Die ungarische Revolution von 1956

Der folgende Artikel erschien erstmals im Dezember 1996 in der Zeitung Neue Arbeiterpresse. Wir geben ihn hier mit kleineren redaktionellen Änderungen wieder.

 

Die ungarische Revolution vom Herbst 1956 ist heute, nach fünfzig Jahren, noch immer ein historisches Ereignis, über das widersprüchliche Versionen und zahlreiche Lügen verbreitet werden. Ihre damaligen stalinistischen Henker und die rechten Parteien im heutigen Ungarn stimmen dabei paradoxerweise in einer Frage überein: Beide stellen den Aufstand als antikommunistische Konterrevolution dar, als Erhebung für bürgerliche Verhältnisse und kapitalistische Marktwirtschaft. Die Stalinisten haben damit ihre blutige Niederschlagung des Aufstandes gerechtfertigt, die ungarische Rechte versucht sich als Erbe der heroischen Kämpfer von 1956 darzustellen.

Beide haben Unrecht, das zeigt eine genaue Untersuchung der historischen Ereignisse vom Herbst 1956. Was damals geschah, war der tragisch gescheiterte Versuch der ungarischen Arbeiterklasse, die herrschende stalinistische Bürokratie, ein durch und durch reaktionäres Regime, zu stürzen, Organe wirklicher Arbeitermacht zu errichten und dadurch den Weg zu einer gerechten, sozialistischen Gesellschaft frei zu machen.

Obwohl Ungarn in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg noch ein wirtschaftlich zurückgebliebenes, überwiegend agrarisches Land war, verfügte die kleine, auf wenige Regionen konzentrierte Arbeiterklasse bereits über starke revolutionäre Traditionen. Unter Führung des Kommunisten Bela Kun hatte sie 1918/19 versucht, nach dem Vorbild der Russischen Oktoberrevolution eine Räterepublik zu schaffen. Doch das Unternehmen wurde - nicht zuletzt wegen der schweren Fehler, die Bela Kun machte - durch einen rechten Putsch blutig beendet. Das Regime von Miklos Horthy, das danach an die Macht kam, stützte sich auf die faschistischen Banden von Ferenc Szalasi. Später wurde es einer der treuesten Verbündeten der Nazis. Tausende von Widerstandskämpfern vor allem aus der Arbeiterbewegung wurden in den dreißiger Jahren deportiert oder ermordet.

Viele Kader der Kommunistischen Partei Ungarns, die den Gefängnissen und Hinrichtungskommandos des Horthy-Regimes in die Sowjetunion, ins Pariser Exil oder nach Spanien entkommen waren, fielen den stalinistischen Säuberungswellen zum Opfer. Wer nach 1945 nach Ungarn zurückkehren und in Führungspositionen aufsteigen konnte, hatte sich in der Regel als getreuer Anhänger der stalinistischen Bürokratie bewährt.

Die Lage in Ungarn nach dem Krieg

Nach 1945 brannten die ungarischen Arbeiter darauf, mit den Faschisten und ihren Hintermännern unter den Feudalherren und in der Bourgeoisie gründlich abzurechnen. Sie hofften, die Anwesenheit der Roten Armee in Ungarn würde dies erleichtern. Aber von einer Entmachtung der Bourgeoisie konnte in Ungarn wie in ganz Osteuropa vor 1948 keine Rede sein. In den Abkommen zwischen Stalin und den Imperialisten wurde Ungarn als besiegtes Land eingestuft, das Reparationen zu zahlen hatte. Für diese Reparationszahlungen sollten wiederum die ungarischen Arbeiter aufkommen, die von der Regierung dementsprechend unterdrückt und ausgepresst wurden.

Auch nach Einführung der Planwirtschaft Ende der 40er Jahre sorgten diese Reparationszahlungen für ein Andauern der Wirtschaftskrise. Hinzu kam, dass die Zwangskollektivierung der Bauern zur Stillegung von rund 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche führte. Aufgrund des Kalten Krieges flossen enorme Investitionen in den militärischen Komplex der Industrie und in den Aufbau der ungarischen Volksarmee. Gleichzeitig musste Ungarn vier sowjetische Divisionen unterhalten und versorgen. Die Versorgungslage der Bevölkerung hingegen war schlecht und wurde Anfang der 50er Jahre immer schlechter. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von Seiten der Bürokratie sank der Lebensstandard weit unter das Vorkriegsniveau, während den Arbeitern die Normen ständig heraufgesetzt und immer mehr unbezahlte Sonderschichten verordnet wurden.

Unter diesen Bedingungen konnte die bürgerliche Koalitionsregierung, die 1945 auf Anweisung Moskaus von der Kommunistischen Partei gebildet worden war, nicht lange an der Macht gehalten werden. Die aus Moskau zurückgekehrten stalintreuen KP-Funktionäre übernahmen 1947 die gesamte Macht und bemächtigten sich vor allem des Unterdrückungsapparates. Überwiegend aus Elementen des Horthy-Regimes wurde eine allgegenwärtige politische Polizei aufgebaut, die AVH oder AVO.

Die AVH zeichnete sich vor allem durch ihre Jagd auf alte Widerstandskämpfer und Kommunisten aus, die, wie der langjährige KP-Vorsitzende Laszlo Rajk, nicht im Moskauer Exil ausgewählt und trainiert worden, sondern im Ungarn geblieben waren und im Untergrund gekämpft hatten. Mehrere Säuberungswellen erstickten jede Art politischer Opposition gegen das Parteiregime des stalintreuen Matyas Rakosi. Zahlreiche politische Schauprozesse, Machtkämpfe innerhalb der Bürokratie, Nacht-und-Nebel-Aktionen der Geheimpolizei, Folterungen und Hinrichtungen prägten das innenpolitische Klima.

Parteisäuberungen und Deportationen nahmen zu, nachdem die Kommunistische Partei Jugoslawiens unter Tito sich von Stalin losgesagt hatte und zum Anziehungspunkt für oppositionelle Elemente innerhalb und außerhalb der kommunistischen Parteien geworden war. Viele sahen in Tito eine Alternative zur Kremlbürokratie. Allein zwischen 1952 und 1956 wurde 1.136.434 Menschen der Prozess gemacht, mehr als die Hälfte davon wurde zu Haftstrafen verurteilt. Etwa ein Viertel der Bevölkerung war staatlicher Verfolgung oder Polizeischikanen ausgesetzt.

