Der Streik der VW-Arbeiter in Brüssel macht deutlich, wie dringend es ist, einen gemeinsamen Kampf aller Volkswagen-Beschäftigten an allen Standorten zu organisieren.
Die Entscheidung der Konzernleitung, die Produktion des VW-Golf aus dem Brüsseler Werk abzuziehen und in die deutschen Werke in Wolfsburg und ins sächsische Mosel zu verlagern, ist Teil des "historischen Sparprogramms", das Anfang des Jahres angekündigt wurde. Es umfasst drastische Rationalisierungsmaßnahmen in Form von massivem Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen an allen europäischen Produktionsstandpunkten.
Systematisch wird ein Standort gegen den anderen ausgespielt, und die Beschäftigten werden erpresst. Viele Arbeiter wissen das und halten daher einen gemeinsamen, international koordinierten Arbeitskampf aller Beschäftigten für notwendig und einzige Möglichkeit zum Erfolg. Es ist offensichtlich, dass die internationale Strategie der Konzernleitung eine ebenso internationale Strategie des Widerstands erfordert.
Das Problem besteht aber darin, dass die Gewerkschaften und die Betriebsräte den entgegengesetzten Standpunkt vertreten. Sie arbeiten aufs Engste mit der Konzernleitung zusammen und geben die Erpressung der Beschäftigten nach unten weiter, beziehungsweise organisieren sie. Selten zuvor war diese Rolle der Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre derart offensichtlich, wie gegenwärtig bei VW.
Als Voraussetzung für die Verlagerung der Golf-Produktion nach Wolfsburg und Mosel war ein neuer Tarifvertrag für die deutschen Werke abgeschlossen worden, der Lohnsenkung und Verschlechterungen in Form einer weitgehenden Flexibilisierung beinhaltet. Die 1993 eingeführte Vier-Tage-Woche mit 28,8 Stunden wurde abgeschafft. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit wurde mit Beginn der Laufzeit des neuen Tarifvertrages Anfang November auf 33 Stunden für Produktionsarbeiter und auf 34 Stunden für Verwaltungsangestellte angehoben. Vereinbart wurde ein Arbeitszeitkorridor von 25 bis 33 Stunden für Beschäftigte in der Produktion und von 26 bis 34 Stunden für die anderen. Bezahlt werden aber nur wie bisher 28,8 Stunden pro Woche.
Die Behauptung einiger Betriebsräte in Wolfsburg, dieser Tarifvertrag sei völlig unabhängig von der geplanten Verlagerung der Golf-Produktion zustande gekommen, ist schlicht gelogen. Mehrfach haben sie mit Blick auf den Golf eine stärkere Auslastung der deutschen Werke gefordert und davon ihre Zustimmung zum Lohnabbau abhängig gemacht. Das hindert die Herren Betriebsräte und IG Metallfunktionäre allerdings nicht daran, den streikenden VW-Kollegen in Brüssel wortreiche Solidaritätstelegramme zu schicken. Der Zynismus dieser Leute wird nur noch von ihrer Korruption übertroffen.
Um sich aus der Zwangsjacke und Bevormundung der Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre zu befreien und die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten selbst in die Hand zu nehmen, ist es notwendig, unabhängige Komitees aufzubauen, die eine enge und direkte Verbindung zwischen den Belegschaften herstellen. Die Konzernbetriebsräte auf europäischer und internationaler Ebene sind nicht Partner sondern Gegner einer solchen Initiative. Sie bezeichnen sich selbst als Co-Manager und sind Teil einer Verschwörung gegen die Beschäftigten.
Die Redaktion der World Socialist Web Site (WSWS) bietet allen Arbeitern aktive Unterstützung an, um einen prinzipiellen Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten zu führen und gleichzeitig eine Verbindung zu Beschäftigten in anderen Betrieben aufzubauen, die ebenfalls von Entlassungen und Sozialabbau bedroht sind.
Es genügt nicht, sich über die offensichtliche Korruption vieler Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre aufzuregen. Es ist notwendig, ihnen das Handwerk zu legen und ihren Einfluss zu brechen.
Um das zu erreichen, müssen die jüngsten Ereignisse in Wolfsburg genau unter die Lupe genommen werden. Denn die Fakten und Zahlen machen deutlich, dass der Betriebsrat im wahrsten Sinn des Wortes gekauft ist und jedes Recht verwirkt hat, im Namen der Belegschaft zu sprechen oder Verträge zu unterschreiben.
Lehren aus Wolfsburg
Drei Meldungen aus Wolfsburg sorgten in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen:
Am 7. November kündigte VW-Vorstandschef Bernd Pischetsrieder seinen vorzeitigen Rücktritt zum Jahresende an. Seinen Posten wird Audi-Chef Martin Winterkorn übernehmen.
Am 16. November erhob die Staatsanwaltschaft Braunschweig Anklage gegen den früheren VW-Personalvorstand Peter Hartz wegen Untreue in 44 Fällen. Hartz war bereits Ende vergangenen Jahres von seinem Posten abgetreten, als bekannt geworden war, dass innerhalb von nur zwei Jahren 780.000 Euro an nicht ausgewiesenen Spesen an Betriebsratsmitglieder geflossen seien, unter anderem für Bordellbesuche auf Weltreisen.
Am 21. November verhaftete dieselbe Staatsanwaltschaft den ehemaligen VW-Konzernbetriebsratschef Klaus Volkert "wegen Verdunklungsgefahr". Volkert hatte Presseberichten zur Folge versucht, das Ermittlungsverfahren gegen ihn zu behindern und Zeugen zu manipulieren.
