Newsweek dementiert den Bericht über Missbrauch in Guantanamo

Auf Druck des Pentagon und des Weißen Hauses zog das Nachrichtenmagazin Newsweek am Montag einen Bericht zurück, der anti-islamische Übergriffe gegen Häftlinge des Konzentrationslagers Guantanamo Bay auf Kuba geschildert hatte. Der Artikel hatte vergangene Woche in ganz Afghanistan antiamerikanische Unruhen ausgelöst, die mindestens siebzehn Todesopfer forderten und sich auf weitere Länder der muslimischen Welt ausbreiteten.

Die Rücknahme des Artikels ist ein Akt journalistischer Feigheit und bezeugt das immer engere Verschmelzen der amerikanischen Medien mit dem Staatsapparat. Es ist durchaus nicht das erste Mal, dass etablierte Nachrichtenorgane auf Druck der Regierung die Berichterstattung über bestimmte Themen einstellen.

Der beanstandete Artikel war in der Newsweek Ausgabe vom 9. Mai erschienen. Unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten hohen US-Beamten kündigte er an, dass in Kürze ein Bericht des Südkommandos des Pentagon über Missbrauch in Guantanamo erscheinen werde. Darin werde unter anderem über einen Fall berichtet, in dem "Verhörspezialisten versucht hätten, Verdächtige dadurch aus der Fassung zu bringen, dass ein Koran die Toilette hinuntergespült wurde".

Diese Schilderung wurde von afghanischen und pakistanischen Medien aufgegriffen und rief unter Muslimen Empörung hervor.

Brian Whitman, ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, verurteilte den Bericht der Newsweek als "unverantwortlich" und "nachweislich falsch". Er sagte: "Das Magazin versteckt sich hinter anonymen Quellen, die nach eigenem Eingeständnis nicht belastbar sind. Leider können die Verantwortlichen den Schaden nicht mehr gutmachen, den sie unserer Nation und denen, die durch diese falschen Beschuldigungen in Misskredit gebracht wurden, zugefügt haben."

Der Chefsprecher des Pentagon ging noch weiter. Er sagte: "Sie haben eine Geschichte gedruckt, die auf irrigen Quellen beruhte, bzw. auf Quellen, die nachweislich falsch waren. Das Ergebnis waren Unruhen, bei denen Menschen ums Leben kamen."

Am Montag schaltete sich auch das Weiße Haus ein. "Der Bericht hatte ernste Konsequenzen", sagte Präsidentensprecher Scott McClellan. "Menschen haben ihr Leben verloren. Das Ansehen der Vereinigten Staaten ist beschädigt worden."

Weiter kritisierte er das Magazin, weil es die Geschichte noch nicht zurückgezogen hatte und nicht in der Lage sei, "einen bestimmten journalistischen Standard" zu gewährleisten. Dieser Vorwurf kommt ausgerechnet von einer Regierung, zu deren "Standard" die Verbreitung falscher Nachrichten über die Medien, das Bezahlen von Kolumnisten für die Unterstützung der eigenen Politik und das Verkaufen bezahlter Regierungspropaganda als Nachrichten gehört.

Mit ausgesprochen drohendem Unterton äußerte sich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld persönlich. Er warnte: "Sie sollten aufpassen, was sie sagen und was sie tun." Er deutete damit unmissverständlich an, dass man regierungskritische Äußerungen auch als kriminell ansehen könnte.

Zu dem Angriff auf Newsweek sah sich die Regierung durch eine "Entschuldigung" ermutigt, die in der Ausgabe des Magazins vom 13. Mai erschienen war. Unter intensivem Druck des Pentagon sah sich Newsweek gezwungen, einzugestehen, dass seine Quelle, der ungenannte hohe Beamte, nicht mehr sicher sei, ob er den Fall des die Toilette hinuntergespülten Koran im Bericht des US-Südkommandos oder in einem anderen offiziellen Dokument gelesen habe.

Mark Whitacker, der Herausgeber von Newsweek, gewährte der Öffentlichkeit einen entlarvenden Einblick in die Beziehungen der privaten Medien zur Regierung. Der Bericht, sagte er, dem Pentagon vor der Veröffentlichung vorgelegt worden und wäre nicht gedruckt worden, wenn das Pentagon Einwände erhoben hätte.