Vor dem Aufstand

Nach Stalins Tod und vor allem nachdem Chruschtschow auf dem zwanzigsten Parteitag im Frühjahr 1956 einige Verbrechen Stalins aufgedeckt hatte, begannen Arbeiter in Ungarn wie in allen osteuropäischen Staaten Hoffnung zu schöpfen. Ihre Entschlossenheit wuchs, sich gegen die Bürokratie und ihren verhassten Apparat zur Wehr zu setzen. Bereits kurz nach dem Arbeiteraufstand in der DDR 1953 traten in Ungarn 20.000 Arbeiter des Matyas-Rakosi-Stahlwerks im Budapester Industriegebiet Csepel in den Streik. Der Ausstand breitete sich rasch auf andere Städte aus.

Die Regierung sah sich daraufhin gezwungen, den Arbeitern erhebliche Zugeständnisse zu machen. Aus Angst, die Bürokratie insgesamt könne die Kontrolle verlieren, intervenierte Stalins Nachfolger Chruschtschow in Ungarn. Er ersetzte den verhassten Rakosi durch den in der Bevölkerung beliebten Imre Nagy, der nach 1945 als Landwirtschaftsminister eine Landreform durchgeführt hatte. Nagy versprach einen "neuen Kurs", d. h. vor allem die Bereitstellung von mehr Konsumgütern und die Anhebung des Lebensstandards. Dieses Manöver war jedoch nur von kurzer Dauer. Nach 18 Monaten wurde Rakosi wieder in seine Ämter eingesetzt. Aber dies rief nun auch innerhalb der ungarischen KP erhebliche Unruhe hervor, die bis ins Jahr 1956 hinein anhielt.

Auch im Nachbarland Polen gärte es. Am 30. Juni 1956 brach in der Messestadt Posen eine Rebellion unter Arbeitern und Studenten aus. Volksarmee und Staatssicherheit töteten 41 Menschen. Im Oktober desselben Jahres spitzte sich die Krise dermaßen zu, dass bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen und eine Spaltung der Partei drohten. Während die Sowjetarmee in Richtung Warschau in Bewegung gesetzt wurde, reiste der sowjetische Staats- und Parteichef Chruschtschow selbst in die polnische Hauptstadt und versuchte, durch Zugeständnisse die Situation zu entschärfen. Ein oppositioneller Bürokrat, der "Reformer" Gomulka, wurde aus dem Gefängnis entlassen und zum Parteichef gemacht. Gleichzeitig wurden die sowjetischen Befehlshaber der polnischen Armee "verabschiedet" und durch polnische Offiziere ersetzt. Auf diese Weise gelang es der Bürokratie, ihre Herrschaft in Polen vorübergehend zu stabilisieren.

Doch nun brach der Brand in Ungarn aus.

Schon im Frühjahr 1956, unmittelbar nach Chruschtschows Rede, war es dort zunächst vor allem unter Intellektuellen, Schriftstellern und Studenten zu heftigen Protesten gegen das Rakosi-Regime gekommen. Der Kommunistische Jugendverband hatte als eine Art Sicherheitsventil ein Diskussionsforum eingerichtet, das nach dem ungarischen Nationaldichter Petöfi genannt wurde. Dieser Petöfi-Kreis wandelte sich immer mehr zu einem Forum der gesamten politischen Opposition gegen das herrschende Regime. Die Jugendlichen und Intellektuellen forderten die Absetzung Rakosis und die sofortige "Entstalinisierung" Ungarns.

Der sowjetische Botschafter in Ungarn Juri Andropow - späterer Chef des Geheimdiensts KGB und Nachfolger Leonid Breschnews im Amt des Parteichefs - unterrichtete die Sowjetführung recht genau über diese Vorgänge. Diese griff ein, um die Lage zu entschärfen. Rakosi wurde erneut abgesetzt und sicherheitshalber nach Moskau geschickt, wo er bis zu seinem Tod 1971 blieb.

An die Stelle Rakosis trat jedoch nicht wie 1953 der populäre Imre Nagy, sondern der bisherige, in der Bevölkerung ebenso verhasste stellvertretende Parteichef Ernö Gerö. Gerö hatte sich als stalinistischer Henker und Folterknecht während des Bürgerkriegs in Spanien einen Namen gemacht und vor 1945 die Exilpartei in Paris auf einen 200prozentig moskautreuen Kurs getrimmt.

Gerö versprach zwar eine Reformpolitik, ließ einige hundert politische Gefangene frei und organisierte demonstrativ eine Versöhnung mit Tito, der sich inzwischen aus Angst vor den um sich greifenden Arbeiterunruhen seinerseits mit Moskau ausgesöhnt hatte. Aber Gerö war nicht in der Lage, seiner Politik in den Augen der Massen auch nur einen Schimmer von Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Unruhe vor allem in der Jugend nahm täglich zu.

Gerö sah sich schließlich gezwungen, den 1949 nach einem Schauprozess als "Titoist" hingerichteten ehemaligen Führer der ungarischen KP Laszlo Rajk und seine Anhänger zu rehabilitieren. Dies war eine der Hauptforderungen des Petöfi-Kreises gewesen, nachdem Rajks Witwe öffentlich seine Rehabilitation und die Bestrafung seiner Mörder gefordert hatte. Am 6. Oktober wurde für Rajk und drei seiner Mitarbeiter ein großes Staatsbegräbnis veranstaltet. Dieselben Machthaber, die 1949 die Verurteilung und Hinrichtung Rajks organisiert hatten, hielten nun die Trauerreden. Aber zu ihrer Überraschung und ihrem Entsetzen waren zu diesem Ereignis rund 200.000 Menschen gekommen, um ihre Opposition auszudrücken.

Nicht nur die alten Betonköpfe unter den Stalinisten, auch die sogenannten "Reformer" waren durch diese Mobilisierung der Massen zu Tode erschrocken. Sicherheitshalber ließ Gerö als Sündenböcke einige Staatssicherheitsoffiziere verhaften, die für den Tod von Rajk verantwortlich gemacht wurden. All diese Maßnahmen aber hatten den gegenteiligen Effekt. Das Misstrauen in die stalinistische Bürokratie wurde umso tiefer, und das Selbstbewusstsein der Massen wuchs. Überall wurden kleine "Petöfi-Kreise" ins Leben gerufen. Dort konnte die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der wirtschaftlichen und politischen Situation artikuliert werden, und alle möglichen Verbrechen der Bürokratie wurden aufgedeckt. Treibende Kraft in diesen Zirkeln waren zunächst Intellektuelle und Studenten, vor allem die der technischen Fakultäten, von denen viele aus Arbeiterfamilien stammten.

Aber auch in den Betrieben wurden die Diskussionen immer häufiger, länger und heftiger.

Der Aufstand beginnt

Am 15. Oktober traten Studenten aus Szged in Südungarn aus dem stalinistisch kontrollierten Verband der Werktätigen Jugend aus und gründeten ihren eigenen Studentenverband. Am 22. Oktober folgten ihnen die Studenten in Budapest und formulierten Forderungen an Partei und Regierung. Diese Forderungen waren ein buntes Gemisch wirtschaftlicher und politischer Fragen, geprägt von einigen Illusionen in die bürgerliche Demokratie. Sie enthielten auch einige nationalistische Töne.