Alle drei Meldungen stehen in engem Zusammenhang. Mit dem Wechsel von Pischetsrieder zu Winterkorn hat sich Ferdinand Piech in der Konzernführung durchgesetzt. Der österreichische Multimillionär ist Enkel von Ferdinand Porsche, der für Hitler den ersten Volkswagen, den VW-Käfer entwickelte. Als Miteigentümer des Porsche-Unternehmens verfügt Piech über einen starken Aktienanteil an VW.
Als Piech 1993 die VW-Konzernleitung übernahm, stand er in enger Verbindung mit dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und hatte die Unterstützung der IG Metall. Die Ära Piech kennzeichnet zwei Dinge: Zum einen wollte er mit dem Volkswagenkonzern, der bisher ausschließlich Wagen der unteren und mittleren Preisklasse gebaut hatte, ins Luxussegment vordringen. So kaufte er die Edelmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini auf und entwickelte die Luxuslimousine Phaeton, für die in der Innenstadt Dresdens eigens eine so genannte gläserne Fabrik errichtet wurde.
Zweitens verstand es Piech hervorragend, in Zusammenarbeit mit der Personalleitung unter Peter Hartz und dem Betriebsrat die Lohnkosten zu senken. 1993 kündigte er den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen an, nachdem der Absatz stark eingebrochen war. Als Reaktion folgte die Einführung der Vier-Tage-Woche. Die wöchentliche Regelarbeitszeit sank auf 28,8 Stunden. Während die Beschäftigten massive Lohneinbußen hinnehmen mussten, verkündete die Gewerkschaft stolz, damit seien "betriebsbedingte Kündigungen" vermieden worden.
Als sich die Markenorientierung auf die Luxusklasse als milliardenschweres Desaster herausstellte und VW herbe Verluste hinnehmen musste, geriet Piech unter Druck und wechselte auf den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden. Sein Stellvertreter war und ist der Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, der gemeinsam mit dem neuen Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh und acht weiteren Betriebsräten im Aufsichtsrat sitzt.
Während Bernd Pischetsrieder das "System VW" mit seinen partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Vorstand, Betriebsrat und Gewerkschaft nur noch als lästigen Kostenfaktor betrachtete, versucht Ferdinand Piech seine Konzernstrategie und die damit verbunden massiven Angriffe auf die Beschäftigten weiterhin in enger Zusammenarbeit mit den "Sozialpartnern" durchzusetzen.
Unter diesen Bedingungen wurden einige Einzelheiten über das Ausmaß der Korruption des Betriebsrats bekannt. So erhielt Klaus Volkert alleine im Jahr 2002 - Festgehalt, Zulagen und Sonderbonus zusammengerechnet - 693.000 Euro. Das entspricht einem monatlichen Einkommen von 57.750 Euro. Spesen und Aufwandsentschädigungen für Dienstreisen kommen noch dazu. Volkerts brasilianische Geliebte Adriana B. bekam alle drei Monate 23.000 Euro von VW überwiesen.
Wer behauptet, es handle sich dabei um das bedauerliche Fehlverhalten eines Einzelnen, lässt die schlichte Tatsache beiseite, dass die Braunschweiger Staatsanwaltschaft gegen insgesamt zehn VW-Betriebsräte ermittelt. Auch der Versuch von Jürgen Peters, die Angelegenheit mit der Bemerkung zu verharmlosen, die Zuwendungen für Volkert seien zwar hoch, aber nicht ungewöhnlich, auch in vielen anderen Betrieben würden Boni und Super-Boni bezahlt, macht deutlich, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt.
In Wahrheit ist die Korruption untrennbarer Bestandteil der Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft. Auch in der Vergangenheit saßen Betriebsräte in den Aufsichtsräten vieler Unternehmen und genossen weitreichende Privilegien. Doch während sie in den siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre noch in der Lage waren, soziale Kompromisse auszuhandeln und teilweise Verbesserungen für die Beschäftigten zu erreichen, hat die Globalisierung der Produktion die Bedingungen völlig verändert.
Unter dem Druck der globalen Konkurrenz und der ständig drohenden Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer betrachten Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre es als ihre Aufgabe, den eigenen "Standort" und Betrieb zu verteidigen, indem sie für die Erhöhung der Profite im eigenen Unternehmen sorgen. Sie verwandeln sich in eine Hilfskraft des Managements und werden dafür fürstlich belohnt. Diese Entwicklung lässt sich bei allen Gewerkschaften auf der ganzen Welt beobachten.
Die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten erfordert daher einen politischen Bruch mit den Konzeptionen der Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung. Eine völlig andere Perspektive ist notwendig. Sie muss vom internationalen Charakter der modernen Produktion und den gemeinsamen Interessen aller Arbeiter weltweit ausgehen. Und sie muss für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft eintreten. Die gesellschaftlichen Interessen müssen Vorrang vor den Profitinteressen der Konzerne haben.
Der Aufbau von Verteidigungskomitees gegen Massenentlassungen und Sozialabbau muss mit Diskussionen über eine solche sozialistische, internationalistische Perspektive verbunden werden. Nur so ist es möglich, die feigen und bankrotten gewerkschaftlichen Argumente zu überwinden, die sich vollständig im Rahmen der kapitalistischen Logik bewegen.
Wir wenden uns an jeden, der den Kampf der VW-Arbeiter in Brüssel unterstützen oder sich am Aufbau von Verteidigungskomitees in anderen Betrieben beteiligen möchte. Nehmt Kontakt auf mit der Redaktion der World Socialist Web Site (WSWS) und diskutiert diese Fragen mit Kollegen.