Sarkozys Krönungsfeier

Rechter Innenminister wird offizieller Präsidentschaftskandidat

Das Spektakel, mit dem Nicolas Sarkozy am vergangenen Sonntag zum Präsidentschaftskandidaten der französischen Regierungspartei UMP gekrönt wurde, jagt einem unvermittelt einen Schauer über den Rücken, besonders wenn man es von der deutschen Seite des Rheins aus verfolgt.

Sicher, man sollte sich in der Politik vor oberflächlichen Parallelen hüten. Sarkozy ist kein Faschist und die gaullistische UMP keine faschistische Bewegung - zumindest noch nicht. Doch vieles an Sarkozys Stil weckt unangenehme Erinnerungen an die schlimmste Periode der deutschen Vergangenheit.

Da ist der Massenaufmarsch von 80.000 jubelnden Mitgliedern einer Partei, die sich selbst "Bewegung" nennt - "Bündnis für eine Volksbewegung", wie die genaue Übersetzung des Parteinamens lautet. Da ist das 98-Prozent-Ergebnis für den Kandidaten. Und da ist die pausenlose Beschwörung von Ehre, Nation und Vaterland.

In seiner bombastisch inszenierten Rede verurteilte Sarkozy den Klassenkampf und predigte die Überwindung des Gegensatzes zwischen Links und Rechts im Namen aller guten Franzosen: "Mein Frankreich ist das aller Franzosen, die im Grunde nicht genau wissen ob sie rechts, links oder in der Mitte stehen, weil sie vor allem gutwillig sind."

Er versöhnte das Unversöhnliche: "Mein Frankreich ist das Land, das die Synthese zwischen Ancien Régime und Revolution, zwischen dem Staat der Capets und dem republikanischem Staat vollzogen hat." Er beschwor Jean Jaurès, den zu Beginn des Ersten Weltkriegs ermordeten Kriegsgegner und Sozialisten, ebenso wie Georges Clemenceau, der 1918 als Premierminister gelobte, den Krieg bis zum Letzten fortzusetzen. Er berief sich in einem Atemzug auf den Revolutionär Danton, den Kolonialisten Jules Ferry und General De Gaulle.

Er appellierte an tausendjährige Traditionen: "Wir sind die Erben von zweitausend Jahren Christenheit und eines Schatzes geistiger Werte". Und er setzte die Erfüllung seines eigenen "Traums", Präsident zu werden und "Frankreich nützlich zu sein", mit "dem Sieg Frankreichs" gleich. Bescheidenheit ist nicht seine Tugend.

Bonapartistisch geprägtes Regime

Sarkozy kennt keine Parteien und Klassen mehr, er kennt nur noch gute und schlechte Franzosen. Seine überbordende Rhetorik, seine Appelle an alle Franzosen über politische, soziale und sonstige Schranken hinweg, werden oft als reine Wahlkampftaktik gesehen, als Versuch, die Wählerbasis über die gaullistische Stammwählerschaft hinaus zu erweitern. Sie sind aber mehr als das.

Sarkozy versucht, einen neuen Mechanismus für die Herrschaft der französischen Bourgeoisie zu entwickeln. Sein Ziel ist ein bonapartistisch geprägtes Regime mit starken autoritären Zügen, das sich einerseits auf den Staatsapparat, andererseits auf eine amorphe Masse verunsicherter Kleinbürger und desorientierter Arbeiter stützt. Daher seine soziale Demagogie, die stark an die Redeweise eines Mussolini, eines Goebbels oder anderer Vertreter autoritärer Regime erinnert.

Als Innenminister hat er sich als harter Verfechter von Law and order, als rechter Provokateur und als Freund und Beschützer der Polizei einen Namen gemacht. Laut Presseberichten hat er 26.000 Polizisten persönlich die Hand geschüttelt. Als Präsidentschaftskandidat gibt er sich als Vertreter einer Republik, die auf "den Werten Ordnung, Verdienst, Arbeit und Verantwortung" beruht und sich als äußerst autoritär und elitär erweist.

Der Schilderung dieser Republik widmete Sarkozy einen beträchtlichen Teil seiner Rede. Unter égalité versteht sie nicht soziale Gleichheit, sondern "gleiche Aufstiegschancen für alle". Sie fürchtet "weder Orientierung, noch Selektion, noch republikanisches Elitedenken, das die Voraussetzung für den sozialen Aufstieg bildet".

Jedes Recht zieht Pflichten nach sich: "Die Pflichten sind das Gegenstück der Rechte." Niemand soll empfangen ohne zu leisten: "Ich schlage vor, dass kein gesellschaftliches Minimum gewährt wird ohne Gegenleistung in Form einer gemeinnützigen Aktivität".

Disziplin und Ordnung werden groß geschrieben. Sarkozy will "eine Schule der Autorität und des Respekts, in der der Schüler aufsteht, wenn der Lehrer eintritt, die Mädchen keinen Schleier tragen und die Schüler keine Mütze aufbehalten".