Die Studenten forderten unter anderem Meinungs- und Pressefreiheit, freie und geheime Wahlen und die Zulassung mehrerer Parteien, das Streikrecht für Arbeiter, die Überprüfung der Arbeitsnormen und die Neuordnung des Wirtschaftslebens.

An erster Stelle standen jedoch drei Forderungen:

  • Abzug der sowjetischen Truppen auf der Grundlage des Friedensvertrages.
  • Neuwahl der mittleren und zentralen Parteiführung der MDP (Ungarische Partei der Werktätigen) von der Basis aufwärts in geheimen Wahlen und innerhalb kürzester Frist. Einberufung eines Parteikongresses zur Wahl eines neuen Zentralkomitees.
  • Regierungsbildung unter Führung des Genossen Imre Nagy. Alle schuldigen leitenden Funktionäre der stalinistischen Ära unter Rakosi sind sofort abzulösen.

Außerdem wurden öffentliche Gerichtsverhandlungen gefordert, in denen die Spitzen der stalinistischen Bürokratie und der Staatsicherheit für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

Zentral war auch die Forderung nach "Überprüfung und Neuordnung der ungarisch-sowjetischen und ungarisch-jugoslawischen Beziehungen in politischer, wirtschaftlicher und geistig-kultureller Hinsicht. Herstellung der völligen Gleichrangigkeit in den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen auf der Grundlage der gegenseitigen Nichteinmischung in innere Angelegenheiten."

Außerdem sollte das Symbol der stalinistischen Tyrannei und Unterdrückung, das Stalin-Denkmal, schnellstens abgetragen und an seiner Stelle ein Denkmal für die Helden des ungarischen Freiheitskampfes von 1848/49 errichtet werden.

Die Mobilisierung der Studenten breitet sich nun immer weiter aus. Die Universitäten sind besetzt. Eine politische Versammlung folgt der anderen. Die Studenten wenden sich den Arbeitern zu, halten spontane Versammlungen an den Fabriktoren ab und werden dort mit großer Begeisterung empfangen.

Am 23. Oktober untersagt die Regierung eine Solidaritätskundgebung für den Aufstand in Polen. Das Verbot wird aber angesichts der drohenden Mobilisierung der Jugend kurz nach seiner Verkündung wieder aufgehoben.

Um 15 Uhr findet eine Kundgebung von 10.000 Menschen vor dem Petöfi-Denkmal in Budapest statt. Dort verliest ein Student unter lautem Jubel die Forderungen an die Regierung. Am Nachmittag ziehen bereits 200.000 Menschen zum Denkmal des Freiheitskämpfers von 1848, General Bem, wo der Schriftsteller Peter Veres einen Aufruf der Schriftsteller verliest und ein polnischer Schriftsteller die Demonstranten begrüßt. Die Studenten hatten Arbeiter, Offiziersschüler und Soldaten zu der Kundgebung eingeladen, die auch zahlreich erschienen. Unter den Demonstranten marschiert auch eine Gruppe aus der parteieigenen Hochschule, dem Lenininstitut, unter roten Fahnen und mit einem großen Leninporträt. Die Menge singt abwechselnd die ungarische Nationalhymne, die Marseillaise und die Internationale.

Am späten Nachmittag zieht die inzwischen auf 300.000 angewachsene Menge vor das Parlament, um eine Rede von Imre Nagy zu hören. Die Studenten sind längst eine kleine Minderheit der Versammelten. Nagy erscheint erst, als es bereits dunkel wird, und hält eine verwirrte kurze Ansprache. Er verspricht, für die Forderungen im Politbüro ein gutes Wort einzulegen, und ruft zu Ruhe und Ordnung auf. Die Menge ist sichtlich enttäuscht. Der Ruf der Demonstranten: "Wir werden nicht auf halbem Weg stehen bleiben, der Stalinismus muss zerstört werden!" wird begeistert von immer größeren Massen aufgegriffen.

Mit Traktoren und jeder Art vor Werkzeug bewaffnet, gehen die Arbeiter daran, das Stalindenkmal zu stürzen. Als es ihnen nicht gelingen will, es umzustoßen, sägen sie die Statue mit einem Schweißgerät einfach oberhalb der Füße ab. Der Koloss fällt, nur ein riesiges Paar leere Schuhe bleibt auf dem Sockel stehen. Die Statue wird im Triumph hinter einem Schlepper durch die Straßen zum Nationaltheater geschleift, wo sie von den Demonstranten bespuckt wird.

Ein anderer Teil der Demonstranten hat sich derweil vor dem Rundfunkgebäude versammelt. Die Studenten fordern die Verlesung ihrer Forderungen im Radio. Als die Menge versucht, sich ihren Weg in das Gebäude zu bahnen, beginnen die zu seinem Schutz abkommandierten AVH-Leute zu schießen. Die Menge skandiert: "Die AVHler sind Mörder! Tod der AVH!" Als die zur Verstärkung herbeigerufenen Soldaten die Situation erkennen, schließen sie sich den Demonstranten an, liefern ihre Waffen aus oder beteiligen sich an der Erstürmung des Radiosenders. Ein ganzes Panzerregiment, das den Befehl hatte, die Demonstration gewaltsam aufzulösen, weigert sich anzugreifen, und die Soldaten vereinigen sich mit der Menge.

Um Mitternacht kommen immer mehr Lastwagen voller Arbeiter aus den Fabriken der Vorstädte Csepel und Ujest an. Sie bringen Munition und Waffen aus den Fabrikdepots mit. Andere Arbeiter fahren zu den Armeekasernen und Arsenalen, um weitere Waffen zu holen, die ihnen meist von den Soldaten freiwillig ausgehändigt werden.

Die Kämpfe setzen sich die ganze Nacht über fort. Die Regierung ruft sowjetische Truppen und Panzereinheiten zu Hilfe, um den Aufstand niederzuschlagen. In den frühen Morgenstunden des 24. Oktober rollen die sowjetischen Panzer über die Straßen der Hauptstadt. Spontan bilden sich überall in den Arbeitervierteln der Stadt Kampfgruppen. Barrikaden werden errichtet. Oft stehen militante kommunistische Arbeiter an ihrer Spitze.

Eine dieser Gruppen, die in der Gegend des Baross-Platzes kämpfte, stand unter der Führung des 32-jährigen jüdischen Fabrikarbeiters Laszlo Nickelsburg. Er war Mitglied der Kommunistischen Partei. Seine gesamte Familie war von den Nazis im Konzentrationslager ermordet worden.

