Der folgende Artikel ist der zweite Teil einer Serie zum 60. Jahrestag der Bombardierung der beiden japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Teil 1 vom 19. August handelte von den verheerenden Folgen der Bombardierung für die Bevölkerung.
Die Zerstörung, die die Bevölkerung von Hiroshima und Nagasaki erlebte, wird seit langem von der amerikanischen Regierung mit "der Rettung amerikanischer Leben" gerechtfertigt. Trotz vieler vernichtender Gegenbeweise im Laufe der letzten sechzig Jahre wird diese Argumentation bis heute von offizieller Seite als historische Wahrheit dargestellt.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Editorial des Wall Street Journal vom 5. August 2005 lesen wir, dass der Einsatz der Bomben eine Invasion des japanischen Festlands erspart hätte "wofür die Truman- Regierung zwischen 200.000 und einer Million Opfer errechnete". Zudem "hätte eine Invasion des japanischen Festlands vielleicht Millionen von japanischen Todesopfern gefordert". Dieser Berechnung zufolge wurden Hunderttausende japanischer Bürger, hauptsächlich Zivilisten, die durch die Atombombe unsägliche Todesqualen erlitten, geopfert, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten.
Auch wenn man die Prämisse dieses Arguments akzeptieren wollte, würde es am juristisch und moralisch grundsätzlich verbrecherischen Charakter, der der Vernichtung dieser beiden Ballungszentren anhaftet, nichts ändern. Doch die Prämissen sind eine reine Erfindung. Die errechneten Opferzahlen wurden nicht nur übertrieben [1], der Hauptgrund für die Entscheidung der amerikanischen Regierung, die Atombombe abzuwerfen, hatte auch nichts damit zu tun, dass man eine Invasion Japans vermeiden wollte.
Wie bei allen bedeutenden historischen Fragen, gab es auch in diesem Fall eine Reihe unterschiedlicher Faktoren, die die Entscheidung, Nuklearwaffen einzusetzen, beeinflussten. Es ist nicht möglich, hier auf alle einzugehen. Wir werden uns darauf beschränken, einige der grundlegenden Fragen und Dokumente zu anzusprechen.
Zunächst einmal ist hervorzuheben, dass die atomare Bombardierung fast wehrloser Städte mit hauptsächlich zivilem Charakter - die zwar militärische Hauptquartiere und Rüstungsindustrie besaßen - eine gewisse Kontinuität mit der Kriegsführung der Vereinigten Staaten im Pazifischen Ozean aufwies.
Sobald das amerikanische Militär den japanischen Luftraum erobert hatte, wandte es in zunehmendem Maße Methoden an, die man nur als terroristisch bezeichnen kann - wahllose Angriffe auf die Zivilbevölkerung, um so Angst und Schrecken zu erzeugen. Vor Hiroshima und Nagasaki war das erschreckendste Beispiel dafür der Feuersturm auf Tokio am 9. März 1945, der etwa 87.000 Menschenleben kostete. [2] Dieser Angriff fand weniger als einen Monat nach dem berüchtigten Feuersturm auf Dresden vom 13. und 14. Februar 1945 statt.
Trotz seines humanitären Gehabes demonstrierte das amerikanische Militär durch diese Aktionen, dass es bereit war, den Krieg ebenso brutal wie Deutschland oder Japan zu führen. Bei einer Unterredung zwischen Präsident Harry Truman und Kriegsminister Henry Stimson am 6 Juni 1945 kam es zu einem interessanten Wortwechsel, der einen Eindruck von der Art und Weise vermittelt, wie die amerikanische Regierung die Frage der Massenvernichtung japanischer Zivilisten betrachtete.
