Als am vergangenen Mittwoch der Prozess gegen den ehemaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz begann, drängte sich ein Großaufgebot von Journalisten und Kamerateams in den Eingang des Braunschweiger Landgerichts. Draußen hatten wütende Arbeiter den früheren VW-Manager, der noch immer Mitglied der IG Metall und der SPD ist und als Kanzlerberater für Gerhard Schröder (SPD) die nach ihm benannten Arbeitsmarktreformen ausgearbeitet hatte, mit Zurufen "Lump", "Arbeiterverräter" oder "Hartz in den Knast" empfangen.
Drinnen machte das Gericht im wahrsten Sinne kurzen Prozess. Obwohl die Anklageschrift Hartz insgesamt 44 Straftaten zur Last legte, darunter Bestechung, unerlaubte Beeinflussung und Untreue im Umfang von 2,6 Millionen Euro, beschränkte sich die Verhandlung auf wenige Stunden. Nach kurzer Beratung erklärte die Vorsitzende Richterin Gerstin Dreyer, es habe unter allen Beteiligten eine vorherige Absprache gegeben. Falls Hartz ein umfassendes und glaubwürdiges Geständnis ablege, werde das Strafmaß auf zwei Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von rund 300.000 Euro beschränkt.
Unter keinerlei Umständen wollte der VW-Konzern zulassen, dass Einzelheiten über die Bestechung des langjährigen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert und mindestens 23 weiterer Betriebsräte vor Gericht verhandelt werden. Denn dann käme womöglich die Frage auf, welche Gegenleistung Betriebsratschef Volkert dafür erbracht hat, dass er in den Jahren 1995 bis 2005 "Sonderboni" von insgesamt 1,949 Millionen Euro erhalten hat - die Zahlungen an seine brasilianische Geliebte in Höhe von 399.000 Euro nicht mitgerechnet.
"Es wäre schon interessant gewesen, im Gerichtssaal oder eventuell später vor dem Bundesgerichtshof die Frage zu diskutieren, ob das angebliche Schmieren eines Betriebsratschefs dem Unternehmen schadet oder nutzt. Vielleicht hat sich das Geld ja rentiert. Denn jeder Tag Tariffrieden ist eine Menge Bares wert," schreibt Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung.
Weitaus weniger Medienauftrieb hat Anfang Januar die Nachricht ausgelöst, dass dieselbe Braunschweiger Staatsanwaltschaft Anklage gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Hans-Jürgen Uhl erhoben hat. Uhl ist neben Volkert eine der Schlüsselfiguren in den dunklen Machenschaften und mafiösen Strukturen des VW-Betriebsrats. Die Staatsanwaltschaft legt ihm sieben Straftaten zur Last, darunter Untreue und falsche eidesstattliche Versicherung.
Uhl wird vorgeworfen, sich als ehemaliger VW-Betriebsrat auf Firmenkosten mit Prostituierten im spanischen Barcelona und koreanischen Seoul vergnügt zu haben. Den Ermittlungen zufolge soll Uhl an mindestens zehn Sexpartys beteiligt gewesen sein, darunter auf Reisen nach Mexiko, Shanghai, Pamplona und immer wieder in Hannover. Acht Fälle gelten mittlerweile als verjährt.
Nach Aussagen des früheren VW-Managers Klaus-Joachim Gebauer, der für die Bezahlung der Lustreisen für die gekauften Betriebsräte zuständig war, habe Uhl nicht nur regelmäßig Geld von ihm bekommen um seine persönlichen Prostituierten zu bezahlen. Uhl und er selbst hätten auch als "Vorausteam" in Barcelona oder Budapest die Örtlichkeiten und die Prostituierten ausgesucht. Für die VW-Betriebsräte " musste alles stimmen, und es musste alles top sein", gab Gebauer zu Protokoll.
Außerdem habe Uhl, so die Anklage, im Streit mit Medien in fünf eidesstattlichen Versicherungen erklärt, niemals auf Firmenkosten Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft wartet nun mit 21 Zeugen auf, darunter sollen sich neben Gebauer und anderen VW-Mitarbeitern auch einige Prostituierte befinden. Mehrere Akten-, beziehungsweise Beweismittelordner mit umfangreichen Aussagen und Berichten aus dem Rotlichtmilieu liegen dem Gericht vor. Uhl bestreitet nach wie vor sämtliche Vorwürfe.
Der Bundestag sah sich bereits Mitte Dezember 2006 dazu gezwungen, die Immunität des Abgeordneten aus dem Wahlkreis Helmstedt-Wolfsburg aufzuheben.