Die größte und wichtigste Kampfgruppe bildete sich in der Corvin Allee, unmittelbar gegenüber den Kiliankasernen. Die Kämpfe hier brachen aus, als Offiziere aus der Kaserne versucht hatten, einige der Demonstranten zu verhaften. Dorthin schickte das Verteidigungsministerium Oberst Pal Maléter mit fünf Panzern, um die Kasernen von ihrer Belagerung zu befreien. Er ließ die Gefangenen frei und handelte einen Waffenstillstand aus. Maléter hatte zunächst versucht, eine Politik der Neutralität zu verfolgen. Als sich jedoch die sowjetischen Panzer näherten, verteidigte er die Kasernen und ihre Umgebung gegen sie, bis am 28. Oktober ein Waffenstillstand verkündet wurde.

Der damals 39-jährige Maléter hatte als Partisanenkämpfer in Transsylvanien gegen die Nazis gekämpft, war 1945 in die Kommunistische Partei eingetreten und dann mit der Reorganisation des ungarischen Militärs betraut worden. Während der gesamten Revolution trug er den roten Stern der Partisanen und betonte immer wieder, dass er nichts sei als ein Kommunist. In einem Interview mit westlichen Journalisten erklärte er: "Wenn wir die Russen los sind, dann glaubt ja nicht, dass wir dann zu den alten Zeiten zurückkehren. Und wenn einige Leute dies wollen, dann werden wir sehen, was wir mit ihnen machen werden!" Während dieser Bemerkung streifte er über seinen Revolver und fügte hinzu: "Wir wollen nicht zurück zum Kapitalismus. Wir wollen Sozialismus in Ungarn."

Maléter, der in der kurzlebigen Regierung Nagy als Verteidigungsminister amtierte, wurde während einer Verhandlung mit Vertretern der Roten Armee unter Führung des KGB-Chefs Serow verhaftet und später zusammen mit Nagy hingerichtet.

Soldaten der Roten Armee solidarisieren sich

Nach vier Tagen erbitterter Kämpfe stimmt die Moskauer Bürokratie einem Waffenstillstand zu und verspricht, ihre Truppen zurückzuziehen. Dieser Entschluss resultierte aber nicht nur aus dem unerwartet hartnäckigen Widerstand der Ungarn, sondern auch aus der Angst heraus, die Soldaten der Roten Armee würden sich ebenfalls dem Aufstand anschließen und könnten vom Geist der Revolution angesteckt werden und ihn auf die sowjetische Arbeiterklasse übertragen.

Wohin die russischen Panzerkolonnen auch kamen, sofort waren sie von Arbeitern und Studenten umringt, die unaufhörlich versuchten, ihnen klarzumachen, dass sie ein Recht hätten, sich gegen die stalinistische Bürokratie zu erheben, und entschlossen seien, den Sozialismus zu verteidigen. In einigen Fällen hielten Kommandeure von Panzern Reden, in denen sie erklärten, ihnen sei gesagt worden, sie würden in Ungarn gegen Faschisten kämpfen, jetzt aber sähen sie nur Arbeiter auf den Straßen.

Die Aufständischen verteilten Flugblätter in russischer Sprache an die Soldaten. In einem von ihnen hieß es: "Freunde, schießt nicht auf uns! Weigert Euch, die Rolle von Henkern zu übernehmen! Ihr habt uns geholfen, die faschistische Diktatur zu stürzen, aber jetzt helft Ihr selbst einer Diktatur! Freunde, ihr dient dem roten Imperialismus, keineswegs der Sache des Sozialismus!"

Die Verbrüderungsszenen auf den sowjetischen Panzern, auf die ungarische Arbeiter und Studenten hinaufkletterten und sie mit ungarischen Fahnen schmückten, ließen viele Budapester glauben, die Rote Arme habe sich der Revolution angeschlossen. Allein die Vorstellung von solch einer Entwicklung ließ den Herren im Kreml das Blut in den Adern erstarren.

Als jedoch eine Menschenmenge unter Rufen "Wir sind Arbeiter, keine Faschisten" zum Parlament marschierte und von einem Dach aus mit Maschinengewehren beschossen wurde, waren die Demonstranten ebenso verwirrt wie die sowjetischen Soldaten, die sich auf dem Platz befanden, weil sie nicht begriffen, wer eigentlich geschossen hatte. Sie feuerten aus ihren Panzern auf das Dach, aber zu diesem Zeitpunkt waren bereits fast hundert Demonstranten getötet worden.

Es wurde angenommen, dass die verhasste AVH das Massaker verübt hatte. Aber westliche Sender, vor allem Radio Liberty, der amerikanische Propagandasender, verbreiteten hartnäckig, dass es die Rote Armee gewesen sei, die in einem Massaker über hundert Menschen getötet habe.

Dies war der Auslöser für weitere heftige Kämpfe bis zum 28. Oktober.

In den frühen Morgenstunden des 24. Oktober rollten sowjetische Panzer über die Straßen Budapests. Die Arbeiter begriffen sehr rasch, dass es in dieser militärischen Konfrontation um die Frage der politischen Macht ging. Überall im Land bildeten sie revolutionäre Komitees oder wählten Räte. Wie selbstverständlich griffen sie auf die Organe der Arbeitermacht von 1905 und 1917 zurück.

Bereits am 25. Oktober bildeten die Arbeiter in Pécs ein Revolutionskomitee. Im Kombinat Miskolc wurde ein Arbeiterrat gebildet. Noch am gleichen Nachmittag formulierten die Arbeiter ihre Forderungen und überreichten sie der Regierung. Gefangene aus Zuchthäusern und Arbeitslagern wurden befreit.

Am 26. Oktober begann ein landesweiter Streik. Die Kämpfe dehnten sich rasch auch auf die Provinz aus. Überall entstanden Revolutionskomitees und Arbeiterräte, die sofort darangingen, das politische und gesellschaftliche Leben unabhängig von Partei und Regierung neu zu organisieren. Es entstand eine Situation der Doppelherrschaft wie 1917 in Russland.

Die Parteiführung und die Regierung agierten relativ hilflos und isoliert von den Massen. Das ZK der MDP, der kommunistischen Partei Ungarns, versprach schließlich eine neue, nationale Regierung, Unabhängigkeit und gleichberechtigte Verhandlungen mit der Sowjetregierung zu führen, wenn die bewaffneten Kämpfe eingestellt würden.

In die neue Regierung wurden auch zwei Vertreter der Kleinbauernpartei aufgenommen. Imre Nagy gelang es zwar, den Militärausschuss von der Sprengung der Corvin-Passage, einem Zentrum des Widerstands, abzuhalten. Aber Teile der Bürokratie setzen weiterhin auf die gewaltsame Niederschlagung des Aufstands. Immer noch kam es im ganzen Land zu blutigen Kämpfen mit zahlreichen Toten.