Stimson erinnert in einem Memorandum, dass er bestimmte pragmatische Bedenken im Zusammenhang mit der Flächenbombardierung japanischer Städte durch die amerikanische Luftwaffe vorbrachte. "Ich sagte [Truman], dass ich aus zwei Gründen über diesen Aspekt des Krieges besorgt war: Erstens, weil ich nicht wollte, dass die Vereinigten Staaten in den Ruf kämen, schlimmere Gräueltaten als Hitler durchgeführt zu haben; zweitens, hatte ich ein bisschen Angst, dass die Luftwaffe Japan schon vorher so restlos niedergebombt haben würde, dass die neue Waffe [die Atombombe] unter diesen Umständen keine faire Chance haben würde, ihre starke Wirkung unter Beweis zu stellen. Er lachte und sagte, er würde verstehen." Stimson war besorgt darüber, dass die willkürliche Zerstörung japanischer Städte Pläne für die Anwendung der Atombombe stören könnte, weil es keine "faire Chance" geben würde, das heißt, keine größere und unversehrte Stadt mehr mit ausreichend Bevölkerung. Das Gespräch beweist auch, dass die Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt Japan militärisch völlig dominierten und in der Lage waren, seine Städte quasi nach Belieben zu zerstören.
Die Anwendung der Bombe als terroristische Waffe - das heißt, als ein Mittel, die japanische Bevölkerung in panische Furcht und Schrecken zu versetzen - wurde während eines Treffens des Interim-Ausschusses (Interim Commitee) am 31. Mai 1945 hervorgehoben. Der Interim-Ausschuss bestand aus den am Manhattan-Projekt direkt Beteiligten wie Robert Oppenheimer und anderen Wissenschaftlern, sowie Vertretern der Truman-Regierung, darunter Außenminister James Byrnes und Kriegsminister Stimson. Es wurde gegründet, um den Einsatz der Atombombe zu diskutieren, Ziele der Bombardierung vorzuschlagen und damit zusammenhängende Fragen zu erörtern.
In einem Protokoll dieses Treffens heisst es: "Nach langen Diskussionen über verschiedene mögliche Ziele und die erwünschte Wirkung kam der Kriegsminister [Stimson] zu der Schlußfolgerung, die allgemeine Zustimung fand, nämlich, dass man die Japaner auf keinen Fall vorwarnen sollte, dass man sich nicht auf ein ziviles Gebiet konzentrieren könne, aber dass man einen tiefen psychologischen Eindruck bei möglichst vielen Japanern erzeugen sollte. Auf Anregung von Dr. [James] Conant erklärte sich der Minister damit einverstanden, dass das optimale Ziel eine kriegswichtige Fabrik sei, die viele Arbeiter beschäftigt und die von Arbeiterwohnungen umgeben ist " [4] (Hervorhebung hinzugefügt).
Obwohl erwähnt worden war, dass man sich nicht auf ein ziviles Gebiet konzentrieren sollte, lehnte es der Ausschuss ausdrücklich ab, die Bombe auf ein rein militärisch genutztes oder unbewohntes Gebiet abzuwerfen, wie einige der im Ausschuss vertretenen Wissenschaftler empfohlen hatten. [5]
Viele der Wissenschaftler, die am Manhattan-Projekt beteiligt waren oder es unterstützt hatten, taten dies, weil ihnen Hitler und das Nazi-Regime zutiefst verhasst waren. Das Projekt war ursprünglich mit den verheerenden Konsequenzen gerechtfertig worden, hätte Hitler als Erster über die Atombombe verfügt. Doch Deutschland war bereits besiegt, als die USA die Technologie perfektioniert hatten. Dennoch beschloss die Truman-Regierung nicht nur, die Atombombe einzusetzen, sie tat es obendrein mit offensichtlicher Begeisterung. Truman gab die berüchtigte Erklärung ab, dass ihm die Entscheidung keine schlaflose Nacht bereitet habe.
