In einem Leitartikel mit der Überschrift "So schlimm wie die Nazis" startete das Wall Street Journal letzten Montag eine Verleumdungskampagne gegen das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und versuchte gleichzeitig, die Verbrechen, die das US-Militär in seinem illegalen Krieg im Irak verübt, herunterzuspielen.
Die Redaktion der Zeitung, die in ihren Artikeln die reaktionären Ansichten der Bush-Regierung getreulich wiedergibt, war empört über einen angeblichen Zwischenfall, bei dem ein frustrierter Mitarbeiter des Roten Kreuzes das US-Personal in Camp Bucca, einem Gefangenenlager im Irak, mit KZ-Wächtern verglichen hatte.
In Wirklichkeit hatte sich der Zorn des Journals an einer Erklärung des IKRK vom 19. Mai entzündet, in der das Rote Kreuz öffentlich erklärt hatte, es habe sich schon mehrmals bei der US-Behörde über Koranschändungen im Lager Guantanamo Bay beschwert. Darauf hatte auch die Zeitschrift Newsweek zu Beginn des Monats in einem Kurzbericht hingewiesen.
Der IKRK-Bericht torpediert eine Kampagne der Bush-Regierung, die unter Berufung auf ein technisches Versehen im Newsweek -Artikel versucht, die gut dokumentierte Anklage der Koranschändung als Falschmeldung hinzustellen. Vor dieser Kampagne gingen Newsweek und die übrigen Massenmedien augenblicklich in die Knie und trugen sogar noch zu ihrem Erfolg bei, indem sie es der Regierung ermöglichten, die lange Liste der Enthüllungen über US-Verbrechen seit Abu Ghraib als bloße verleumderische Erfindungen einer "voreingenommenen" Presse hinzustellen.
Das Journal klagte, das IKRK habe seine Erklärung "gerade in dem Moment" veröffentlicht, "als die USA bemüht waren, den Schaden in der muslimischen Welt einzudämmen, den die diskreditierte Story von Newsweek angerichtet hatte".
Dies ist barer Unsinn. Der "Schaden in der muslimischen Welt" entstand nicht wegen zweier kurzer Absätze in Newsweek, sondern wegen der Aggressionskriege, Massenverhaftungen, Folter und Mord, die von der Bush-Regierung von Irak bis Guantanamo im Verlauf der letzten vier Jahre verübt wurden. Jener Zeitungsartikel war höchstens der zufällige Funke, an dem sich die explosive Empörung gegen die US-Politik und -Methoden in der ganzen Region entzündete.
Der Leitartikel des Journals schreibt die IKRK-Erklärung einer "ideologischen" Voreingenommenheit des IKRKs zu, das es darauf abgesehen habe, "die Vereinigten Staaten, notfalls in unfairer Weise, in Verlegenheit zu bringen". Der Leitartikel gibt keinen Hinweis darauf, was der Grund dieser angeblichen Voreingenommenheit sein könnte.
Das IKRK selbst ließ jedoch keinen Zweifel daran, warum es bereit war, sein übliches Stillschweigen über die Ergebnisse seiner Inspektionsreisen zu brechen und die Koran-Affäre an die Öffentlichkeit zu bringen.
"Weil diese Berichte schon über andere Kanäle an die Öffentlichkeit gedrungen waren und wegen ihrer Auswirkung in Afghanistan und weltweit kamen wir zum Schluss, öffentlich darüber sprechen zu können, dass wir die US-Behörden schon früher davon unterrichtet hatten und dass wir eine wertvolle Arbeit machen", sagte IKRK-Sprecher Simon Schorno letzte Woche.
Mit andern Worten versucht das IKRK, seine Glaubwürdigkeit in der Region aufrechtzuerhalten und deutlich zu machen, dass es die Sache angesprochen und die brutalen Häftlingsmisshandlungen nicht etwa stillschweigend toleriert habe. Es stützt sich nicht auf die schöngefärbte Darstellung Washingtons, sondern geht davon aus, dass die Vorwürfe gegen die USA zu Recht von Millionen in der ganzen muslimischen Welt ernst genommen werden.