Die "Reformer" unter den Stalinisten zeigen ihr wahres Gesicht

Am 28. Oktober verhandelten Regierungschef Nagy und der sowjetische Botschafter Juri Andropow im Beisein eines Vertreters der Kremlbürokratie (Mikojan). Die am meisten diskreditierten ungarischen Parteiführer, darunter Gerö, setzten sich sicherheitshalber in die Sowjetunion ab. Es bildete sich ein neuer sechsköpfiger Parteivorstand, der statt des geschrumpften Zentralkomitees die politische Führung übernahm. Ihm gehörten u.a. János Kádár und Imre Nagy an.

Es schien, als habe die neue Regierung grünes Licht von Moskau erhalten und könne jetzt freier und unabhängiger handeln. Nagy erkannte daraufhin die Räte als rechtmäßige politische Organe der Arbeiter an und versprach sogar den Aufbau einer Räterepublik. Er ordnete die sofortige Feuereinstellung an und verkündete in einer Rundfunkansprache den unverzüglichen Abzug der sowjetischen Truppen und die Liquidierung der politischen Polizei AVH.

Gleichzeitig arbeitete jedoch der Militärausschuss Pläne für eine Militärdiktatur aus und traf konkrete Vorbereitungen dafür.

Am 29. Oktober begann tatsächlich der Abzug der Sowjettruppen. Nur vereinzelt kam es noch zu bewaffneten Zusammenstößen. Die Mehrheit der Ungarn glaubte zu diesem Zeitpunkt an einen Sieg ihrer Revolution über die Kremlbürokratie.

Während der bewaffneten Kämpfe war es zu einigen Zwischenfällen gekommen, bei denen AVH-Leute oder verhasste Parteifunktionäre auf der Stelle von der Menge umgebracht wurden. Die meisten jedoch wurden von den Revolutionskomitees verhaftet, um sie später vor Gericht zu stellen.

Gleichzeitig formierten sich reaktionäre Strömungen, die versuchten, die Lage auszunützen, um der Revolution eine andere Richtung zu geben. Vereinzelt tauchten antisemitische Parolen und Inschriften an den Wänden auf. Der katholische Kardinal Mindszenty wurde aus seinem Arrest befreit und vor allem von westlichen Zeitungen und Rundfunksendern als der wahre Held des Widerstands gefeiert. Diese Ereignisse wurden später von der Kremlbürokratie benutzt, um ihre Behauptungen zu stützen, bei dem Ungarnaufstand habe es sich um eine faschistische Konterrevolution gehandelt.

Am 31. Oktober hielt Nagy auf dem Kossuth-Platz eine Rede, in der er den Beginn der Verhandlungen mit der Sowjetunion und den Austritt aus dem Warschauer Pakt verkündete. Er versprach, dass der 23. Oktober zum neuen Nationalfeiertag erhoben werde.

Am gleichen Tag, als die meisten Ungarn noch den Sieg ihrer Revolution feierten, fiel im Kreml nach heftigen Fraktionskämpfen — dies geht aus erst in den letzten Jahren bekannt gewordenen Dokumenten hervor — die endgültige Entscheidung, keinerlei politische Experimente oder Reformen in Ungarn mehr zu dulden und mit Gewalt die alte Ordnung wiederherzustellen. Die Moskauer Bürokratie hatte allen Grund, einen Flächenbrand zu fürchten, der auch ihre eigene Herrschaft bedroht hätte.

Die Mitglieder des Parteivorstands Ferenc Münnich und Kadar begaben sich am 1. November in das Gebäude der sowjetischen Botschaft. Zwei Tage lang gelang es niemandem vom übrigen Parteivorstand, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Da diese beiden später eine wichtige Rolle bei der Niederschlagung der Arbeiterräte spielten, ist zu vermuten, dass sie dort die entscheidenden Instruktionen dazu erhielten.

In der Zwischenzeit hatte sich die Sowjetführung unter Chruschtschow auch mit der chinesischen Parteiführung besprochen und deren Einverständnis zu einem militärischen Eingreifen in Ungarn erhalten. Tschou En Lai war nach Budapest gereist, um die Zustimmung seiner Regierung zu überbringen. Aus den entferntesten Gebieten der Sowjetunion wurden frische Truppen in Richtung Ungarn in Bewegung gesetzt. Um zu verhindern, dass sich die Soldaten erneut mit den ungarischen Arbeitern verbrüdern, hatte die Bürokratie Truppen ausgewählt, die kaum der russischen Sprache mächtig waren.

Auch die jugoslawische Regierung unter Tito, die zunächst den Eindruck vermittelt hatte, sie würde den antistalinistischen Aufstand der Ungarn unterstützen, hatte inzwischen signalisiert, dass ihr "Anti-Stalinismus" nicht als Unterstützung für die Machtergreifung wirklicher Arbeiterräte missverstanden werden dürfe. Dazu war sie viel zu sehr an der Sicherung ihrer eigenen bürokratischen Herrschaft interessiert. Tito erklärte den Abgesandten Moskaus sogar, sie sollten "die Sache rasch und gründlich erledigen".

Die Westmächte geben Moskau grünes Licht

Die USA und ihre westlichen Verbündeten nahmen den Ungarnaufstand zum Anlass, um eine gewaltige Propagandaschlacht gegen den "Kommunismus" zu entfesseln. Dazu wurde von Flugblättern über den Radiosender Freies Europa bis zu Geheimagenten alles eingesetzt, um den Eindruck zu erwecken, sie würden den Ungarn im Fall eines sowjetischen Angriffs helfen. In Wirklichkeit hatte sich die US-Regierung mit der Moskauer Bürokratie auf dem Wege der Geheimdiplomatie längst darüber verständigt, dass Ungarn sowjetisches Einflussgebiet sei und bleiben solle. Dem Kreml wurde signalisiert, dass er seinem Gutdünken nach damit verfahren könne.

Am Abend des sowjetischen Einmarschs nach Ungarn hatte der amerikanische Außenminister John Foster Dulles erklärt, das Vorgehen der sowjetischen Truppen unter dem Warschauer Pakt sei vollkommen legal. "Vom Standpunkt internationalen Rechts und der Verletzung etwaiger Verträge her gesehen", sagte er, "glaube ich nicht, dass man behaupten kann, es handle sich um eine Vertragsverletzung." Die US-Regierung verstand sehr wohl, dass durch einen Sieg der ungarischen Arbeiter sehr rasch der Funken auf die übrige osteuropäische und schließlich auch die westliche Arbeiterklasse hätte überspringen können. Ihr war klar, dass die Unterdrückung der Arbeiter durch die Stalinisten eine wesentliche Stütze ihrer eigenen Herrschaft und ein Garant gegen revolutionäre Erhebungen war.

