Berichte über amerikanische Kriegsvorbereitungen gegen den Iran haben in europäischen politischen Kreisen Aufregung und Nervosität ausgelöst.
Der bekannte amerikanische Journalist Seymour Hersh hatte am vergangenen Wochenende unter Berufung auf hochrangige Geheimdienstmitarbeiter in einem Beitrag für das Magazin New Yorker berichtet, dass US-Sondereinheiten seit mehreren Monaten im Iran operieren, um Ziele für Luftangriffe und eine mögliche Invasion des Landes auszuspähen. Die US-Regierung wies Hershs Bericht zwar als ungenau zurück, dementierte ihn aber nur halbherzig. Präsident Bush betonte sogar ausdrücklich, dass er eine militärische Option gegen den Iran nicht ausschließe, als er auf Hershs Bericht angesprochen wurde.
Vordergründig versuchte die europäische Politik abzuwiegeln. Ein Schlag gegen iranische Atomanlagen sei gegenwärtig wenig realistisch, hieß es in Brüsseler Diplomatenkreisen. Washington sei im Irak militärisch so gebunden, dass ein Einsatz gegen den Iran kaum machbar sei. Bushs Festhalten an der militärischen Option sei nicht als Drohung, sondern rein hypothetisch zu verstehen, da sich Bush als amerikanischer Präsident grundsätzlich alle Optionen offen halte. Es gab sogar Spekulationen, die US-Regierung habe die von Hersh verwendeten Informationen gezielt durchsickern lassen, um den Druck auf den Iran zu erhöhen und so den diplomatischen Bemühungen der Europäer zum Durchbruch zu verhelfen, die mit Teheran über die Einstellung seiner Nuklearprogramme verhandeln.
Stellungnahmen europäischer Politiker, die sich in deutlichen Worten von einem militärischen Vorgehen gegen den Iran distanzierten, haben aber deutlich gemacht, dass Hershs Bericht und die Drohungen der US-Regierung durchaus ernst genommen werden.
Der britische Außenminister Jack Straw hatte schon im November betont, er könne sich keine Umstände vorstellen, "unter denen Militärmaßnahmen gegen den Iran gerechtfertigt wären - Punkt". Nun ließ er einen Sprecher mitteilen, es sei "undenkbar, dass das Vereinigte Königreich eine solche Politik unterstützen würde, falls es eine solch Politik je gäbe".
In Deutschland lehnten sowohl Sprecher der Regierung wie der Opposition die amerikanische Haltung ab. Der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler bezeichnete die US-Drohungen als "Querschläger für die EU-Verhandlungspolitik". Er zeigte sich überrascht von den lauen Dementis der US-Regierung und äußerte die Befürchtung, diese arbeite an der Fortsetzung ihrer unheilvollen Irak-Politik. Die Vorsitzende der Grünen Claudia Roth kritisierte die Pläne der US-Regierung als "überhaupt nicht hilfreich". Sie warnte vor einer Verschärfung der Lage in der gesamten Region und betonte: "Wir brauchen diplomatische Lösungen, und keine Androhung von Gewalt".
Der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger appellierte an Bush, die diplomatischen Bemühungen der Europäischen Union im Iran zu unterstützen, und sein Fraktionskollege Ruprecht Polenz meinte: "Wir würden viel schneller voran kommen, wenn die Amerikaner nicht mit vor der Brust verschränkten Armen vor den Europäern stehen und nur zuschauen würden".
Es gibt - auch unabhängig von Hershs Artikel - unzählige Hinweise darauf, dass die amerikanischen Kriegsdrohungen gegen den Iran tödlich ernst gemeint sind. So hatte Die Zeit bereits Anfang November - noch vor Bushs Wiederwahl - über Pläne von Neokonservativen in der Regierung berichtet, einen Regimewechsel in Teheran herbeizuführen. "Die Mullahs müssen weg - wenn sich schon die Bombe nicht entschärfen lässt, dann doch der Teheraner Machtapparat", beschrieb die Wochenzeitung deren Haltung. "Sollte George Bush die Wahl gewinnen, dürfte dieses Vorhaben bald auf der Tagesordnung stehen."
