WASG verteidigt die unsoziale Politik der Berliner Landesregierung

Auf einem Sonderparteitag der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) stimmten am vergangenen Wochenende die Delegierten mehrheitlich einem Antrag zu, in dem ihr Berliner Landesverband ultimativ aufgefordert wird, seine Kandidatur zu den Landtagswahlen im Herbst zurückzuziehen. Falls der Berliner Landesverband dieser Forderung nicht nachkommen sollte, wurde der WASG-Bundesvorstand ausdrücklich ermächtigt, "alle Maßnahmen zu prüfen und gegebenenfalls zu ergreifen, um dem Willen des Bundesparteitags Geltung zu verschaffen".

Diese Drohung mit Disziplinarmaßnahmen löste auf der Tagung im pfälzischen Ludwigshafen heftige Debatten aus. In der Auseinandersetzung über undemokratische Strukturen und das diktatorische Vorgehen des Parteivorstands ging dabei die grundlegendere Frage der politischen Orientierung fast unter. Der Beschluss gegen eine eigenständige Kandidatur des Berliner Landesverbands ist eine politische Richtungsentscheidung. Die WASG stellt sich damit hinter die unsoziale und reaktionäre Politik, die die Linkspartei.PDS in der Bundeshauptstadt im Bündnis mit der SPD seit vier Jahren praktiziert.

Deutlicher als alle programmatischen Erklärungen über "linke" und "sozialistische Alternativen" macht die Entscheidung des Bundesparteitags deutlich, wofür die WASG wirklich steht und was von ihr zu erwarten ist, falls sie an die Schalthebel der politischen Macht gelangt.

Ein kurzer Blick auf die politische Bilanz des Linkspartei-SPD-Senats zeigt, welche Politik der WASG-Parteitag gegen seine parteiinternen Kritiker verteidigt.

Alle unsozialen Maßnahmen, welche die Linkspartei in programmatischen Erklärungen lautstark verurteilt, setzt sie in Berlin seit Jahren selbst in die Tat um. Im Sommer 2001 hatte die PDS einen Wahlkampf für mehr soziale Gerechtigkeit geführt und die kriminellen Machenschaften der Bankgesellschaft Berlin (BGB) angeprangert. Doch nach der gewonnen Wahl, noch bevor die PDS-Senatoren vereidigt waren, stimmten sie dem so genannten "Risikoabschirmungsgesetz" zu, das die privaten Fonds-Besitzer und Anteilseigner der Bankgesellschaft durch eine Landesbürgschaft in Höhe von 21,6 Milliarden Euro finanziell absichert und das Risiko allein der Landeskasse auferlegt.

Gleichzeitig wurde ein drastisches Sparprogramm verabschiedet, das den Abbau von 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst verbunden mit längeren Arbeitszeiten und geringerer Bezahlung vorsah. Weil diese Maßnahmen gegen den geltenden Tarifvertrag verstießen, beschloss der Senat im Januar 2003 kurzerhand den Austritt des Landes Berlin aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband. Die geltenden Tarifverträge wurden dadurch für die Beschäftigten des Landes unwirksam. Der Senat setzte sofort eine Arbeitszeitverlängerung für Beamte von 40 auf 42 Wochenstunden durch.

Bei den Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wurden die Löhne und Gehälter um zehn Prozent gesenkt, bei Neueinstellungen um weitere 15 Prozent. Insgesamt spart der Senat bei den Beschäftigten des öffentlichen Diensts nach eigenen Angaben 38 Millionen Euro jährlich.

Beim Krankenhauskonzern Vivantes, der neun große Krankenhäuser umfasst, wurden Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen und die Zahl der Mitarbeiter von 17.000 auf 13.000 reduziert, was eine deutliche Zunahme der Arbeithetze zur Folge hatte. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Charité unterstützte Linkspartei-Senator Thomas Flierl den Beschluss der Charité-Geschäftsleitung, noch weitergehende Einkommenskürzungen als bei Vivantes durchzusetzen und einen Großteil der Krankenhausverwaltung zu privatisieren.

Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe, die bereits unter dem SPD-CDU-Senat durchgeführt worden war, wurde nicht - wie im Wahlkampf angekündigt - rückgängig gemacht. Stattdessen wurden die Renditen für die privaten Investoren (RWE und Veolia Waters) weiterhin garantiert, was dazu führte, dass die Wassergebühren um durchschnittlich 25 Prozent angestiegen sind. Als Reaktion darauf will Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei.PDS) die Industrie bei den Wasserpreisen entlasten - erneut zu Lasten der Bevölkerung.

Dazu kommen: Der Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft (GSW) mit 65.000 Wohnungen an den US-Investor und Spekulanten "Cerberus", der seinen Einfluss auf dem Wohnungsmarkt nutzt, um die Mieten zu erhöhen; die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit an den Berliner Schulen; die massive Erhöhung der Kita-Gebühren; die Erhöhung der Lehrerarbeitszeit um zwei Unterrichtsstunden pro Woche; Kürzungen von 75 Millionen Euro im Universitätsbereich; und so weiter und so fort. Die Liste der Sparmaßnahmen und Zumutungen zu Lasten der Bevölkerung ließe sich noch um einiges fortsetzen.