Die übrigen Westmächte hatten der Einigung Washingtons mit Moskau umso lieber zugestimmt, als England und Frankreich gerade dabei waren, in einem anderen Teil der Welt ein militärisches Abenteuer zu bestehen. Ägypten hatte den Suezkanal verstaatlicht und damit die bisherigen britischen und französischen Eigentümer enteignet. Israel, Großbritannien und Frankreich griffen am 29. bzw. am 31. Oktober Ägypten an. Die Sowjetunion signalisierte, dass sie nicht eingreifen werde, um Ägypten zu unterstützen. Unter dem Druck der UNO wurden daraufhin ein Waffenstillstand und der Rückzug der britischen, französischen und israelischen Truppen vereinbart. Ägypten behielt zwar den Kanal, aber ein großer Teil seines Territoriums wurde von den Israelis besetzt.

Angesichts der Zusammenarbeit des Kremls sahen die Westmächte keinerlei Veranlassung, die Abmachungen von Potsdam und Jalta aufzukündigen; auch nicht, als die Regierung Nagy am 1. November ihren Austritt aus dem sowjetischen Militärbündnis, dem Warschauer Pakt, die Neutralität Ungarns und den Wunsch verkündete, künftig unter dem Schutz aller vier Großmächte stehen zu wollen. Die Westmächte setzten weiterhin auf die Kremlbürokratie und ihren Gewaltapparat. Es erschien ihnen zweifelhaft, dass die Regierung Nagy allein auf sich gestellt die Arbeiter unter Kontrolle halten und ein Ausbreiten der Revolution verhindern könne.

Dennoch glaubten Nagy und seine Berater noch immer nicht an ein bevorstehendes militärisches Eingreifen der Kremlbürokratie und seine Billigung durch die westlichen Regierungen.

Am 3. November bildete Nagy erneut eine neue Regierung, in der neben der Kleinbauernpartei auch die Sozialdemokraten vertreten waren. Am gleichen Tag begab sich eine ungarische Verhandlungsdelegation unter Führung von Maléter ins sowjetische Hauptquartier nach Tököl, um über den endgültigen Abzug der russischen Truppen zu verhandeln. General Serow, der Leiter des KGB ließ sie umgehend verhaften.

Am nächsten Tag begann die Invasion der Sowjetarmee. Nagy wurde gewarnt und konnte sich mit 43 Mitarbeitern in die jugoslawische Botschaft retten, wo ihm großzügig Asyl gewährt wurde. Später stellte sich heraus, dass dies ein abgekartetes Spiel zwischen Tito und Chruschtschow war. Als sie die Botschaft unter Zusicherung der Freiheit wieder verließen, wurden sie verhaftet. Nagy und einige seiner engsten Mitarbeiter wurden 1958 gehenkt.

Der Sender der ungarischen Stadt Szolnok gab die Bildung eine neuen Regierung unter Kádár bekannt. Diese ersuchte den UN-Generalsekretär, die Behandlung der ungarischen Frage von der Tagesordnung des Sicherheitsrats abzusetzen.

Die ungarischen Arbeiter nahmen nun erneut den militärischen Kampf für ihre Freiheit und eine wahrhaft sozialistische Gesellschaft auf. An mehreren Orten entwickelte sich sofort bewaffneter Widerstand gegen die Sowjettruppen. Bei den Kämpfen in Budapest wurden allein am 6. November mehr als 160 Menschen getötet. Einige hundert Ungarn wurden verhaftet und in sowjetische Gulags deportiert. Die Revolution wurde im Blut erstickt.

Aber die Arbeiter gaben nicht auf. Mit aller Macht versuchten sie, mit den ihnen zur Verfügung stehenden leichten Waffen und Molotowcocktails immer wieder gegen die sowjetischen Panzertruppen vorzugehen und ihre Betriebe und Wohnviertel zu verteidigen.

Arbeiterräte organisieren den Widerstand

Dass die ungarische Revolution alles andere als ein konterrevolutionärer Aufstand zur Wiederherstellung der kapitalistischen Ordnung war, zeigt sich vor allem an der Rolle der Arbeiterräte. Die Regierung Kadar hatte alle Mühe, die in Moskau beschlossene Politik gegen die Arbeiterräte durchzusetzen, die nicht nur das Rückgrat des bewaffneten Widerstands bildeten, sondern immer noch im ganzen Land weitgehend das politische und wirtschaftliche Leben kontrollierten.

Der erste Arbeiterrat war in der Glühbirnenfabrik Eggesult Izzo, einem der größten Betriebe Budapests mit rund 10.000 Arbeitern schon am 24. Oktober gewählt worden, als die Sowjetpanzer zum ersten Mal in die Hauptstadt rollten und die Verteidigung noch zum großen Teil von bewaffneten Studenten und Arbeitern durchgeführt wurde, die sich in Revolutionskomitees spontan zusammengeschlossen hatten. Der Arbeiterrat forderte damals die Absetzung der von der Bürokratie berufenen Betriebsleitungen und ihre Ersetzung durch Arbeiterräte auf allen Ebenen der Produktion: "Lasst uns zeigen, dass wir die Angelegenheit besser regeln können als unsere blinden herrschsüchtigen Chefs", hieß es in der 10-Punkte-Erklärung des Rates.

In den folgenden Tagen wurden Arbeiterräte in Stahlwerken, Donauwerften, Bergwerken und zahlreichen anderen Betrieben überall in Ungarn aufgebaut. Ihre politischen Forderungen, die sich weitgehend mit denen der Studenten deckten, versuchten sie durch einen Generalstreik durchzusetzen. Auf einer Versammlung der Delegierten der Arbeiterräte der größten Budapester Betriebe wurde ein Programm verabschiedet, das mit der Feststellung beginnt: "Die Betriebe gehören den Arbeitern".

Als am 4. November erneut die sowjetischen Panzertruppen eingriffen, die Regierung Nagy zusammenbrach und alle "Reformer" des stalinistischen Apparats vor der Kremlbürokratie kapitulierten, zeigte sich ganz deutlich, dass die Arbeiterklasse und die von ihr gebildeten Räte die entscheidende Triebkraft der ungarischen Revolution waren. War von der Macht der Regierung Nagy außerhalb des Regierungsgebäudes vorher kaum etwas spürbar gewesen, so ging diese, als die Lage sich zuspitzte, immer weiter nach rechts. Sie konnte und wollte sich nicht auf die Arbeiter stützen. Stattdessen appellierte sie an die Imperialisten und die UNO.