Als Scharfmacher, die einen solchen Kurs befürworten, nannte Die Zeit "Pentagon-Beamte, Strategen und Lobbyisten, die schon den Feldzug gegen Saddam Hussein vorangetrieben haben" und die über "persönliche Verbindungen in die obersten Etagen des Washingtoner Regierungsapparats, besonders zu Vizepräsident Richard Cheney" verfügen.
Der Zeit -Artikel hob insbesondere die Rolle von Michael Ledeen, Ideologe des rechten American Enterprise Institutes und Schlüsselfigur der Iran-Contra-Affäre der achtziger Jahre, sowie von Douglas Feith hervor. Feith ist Chef der Politik-Planungsabteilung des Pentagon und unterhält enge Beziehungen zur israelischen Regierung, die ebenfalls an einem Regime-Wechsel in Teheran interessiert ist. Diese Kreise fühlen sich durch die Wiederwahl Bushs bestätigt. Wie Seymour Hersh in seinem Artikel hervorhebt, hat Bushs Wahlerfolg"die Stellung der Neokonservativen in der zivilen Führung des Pentagon gestärkt, die die Invasion [des Irak] befürworte hatten, einschließlich Paul Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister, und Douglas Feith, Staatsekretär für Politik".
Auch die neue Außenministerin Condoleezza Rice hat während ihrer Anhörung vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Senats eine harte Linie gegenüber dem Iran angekündigt. "Irgendwann muss der Iran für seine fehlende Bereitschaft, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen, zur Rechenschaft gezogen werden", erklärte sie. Gleichzeitig erweiterte sie Bushs "Achse des Bösen" - Irak, Iran und Nordkorea - um vier weitere Länder: Kuba, Birma, Simbabwe und Weißrussland. Sie bezeichnete diese Länder als "Vorposten der Tyrannei" - ein deutlicher Hinweis, dass die USA an ihrem aggressiven Kurs festzuhalten gedenken.
Vizepräsident Richard Cheney warf dem Iran in einem Interview mit dem Fernsehsender MSNBC vor, er habe "ziemlich robuste neue Atomprogramme" entwickelt und sei ein bekannter Sponsor des Terrorismus. "Man sieht sich in der Welt nach potenziellen Krisenherden um, und Iran steht dann gleich an der Spitze dieser Liste", fügte er hinzu.
Die letzten Zweifel, dass die militärischen Drohungen der USA ernst zu nehmen sind, zerstörte schließlich Präsident Bush selbst in seiner Inaugurationsrede. Er drohte der gesamten Welt, sie mit amerikanischen Waffen zu "befreien". Was darunter zu verstehen ist, kann man täglich im Irak verfolgen, wo seit der "Befreiung" durch die USA über 100.000 Menschen umgekommen sind. Bush machte unmissverständlich deutlich, dass sich die USA weder durch völkerrechtliche noch durch sonstige Hindernisse davon abhalten lassen, in ein Land einzufallen, dass sie als Hindernis für ihre Interessen betrachten.
Reinhard Bütikofer, Bundesvorsitzender der Grünen, der Partei des deutschen Außenministers, warf Bush deshalb vor, "den großen Wert der Freiheit in den Dreck zu ziehen". "Die große Parole der Freiheit wird gehijakt für eine Politik, die am Ende weniger als Freiheit produziert", sagte er.
Die Hoffnung, die US-Außenpolitik werde sich nach dem Debakel, in das sie im Irak geraten ist, friedfertiger und kompromissbereiter verhalten, hat sich jedenfalls als gründliche Fehlkalkulation erwiesen. Wie ein wildes Tier, das in die Ecke gedrängt ist, schlägt die Bush-Regierung umso blindwütiger um sich. In dieser Hinsicht gibt es auffallende Parallelen zwischen der Mentalität der rechten Clique, die die amerikanische Außenpolitik bestimmt, und des deutschen Nazi-Regimes.