Es wurde berichtet, dass er, als er während einer Atlantiküberquerung die Nachricht von der Bombardierung Hiroshimas erhielt, ausrief: "Dies ist das großartigste Ereignis in der Geschichte", und dann "rannte er auf dem Schiff herum, um die Nachricht zu verbreiten, und dabei betonte, er habe nie eine erfreulichere Mitteilung gemacht. Wir haben das Spiel gewonnen‘ sagte er der versammelten und Beifall klatschenden Mannschaft" [6]
Der Historiker Gabriel Jackson kommentierte diese Begebenheit so: "Unter den besonderen Umständen des August 1945 zeigte der Atombombenabwurf, dass ein psychisch ganz normaler und demokratisch gewählter Staatschef diese Waffe genau so benutzen konnte, wie es der Nazi-Diktator getan hätte. Auf diese Weise haben die Vereinigten Staaten - in den Augen derjenigen, die sich für moralische Unterschiede zwischen verschiedenen Regierungsformen interessieren - den Unterschied zwischen Faschismus und Demokratie verwischt." [7]
Die Atombombe und das amerikanische Streben nach Hegemonie
Vor dem Ersten Weltkrieg hätte es als selbstverständlich gegolten, dass eine zivilisierte Gesellschaft nur in einer Situation äußerster Verzweiflung eine Waffe wie die Atombombe benutzen könnte. Die Vorstellung, eine solche Waffe gegen die Zivilbevölkerung einzusetzen, wäre undenkbar gewesen, es sei denn als Tat einer vollkommen heruntergekommenen und moralisch korrumpierten Gesellschaft. Und doch zeichnen sich gerade die Vereinigten Staaten dadurch aus, das einzige Land zu sein, das jemals eine Atombombe eingesetzt hat. Auch haben sie dies nicht aus militärischer Notwendigkeit heraus getan, sondern aus politischen und strategischen Gründen, vor allem als Instrument im Konflikt mit der Sowjetunion. Um die damit zusammenhängenden, allgemeineren Interessen zu verstehen, müssen die Ereignisse des 6. und 9. August 1945 in ihrem historischen Zusammenhang gesehen werden.
Im Frühjahr 1945 ging der 1939 in Europa begonnene Krieg zu Ende, obwohl die deutsche Kapitulation noch bis Mai dieses Jahres auf sich warten ließ. Der Wendepunkt kam mit der Niederlage der deutschen Armee in Stalingrad im Februar 1943 und der anschließenden Invasion Europas durch die USA und Großbritannien im Frühling 1944.
Die Sowjetunion war zwar mit den USA und Großbritannien verbündet, aber es gab enorme Zwistigkeiten im Lager der Alliierten. Trotz der stalinistischen Degeneration der UdSSR stützte sich die sowjetische Bürokratie immer noch auf die Eigentumsverhältnisse, die durch die Oktoberrevolution von 1917 geschaffen worden waren. Und trotz Stalins Bemühungen, sich den imperialistischen Mächten anzupassen, haben sich die amerikanische und britische herrschende Elite nie mit dem Bestehen dieser Eigentumsverhältnisse abgefunden.
Damals aber brauchten die Vereinigten Staaten und Großbritannien die Hilfe der Sowjetunion im Krieg gegen Deutschland und Japan. Die führende Rolle der Roten Armee bei der Niederwerfung Deutschlands bedeutete, dass die anderen Mächte der Sowjetunion Zugeständnisse machen mussten, insbesondere in Osteuropa. Bei der Konferenz auf Jalta im Februar 1945 einigten sich die "Großen Drei" im Wesentlichen über die Teilung Europas, einschließlich der gemeinsamen Kontrolle über Deutschland. Zudem glaubte die Regierung von Franklin Delano Roosevelt, dass es äußerst wichtig war, dass sich die Sowjetunion am Krieg gegen Japan beteilige, um ihn schnell zu Ende zu bringen. Seit 1941 hatten die Sowjetunion und Japan eine so genannte "seltsame Neutralität" bewahrt: während die Sowjetunion gegen Japans Verbündetem Deutschland Krieg führte und Japan mit dem Verbündeten der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten, im Krieg stand, hatten beide Länder einen Neutralitätspakt unterschrieben, der besagte, dass sie nicht gegeneinander Krieg führen würden.
In Jalta machten Roosevelt und Churchill mehrere territoriale und wirtschaftliche Zugeständnisse, unter anderem erhielt die Sowjetunion die Kontrolle über einen Großteil der Mongolei und mehrerer von ihr als strategisch wichtig betrachtete Inseln und Häfen in der Nähe von Japan. Dies war eine Gegenleistung für ihre Zusage, "in zwei oder drei Monaten", nach der deutschen Kapitulation, sich am Krieg gegen Japan zu beteiligen.
Im Frühling 1945 sah die Truman-Administration - Roosevelt war am 12. April gestorben - den Besitz der Atombombe als Möglichkeit, die Gleichung zu verändern und das Kräfteverhältnisses zu Gunsten der USA zu verändern. In seinem Tagebucheintrag vom 14. Mai 1945 hielt Kriegsminister Stimson ein Gespräch mit General George Marshall fest, dem Stabschef des Präsidenten, bei dem er vor einer Konfrontation mit der Sowjetunion warnte, ehe man endgültig über die Atombombe verfüge.