Ob sich die Quelle in Regierungskreisen nun über die genaue Herkunft des Pentagon-Berichts getäuscht hat oder nicht, die Substanz der Vorwürfe in dem Artikel über die Behandlung der Häftlinge steht außer Frage.

Auf den feigen Rückzug von Newsweek folgte am Montag eine ekelerregende Welle von Berichten in den Fernsehnachrichten. Sie alle taten so, als ob die Unklarheit darüber, welches Regierungsdokument die kriminellen Handlungen in Guantanamo bestätigt hatte, gleichbedeutend damit sei, dass diese Handlungen gar nicht stattgefunden hätten. Offensichtlich waren diejenigen, die die Massenmedien kontrollieren, zum Schluss gekommen, sie könnten der Kritik der Regierung am besten entgehen, indem sie in die Hatz der Rechten gegen den Artikel einstimmten.

Den Bericht über die gezielte Entweihung des Koran - der nicht mehr als einen halben Satz in einem zweispaltigen Artikel in der Ausgabe vom 9. Mai ausmachte - kann man nicht gerade als einen Reißer bezeichnen. Es hat in den letzten zweieinhalb Jahren zahlreiche Berichte über Gefängniswärter und Verhörspezialisten gegeben, die Angriffe auf die Religion der muslimischen Häftlinge als Mittel benutzt haben, diese "zu brechen".

Den Koran in die Toilette geworfen

Am 26. März 2003 berichtete die Washington Post, dass sich eine Gruppe von 18 Afghanen, die am Tag zuvor aus Guantanamo entlassen worden waren, "darüber beklagte, dass amerikanische Soldaten den Islam beleidigten, indem sie sich auf den Koran setzten oder dessen geheiligte Textseiten in eine Toilette warfen, um sie zu verhöhnen".

Einer der Männer berichtete, US-Soldaten hätten die gleiche Taktik schon in einem Gefängnis in Kandahar in Afghanistan angewandt. "Für uns war das eine schreckliche Situation", sagte er. "Wir schrieen und riefen: ‚Bitte, tut das dem heiligen Koran nicht an’."

Weitere Hinweise auf diese Art von psychologischer Folter, die an den religiösen Überzeugungen der Häftlinge ansetzt, ergaben sich, als ein Jahr später, im März 2004, drei Briten nach mehr als zweijähriger amerikanischer Gefangenschaft in Afghanistan und in Guantanamo entlassen wurden.

Die drei Männer - Shafiq Rasul, Asif Iqbal und Rhuhel Ahmed - veröffentlichten gemeinsam eine Erklärung, in der sie die Gefängniswärter in Guantanamo beschuldigten, systematisch ihren Glauben beleidigt zu haben.

Asif erklärte: "Die Art und Weise, wie die Gefängniswärter unsere religiösen Bräuche und den Koran behandelten, zielte meiner Ansicht nach auch darauf ab, uns so viel Kummer wie möglich zuzufügen. Sie traten nach dem Koran, warfen ihn in die Toilette und gingen überhaupt respektlos damit um. Ich bin sicher, dass die Bedingungen in unsern Zellen und der allgemeine Umgang mit uns absichtlich so schlecht waren, weil die Untersuchungsoffiziere uns ‚weich klopfen’ wollten."

Er berichtete auch, die US-Militärwachen hätten häufig den Ruf zum Gebet gestört. "Die Amerikaner reagierten, indem sie entweder die Person, die zum Beten aufrief, zum Schweigen brachten, oder - was häufiger geschah - laute Rockmusik abspielten, um den Ruf zu übertönen. Oder sie gingen in den Käfig desjenigen, fesselten ihn und ließen ihn vier oder fünf Stunden so liegen."

Die anderen entlassenen Briten schilderten ähnliche Vorfälle; unter anderem hatten Wächter den Koran auf den Boden geworfen und danach getreten.

