Nach fast sechs Wochen Streik der Telekom-Beschäftigten stimmte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am vergangenen Mittwoch einer Vereinbarung zu, die in allen wesentlichen Punkten die Forderungen des Konzerns übernimmt.
Bereits in wenigen Tagen - am 1. Juli - werden 50.000 Beschäftigte in drei neue Telekom-Servicegesellschaften ausgelagert. Verdi stimmte einer drastischen Senkung der Löhne, längeren Arbeitszeiten und schlechteren Arbeitsbedingungen zu. Der Konzern hat damit sein Ziel erreicht, bis 2010 500 bis 900 Millionen Euro im Jahr einzusparen. "Wir bewegen uns gut im Zielkorridor", kommentierte Personalvorstand Thomas Sattelberger das Ergebnis.
Selten zuvor ist eine Gewerkschaft streikenden Arbeitern derart offensichtlich und schamlos in den Rücken gefallen. Wir rufen die Telekom-Beschäftigten auf, bei der für Donnerstag und Freitag kommender Woche angesetzten Urabstimmung mit Nein zu stimmen und das Verhandlungsergebnis abzulehnen.
Gleichzeitig ist es notwendig, unabhängig von Verdi eine eigene Streikleitung aufzubauen, um den Arbeitskampf weiterzuführen. Die Verdi-Funktionäre haben in den vergangenen Wochen den Streik systematisch zurückgefahren und die Streikenden isoliert. Zu keinem Zeitpunkt waren sie bereit den Arbeitskampf auszuweiten und einen "Erzwingungsstreik" zu führen.
Jetzt wollen sie einen Abschluss durchsetzen, der sich eindeutig gegen die Streikenden richtet. Dabei pochen sie auf die Verdi-Satzung, laut der lediglich eine Zustimmung von 25 Prozent nötig ist, um das Verhandlungsergebnis anzunehmen und den Streik zu beenden. Oder anders gesagt: selbst wenn 74 Prozent dagegen stimmen, wird das Verhandlungsergebnis angenommen und der Arbeitskampf abgewürgt.
Aber das Streikrecht ist nicht von der undemokratischen Satzung der Gewerkschaft abhängig. Es ist ein Grundrecht und darf nicht der Willkür von Funktionären untergeordnet werden, die gemeinsam mit der Telekom-Geschäftsleitung im Aufsichtsrat sitzen und der SPD angehören, die als Regierungspartei die Interessen des größten Anteilseigner vertritt.
Verdi-Funktionäre sind noch am Tag der Vereinbarung ausgeschwärmt, um auf Betriebs- und Streikversammlungen das Verhandlungsergebnis schönzureden und jeden, der dagegen auftritt, mundtot zu machen. Um eine Mehrheit gegen den Ausverkauf zu gewinnen, ist es notwendig, die Fakten in aller Deutlichkeit darzulegen.
Im Einzelnen beinhaltet die Vereinbarung folgendes: Bereits im kommenden Monat müssen die 50.000 Beschäftigten in den neuen Servicegesellschaften jede Woche vier Stunden länger arbeiten. Die Arbeitszeit steigt auf 38 Wochenstunden. Einen Lohnausgleich gibt es dafür nicht. Alleine diese unbezahlte Mehrarbeit bedeutet eine Lohnsenkung von mehr als 10 Prozent. Vereinbart wurde auch, den Samstag als "neuen Kundentag" einzustufen. Dieser Tag gilt künftig als Regelarbeitszeit, mit anderen Worten: alle Zuschläge entfallen.
Damit nicht genug. Die Löhne werden um 6,5 Prozent gekürzt. Um diese zusätzliche Lohnsenkung gegen die streikenden Beschäftigten durchzusetzen, hat Verdi einen Stufenplan vereinbart, der vorsieht, dass die Telekom in den ersten 18 Monaten den Lohn auf die bisherige Höhe aufstockt. In den folgenden zwölf Monaten werden dann nur noch zwei Drittel der Lohndifferenz ausgeglichen und in den nächsten zwölf Monaten ein Drittel. Die Ausgleichszahlungen enden am 31. Dezember 2010. Ab dann tritt die 6,5-prozentige Lohnkürzung zusätzlich zur unbezahlten Arbeitszeitverlängerung voll in Kraft.
Besonders hart sind Auszubildende und andere Neueinstellungen betroffen. Für sie gelten neue Tarife, deren Einstellungsgehälter um 30 Prozent niedriger sind. So werden zwei Kategorien von Beschäftigten geschaffen mit dem Ziel, die Belegschaft zu spalten. Nach Telekom-Angaben schwanken diese neuen Einstellungsgehälter zwischen 1.750 und 1.900 Euro brutto im Monat.
Obwohl Verdi in allen Kernbereichen vor der Konzernleitung unter René Obermann kapituliert hat, besitzt die Gewerkschaft die Frechheit, das Verhandlungsergebnis als Erfolg darzustellen. In einer ersten Pressemitteilung unter der Überschrift "Griff in die Tasche der Beschäftigten abgewehrt" schreibt Verdi, sie habe sich mit der Deutschen Telekom "auf einen Kompromiss geeinigt, der sicherstellt, dass die Gehälter der von der geplanten Auslagerung in Service-Gesellschaften betroffenen 50.000 Beschäftigten auf absehbare Zeit in voller Höhe gesichert sind."