Auch als die Kampfgruppen der Studenten und Arbeiter kaum mehr in der Lage waren, gegen die Übermacht der Panzer militärischen Widerstand zu leisten, kämpften die Arbeiter in den Räten und Betreiben weiter. Sie organisierten erneut einen politischen Generalstreik, diesmal gegen die neue Regierung unter Kadar, die eng mit der Sowjetregierung zusammenarbeitete. Dieser Streik wurde trotz der Belagerung durch die Kremltruppen einen ganzen Monat durchgehalten.

In den Arbeitervierteln von Budapest, den Industrievororten und Städten im ganzen Land stieß die stalinistische Besatzung auf erbitterten Widerstand.

In Dunapentele, einer Stadt, die um gewaltige Eisen- und Stahlwerke herum gebaut worden war, gab der Arbeiterrat während der Belagerung eine Erklärung heraus, in der es hieß: "Dunapentele ist die führende sozialistische Stadt in Ungarn. In dieser Stadt sind alle Einwohner Arbeiter, und sie haben die Macht hier... Die Bevölkerung der Stadt ist bewaffnet. Sie wird nicht aufgeben, weil sie die Fabriken und die Häuser mit ihren eigenen Händen aufgebaut hat... Die Arbeiter werden die Stadt gegen den Faschismus ebenso verteidigen - wie gegen die Sowjettruppen."

Auch die Budapester Arbeiter verteidigten tagelang die von ihnen besetzten Fabriken gegen die Panzer. Die Krankenhäuser berichteten, dass die große Mehrzahl der Toten und Verwundeten junge Arbeiter waren, während die schöngelegenen Villenviertel von Budapest, in denen die höheren Mittelschichten wohnen, von den Kämpfen kaum berührt wurden.

Am 9. November gelang es der Regierung, die Mehrheit des Zentralrats der Budapester Arbeiter zu verhaften, nachdem dieser seinen Streikaufruf erneuert hatte und daraufhin von der Regierung verboten worden war. Aber selbst darauf reagierten die Arbeiter keineswegs mit Einschüchterung, sondern weiteten am 11. und 12. Dezember ihre Streiks aus. Selbst die Zeitung der Kommunistischen Partei Nepszabadsag konnte nicht umhin, diesen Streik als den "größten der Geschichte der ungarischen Arbeiterbewegung" zu bezeichnen.

Die Regierung verkündete nun den Notstand, der ihr die Vollmacht gab, alle Versammlungen und Demonstrationen zu verbieten und auf jede Missachtung des Verbots mit Inhaftierung ohne Gerichtsurteil zu reagieren. Dennoch setzten die Arbeiter ihren Kampf fort.

In den Eisen- und Stahlwerken von Csepel wurde ein Sitzstreik durchgeführt. Die Arbeiter verlangten die Freilassung ihrer Führer. Ein Sprecher erklärte: "Wir denken, dass dies die einzig vernünftige Sache ist, die wir im Moment machen können. Wir sind in die Fabrik gekommen, weil wir unseren Lohn brauchen und weil wir hier zusammen sind. Wenn wir zu Hause bleiben würden, wären die Fabriktore verschlossen, und es wäre viel leichter für die Regierung, unserer einzeln habhaft zu werden, als hier in der Fabrik, wo wir vereinigt sind."

Diese Sitzstreiks breiteten sich auf zahlreiche andere Großbetriebe aus. Als schließlich AVH und Sowjettruppen eingesetzt wurden, um die Fabriken zu übernehmen, kam es zu bewaffneten Zusammenstößen.

Als am 11. November der letzte bewaffnete Widerstand im Roten Csepel eingestellt wurde, blieben die Arbeiter in den Betrieben, Regionen und Städten, ja, selbst auf nationaler Ebene in Räten organisiert und erhielten den Streik aufrecht.

Sie stellten der Moskauer und der ungarischen Regierung Bedingungen, unter denen sie bereit wären, wieder an die Arbeit zurückzukehren: Freilassung der politischen Gefangenen und Rückzug der sowjetischen Truppen. Ihr Ziel war, die Fabriken unter der Kontrolle der Arbeiter zu behalten und die Macht der Räte zu stärken.

Für den 21. November war in Budapest eine Versammlung geplant, auf der ein nationaler Arbeiterrat gebildet werden sollte. Als die Arbeiter am Versammlungsort ankamen, hatten Polizei und Armee die Eingänge des Gebäudes abgeriegelt. Die Delegierten ließen sich jedoch nicht abschrecken und hielten die Versammlung unter massiver militärischer Bedrohung an einem anderen Ort ab. Viele Arbeiter in den Betrieben traten in Proteststreiks, weil sie befürchteten, die Delegierten seien verhaftet worden.

Erst nach Wochen der Schwächung und politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Räte war es der Regierung Kadar möglich, ihre Macht gegenüber den Räten zu festigen. Weil sie in Ermangelung einer unabhängigen, politischen Führung nicht in der Lage waren, selbst die Macht im Land zu übernehmen, verhandelten die Delegierten der Arbeiterräte endlos mit der Regierung Kadar. In den meisten Räten stimmte schließlich eine Mehrheit dafür, die Arbeit wieder aufzunehmen. Aber dieser Aufruf wurde nur von einem Viertel der Arbeiter befolgt.

Im Januar glaubte sich die Regierung Kadar dann jedoch stark genug zum entscheidenden Schlag. Sie erließ eine Verordnung, die Streiks oder den Aufruf zu Streiks unter Androhung der Todesstrafe verbot und die Arbeiterräte in ihrer Macht beschränkte. Sie sollten keine politischen Entscheidungen mehr treffen dürfen und alle Beschlüsse, die Betriebe beträfen, müssten durch einen politischen Kommissar der stalinistischen Partei abgesegnet werden.

Aber die Arbeiterräte wollten um keinen Preis in Instrumente der Bürokratie verwandelt werden und beschlossen, sich lieber selbst aufzulösen.

Ungarn und die Vierte Internationale

Die Einsetzung der Regierung Kadar, der als Mitglied der Regierung Nagy ein gewisses Vertrauen in manchen Schichten der Bevölkerung genoss, vor allem bei Bauern und den städtischen Mittelschichten, war ein perfider Schachzug der Kremlbürokratie, der ebenfalls bis ins Detail mit der jugoslawischen Regierung abgesprochen worden war. Sie überließen es Kadar, endlos mit den Arbeitern zu verhandeln und ihnen falsche Versprechungen machen, um sie zum Aufgeben des Kampfs zu zwingen.