Am deutlichsten werden Sarkozys Anleihen bei faschistischen Argumentationsmustern, wenn er über die Arbeit schwadroniert.

Zweck der Republik sei "die Anerkennung der Arbeit als Quelle des Eigentums und des Eigentums als Verkörperung der Arbeit", verkündet er. Die "moralische Krise unseres republikanischen Modells" führt er auf die "Abwertung der Arbeit" zurück: "Die Arbeit ist abgewertet, das arbeitende Frankreich ist demoralisiert".

Der gaullistische Präsidentschaftskandidat geht so weit, der offiziellen Linken Verrat am Arbeiter vorzuwerfen: "Die Rechte hat den Arbeiter lange ignoriert und die Linke, die sich einst mit ihm identifizierte, hat ihn schließlich verraten. Ich will Präsident eines Frankreich sein, das den Arbeiter wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft stellt."

Selbst für bessere Löhne macht sich der erklärte Unternehmerfreund Sarkozy stark: "Die Arbeit wird nicht genügend belohnt, gewertet, respektiert. Daher ist die Kaufkraft zu schwach, sind die Löhne zu niedrig und die Abgaben zu hoch".

Die Glorifizierung der Arbeit als moralische Grundlage der (kapitalistischen) Gesellschaft und des Eigentums ist ein Grundmuster der korporatistischen Ideologie des Faschismus. Es richtet sich gegen die demokratischen und sozialen Rechten der Arbeiter, insbesondere gegen das Streik- und das Organisationsrecht. Arbeit ist ein ethisches Prinzip. Sie dient dem Gemeinwohl. Sie ist der Gesellschaft und dem Eigentum verpflichtet. Streiks dagegen dienen egoistischen und Partikularinteressen, verstoßen gegen die Ethik der Arbeit, sind unmoralisch und daher im Interesse der Allgemeinheit zu unterdrücken.

Sarkozy ist sich dieses Zusammenhangs bewusst. Er verbindet sein Lob auf die Arbeit mit der Forderung nach gesetzlicher Einschränkung der Streiks im öffentlichen Dienst, die das Land in den vergangenen Jahren in regelmäßigen Abständen erschüttert haben. Er wettert gegen die Streikenden, die die Nutzer des öffentlichen Diensts regelmäßig zu "Geißeln" machten. Noch im Sommer will er per Gesetz eine garantierte Grundversorgung und eine geheime Urabstimmung bei Streiks im öffentlichen Dienst erzwingen.

Außerdem schlägt er einen obligatorischen, sechsmonatigen Zivildienst für alle Jugendlichen vor - eine Art von Zwangsarbeit.

Wer erinnert sich nicht an die zynische Inschrift am Tor des Konzentrationslagers Auschwitz, "Arbeit macht frei". Wohl unabsichtlich, aber trotzdem bezeichnend, leitet Sarkozy seinen Wortschwall über den Wert der Arbeit mit den Worten ein: "Arbeit ist Freiheit".

Politischer Wendepunkt

Der Aufstieg Sarkozys zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten der UMP vollzog sich gegen den erbitterten Widerstand der alten gaullistischen Garde. Vor allem Präsident Jacques Chirac und seine engsten Vertrauten widersetzten sich dem Außenseiter.

Sarkozy ist der Sohn eines ungarischen Adligen, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Frankreich emigrierte und fünf Jahre in der Fremdenlegion diente, sowie einer griechisch-jüdischen Mutter. Die Mutter wurde vom Vater mit drei Kleinkindern im Stich gelassen, die sie alleine großzog, während sie gleichzeitig beruflich Karriere machte. Sarkozy hat aus dieser Jugend einen unstillbaren Ehrgeiz mitgebracht sowie den Willen, sich unter allen Umständen nach oben zu boxen. Anders als die meisten anderen Mitglieder der politischen Elite Frankreichs durchlief er nicht die Kaderschmiede ENA.

Seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten kennzeichnet einen politischen Wendepunkt, der nur vor dem Hintergrund der internationalen Lage Frankreichs und der scharfen sozialen Spannungen im Innern verstanden werden kann.

Seit Jahren bemüht sich die politische und wirtschaftliche Elite Frankreichs, den Herausforderungen der Globalisierung gerecht zu werden und ihre Stellung auf dem Weltmarkt zu behaupten, indem sie die sozialen Errungenschaften der Nachkriegsperiode zerschlägt und umfangreiche Privatisierungen durchführt. Dabei ist sie auf erbitterten Widerstand in der Arbeiterlasse und der Jugend gestoßen.

