Die europäischen und die amerikanische Regierung haben einen Bericht heftig angegriffen, der ihnen vorwirft, sie hätten bei illegalen Entführungen und der Folter von Terrorverdächtigen mit der amerikanischen CIA zusammengearbeitet.
Die Bush-Regierung bezeichnete den Bericht verächtlich als "aufgewärmt" und fügte hinzu, man sei "von seinem Ton enttäuscht". In Europas Hauptstädten reagierte man auf den Bericht des Europarats mit der Behauptung, er enthalte wenig stichhaltige Beweise, und indem man weiterhin leugnete, von den außerordentlichen Überstellungen der CIA, den renditions, gewusst zu haben.
Der Europarat beobachtet die Einhaltung der Menschenrechte in 46 europäischen Staaten. Er beauftragte den Ermittler Dick Marty mit der Ausarbeitung des Berichts, nachdem die Presse gemeldet hatte, europäische Länder hätten sich aufgrund geheimer Absprachen mit der CIA an amerikanischen Entführungen beteiligt und zugelassen, dass terrorverdächtige Häftlinge in Länder überstellt werden, in denen sie gefoltert werden können. Außerdem hatten Medien und Menschenrechtsgruppen behauptet, es gebe in Polen und Rumänien geheime CIA-Gefangenenzentren, so genannte "schwarze Löcher".
Marty stellt in seinem Bericht fest, dass die Vorwürfe gegen die USA und insgesamt vierzehn europäische Regierungen im Wesentlichen wahr seien. Mehrere Regierungen hätten zugelassen, dass die CIA Bürger ihres Landes entführt, während andere der Agentur erlaubt hätten, ihren Luftraum zu nutzen. "Europäische Regierungen waren schlicht bereit, das wissentlich zu ignorieren", sagte er.
Der Bericht beschriebt detailliert ein "globales Spinnennetz" von Gefangenenlager unter US-Leitung. Es erstreckt sich von offiziellen Einrichtungen wie Guantánamo Bay bis zu geheimen Orten. Dazu gehören die "schwarzen Löcher" in Osteuropa und anderen verbündeten Ländern, in denen Folter erlaubt ist.
Ex-stalinistische Länder wie Polen, Rumänien und die ehemaligen jugoslawischen Republiken Mazedonien und Bosnien-Herzegowina haben für die CIA eine besonders wichtige Rolle gespielt. Über Mazedonien sagt Marty, dessen Geheimdienst UBK verfüge über große Erfahrung "bei geheimen Überwachungen und Verhaftungen, da er jahrzehntelang ein eigenes Netz geheimer Wohnungen’ unterhalten hat. Informationen unserer internen Quellen zufolge arbeitet der UBK ebenso geschickt im Auftrag der CIA".
Der britische Premierminister Tony Blair sagte über den Bericht: "Der Europaratsbericht beinhaltet absolut nichts Neues." Überstellungen würden seit langer Zeit praktiziert und seien vollkommen legal, fuhr er fort, und weigerte sich im Übrigen, auf weitere Fragen einzugehen.
Die Londoner Times schrieb, der Bericht sei "nicht beweiskräftig", es fehle ihm "der stichhaltige Beweis, um die Sache abschließend zu beurteilen". Die Frankfurter Rundschau bezeichnete die Hinweise auf deutsche Beteiligung als "ein bisschen dünne" und den Abschlussbericht als "ausführliche Presseschau".
Polen und Rumänien dagegen sprachen von "Verleumdung". Martys Ermittlungsergebnisse deuten stark auf die Existenz von Gefangenenzentren auf ihrem Territorium hin.
Die gleichen Regierungen, die dem Europaratsbericht jetzt vorwerfen, er enthalte "nichts Neues", haben sich geweigert, Rechenschaft für ihr eigenes Verhalten abzulegen, und alle Ermittlungen und öffentlichen Untersuchungen über den Entführungsskandal blockiert. Sie haben alle erklärt, sie fragten nicht danach, zu welchem Zweck CIA-Flugzeuge ihren Luftraum durchquerten oder auf ihrem Territorium landeten. Oder sie sind, wie die britische Regierung, bereit, den Versicherungen Washingtons, es gebe keine Folter, unbesehen zu trauen.
Der Europarat hat nicht die Vollmacht, Beweise zu sammeln und Zeugen unter Eid zu vernehmen. Marty musste sich daher vorwiegend auf vorhandenes Beweismaterial stützen. Er beklagte sich über "den mangelnden Willen und die fehlende Bereitschaft der nationalen Behörden, die diese Vorwürfe hätten aufklären können und sollen. Stattdessen hätten sie mit "Schweigen und deutlichem Widerwillen" reagiert. Er folgerte daraus auch, dass es mehr Fälle gebe, als bisher bekannt wurden.