Stimson schreibt, dass er Marshall sagte: "Ich meine, dass wir jetzt mit Russland so verfahren sollten, den Mund zu halten und stattdessen Taten sprechen zu lassen...Es geht darum, dass wir wieder die Führung erlangen müssen und es vielleicht in einer sehr rauen und realistischen Art und Weise tun müssen. Sie haben sie uns fast abgenommen, weil wir zu viel geredet und ihnen zu viele Wohltaten erwiesen haben. Ich habe ihm gesagt, dass wir hier alle Karten in der Hand hielten. Ich nannte es einen Straight Flush und meinte, wir sollten uns beim Spielen keine Fehler erlauben. Sie können ohne unsere Hilfe und unsere Industrie nicht auskommen und wir werden bald eine einzigartige Waffe einsetzbereit haben."[8].
Am nächsten Tag äußerte sich Stimson besorgt darüber, dass in Potsdam ein Treffen zwischen Truman, Stalin und Churchill vor dem ersten Atombombentest stattfinden sollte. Stimson schrieb, "es wird vielleicht notwendig sein, die Haltung Russlands zur Manschurei, Port Arthur und anderen Teilen von Nordchina offen anzusprechen, sowie das Verhältnis Chinas zu uns. Das S-1 [Codename für die Atombombe]-Geheimnis wäre vorrangig gegenüber jedem dieser komplexen Probleme, und doch würden wir wahrscheinlich bis nach dem Treffen nicht wissen, ob wir die Waffe schon haben oder nicht. Wir denken, es wird kurz danach so weit sein, aber es scheint eine schreckliche Sache zu sein, in der Diplomatie mit einem so hohen Einsatz zu spielen, ohne den Haupttrumpf in der Hand zu halten" [9].
Letztendlich ließ Truman die Potsdamer Konferenz um mehrere Wochen verlegen, um dem Manhattan-Projekt mehr Zeit zu verschaffen. Am 21. Mai berichtete Joseph Davies, der frühere US- Botschafter in der Sowjetunion, über ein Treffen mit Truman, bei dem Truman sagte: "er wollte kein Treffen vor Juni [in Potsdam]. Er musste mit dem Etat (*) fertig werden. Der Test war für Juni terminiert, aber bis Juli verschoben worden". Unten auf dem Blatt hat Davies später eine Erklärung dafür hinzugefügt, was er mit "Etat" meinte: "Fußnote (*): die Atombombe. Er erzählte mir dann von dem Atombombentest in Nevada. Erlegte mir strengste Geheimhaltung auf." [10].
Also verstanden die Vertreter der Truman-Administration die Atombombe sehr bewusst als "den Trumpf" bei ihrem Umgang mit der Sowjetunion. Wegen der Ungewissheit, ob der Test glücken würde, kam Truman mit seinem Außenminister James Byrnes nach Potsdam mit dem Ziel, erneut eine Zusage der Sowjetunion zu erreichen, sich am Krieg gegen Japan zu beteiligen. Truman schrieb in sein Tagebuch, "Sollte der Test [mit der Atombombe] misslingen, dann wäre es noch wichtiger für uns, eine Kapitulation Japans herbeizuführen [durch eine sowjetische Invasion], bevor wir Japan im Kampf erobern müssten"[11].
Der erfolgreiche Test der Atombombe am 16 Juli, kurz vor der offiziellen Eröffnung der Potsdamer Konferenz, verschaffte Truman "einen Hammer gegen diese Kerle", wie er es später nannte.[12] Das Verhalten von Truman veränderte sich in Potsdam völlig und er wurde in seinen Verhandlungen mit Stalin viel aggressiver und arrogant. Während der ersten Tage der Konferenz strebte Truman noch eine Zusage der Sowjetunion an, sich am Krieg gegen Japan zu beteiligen. Jedoch wurde in den nächsten Wochen klar, dass Regierungsvertreter darauf hofften, der Atombombeneinsatz werde den Krieg rasch beenden, bevor eine Invasion der Sowjetunion weit vorangeschritten wäre und Japan ein eigenes Abkommen mit Stalin treffen konnte.