Die Erklärung dafür, warum die Beziehung des IKRK zu Washington nicht frei von Konflikten ist, liegt nicht in einer versteckten ideologischen Grundhaltung, worauf das Journal anspielt, sondern darin, dass die US-Behörden illegale Methoden anwenden und die Vertragsgrundlagen für die Arbeit des IKRK, wie z. B. die Genfer Konvention, mit Füßen treten.
Im Irak und anderswo heißt das konkret, dass den Inspektoren des Roten Kreuzes der Zugang zu US-geführten Gefangenenlagern verweigert wird und dass darin sogenannte "Geister"-Häftlinge versteckt gehalten werden.
Ganz nach der Logik der Urheber von Washingtons weltweitem Netz von Gefangenenlagern und Folterzentren unter US-Kontrolle bezeichnet auch das Journal einen früheren IKRK-Bericht verächtlich als "absurd", worin das Rote Kreuz die unbegrenzte Inhaftierung von Guantanamo-Häftlingen ohne Anklageerhebung als "gleichbedeutend mit Folter" verurteilt hatte.
Die Journal -Herausgeber weisen darauf hin, dass das IKRK sich über die Weigerung Washingtons, Guantanamo-Häftlinge als Kriegsgefangenen anzuerkennen, beschwert habe, und fügen hinzu: "Die Genfer Konvention erlaubt ausdrücklich, Kriegsgefangene unbegrenzt festzuhalten - d. h. solange ein Konflikt andauert."
Diese zynische Spitzfindigkeit läuft darauf hinaus, dass die Vereinigten Staaten an keine Gesetze gebunden seien und mit jedem angeblichen "Terroristen" machen könnten, was sie wollen. Der "Konflikt", auf den sie sich beziehen - der "globale Krieg gegen Terrorismus" - ist nur ein Vorwand für nicht endende amerikanische Aggressionskriege im Ausland. Bush und andere haben erklärt, dieser sogenannte Krieg werde jahrzehntelang dauern, was bedeutet, dass sich die amerikanische Regierung das Recht anmaßt, jedermann lebenslang einzusperren, ohne auch nur den Schatten eines Schuldbeweises vorlegen zu müssen.
Wie steht es nun um den selbstgerechten Argwohn des Journal gegen den angeblichen Nazivergleich? Die Herausgeber bestätigten, dass Nachrichten über ihren geplanten Leitartikel vor der Veröffentlichung am Montag bekannt geworden waren. Es erschienen Warnungen im Internet, in denen sie schrieben, "dass wir vorhätten, das IKRK zu verleumden".
Das ist zweifellos der Fall - wie sehr die Herausgeber es auch leugnen. Kann jedoch die Anschuldigung - ob wahr oder unwahr -, dass jemand die Vorgänge in den US-Gefangenenlagern mit Praktiken der Nazis verglichen habe, wirklich als Verleumdung angesehen werden?
Wenn die Bemerkung tatsächlich gemacht worden ist, ist sie einem IKRK-Beamten, der vom US-Militär behindert oder gar bedroht wird, ohne Zweifel in einem Moment der Wut und Frustration herausgerutscht. Diese Beamten sind in der Kunst der Diplomatie geschult und vermeiden üblicherweise derartig offene Stellungnahmen, um nicht den Zugang zu Plätzen zu verlieren, an denen Folter und Missbrauch im Nazi-Stil ausgeübt werden.
Camp Bucca ist natürlich nicht das Gleiche wie Auschwitz oder Treblinka, wo die Nazis Millionen systematisch in Gaskammern umgebracht haben. Aber es gibt eine unleugbare Beziehung zwischen den Methoden, die jene historischen Verbrechen hervorgebracht haben, und den Methoden, die zu der von den USA organisierten Barbarei an der irakischen Bevölkerung führten.
Jede Absicht, das IKRK "verleumden" zu wollen, von sich weisend, heißt im Journal : "Wir versuchen zu verstehen, wie ein Vertreter einer der Neutralität und ehrlichen Untersuchung der Behandlung von Gefangenen verschriebenen Organisation amerikanische Soldaten mit der Nazi SS vergleichen konnte."
