Italien: Klare Mehrheit gegen Berlusconis Verfassungsreform

Die Reform der italienischen Verfassung, die das Rechtsbündnis unter Silvio Berlusconi noch kurz vor seiner Abwahl durchs Parlament gepeitscht hatte, ist am Wochenende von den Wählern mit deutlicher Mehrheit zurückgewiesen worden. Knapp 62 Prozent lehnten die Reform ab, lediglich 38 Prozent votierten dafür.

Es ist die dritte Niederlage für das Berlusconi-Lager in Folge. Hatte es die Parlamentswahl im April noch äußerst knapp verloren, fielen die Verluste bei den Kommunalwahlen vom Mai bereits wesentlich deutlicher aus, und die klare Ablehnung der Verfassungsreform hat viele Beobachter überrascht.

Selbst im Norden, wo die separatistische Lega Nord stark ist und das rechte Berlusconi-Lager bei den Parlamentswahlen im April noch viele Millionen Stimmen erhalten hatte, überwogen diesmal die Nein-Stimmen. Eine Ausnahme bildeten die zwei Regionen Lombardei und Venetien, doch selbst hier wurde in den Städten Mailand und Venedig die Verfassungsreform abgelehnt. In Rom votierten über zwei Drittel gegen die Reform.

Die Wahlbeteiligung lag mit 53 Prozent weit über den Erwartungen. Angesichts von drei Urnengängen innerhalb von drei Monaten, drückender Hitze und einem Spiel der italienischen Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft war mit einem weit geringeren Interesse gerechnet worden. Vor fünf Jahren hatten sich nur 34 Prozent an der Abstimmung über eine Verfassungsreform beteiligt. Der Corriere della Sera kommentierte: "Es ist eine glückliche Überraschung, die die Voraussagen über eine müde und demotivierte öffentliche Meinung Lügen straft."

Berlusconis Reform bedrohte wichtige Grundsätze, die nach dem Zusammenbruch des faschistischen Mussolini-Regimes Eingang in die italienische Verfassung gefunden hatten. Sie sah präsidiale Machtbefugnisse für den Regierungschef vor und zerstörte so das sorgfältig austarierte System der "Checks and balances" - der gegenseitigen Kontrolle der Verfassungsorgane Regierungschef, Staatspräsident, Abgeordnetenkammer, Senat und Justiz -, das der Wiederkehr eines diktatorischen Regimes vorbeugen sollte. Zum anderen sah sie eine weitgehende Regionalisierung und damit die schleichende Auflösung des 1861 gegründeten Einheitsstaats vor.

Die Reform betraf 50 der insgesamt 139 Artikel der 1948 in Kraft gesetzten Verfassung. Sie war in großer Hast und Eile zusammengeschustert worden. Laut Berlusconi hatten je ein Vertreter der Regierungsparteien den neuen Verfassungstext innerhalb von drei Tagen bei Polenta und Rotwein auf einer Berghütte in den Dolomiten geschrieben.

Er war derart dilettantisch verfasst, dass er auch unter Verfassungsjuristen auf heftigen Widerspruch stieß. So warnten 178 Professoren für Verfassungsrecht und 17 ehemalige Präsidenten und Vizepräsidenten des Verfassungsgerichtes in einem Appell vor der "gefährlichen Reform", die den Ministerpräsidenten mit einer "unhaltbaren Machtfülle" ausstatte und wegen ihrer Unausgegorenheit zahlreiche Kompetenzstreitigkeiten provozieren werde.

Der Regierungschef, der laut geltender Verfassung "Präsident des Ministerrats" heißt und eine Art primus inter pares ist, sollte aufgrund der Reform als "Premierminister" direkt vom Volk gewählt werden und nicht mehr vom Staatspräsidenten abhängig sein. Er sollte das Recht haben, Minister zu ernennen oder zu entlassen und das Parlament aufzulösen, was bisher alles dem Staatspräsidenten vorbehalten war. Außerdem sollte er in einer "Richtlinienkompetenz" den Kurs der allgemeinen Politik vorgeben.

Weiter sollten die zwanzig italienischen Regionen im Rahmen der so genannten Devoluzione größere Machtbefugnisse erhalten und für das Gesundheitssystem, die Schulen inklusive ihres Programms und für die regionale und lokale Polizei zuständig sein. Ein finanzieller Ausgleich zwischen den Ländern war nicht vorgesehen.

Dies hätte zwangsläufig die soziale Kluft zwischen Nord und Süd vertieft und zu massiven Angriffen auf elementare Grundrechte wie Bildung und Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung in den ärmeren südlichen Regionen geführt. Die Devoluzione war ein Zugeständnis an die Lega Nord von Umberto Bossi, die Berlusconis Mitte-Rechts-Koalition angehörte. Die Lega tritt für eine größere Selbständigkeit des prosperierenden Nordens gegenüber dem Süden ein und hat zeitweise die Gründung eines eigenen Staats gefordert.

Im Zusammenhang damit sollte auch die Funktion des Senats verändert werden. Er sollte nicht mehr eine zweite, gleichberechtigte nationale Kammer sein, sondern als eine Art Länderkammer für Fragen zuständig sein, die in die Kompetenz sowohl des Zentralstaats als auch der Regionen fallen.

Berlusconis Verfassungsreform war im Parlament gegen die Stimmen der damaligen Opposition und heutigen Regierung verabschiedet worden. Der neue Regierungschef Romano Prodi hat sich im Referendum dementsprechend für ein "Nein" eingesetzt, während sich Berlusconi bemühte, es zu einer Art Plebiszit über die neue Regierung hochzustilisieren. Das ist ihm gründlich missglückt.