Im letzten Januar berichteten Rechtsanwälte, die in Guantanamo inhaftierte Kuwaiter verteidigten, ihre Klienten hätten ähnliche Vorwürfe erhoben. "Mehrere unserer Klienten erzählten uns, dass die Gefängniswärter den Koran entweiht hätten", sagte Kristine Huskey, eine Rechtsanwältin, gegenüber AFP. "Mindestens zwei sagten aus, dass man den Koran in eine Toilette geworfen habe, ein weiterer sagte, man hätte darauf herumgetrampelt, und noch ein anderer sagte, ein Wächter habe ihn weggeworfen und/oder darauf gespuckt."

Ein Anwalt aus New York, der 13 jemenitische Gefangene in Guantanamo vertritt, berichtete ebenfalls von "systematischem" religiösem Missbrauch gegen seine Klienten. Der Rechtsanwalt, Marc Falkoff, sagte zu BBC News: "Die Regierung versucht, sie in religiöser Hinsicht zu demütigen." Auch er zitierte Berichte seiner Klienten, wonach amerikanische Verhörspezialisten den Koran auf den Boden geworfen und darauf herum getreten hätten.

Danach berichtete Falkoff Newsweek, im August 2003 sei es zu einer Welle von Selbstmordversuchen gekommen, als ein Wächter auf einem Koran herumgetrampelt habe. 23 Gefangene hätten versucht, sich aufzuhängen oder zu ersticken.

Hinzu kommt der Fall von Brahim Benchecrún, einem 26-jährigen Marokkaner, der der spanischen Tageszeitung Diario de León ein Interview gab, nachdem er über zwei Jahre in Guantanamo verbracht hatte.

Er erklärte, die anti-muslimischen Einschüchterungen hätten schon begonnen, als er in Afghanistan im Gefangenenlager von Bagram festgehalten wurde.

"Sie packten den heiligen Koran, warfen ihn auf den Boden, rissen ihn auseinander, urinierten darauf und warfen ihn schließlich in die Latrine", sagte er. "Sie hielten uns vom Beten ab", fügte er hinzu. "Wenn jemand zum Beten aufrief, lachten die Amerikaner, sangen und tanzten."

Die New York Times vom 1. Mai diesen Jahres veröffentlichte einen Bericht unter der Überschrift: "Untersuchung deckt Missbrauch in Guantanamo Bay auf." Er handelt von jener Militäruntersuchung über Missbrauch, die auf Memoranden von FBI-Agenten hin veranlasst worden war, nachdem diese im Anschluss an einen Besuch des Lagers auf Kuba den Umgang mit Häftlingen kritisiert hatten.

Darin wurde ebenfalls ein vor kurzem freigelassener Häftling zitiert, der berichtete, wie es unter den Gefangenen zu einem Hungerstreik gekommen war, nachdem Gefängniswärter Koranbücher auf einen Haufen geworfen und darauf herumgetrampelt hatten. Der Hungerstreik wurde laut der Times erst eingestellt, als ein hochrangiger US-Offizier eine Entschuldigung über den Lagerlautsprecher verlas. Die Zeitung zitierte einen ehemaligen Verhörspezialisten, der den Bericht über den Hungerstreik und die Entschuldigung für die Entweihung des Korans bestätigte.

Eine auf höchster Ebene entwickelte Methode

Allein die Menge derartiger Berichte und die Anzahl unterschiedlicher Quellen, die über ähnliche Zwischenfälle berichten, zeigen ohne Zweifel, dass die von Newsweek beschriebene Schändung des Korans tatsächlich stattfand. Dass die selbe Art von Missbrauch in verschiedenen US-Gefängnissen sowohl in Afghanistan wie in Kuba beobachtet wurde, macht außerdem deutlich, dass es sich nicht um nicht autorisierte Gewaltakte einzelner Soldaten handelte. Vielmehr haben führende Vertreter des amerikanischen Militärs und der Führung des Pentagons Methoden entwickelt und angeordnet, die den Willen von Häftlingen mittels religiöser Beleidigungen zerstören sollten.

Angesichts der Einschüchterungskampagne der Regierung, die ein breites Echo in den Medien fand, entschuldigte sich Newsweek halbherzig. "Wir bedauern, falls wir in einem Teil unseres Berichts falsch lagen, und sprechen den Opfern der Gewalt und den davon betroffenen US-Soldaten unser Beileid aus", schrieb Whitaker in der Ausgabe vom 23. Mai.