Nun, sie könnten anfangen, indem sie noch einmal den von Major General Antonio Tabuga herausgegebenen Bericht über die unleugbaren Misshandlungen im Abu-Ghraib-Gefängnis und in Camp Bucca lesen. Nachdem Fotografien von Folter und sexuellem Missbrauch in Abu Ghraib veröffentlicht worden waren, blieb dem Pentagon keine andere Wahl, als eine Untersuchung durchzuführen und diesen Bericht als eine Art Schadensbegrenzung zu benutzen. Unter Berücksichtigung seiner Autoren spricht dieses Dokument Bände über die Verderbtheit, die das US-Abenteuer im Irak beherrscht.
Zu den von Tabuga aufgezählten "willentlichen Misshandlungen von Gefangenen durch Militärpolizeipersonal" gehörte folgendes:
* Stoßen, Schlagen und Treten von Gefangenen; auf ihre nackten Füße springen;
* Videoaufzeichnung und Fotografieren von nackten männlichen und weiblichen Gefangenen.
* erzwungenes Arrangieren von Gefangenen in verschiedenen sexuell eindeutigen Stellungen für Fotografien;
* Gefangene zwingen, ihre Kleidung abzulegen und sie über mehrere Tage am Stück nackt sein zu lassen;
* nackte männliche Gefangenen zwingen, Frauenunterwäsche zu tragen;
* Gruppen männlicher Gefangener zwingen, zu masturbieren, während sie fotografiert und gefilmt werden;
* nackte männliche Gefangene in einem Haufen zu arrangieren und dann auf sie zu springen;
* einen nackten Gefangenen auf eine Kiste zu stellen, mit einer Kapuze über dem Kopf und an seinen Fingern, Zehen und Penis Drähte zu befestigen, um elektrische Folter zu simulieren;
* "Ich bin ein Vergewaltiger" auf das Bein eines Gefangenen zu schreiben, von dem sie behaupteten, einen 15-jährigen Mitgefangenen brutal vergewaltigt zu haben, und ihn dann nackt zu fotografieren;
* eine Hundekette oder -Leine um den Hals eines nackten Gefangenen zu legen und eine Soldatin für ein Foto posieren zu lassen;
* ein MP-[Militärpolizei]-Wachmann hat Sex mit einer Gefangenen;
* Militärhunde (ohne Maulkörbe) zu benutzen, um Gefangene einzuschüchtern und zu ängstigen und in mindestens einem Fall einen Gefangenen zu beißen und ernsthaft zu verletzen;
* Fotos von toten irakischen Gefangenen zu machen.
Zusätzlich zu diesen Handlungen - die wegen vorhandener Beweise in Form von Fotografien und Videobändern nicht geleugnet werden konnten - sagte der General, er habe "glaubhafte" Beschreibungen von Gefangenen über weitere Handlungen gehört, darunter sind:
* das Zerbrechen chemischer Leuchten und Ausschütten des flüssigen Phosphor über Gefangene;
* Gefangene mit einer geladenen 9-Millimeter Pistole zu bedrohen;
* Kaltes Wasser über nackte Gefangene zu schütten;
* Gefangene mit einen Besenstil und einem Stuhl zu schlagen;
* männlichen Gefangenen mit Vergewaltigung zu drohen;
* einem Wachposten der Militärpolizei zu erlauben, die Wunde eines Gefangenen zu nähen, der verletzt war, nachdem er gegen die Wand seiner Zelle geworfen worden war;
* einen Gefangenen zu Sodomie mit einer chemischen Leuchte und vielleicht einem Besenstiel zu zwingen.
Das Journal könnte aber auch ein besseres Verständnis der Analogie zwischen den Nazis und Camp Bucca erlangen, wenn es sich die Aussagen von Hossam Shaltout genauer ansähe - einem in Ägypten geborenen kanadischen Staatsbürger, der seinen ständigen Aufenthalt in den USA hat und 2003 vom US-Militär im Irak festgenommen worden war.
"Er beschrieb Camp Bucca als Folterlager’, wo Soldaten Gefangene schlugen und erniedrigten, indem sie sie z. B. nackt übereinander schichteten oder zwangen, sexuelle Posen einzunehmen", berichtete die Nachrichtenagentur Knight Ridder. "Shaltout sagte, er habe gesehen, wie Soldaten Gruppen von nackten Gefangenen aneinanderfesselten. Er sagte aus, sie hätten seine Hände an seine Beine gefesselt und Skorpione auf seinen Körper gelegt. Amerikanische Soldaten lieben Skorpione‘, sagte Shaltout."