Es ist jedoch unwahr, dass Martys Bericht nichts Neues enthält. Es gelang ihm, der Flugprotokolle der von CIA-Frontorganisationen durchgeführten Flüge habhaft zu werden und diese mit Berichten von bekannten Entführungen abzugleichen. Dadurch lieferte er starke Indizien für die Beihilfe zu außerordentlichen Überführungen und auf die Existenz schwarzer Löcher in Polen und Rumänien.
Noch wichtiger ist, dass die von Marty gesammelten Beweise, die sich auf Aussagen von Augenzeugen - unter anderem von CIA-Opfern - stützen, den klaren Beweis liefern, dass europäische Regierungen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen geleistet haben, wie sie normalerweise für faschistischen Diktaturen charakteristisch sind. Das gilt für Regierungen, die - wie die deutsche und die schwedische - behauptet hatten, sie seien prinzipiell gegen den Irakkrieg, und solche, die - wie England und Italien - den Krieg und den mit ihm verbundenen "Krieg gegen Terror" als Kampf für die Demokratie verherrlicht hatten.
Hinter den Kulissen haben sie sich zu Komplizen erschreckender Verbrechen gemacht.
Marty konzentriert seinen Bericht auf außerordentliche Überstellungen, weil diese nach internationalem Recht unbestreitbar illegal sind. Er liefert eine detaillierte Darstellung des Schicksals von 17 Personen, die nach ihren Angaben von amerikanischen Stellen unrechtmäßig festgenommen wurden, und stellt dem die Aussagen inzwischen wieder Freigelassener gegenüber. Es entsteht ein Bild der übelsten Behandlung während der Entführungen und der folgenden Gefangenschaft.
Anhand dieser gut dokumentierten Entführungsfälle, von denen einige inzwischen die Gerichte beschäftigen, zeichnet Marty das Muster, nach dem die CIA-Greiftrupps auf europäischem Boden gegen europäische Bürger vorgehen.
Das Entführungsopfer wird in einen kleinen Raum geschafft (der als "Umkleideraum, ein Empfangsraum bei der Polizei" bezeichnet wird), wo es von mindestens vier schwarz gekleideten CIA-Agenten mit vermummten Gesichtern durchsucht wird und ihm die Augen verbunden werden. Das Opfer ist gefesselt und seine Kleider werden ihm vom Körper geschnitten. Mehrere Personen wurden in dieser Situation geschlagen. Das Opfer wird darauf nackt einer Untersuchung aller Körperöffnungen unterzogen und fotografiert.
Mehrere Berichte sprechen von "Fremdkörpern, die gewaltsam in den After des Mannes eingeführt werden; einige sprechen spezifischer von Beruhigungsmittel oder Zäpfchen, die durch den After verabreicht werden".
Danach werden dem Opfer eine Windel und ein Overall angezogen, es wird an Händen und Füßen gefesselt, seine Ohren verstopft und ein Stoffsack über seinen Kopf gezogen. Im Flugzeug wird die Person auf eine Matte oder einen Stuhl gebunden: "In einigen Fällen werden die Männer unter Drogen gesetzt, sodass sie von dem Entführungsflug kaum etwas oder gar nichts mitbekommen; in anderen Fällen machen schmerzende Fesseln und die Verweigerung von Trinkwasser und eines Toilettenbesuchs den Flug unerträglich."
Die Erfahrungen von zwei Gefangenen, die in dem Bericht beschrieben werden, sind typisch. Khaled El Masri ist deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung. Er wurde in Mazedonien festgenommen und landete schließlich in der afghanischen Hauptstadt Kabul, wo er während seiner viermonatigen Gefangenschaft getreten und geschlagen wurde.
Während seiner Gefangenschaft wurde El Masri von einem Mann besucht, den er inzwischen bei einer polizeilichen Gegenüberstellung als den deutschen Geheimdienstler Gerhard Lehmann identifiziert hat. Sein Fall wird momentan untersucht, aber es gibt starke Hinweise für eine deutsche Zusammenarbeit bei seiner außerordentlichen Überstellung durch die CIA.
Binyam Mohammed al-Habashi ist äthiopischer Staatsbürger mit Aufenthaltsrecht in Großbritannien und wurde in Pakistan ergriffen. Jetzt wird er in Guantánamo Bay festgehalten. Seinem Tagebuch, Briefen, Berichten von Familienmitgliedern und seinem Anwalt zufolge war Binyam in Marokko übelster Folter ausgesetzt.