Die Bemühungen des Pentagon, Newsweek die Verantwortung für den größten antiamerikanischen Aufstand in Afghanistan seit der US-Invasion verantwortlich zu machen, wurde von feierlichen Bekundungen amerikanischer Amtspersonen begeleitet. Von Außenministerin Condoleezza Rice abwärts beschworen sie, wie sehr sie den "heiligen Koran" respektierten.

Wer soll das glauben? Von Afghanistan über den Irak bis Guantanamo hat das US-Militär Gefangene gefoltert und sexuell misshandelt und dabei nicht wenige zu Tode geprügelt, aber eine heilige Schrift würde sie niemals anrühren?

Ein Halbsatz in Newsweek konnte nur deshalb in ganz Afghanistan und großen Teilen der muslimischen Welt Tausende auf die Straße treiben, weil die aggressiven Methoden, mit denen die USA in der Region im Namen der Terrorismusbekämpfung vorgehen, die Menschen zur Weißglut gebracht hat.

In Afghanistan hat die dreieinhalbjährige Besatzung viel Verbitterung hervorgerufen. US-Truppen durchsuchen immer noch routinemäßig Häuser und führen beim geringsten Verdacht Verhaftungen durch. Die Opfer verschwinden einfach in den amerikanischen Gefangenenlagern.

Mit ihren massiven Angriffen auf Newsweek ist es der Regierung erneut gelungen, die Medien einzuschüchtern und jeden zu warnen, der es wagt, die offizielle Version über die amerikanische Militäraktionen im Ausland in Frage zu stellen.

Die Schlussfolgerung aus den Tiraden des Pentagons und des Weißen Hauses ist eindeutig: Allein schon die Berufung auf ungenannte Regierungsquellen ist unzulässig. Dabei sind dies praktisch die einzigen Quellen, denen man Informationen über Regierungskriminalität entnehmen kann. Was Guantanamo Bay und das globale Netz amerikanischer Gefangenenlager betrifft, so hat die Bush-Regierung mit Unterstützung des Kongresses versucht, einen undurchdringlichen Schleier der Geheimhaltung über sie auszubreiten, unter dem unschuldige Personen auf unbeschränkte Zeit festgehalten und mit Methoden gefoltert werden, die durch die Genfer Konventionen verboten sind.

Diese Praktiken sind weltweit bekannt und verhasst. Washington ist bemüht, sie nach Möglichkeit vor der amerikanischen Bevölkerung zu verbergen und jeden, der sie in den Medien entlarvt, für den unvermeidlichen Widerstand verantwortlich zu machen, den die hässlichen Methoden des US-Imperialismus provozieren.

Die Kapitulation von Newsweek vor dem Weißen Haus bestätigt erneut, dass es in der amerikanischen herrschenden Elite keine nennenswerte Unterstützung für demokratische Rechte und Institutionen gibt. Die Tage, in denen die Presse als "Vierter Stand" galt, der als unabhängige Instanz das Vorgehen des Staates unter die Lupe nahm, enthüllte und kritisierte, sind vorbei. Nun bestimmt der Staat, was als Nachricht akzeptabel ist.

Das Ergebnis dieser jüngsten Affäre besteht darin, dass das kriminelle Verhalten der US-Regierung vertuscht wurde. Die Newsweek -Episode zeigt, dass die Aufgabe der großen Nachrichtenquellen - die alle im Besitz riesiger Konzerne sind - nicht darin besteht, die Bevölkerung zu informieren, sondern die Interessen der Unternehmen und des Staats zu verteidigen, indem sie unerwünschte Informationen unterdrücken und Lügen der Regierung verbreiten.

Siehe auch:
Murat Kurnaz: Seit zweieinhalb Jahren in Guantanamo eingesperrt
(20. Mai 2004)
Ein Gespräch mit dem Anwalt des in Guantanamo inhaftierten Bremers Murat Kurnaz: Eingesperrt in einer Schattenwelt
( 20. Mai 2004)
Freiheit für David Hicks und alle Gefangenen von Guantanamo Bay!
( 25. Juli 2003)