Dass sich Moskau mit diesen Manövern am Ende durchsetzen konnte, hat seinen Grund nicht darin, dass Kadar schließlich bei den Arbeitermassen doch noch Unterstützung gefunden hätte. Diesen fehlte es vielmehr an einer klaren marxistischen Einschätzung ihres Gegners, der stalinistischen Bürokratie, und an klaren revolutionären Perspektiven für ihren Sturz. Viele Arbeiter durchschauten die Manöver Kadars nicht, oder sie hatten Illusionen in Nagy. Das Fehlen einer revolutionären sozialistischen Führung besiegelte letztlich die Niederlage des Ungarnaufstands.

Nur die Trotzkisten vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale warnten die ungarischen Arbeiter davor, auch nur das geringste Vertrauen in irgendeinen "Reformflügel" der Bürokratie zu setzen oder ihr Schicksal gar in die Hände der Westmächte oder der UNO zu legen. Sie traten für die Einheit der Arbeiter Ungarns, Osteuropas und der Sowjetunion zum Sturz der stalinistischen Bürokratie ein. Sie stützten sich dabei auf Leo Trotzkis Analyse des Stalinismus, der bereits in den 1930er Jahren zum Schluss gelangt war, dass die Bürokratie ihre Macht und ihre Privilegien gegenüber der Arbeiterklasse nur durch die immer engere Zusammenarbeit mit der imperialistischen Bourgeoisie verteidigen könne. Der Weg zum Sozialismus könne nur wieder freigemacht werden, indem die Arbeiter die Bürokratie durch eine politische Revolution stürzen und sich mit den Arbeitern im Westen zur sozialistischen Weltrevolution vereinigen.

Diese Perspektiven lagen der Gründung der Vierten Internationale im Jahr 1938 zugrunde. In ihrem Gründungsprogramm heißt es: "Entweder stößt die Bürokratie, die immer mehr zum Werkzeug der Weltbourgeoisie im Arbeiterstaat wird, die neuen Eigentumsformen um und wirft das Land in den Kapitalismus zurück, oder die Arbeiterklasse zerschlägt die Bürokratie und öffnet den Weg zum Sozialismus."

Doch die ungarischen Arbeiter waren 1956 von diesen Perspektiven abgeschnitten. Es gab in Ungarn selbst keine Partei der Vierten Internationale. Bereits in den 30er Jahren hatte die stalinistische Bürokratie einen wahren Völkermord an ihren linken Gegnern durchgeführt. Nicht nur in der Sowjetunion, auch in den anderen Parteien der Komintern waren im Zuge der Moskauer Prozesse und des Großen Terrors die wichtigsten Kader umgebracht worden. Hauptziel der Säuberungen und Massenhinrichtungen waren die Anhänger Leo Trotzkis, die Linke Opposition und dann die Vierte Internationale. Trotzki selbst wurde 1940 auf Stalins Geheiß in Mexiko ermordet.

Hinzu kam, dass sich innerhalb der Vierten Internationale in der Nachkriegszeit eine opportunistische Tendenz herausgebildet hatte, die Trotzkis Einschätzung des Stalinismus in Frage stellte. Michel Pablo und Ernest Mandel folgerten aus den Verstaatlichungen und planwirtschaftlichen Maßnahmen, welche die stalinistische Bürokratie Ende der vierziger Jahre in Osteuropa durchführte, diese werde unter dem Druck der Arbeitermassen nach links gehen, langsam aber sicher den Sozialismus errichten und so eine geschichtlich fortschrittliche Rolle spielen. Der Aufbau von Parteien der Vierten Internationale als unabhängige marxistische Führung sei deshalb überflüssig.

Die Anhänger Pablos und Mandels verherrlichten Tito und angebliche "Reformer" innerhalb der stalinistischen Bürokratie - wie Nagy in Ungarn oder Gomulka in Polen. Chruschtschow feierten sie auf Grund seiner Geheimrede auf dem 20. Parteitag als "Antistalinisten". Das entwaffnete die Arbeiter in Ungarn. Die politische Knebelung der ungarischen Arbeiter durch Nagy und die blutige Niederschlagung ihres Aufstands durch Chruschtschows Panzer enthüllten nicht nur das wahre Gesicht der stalinistischen "Reformer", sondern auch den politischen Charakter des Pablismus als Anhängsel und Stütze einer konterrevolutionären Bürokratie.

Das Internationale Komitee war drei Jahre zuvor gegründet worden, um die revolutionären Perspektiven des Trotzkismus gegen den pablistischen Opportunismus zu verteidigen. Es war 1956 zwar in Ungarn nicht vertreten, unternahm aber alles, die Arbeiter dort politisch zu unterstützen. Es veröffentlichte gezielt alle von den stalinistischen und kapitalistischen Medien unterdrückten Nachrichten über die ungarische Revolution.

Insbesondere die britische Sektion des Internationalen Komitees ging mit den Lehren aus dem Ungarn-Aufstand in die Offensive gegen den Stalinismus. Sie wandte sich gezielt an Arbeiter, Jugendliche und Intellektuelle, die der Kommunistischen Partei angehörten oder ihr nahe standen, aber vom brutalen Vorgehen der Bürokratie verunsichert und abgestoßen waren. So waren die Trotzkisten in der Lage, die besten Mitglieder der alten Kommunistischen Parteien dafür zu gewinnen, dass sie mit dem Stalinismus brachen und sich der Vierten Internationale zuwandten. Dies stärkte ihre Autorität in der Arbeiterklasse und brachte den Aufbau ihrer eigenen Sektion voran

Die wahre Rolle der Bürokratie zeigte sich in Ungarn auch in den folgenden Jahrzehnten unter der Herrschaft Kadars sehr deutlich. Seine "Reformen", die er mit Billigung der Kremlbürokratie durchführte, zielten bereits in den sechziger Jahren auf die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente und Ausbeutungsbedingungen. 1980 begann er vehement gegen die sogenannte "Gleichmacherei" zu wettern, weil sich die Arbeiter gegen die wachsenden sozialen Unterschiede auflehnten. Kadars Nachfolger an der Spitze der stalinistischen Partei und ihrer Nachfolgeorganisationen, wie Gyula Horn oder Ferenc Gyurcsany, setzten sich dann am energischsten für die Wiedereinführung kapitalistischer Verhältnisse ein.

Es verhält sich also gerade umgekehrt mit dem Erbe des Ungarn-Aufstands, als dies von der bürgerlichen Propaganda behauptet wird. Nicht die Arbeiter, sondern die stalinistischen Bürokraten steuerten auf die Marktwirtschaft zu. Die Arbeiterklasse kämpfte 1956 für den Sozialismus. Die Bürokratie dagegen schuf mit der blutigen Niederschlagung des Aufstands die politischen Voraussetzungen für weitere Schritte auf ihrem Weg zur Wiedereinführung der kapitalistischen Profitwirtschaft.

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