Prodi hat aber sofort deutlich gemacht, dass er im Grundsatz mit der eingeschlagenen Richtung übereinstimmt, und der Opposition Gespräche über eine einvernehmliche Verfassungsreform angeboten. "Die Regierung hat die Pflicht, einen Dialog mit allen Parteien zu beginnen", meinte er. Dies solle so schnell wie möglich geschehen.

Die Lega Nord reagierte sofort auf Prodis Angebot. Roberto Maroni, der zweite Mann der Lega und Arbeitsminister unter Berlusconi, brachte einen möglichen Koalitionswechsel ins Gespräch. "Politische Allianzen sind für uns eine taktische Angelegenheit. Wir verbünden uns mit Kräften, die uns helfen können, Italien zu föderalisieren", sagte er der Zeitung La Repubblica.

Während Berlusconi seit dem Machtwechsel in Rom zunehmend an Einfluss verliert, verlassen auch andere Mitglieder seiner Koalition das sinkende Schiff. Neben der Lega Nord sehen sich vor allem die Christdemokraten nach neuen Koalitionsmöglichkeiten um. Sie hatten Berlusconi so lange unterstützt, wie er ihnen Macht und Einfluss sichern konnte. Und selbst in Berlusconis Partei Forzas Italia brodelt es.

Berlusconi und seine engsten Mitarbeiter versinken mittlerweile in einem Sumpf der Korruptionsskandale, vor denen sie sich nicht mehr schützen können, seit sie die Hebel der Macht aus der Hand geben mussten.

So füllte in den letzten Tagen die Verhaftung von Prinz Vittorio Emanuele von Savoyen, des Sohnes des letzten italienischen Königs, die Schlagzeilen. Der Prinz steht unter der Anklage von Korruption, Betrug und Ausbeutung von Prostituierten unter Hausarrest. Die Regierung Berlusconi hatte dem italienischen Thronanwärter 2002 nach 56-jährigem Exil durch eine Verfassungsänderung die Rückkehr gestattet, und dieser hatte sich in der Spielbankgemeinde Campione in kurzer Zeit zum Chef einer kriminellen Bande aufgeschwungen. 13 weitere Personen sind mit angeklagt, darunter der Pressesprecher von Berlusconis Außenminister Gianfranco Fini, des Chefs der postfaschistischen Nationalen Allianz.

Der Prinz von Savoyen ist aber nur einer von vielen Reichen und Illustren, die im Dunstkreis der Regierung Berlusconi ihr Unwesen trieben.

Der 36-jährige Raffaele Fitto, Präsident der Region Apulien und Mitglied von Berlusconis Forza Italia, wurde ertappt, wie er für einen Bauauftrag 500.000 Euro Schmiergeld verlangte. Der Christdemokrat Salvatore Cuffaro, Präsident der Region Sizilien, steht unter dem Verdacht, Kontakte zu Mafiosi unterhalten zu haben. Cesare Previti, Ex-Verteidigungsminister, persönlicher Anwalt und enger Freund Berlusconis, steht mit einem Fuß im Gefängnis, nachdem der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz gekippt hat, das dem wegen Richterbestechung zu sechs Jahren Haft Verurteilten eine Amnestie gewährte. Der Immobilienhändler Stefano Ricucci sitzt bereits im Gefängnis, nachdem er im Auftrag eines Berlusconi nahe stehenden Finanziers versucht hatte, mit 400 Millionen Euro Schwarzgeld die Tageszeitung Corriere della Sera aufzukaufen.

Und schließlich steht - was in der Öffentlichkeit nicht zu unterschätzen ist - Berlusconis Fußballclub AC Milan im Verdacht, an der systematischen Manipulation von Fußballspielen beteiligt gewesen zu sein, die gegenwärtig die italienische Sportwelt erschüttert.

Während Berlusconis Welt, wie es ein Kommentar beschreibt, "wie ein Kartenhaus zusammenfällt", bereitet sich die Regierung Prodi auf die Lösung der Aufgaben vor, die die herrschende Klasse von ihr erwartet und für die sich Berlusconi als zu schwach erwies: Auf die Konsolidierung des Haushalts durch Sozialabbau und Erhöhung der Massensteuern, die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und die Fortsetzung des Militäreinsatzes in Afghanistan. Bereits im Herbst steht die Abstimmung über das nächste Haushaltsgesetz an.

Bisher konnte sich Prodi vor allem auf die Nachfolgeorganisationen der Kommunistischen Partei stützen - die Linksdemokraten, die Italienischen Kommunisten und die Kommunistische Neugründung (Rifodazione). Diese wiederum hielten ihre Mitglieder und Wähler bei der Stange, indem sie ihnen erklärten, nur durch die Unterstützung Prodis könne Berlusconi von der Macht verdrängt werden. Nach Berlusconis Niedergang dürfte ihnen das schwerer fallen.

Doch Prodi hat vorgesorgt. Mit dem Zerfall des rechten Lagers stehen im neue, potentielle Koalitionspartner zur Verfügung. Das italienische Parteiengefüge könnte wieder in Bewegung geraten. Das Verdienst der so genannten "Linken" wäre es dann gewesen, das bürgerliche Regime solange gestützt und eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse unterbunden zu haben, bis sich die herrschende Klasse neu organisiert hat.

Siehe auch:
Italiens Verfassungsreform: Das Ende der Nachkriegsdemokratie
(3. Dezember 2005)
Die neue italienische Regierung: Hochburg der Rechten mit roten Gardinen
( 19. Mai 2006)
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