er jegliche Verantwortung ab und zeichnet das Bild desjenigen, der nicht mehr als seine Pflicht getan hat. "Ja, ich habe auch Fehler gemacht", schreibt Waldheim kurz vor seinem Tod. "Es waren aber sicher nicht jene der Mitläufer- oder gar Mittäterschaft mit einem verbrecherischen Regime." Die "Ursachen für die zu späte Aufarbeitung des Geschehens" sieht er "vor allem in der Hektik meines übervollen internationalen Lebens - über Jahre und Jahrzehnte hinweg".

"Es war aber wohl auch jene Staatsraison, die wir junge Nachkriegs-Diplomaten zu vertreten hatten und die uns Österreicher als ‚Hitlers erstes Opfer’ den Weg zu Freiheit und Staatsvertrag geöffnet hatte." Die "monströsen Beschuldigungen" gegen ihn hätten mit seinem Leben und seinem Denken nichts zu tun. Er war betroffen, gekränkt, ja entsetzt "über Inhalt und Ausmaß dieser Vorwürfe."

Waldheims Tod erinnert daran wie stark der politische Einfluss einer ganzen Schicht von unverbesserlichen Alt-Nazis in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Österreichs gewesen ist.

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