Das ist schlicht gelogen! Die unbezahlte Mehrarbeit von vier Stunden die Woche, die alle Ausgegliederten ab sofort leisten müssen, bedeutet Lohnsenkung. Dass Verdi Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich nicht als Einkommensverlust bezeichnet, macht nur deutlich, in welchem Ausmaß sie die Argumente der Konzernleitung übernommen hat.
Dann behauptet Verdi, die Lohnsenkung ab 2009 würde "durch die dann fällige Lohnrunde ausgeglichen". Auch das ist reine Augenwischerei. Fakt ist, dass Verdi für das kommende Jahr eine Null-Runde vereinbart hat, und zwar nicht nur für die von der Ausgliederung Betroffenen, sonder für alle Beschäftigten der T-Com und der Konzernzentrale. Mit anderen Worten: die von der Gewerkschaft als Erfolg gepriesene Ausgleichszahlung wird durch Lohnzurückhaltung aller Beschäftigten finanziert.
Auch die als Erfolg gepriesene Ausweitung des Kündigungsschutzes bis zum 31. Dezember 2012 ist völlig unverbindlich. Sie soll vor allem Verdi helfen, die restlichen Vereinbarungen zu verkaufen. Auf Nachfrage teilte ein Telekom-Sprecher der WSWS mit, dass der Ende 2005 angekündigte Abbau von 32.000 Arbeitsplätzen "uneingeschränkt fortgesetzt" werde
Außerdem sind die neuen Servicegesellschaften nur bis Ende 2010 vor einem Verkauf geschützt. Was danach stattfindet, ist völlig offen. Und schließlich hat die Konzernleitung durchaus ein Interesse daran, hochqualifizierte und erfahrene Mitarbeiter zu den von Verdi vereinbarten Billiglöhnen zu behalten.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum das Ergebnis abgelehnt werden muss. Wenn es Verdi gegen den Widerstand der Beschäftigten durchsetzt, wird der Abgruppierungs-Vertrag als Präzedenzfall dienen. In vielen Industriebetrieben und Serviceunternehmen liegen bereits ähnliche Maßnahmen zur Senkung der Löhne und Verlängerung der Arbeitszeit fertig ausgearbeitet in den Schubladen. Mit der Telekom-Vereinbarung soll eine Schleuse geöffnet werden, um eine Welle sozialer Abgruppierungen einzuleiten, wie sie bisher in Deutschland noch nicht stattgefunden haben.
Politische Lehren
Es ist kein Zufall, dass Regierungssprecher Thomas Steg unmittelbar nach der gemeinsamen Pressekonferenz, auf der Verdi und die Telekom-Geschäftsleitung am Mittwoch "den Kompromiss" bekannt gaben, erklärte, das Bundeskabinett habe die Einigung "zur Kenntnis genommen und ausdrücklich begrüßt". Die Bundesregierung ist bekanntlich Hauptaktionärin des Unternehmens, und alle wichtigen strategischen Entscheidungen in Bezug auf die Telekom werden in enger Absprache mit dem Finanzministerium von Peer Steinbrück (SPD) und dem Arbeitsministerium von Franz Müntefering (SPD) getroffen.
Folglich richtete sich der Streik nicht nur gegen den Telekom-Vorstand, sondern auch gegen die Bundesregierung. Genau deshalb war Verdi nicht bereit, den Streik konsequent zu führen, und fiel den Beschäftigten in den Rücken. Verdi ist aufs engste mit der SPD verbunden und unterstützt in vielfältiger Weise die Politik der Großen Koalition.
Deshalb warnten wir bereits in einer Erklärung am 16. Mai vor einem drohenden Ausverkauf durch die Gewerkschaft:
"Schon jetzt, wenige Tage nach Streikbeginn, muss man mit aller Deutlichkeit sagen: Bleibt dieser Streik unter der Kontrolle der Verdi-Funktionäre, ist er zum Scheitern verurteilt.
Die Unterstützung des Streiks muss folglich mit einem Kampf gegen die opportunistische Politik der Gewerkschaft einhergehen. Der Angriff der Konzernleitung und der hinter ihr stehenden Regierung erfordert eine grundlegend neue politische Strategie. Die Produktion muss der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als Ganzer gestellt werden.
Der Streik muss zum Ausgangspunkt gemacht werden, mit den alten nationalen Organisationen, den Gewerkschaften und der SPD, zu brechen und Arbeiter in allen Branchen und an allen Standorten europa- und weltweit zusammenzuschließen, um für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft zu kämpfen."
Diese Einschätzung hat sich vollauf bestätigt. Die feige Kapitulation von Verdi macht einen Kampf gegen Lohnsenkung, Arbeitszeitverlängerung und Sozialabbau nicht unmöglich, sondern zeigt, dass man sich auf eine lange politische Auseinandersetzung einstellen muss. Deshalb wenden wir uns an alle Telekom-Beschäftigten, die den Ausverkauf durch Verdi ablehnen, und auch an diejenigen, die den Streik bisher unterstützt haben. Wir sind bereit, die Weiterführung des Streiks und die Auseinandersetzung mit Verdi tatkräftig zu unterstützen. Nehmt Kontakt auf mit der Redaktion der World Socialist Web Site (WSWS) auf und diskutiert diese Fragen mit Kollegen.