"Sie haben Irakern unaussprechliche Dinge angetan", sagte Shaltout letztes Jahr gegenüber CBS. "Sie wollen Geständnisse", sagte er. "Viele der Gefangenen hatten aber nichts zu gestehen."
Im Februar zitierte eine Gruppe muslimischer Geistlicher in Bagdad Briefe von Gefangenen und berichtete von schrecklichen Misshandlungen: US-Wachen brachen Gefangenen die Beine, zerschmetterten ihre Finger und zwangen sie, stundenlang in großen Tiefkühltruhen zu sitzen.
Im Dezember letzten Jahres berichtete die Washington Post über die Erfahrungen von Ahnad Naje Dulaimi, einem 23jährigen Bagdader Kellner, der aufgegriffen und zu Verhören ins Camp Bucca gebracht worden war. Er hatte mit einem männlichen und einem weiblichen Amerikaner und einem kuwaitischen Dolmetscher zu tun. "Kaum war der Soldat in den Raum gestürmt, sage Dulaimi, habe er auf seinen Kopf uriniert", berichtete die Post.
Die Armee musste einige der Übergriffe in Bucca bestätigen. Vier Soldaten des 320. Militärpolizeibataillons wurden der systematischen Misshandlung von Gefangenen angeklagt. Zwei Mann hatten die Beine von Gefangenen auseinandergezogen, während ein Dritter ihnen in die Leiste trat.
Ist das nicht genau der Stil von Nazischergen? Und ist nicht die verquere Ideologie, die dem zu Grunde liegt, vergleichbar mit der, die das dritte Reich unter seinen Truppen verbreitete, die zur Eroberung Polens und der Sowjetunion ausgeschickt worden waren? Ihre Gegner waren angeblich Untermenschen, die mit grenzenloser Grausamkeit behandelt werden konnten.
Die Grausamkeiten verfolgen heute einen sehr ähnlichen Zweck wie vor 60 Jahren im besetzten Europa. Realistische Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen besagen, dass 90 Prozent der von der US-Armee festgesetzten Menschen nichts mit dem bewaffneten Kampf gegen die Besatzung zu tun haben. Wie sehr sie auch gefoltert werden, es gibt eben nichts, was sie gestehen könnten. Aber ihre Misshandlung zielt darauf ab, die Bevölkerung zu terrorisieren und physisch einzuschüchtern, damit sie ihre Unterstützung für den Widerstand aufgibt.
Und was noch wichtiger ist: die Quelle der Verbrechen im Irak und der von Hitlers SS begangenen Verbrechen ist im Wesentlichen die gleiche: nämlich ein krimineller Aggressionskrieg.
Zu diesem Schluss kam das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, das alle Verbrechen des Nationalsozialismus als Ausfluss der Planung und Ausführung eines Aggressionskriegs durch das Hitler-Regime sah.
Die Genfer Konventionen von 1949 waren eine Reaktion auf die Naziverbrechen im besetzten Europa. Es ist daher kaum ein Zufall, dass die Bush-Regierung, sobald sie einen unprovozierten Aggressionskrieg begonnen und die Politik des Präventivkriegs angenommen hatte, genau diese Konventionen zurückwies, und sie in den Worten des vormaligen Rechtsberaters des Weißen Hauses und jetzigen Justizministers Alberto Gonzales für "wunderlich" befindet.
Das Wall Street Journal zieht die Schlussfolgerung, dass es an der Zeit sei, das 140 Jahre alte Internationale Komitee des Roten Kreuzes gleich mit zu entsorgen. "Die Welt braucht eine wirklich neutrale humanitäre Organisation, wie sie das IKRK eigentlich sein sollte", erklärt es. "Aber der Zwischenfall mit Camp Bucca... zeigt, dass es diesem Anspruch gegenwärtig nicht gerecht wird."
Die journalistischen Kriegstreiber beim Journal geben die Ansichten ihrer Gönner im Weißen Haus wieder. Sie können keinen Widerstand gegen die US-Politik und gegen Washingtons Lügen und die Verschleierungen seiner kriminellen Aktivitäten im Irak dulden. Kräfte, die sich, im Gegensatz zu Newsweek, nicht einschüchtern lassen, müssen eliminiert werden.