"Die schlimmste Folter bestand darin, dass Binyam nackt ausgezogen und ihm Schnitte mit einem Skalpell am ganzen Körper zugefügt wurden: Einer von ihnen nahm meinen Penis in die Hand und begann, Einschnitte zu machen. Er tat das einmal, und dann warteten sie eine Minute um zu sehen, wie ich reagiere. Ich wand mich vor Schmerzen und versuchte an mich zu halten, musste aber laut schreien. Sie müssen das zwanzig bis dreißig Mal in etwa zwei Stunden gemacht haben. Ich war über und über mit Blut bedeckt. Sie schnitten überall an meinen Geschlechtsteilen herum. Einer sagte, es wäre besser, sie einfach abzuschneiden, da ich sowieso nur Terroristen zeugen würde.’"
Später berichtet Binyam, er sei an einen anderen, dreißig Minuten entfernten Ort gebracht worden, wo seine Kleidung vor den Augen englischsprachiger Zeugen von seinem Körper geschnitten wurde. "Es war eine weiße Frau mit Brille anwesend - sie machte die Bilder. Einer von ihnen hielt meinen Penis und sie machte Digitalphotos. Als sie meine Verletzungen sah, verschlug es ihr die Sprache. Sie sagte: Oh Gott, schaut euch das an.’"
Blair tut so, als ob es einen Riesenunterschied zwischen Überstellungen und außerordentlichen Überstellungen gebe, und gibt zu, dass Großbritannien zwei Anträge der USA auf Überstellung genehmigt hat. Aber Binyam gehört zu einer Gruppe von zehn Gefangenen, die nächstes Jahr vor eine militärische Sonderkommission der USA gestellt werden sollen. Damit ist er ein Beispiel dafür, wie Gefangene, die angeblich auf legitime Weise überstellt wurden, gewöhnlich von den USA und ihren Verbündeten behandelt werden.
Marty erklärt, dass ein großer Teil der persönlichen Informationen, die während der Folterverhöre gegen Binyam verwendet wurden, nur aus britischen Geheimdienstquellen stammen konnten. "Da der Zweck dieser Informationen durchaus vorhersehbar war, läuft die Bereitstellung dieser Informationen durch die britische Regierung auf eine Komplizenschaft mit Binyams Haft und Misshandlungen hinaus."
(Laut Amnesty International hat Binyam berichtet, er sei von britischen Geheimagenten verhört worden, und marokkanische Vernehmungsbeamten hätten ihm gesagt, sie arbeiteten mit dem britischen Geheimdienst zusammen.)
Die pauschale Zurückweisung des Berichts lässt erwarten, dass die CIA und andere amerikanische Regierungsstellen mit der Misshandlung und Folterung von Gefangenen fortfahren werden, und dass die europäischen Mächte ihre Zusammenarbeit mit Washington ebenfalls fortsetzen werden. Der Pressesprecher des Weißen Hauses Tony Snow sagte: "Internationale Zusammenarbeit im Krieg gegen den Terror ist unerlässlich, und Überstellungen haben nicht erst unter dieser Regierung begonnen, sie werden sicher auch in der Zukunft zur Anwendung kommen. Da bin ich mir sicher."
Auch die Blair-Regierung hat deutlich gemacht, dass sich für sie nichts ändern wird. Verteidigungsstaatssekretär Adam Ingram sagte, dass sich Großbritannien nicht verpflichtet fühle, die USA nach dem Zweck ihrer Flüge zu fragen, und dass die USA sie auch nicht offen legen müssten.
Wie andere europäische Regierungen auch verlangt Großbritannien von Washington lediglich, sich aus der Verantwortung herausreden zu können. Harriet Harman, Staatssekretärin für Verfassungsfragen, sagte der BBC: "Ich denke, wenn wir von [den Überstellungen] nichts wussten, dann hätten wir auch nicht gewusst, dass wir [von ihnen] nichts wussten."
Marty erklärt, die amerikanische Behandlung von Häftlingen sei "der europäischen Tradition und Sensibilität völlig fremd, sie verstößt eindeutig gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die Allgemeine Menschenrechtserklärung". Aber sein eigener Bericht zeigt, dass Europa der Führung Washingtons willig folgt.
Der Kampf der Großmächte um die Weltmärkte und Rohstoffe und die grenzenlose Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Großkonzerne ist mit der Beibehaltung demokratischer Rechte unvereinbar. Sie erfordern die brutale Unterdrückung jeden sozialen und politischen Widerstands im In- und Ausland. Der "Krieg gegen den Terror" ist nur der groteskeste und schärfste Ausdruck dieser Unterdrückung. Deswegen musste der Europarat anerkennen, dass zwar die USA dieses "abscheuliche Netz" von Gefangenenlagern und Folterzentren geschaffen haben, dies jedoch nur mit der "absichtlichen oder zumindest grob fahrlässigen Zusammenarbeit ihrer europäischen Partner" tun konnten.