Bezeichnenderweise erhielt Uhl Rückendeckung aus der SPD. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, der auch Vorsitzender des SPD-Bezirks Braunschweig ist und als ehemaliger Ministerpräsident von Niedersachsen im Aufsichtsrat von VW eine führende Rolle einnahm, wies Forderungen zurück, Uhl solle sein Bundestagsmandat ruhen lassen. Für ihn habe Uhl in Berlin eine "exzellente Arbeit" geleistet, sagte Gabriel. Auch SPD-Fraktionschef Peter Struck stellte sich hinter Uhl.
Der 55-jährige Hans-Jürgen Uhl ist ein Musterexemplar jener sozialdemokratischen Karrieristen, denen es in den 80er und 90er Jahren mühelos gelungen ist, eine steile Gewerkschafts- bzw. Betriebsratskarriere hinzulegen. Als ehemaliger Lehrer häufte er sich emsig Pöstchen in der SPD an. 1990 wechselte er dann zur Volkswagen AG, um dort auf Anhieb Geschäftsführer des Gesamt- und Konzernbetriebsrats zu werden. Schon bald sollte er auch das Amt des Generalsekretärs des Europäischen Konzernbetriebsrats bekleiden.
Sozialpartnerschaft und Co-Management
Die Korruptionsaffäre bei VW, die das ganze Ausmaß der Verkommenheit von bezahlten Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären ans Licht bringt, stößt nicht nur bei VW-Arbeitern auf Verachtung und Missbilligung. Es mag zwar eine neue Erscheinung sein, dass Konzernbetriebsräte sich derart abgehoben und obszön von der Geschäftsleitung aushalten lassen. Doch spätestens seit den 80er Jahren, als sich die Globalisierung der Produktion mit zunehmender Geschwindigkeit entwickelte, gingen die Gewerkschaften und die Betriebsräte dazu über, sich als Co-Manager in den Betrieben zu betätigen.
Die Globalisierung ermöglichte es den weltweit operierenden Konzernen, ihre Produktion jederzeit zu verlagern und die Arbeitskosten stetig zu senken. Der althergebrachten gewerkschaftlichen Politik, die sich auf den Nationalstaat gründete, wurde damit der Boden entzogen. Die Gewerkschaften, die in den sechziger und siebziger Jahren Druck auf die Konzernleitungen ausübten, um zumindest in Einzelfragen Verbesserungen für die Arbeiter zu erreichen, begannen in wachsendem Maße, Druck auf die Arbeiter auszuüben, damit diese Zugeständnisse in Form von Lohnsenkung und Sozialabbau akzeptieren. Dies geschah stets mit dem Argument, nur so könnte der eigene Produktionsstandort gegen die internationale Konkurrenz verteidigt werden.
Diese Entwicklung hat zu einem weltweiten Niedergang der Gewerkschaften und zu ihrer Verwandlung in Co-Manager der Konzerne geführt.
Uhl und seinen Kollegen in den Gewerkschaftsetagen ist diese Entwicklung nicht verborgen geblieben. Als Referent des Gesamt- und Konzernbetriebsrats ging er 1991 auf dieses Dilemma ausdrücklich ein und untermauerte dabei auch theoretisch seinen anschließenden Werdegang. Lassen wir ihn daher etwas ausführlicher zu Wort kommen:
"Das Ziel von Betriebsrat und Gewerkschaft kann es nicht sein, einem anderen Land die eigenen Modelle der Mitbestimmung überzustülpen, es gibt kein Patentrezept für Interessenvertretung. Dennoch können wir bei der Entwicklung einer Gewerkschaftsstrategie auf bereits in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik gewonnene Erfahrungen zurückgreifen.
Damals standen zwei Paradigmen einander gegenüber. Der eine Ansatz liegt in der Betriebsratsstrategie einer Ablehnung von Managemententscheidungen und einer nachträglichen Kritik des Das-haben-wir-doch-gleich-Gesagt’. Das andere Paradigma wird als Gestaltungsorientierung bezeichnet und beinhaltet eine frühzeitige Einflussnahme auf Managementkonzepte. Heute hat sich eindeutig das zweite Paradigma durchgesetzt. Es bringt den Vorteil mit sich, Managementkonzepte tatsächlich auch beeinflussen zu können. Allerdings kann diese Art der Mitbestimmung auch belastend wirken, denn sie beinhaltet Mitverantwortung und kann bei unpopulären Entscheidungen zu Legitimationsproblemen des Betriebsrats führen. Es geht daher um einen gegenseitigen Austauschprozess zwischen den Interessenvertretern."