Sicherlich war das die Position von Außenminister Byrnes. In einer Antwort auf eine Erklärung von Marineminister James Forrestal, wonach Truman gesagt hatte "sein wichtigstes Ziel in Potsdam wäre, Russland in den Krieg einzubeziehen" erklärte Byrnes, dass "es sehr wahrscheinlich ist, dass der Präsidenten seine Meinung geändert hat, meine Meinung war es ohnehin nicht" [13].
Truman und Byrnes befürchteten, dass Japan ein Abkommen mit der Sowjetunion schließen und einen Frieden durch Vermittlung der Sowjetunion anstreben könne anstatt durch eine neutrale Macht oder durch die Vereinigten Staaten. Diese Befürchtungen wurden noch verstärkt durch Nachrichten aus Japan, die von den Amerikanern abgefangen wurden. Zum Beispiel heißt es in einer diplomatischen Zusammenfassung einer japanischen Botschaft: "Am 11 Juli übermittelte der [japanische] Außenminister Togo die äußerst dringende' Botschaft dem Botschafter [in der Sowjet Union] Sato: "Im Geheimen erwägen wir jetzt eine Beendigung des Krieges wegen der erdrückenden Situation, mit der Japan im In- und Ausland konfrontiert ist.
Bei Ihrer Unterredung mit [dem sowjetischen Außenminister] Molotov im Sinne früherer Vorgaben sollten Sie sich daher nicht auf das Ziel einer Annäherung zwischen Russland und Japan beschränken, sondern Sie sollten auch ausloten, wie weit man sich Russlands bedienen kann, um dem Krieg ein Ende zu setzen." Weiter ging aus der Nachricht hervor, dass Japan willens war, Russland große Zugeständnisse zu machen, um eine russische Invasion zu verhindern. [14]. Zu diesem Zeitpunkt hoffte Japan noch, eine sowjetische Invavion abwenden zu können.
Ein wichtiger Tagebucheintrag von Walter Brown, dem Assistenten von Außenminister James Byrnes, hält am 24 Juli fest: "JFB [Byrnes] setzt immer noch auf Zeit und glaubt, dass Japan nach der Atombombe kapitulieren wird und dass Russland nicht so weit vordringen können wird, um Forderungen an China zu stellen zu können"[15]. Später, am 3 August, drei Tage vor Hiroshima, schreibt Brown: "An Bord Agusta/Präsident, Leahy, JFB [Byrnes] verärgert, dass Japan Frieden schließen will...Der Präsident hat Angst, sie werden durch Russland anstatt über ein Land wie Schweden Frieden anstreben" [16].
Diese wie auch andere Dokumente machen nicht nur klar, dass die amerikanische Führung darüber besorgt war, der Krieg könne in einer für die Sowjetunion günstigen Art und Weise enden, sondern auch, dass sie wusste, dass Japan sehr nah daran war, einen Frieden anzustrengen. In seinem Buch The Decision to Use the Atom Bomb, argumentiert Gar Alperovitz überzeugend für eine "Zwei-Stufen"-Theorie einer Kapitulation Japans. Nach Alperovitz hätte die sowjetische Invasion, die am 8. August stattfand, zusammen mit einer Garantie dem japanischen Staat gegenüber, die Position des Kaisers nicht anzutasten, dem Krieg ohne amerikanische Invasion und ohne Atombombeneinsatz ein Ende gesetzt.