Selten zuvor hat eine Regierung die Bevölkerung in einer derart krassen Form belogen und betrogen.

Der Umstand, dass der WASG-Parteitag diese Politik gerechtfertigt und den Kritikern einen Maukorb verpasst hat, ist äußerst aufschlussreich. Er macht deutlich, dass die Wahlalternative keine politisch Alternative ist und auch keine zulässt. Die Gründung der WASG durch Gewerkschaftsbürokraten und ehemalige SPD-Mitglieder war ein bürokratisches Manöver mit dem ausschließlichen Ziel, den wachsenden Widerstand gegen Sozialabbau unter Kontrolle zu halten und zu verhindern, dass er eine sozialistische Richtung einschlägt.

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der den Vorständen beider Parteien, WASG und Linkspartei.PDS, angehört, hielt in Ludwigshafen eine seiner notorischen demagogischen Reden. Er polemisierte lautstark gegen eine unverantwortliche Politik des Sozialabbaus, Rentenkürzungen, "neoliberale Tendenzen", Kriegseinsätze der Bundeswehr und forderte immer wieder die "Einheit der Linken". Der Zusammenschluss von WASG und Linkspartei.PDS sei von "historischer Bedeutung" und dürfe nicht durch "linke Sektierer" gefährdet werden.

Doch während die Delegierten stürmisch Beifall klatschten und die beschleunigte Vereinigung beider Parteien beschlossen, stand für jeden ernsthaften Beobachter die Frage im Raum: Was soll eine neue Linkspartei, die, kaum gelangt sie an die Regierung, dieselbe Politik verfolgt wie die alten Parteien und dies höchstens noch verlogener tut?

Lafontaine versucht sein Vorgehen vor elf Jahren zu wiederholen, als er auf dem Mannheimer SPD-Parteitag mit einer flammenden Rede gegen die Kohl-Regierung den damaligen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping stürzte und selbst die Parteiführung übernahm. Unter der Parole "Innovation und Gerechtigkeit" organisierte er dann 1998 den Wahlsieg der SPD, die gemeinsam mit den Grünen die Regierung übernahm.

Doch wie schon Karl Marx bemerkte, wiederholen sich historische Tragödien höchstens in Form einer Farce. Vor acht Jahren waren mit der Parole "Innovation und Gerechtigkeit" noch Hoffnungen und Illusionen verbunden. Heute glaubt kaum noch jemand, dass es angesichts der Globalisierung der Produktion und der enormen Macht einer internationalen Finanzoligarchie möglich sei, Arbeitsplätze und Sozialstandards zu verteidigen, ohne die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Frage zustellen. Die Notwendigkeit einer sozialistischen Perspektive wird immer deutlicher sichtbar.

Genau aus diesem Grund beginnt Gysis und Lafontaines Projekt einer Linkspartei bereits zusammenzubrechen, bevor es richtig auf die Füße gekommen ist. Beide, WASG und Linkspartei, reagieren darauf, indem die aggressivsten bürokratischen Elemente in den Vordergrund treten.

Ein besonders abstoßendes Exemplar dieser Spezies ist der stellvertretende WASG-Vorsitzende Uli Maurer. Der politische Karrierist war lange SPD-Vorsitzender und Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, bevor er im vergangen Jahr zur WASG wechselte, für die er nun im Bundestag sitzt. Auf dem Parteitag und in Interviews forderte er unverhohlen den Parteiausschluss des Berliner Landesverbands und juristische Schritte gegen "den Alleingang einer Kandidatur gegen die Linkspartei.PDS in Berlin". Es dürfe, so Mauer, nicht zugelassen werden, dass "einige linksradikale Sektierer" das Projekt einer gemeinsamen Linkspartei gefährden. Immer wieder betonte er, es genüge nicht, "das Berliner Vorgehen einfach nur politisch zu missbilligen, ohne dagegen juristisch vorzugehen".

Gemeinsam mit dem Ehrenvorsitzenden der Linkspartei.PDS, Hans Modrow gab Maurer Ende vergangenen Jahr das Buch heraus: "Überholt wird links - Was kann, was soll was will die Linkspartei?" In einem Beitrag dieses Sammelbandes wird die Forderung aufgestellt, die "deutsche Linke" müsse endlich konstruktiv über die "nationale Frage" nachdenken. Es gebe hierzulande erst wieder normale Verhältnisse, wenn in Versammlungen der Linkspartei ebenso ungestört "Es lebe Deutschland" gerufen werden könne, wie bei Kundgebungen der französischen Kommunistischen Partei "Vive la France".

Dieselbe Art Nationalismus ist aus den Gewerkschaftszentralen bekannt. Er dient dazu, die Arbeiter zu spalten und an verschiedenen Produktionsstandorten gegeneinander auszuspielen. Immer deutlicher zeigen Linkspartei.PDS und WASG, die sich als letzte Stützen der bürgerlichen Herrschaft anbieten, ihr wahres reaktionäres Programm.

Siehe auch:
Landesverbände der WASG stellen sich gegen Linkspartei
(2. März 2006)
Linkspartei verabschiedet reformistisches Programm
( 31. August 2005)
Loading