Uhl, Ex-Betriebsratschef Volkert und sein Nachfolger Osterloh sind typische Vertreter dieser Gewerkschaftsstrategie der "frühzeitigen Einflussnahme auf Managementkonzepte". Es verwundert daher nicht, dass der Volkert von Hartz verlangte, man möge sein Einkommen endlich auf die Höhe eines Spitzenmanagers anheben. Was dann auch geschah - samt Bonus und Superbonus.
Wie sich für den VW-Vorstand zeigen sollte, zahlten sich diese Form der Mitbestimmung und die paar Millionen für die freigestellten Betriebsräte in vollem Maße aus. Die Konzernleitung konnte unter der Regie von Personalchef und IG-Metall-Mitglied Peter Hartz und seinen Partnern Uhl und Volkert alles gegen die Belegschaft durchsetzen, was der damalige Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piech verlangte. Mit verschiedenen Arbeitszeit- und Lohnmodellen wurden die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten immer weiter verschlechtert.
Das ging bis zur Entscheidung im vergangenen Jahr, die Vier-Tage-Woche mit 28 Stunden abzuschaffen und auf durchschnittlich 33 Stunden zu erhöhen, ohne vollen Lohnausgleich. Als Gegenleistung verlangten die Betriebsräte die Konzentration der Golf-Produktion auf die deutschen Standorte und nahmen die weitgehende Schließung des VW-Werkes in Brüssel stillschweigend in Kauf. Was sie natürlich nicht daran hinderte in wortreichen Solidaritätstelegrammen den 3.300 Entlassenen VW-Arbeitern in Brüssel ihr Beileid auszudrücken.
Derartiger Zynismus hat bei den VW-Betriesräten eine lange Tradition. Hans-Jürgen Uhl spielte während seiner Zeit als Generalsekretär des Europäischen Konzernbetriebsrats die übelste Rolle, wenn es darum ging, kämpferische VW-Belegschaften in anderen Ländern zu isolieren und ihnen in den Rücken zu fallen.
Das Beispiel, das hier Erwähnung finden soll, lässt eine politische Skrupellosigkeit erkennen, die schwer zu überbieten ist.
Vor sieben Jahren, im Januar 2000, begann im VW-Werk Uitenhage in Südafrika ein spontaner Streik der 6.000 Beschäftigten. Die Wut der Arbeiter richtete sich gegen eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, die von der Wolfsburger Konzernleitung angestrebt wurde. Nach zwei Wochen stellte die Geschäftsleitung ein Ultimatum und entließ 1.300 Arbeiter, die sich ihrem Diktat widersetzten.
Gemeinsam mit dem damaligen Leiter des Zentralen Personalwesens des Konzerns, Dr. Schuster, war damals auch Hans-Jürgen Uhl in Uitenhage, um den Widerstand der Streikenden zu brechen. In einer Stellungnahme versuchte der Gesamtbetriebsrat von VW später das Verhalten von Uhl und sein eigenes Vorgehen zu rechtfertigen.
"Die Lage wurde unhaltbar. Um Lieferverpflichtungen zu erfüllen, hätte bei einer Fortführung des Ausstandes das komplette Exportvolumen aus dem Werk abgezogen werden müssen. Eine offenbar illegal agierende Gruppe hätte damit die Existenz von Tausenden Beschäftigten und deren Großfamilien aufs Spiel gesetzt.
Dem Unternehmen blieb keine andere Wahl, als eine erneute Frist zu setzen: Nur diejenigen Arbeitsverträge behielten ihre Gültigkeit, die von den Mitarbeitern mit Beginn der Frühschicht am 3. Februar erneut unterzeichnet würden. Die überwältigende Mehrheit der rund 6.000 Beschäftigten ergriff diese Chance. Dass dennoch knapp 1.300 Mitarbeiter dieses Angebot nicht nutzten, bedrückt Hans-Jürgen Uhl sehr. Aber weder die IG Metall noch der Konzernbetriebsrat von Volkswagen sahen sich in der Lage, den VW-Vorstand aufzufordern, die Entlassungen zurückzunehmen.
Diese Gruppe hat die Aufrufe der Gewerkschaft, der demokratischen Regierung und des VW-Managements sabotiert und trägt die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit von 1.300 Kollegen. Das unterstreicht Uhl nach Beratungen auch im Weltkonzernbetriebsrat, der IG Metall und dem Internationalen Metallgewerkschaftsbund, dem die südafrikanische NUMSA angehört. Die Verantwortung für die schlimme Entwicklung müsse die Oppositionsgruppe tragen." (Zitiert nach labournet.de)