Hitler hatte in scheinbar aussichtslosen Situationen meist alles auf eine Karte gesetzt - und gewonnen. Kompromiss und Rückzug waren ihm fremd. So kam er 1938 zu seinem Erfolg in München, wo ihm das Sudetenland und die tschechischen Verteidigungsanlagen dank der britischen Appeasement-Politik kampflos in den Schoß fielen - eine wichtige Weichenstellung für den Zweiten Weltkrieg. Hitler hielt an dieser Haltung fest, auch als der Ausgang des Kriegs längst entschieden war, bis zum Untergang des Dritten Reichs.
Die Ohnmacht der Europäer
Es steht außer Zweifel, dass die offizielle europäische Politik in ihrer überwiegenden Mehrheit einen bewaffneten Angriff auf den Iran ablehnt. Er wäre, wie ein deutscher Zeitungskommentar bemerkt, "das Alptraumszenario nicht nur der Europäer". Diese fürchten um ihre engen Handelsbeziehungen zum Iran, einem der wichtigsten Ölproduzenten der Welt, und um die Stabilität der gesamten Region. "Iran in Flammen würde ein Inferno bis hinein nach Europa auslösen," warnt ein anderer Kommentar.
Aber die europäische Politik ist völlig unfähig, Washington ernsthaft entgegenzutreten. Dazu müsste sie der amerikanischen Regierung unmissverständlich zu verstehen geben, dass sie auf einen militärischen Angriff gegen den Iran nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten reagieren würde. Internationale Sanktionen gegen die USA, Schließung der US-Basen auf europäischem Boden und die Lieferung von Verteidigungswaffen an den Iran wären die Mindestvoraussetzung, um die rechte Clique im Weißen Haus von ihrem Kriegskurs abzubringen.
Dazu sind die europäischen Regierungen weder willens noch fähig. Stattdessen verhalten sie sich wie der britische Premier Chamberlain 1938 gegenüber der Tschechoslowakei. Sie versuchen Teheran davon zu überzeugen,sich selbst zu entwaffnen, um auf diese Weise Washington zu besänftigen und den "Frieden zu wahren". Seit Monaten verhandeln der deutsche, der französische und der britische Außenminister mit der iranischen Regierung über eine Einstellung des iranischen Atomprogramms - obwohl dieses laut Völkerrecht und internationalen Verträgen völlig legal ist.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Dass sich Teheran nicht ohne weiteres zu einem solchen Schritt bereit erklärt, ist nach den Erfahrungen im Irak nur all zu verständlich. Bagdad hatte - wie inzwischen bekannt ist - nach dem ersten Golfkrieg die Abrüstungsforderungen Washingtons weitgehend erfüllt und einen großen Teil seiner Waffen zerstört. Auch hier hatten die europäischen Regierungen massiven Druck ausgeübt, indem sie die Sanktionen gegen das Land unterstützten. Doch das hinderte die USA nicht daran, den Irak trotzdem anzugreifen und zu erobern. Die angeblichen Massenvernichtungswaffen dienten lediglich als Vorwand, eigentliches Ziel war die Installation eines Marionettenregimes und die Verwandlung des Irak in eine amerikanische Halbkolonie.
Dasselbe trifft auf den Iran zu. In dieser Hinsicht sind die amerikanischen Neokonservativen wenigstens ehrlich, wenn sie offen für einen Regimewechsel werben. In dem Land, das 26 Jahre lang unter der blutigenDiktatur des Schah litt, dem die CIA 1953 mit einem Putsch an die Macht verholfen hatte, soll wieder ein US-höriges Regime errichtet werden.