Seit 1995 wurde das Land in regelmäßigen Abständen von großen sozialen Bewegungen erschüttert, die oft wochenlang dauerten und nur mit Hilfe der Gewerkschaften, der offiziellen linken Parteien und der kleinbürgerlichen Radikalen unter Kontrolle gebracht werden konnten. Im Laufe dieser Entwicklung haben sich diese Organisationen zunehmend diskreditiert. Neue Schichten und Generationen sind in den Kampf eingetreten, die ihnen zunehmend fern stehen.

Die Sozialistische Partei erlebte schon 2002 ein Debakel, als ihr Präsidentschaftskandidat Lionel Jospin in der ersten Runde der Präsidentenwahl dem rechtsextremen Jean-Marie Le Pen unterlag. Seither sind die Sozialistische Partei - und in ihrem Gefolge die Kommunistische Partei und die kleinbürgerlichen Radikalen von der Ligue Communiste Révolutionnaire und Lutte Ouvrière - weiter nach rechts gerückt. Mit Ségolène Royal haben die Sozialisten eine Präsidentschaftskandidatin aufgestellt, deren Programm sich nur noch in Nuancen von dem Sakozys unterscheidet.

Unter diesen Umständen sucht die herrschende Klasse nach neuen, direkteren Methoden, um ihre Herrschaft zu sichern. Sie sucht nach einem Ausweg aus einer gesellschaftlichen Pattsituation, die sie immer wieder zwingt, ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse zu verlangsamen und Zugeständnisse zu machen, wie dies im vergangenen Jahr mit dem Rückzug des Ersteinstellungsvertrags CPE der Fall war. Das ist der Grund für den wachsenden Einfluss Sarkozys.

In den vergangenen Wochen haben sich führende Parteigrößen der UMP - wie Ex-Premier Alain Juppé und Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie, lange Zeit Favoritin Chiracs - hinter Sarkozy gestellt. Chirac selbst hält die Möglichkeit, selbst zu kandidieren, zwar immer noch offen. Das gilt aber inzwischen als aussichtslos.

Auch in der Wirtschaft findet Sarkozy wachsende Unterstützung. Zu seinen Förderern und Geldgebern gehören der Rüstungsproduzent und Zeitschriftenverleger Arnaud Lagardère, der Bau- und Fernseh-Tycoon Martin Bouygues und der Chef der Luxus-Gruppe LVMH Bernard Arnault.

Bonapartistische Herrschaftsformen haben in Frankreich eine lange Tradition, beginnend mit dem ersten und dem dritten Napoleon bis hin zu General de Gaulle, dem großen Vorbild Sarkozys, der 1959 ein Regime mit starken autoritären Zügen bildete.

Die heutige Lage unterscheidet sich allerdings grundlegend von damals. De Gaulle hatte die Macht auf dem Höhepunkt des Algerienkriegs übernommen, als ganz Frankreich in einen Bürgerkrieg zu versinken drohte. Der wirtschaftliche Aufschwung der anschließenden Jahre, die rasche Industrialisierung und die damit verbundene Verlagerung der Bevölkerung vom Land in die Städte untergrub sein Regime. Ein Jahr nach dem Generalstreik von 1968 musste De Gaulle schließlich abdanken.

Ein bonapartistisch geprägtes Regime unter Sarkozy wäre weder zu sozialen Zugeständnissen noch zu einer Erhöhung des Lebensstandards bereit. Seine Aufgabe bestünde darin, den Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend mit brachialer Gewalt zu unterdrücken. Seine autoritären und faschistischen Züge würden immer deutlicher hervortreten.

Bisher sind die Bemühungen Sarkozys und seiner Hintermänner, eine soziale Basis für ein derartiges Regime zu schaffen, allerdings mehr fiktiv denn real. Die UMP ließ es sich 3,5 Millionen Euro kosten, das Wahlspektakel vom Sonntag zu organisieren und den Eindruck einer Massenbewegung zu erzeugen. Die UMP hat ihre Mitgliederzahl zwar in jüngster Zeit verdreifacht, aber die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, einschließlich breiter Teile der Mittelklassen, stehen der offiziellen Politik feindlich gegenüber. Das beweist die große Sympathie, auf welche die großen sozialen Bewegungen immer wieder stoßen.

Dennoch ist die Gefahr, die von Sarkozy ausgeht, nicht zu unterschätzen. Seine eigentliche Stärke besteht in der Rolle der sogenannten "Linken" - der Gewerkschaften und der Linksparteien, einschließlich der Radikalen -, denen es immer wieder gelungen ist, die großen sozialen Bewegungen in eine Sackgasse zu führen.

Ohne den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Partei, die die Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms vereint, droht Sarkozy zu einer ernsthaften Gefahr zu werden.

Siehe auch:
Die sozialen Bewegungen in Frankreich: Politische Lehren aus zehn Jahren - Teil 1
(27. Mai 2006)
Die sozialen Bewegungen in Frankreich: Politische Lehren aus zehn Jahren - Teil 2
( 30. Mai 2006)
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