Die europäischen Regierungen treten der amerikanischen Politik nicht offen entgegen, weil sie mit ihren Zielen im Grundsatz übereinstimmen. Ihnen geht es nicht um das Selbstbestimmungsrecht und die Souveränität des Iran, sondern um die eigenen Interessen in der Region, die sie durch das aggressive Vorgehen der USA gefährdet sehen.
Die Auseinandersetzung um den Iran fügt sich in ein breiteres Muster von Konflikten ein, die zwischen den USA und Europa - und hier wiederum vor allem Deutschland und Frankreich - immer offener aufbrechen.
Das französische Journal Politique étrangère hat in seiner jüngsten Ausgabe darauf hingewiesen, dass die USA und Europa im gesamten Mittelmeerraum - vom Nahen Osten bis nach Marokko - verstärkt als Rivalen auftreten. Unter der Überschrift "Eine neue transatlantische Rivalität im Mittelmeerraum?" gelangt es zum Schluss, dass Amerikaner und Europäer zwar hinsichtlich der Probleme der Region zur selben Analyse gelangten und dieselben Ziele verfolgten - politische und ökonomische Liberalisierung -, dass aber "die wirtschaftlichen Initiativen getrennt erfolgen und ihre Konsequenzen potentiell zu Konflikten führen".
Europäische Initiativen zur wirtschaftlichen Integration der Region, wie der 1995 eingeleitete "Barcelona-Prozess", stehen in Konkurrenz zu entsprechenden amerikanischen Projekten, wie der 1998 ergriffenen "Einzenstat-Initiave" zur Integration des Maghreb. Als jüngste Initiative zur Neuordnung der Region unter amerikanischer Vorherrschaft nennt der Artikel das "Greater Middle East"-Projekt, das den gesamten Mittleren Osten und Nordafrika umfasst.
Auch in anderen Weltregionen, wie den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, in der Haltung gegenüber Russland und China sowie in der Finanz- und Industriepolitik stoßen amerikanische und europäische Interessen zunehmend aufeinander.
Charakteristisch für letztere war die Vorstellung des neuen Airbus 380 in der vergangenen Woche in Toulouse. Das europäische Gemeinschaftsprojekt bricht das fast vierzig Jahre alte Monopol der amerikanischen Boeing 747 für großräumige Langstreckenjets. Das neue Flugzeug ist wesentlich größer, wirtschaftlicher und weitreichender als der amerikanische Konkurrent. Als es in Anwesenheit des französischen, britischen, spanischen und deutschen Regierungschefs feierlich enthüllt wurde, spielte der deutsche Bundeskanzler ganz unverhohlen auf die Auseinandersetzungen während des Irakkriegs an. Damals hatte US-Verteidigungsminister Rumsfeld das "neue" gegen das "alte" Europa ausgespielt. Nun erwiderte Schröder genüsslich: "Es sind die Traditionen des guten alten Europa, die Zusammenarbeit. die Fairness, die soziale Sensibilität, die das A-380-Projekt zum Erfolg werden ließen."
Die wachsenden transatlantische Spannungen sind eine Konsequenz des Kampfs um Märkte, Rohstoffe und billige Arbeitskräfte zwischen den großen Konzernen, welche die Weltwirtschaft dominieren. Der Gegensatz zwischen dem globalen Charakter der modernen Produktion und dem System von Nationalstaaten, in dem die bürgerliche Gesellschaft verankert ist, kann im Kapitalismus nur gelöst werden, in dem die Welt unter den Großmächten gewaltsam neu aufgeteilt wird. Das war die Ursache für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg und ist heute der Grund für die verschärften Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten.
Der Kriegsgefahr, die sich daraus ergibt, kann nicht entgegengetreten, indem man die eine Großmacht gegen die andere, die "friedlichere" gegen die aggressivere, das "alte Europa" gegen Amerika unterstützt. Der Kampf gegen Imperialismus und Kriegsgefahr erfordert den Zusammenschluss der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms, dass sich gegen die Grundlagen des kapitalistischen Systems selbst richtet.