Dies war auch in der Tat die Schlussfolgerung eines Berichts des Joint Intelligence Committee für das Joint Chiefs of Staff am 29. April 1945. "Die zunehmenden Auswirkungen der Luft und Seeblockade, die fortschreitende und kumulative Zerstörung durch strategische Bombardierungen und der Zusammenbruch von Deutschland (mit den Konsequenzen für die Verlegung von Truppen) sollte diese Erkenntnis [dass eine vollständige Niederlage unvermeidlich ist] noch innerhalb diese Jahres Allgemeingut werden... Die Beteiligung der UdSSR am Krieg würde, zusammen mit den oben erwähnten Faktoren, die meisten Japaner sofort von der Unvermeidlichkeit einer vollständigen Niederlage überzeugen... Wenn...das japanische Volk wie auch seine Führung überzeugt würden, dass eine vollständige Niederlage unvermeidlich ist und eine bedingungslose Kapitulation keine Vernichtung des Staates bedeuten würde [das heißt die Absetzung des Kaisers], würde eine Kapitulation wohl ziemlich schnell erfolgen."[17]
Unter Byrnes Federführung wurde die Potsdamer Erklärung - ein Ultimatum an Japan, das eine bedingungslose Kapitulation forderte - so formuliert, dass keine Garantie für das Kaisertum gegeben wurde. Darüber hinaus entschieden die Vereinigten Staaten und Großbritannien, die Sowjetunion nicht einzuladen, die Erklärung zu unterzeichnen. Auf der einen Seite machte dies deutlich, dass die USA und Großbritannien eine japanische Kapitulation in eigener Regie zu erzielen beabsichtigten. Auf der anderen Seite war damit die Drohung einer sowjetischen Invasion nicht mehr eindeutig, und die japanischen Hoffnungen auf sowjetische Vermittlung erhielten somit neue Nahrung. Dies sorgte dafür, dass Japan die Erklärung ablehnte, womit der Weg für den Einsatz der Atombombe frei war[18].
Darüber hinaus war die Invasion Japans durch amerikanische Truppen für November geplant. Wenn die amerikanische Regierung die Atombombe vorrangig einsetzen wollte, um die Notwendigkeit einer Invasion zu umgehen, kann man nicht erklären, warum Truman nicht länger mit einer Entscheidung wartete, insbesondere angesichts der vielen Informationen der Nachrichtendienste, die auf die verzweifelte Lage Japans zu diesem Zeitpunkt hinwiesen.
Es stellt sich auch die Frage, warum die zweite Bombe in einem so kurzen zeitlichen Abstand abgeworfen wurde, noch bevor die Japaner die Möglichkeit hatten zu verstehen, was in Hiroshima passiert war und darauf reagieren konnten. Hier ist wiederum die Frage der sowjetischen Invasion Japans von entscheidender Bedeutung. Die Bombardierung von Nagasaki erfolgte einen Tag nach Beginn der Invasion. Alperovitz schreibt: "Truman erklärte, am 9. August - dem Tag der Bombardierung von Nagasaki, dass Rumänien, Bulgarien und Ungarn 'nicht zu Einflusssphären irgendeiner Macht' werden sollten"[19].
Das unmittelbare Interesse der Vereinigten Staaten daran, den Einfluss der Sowjetunion in Osteuropa und Ostasien einzuschränken, hing mit dem allgemeinen Ziel der Truman-Regierung zusammen, nach dem Zweiten Weltkrieg Amerikas Hegemonie sicherzustellen. Der Historiker Thomas McCormick hat dies gut zusammengefasst, als er schrieb : "Mit zwei grellen Blitzen - ein schreckliches Ende eines Krieges, der von allen Beteiligten auf schreckliche Weise geführt worden war- haben letztendlich die Vereinigten Staaten die Kombination gefunden, die die Tür zur amerikanischen Hegemonie öffnen würde."
Um diese hegemonialen Ziele zu verwirklichen, war es notwendig, die Städte Hiroshima und Nagasaki zu opfern. McCormick merkt an: "Eine geplante Demonstration der Atombombe an einem unbewohnten Ziel, wie es einige Wissenschaftler empfohlen hatten, wäre nicht ausreichend gewesen. Das hätte wohl die Macht der Bombe demonstrieren können, aber nicht die amerikanische Entschlossenheit, diese schreckliche Macht auch anzuwenden. Ein Grund also, weshalb die Amerikaner im Sommer 1945 nicht willens waren, den japanischen Friedensbestrebungen entgegenzukommen, war, dass die Vereinigten Staaten den Krieg nicht zu Ende gehen lassen wollten, bevor sie eine Chance hatten, die Atombombe einzusetzen"[20].
Es gibt in der amerikanischen Bevölkerung eine gewisse Naivität im Hinblick auf die grenzenlose Rücksichtslosigkeit der amerikanischen herrschenden Klasse, insbesondere wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht. Dieser Krieg wurde lange Zeit von den amerikanischen Medien und dem politischen Establishment als großer Krieg für Demokratie, gegen Faschismus und Tyrannei dargestellt. In Wirklichkeit war der Hauptgrund für den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg - und der tiefere Beweggrund ihrer gesamten Kriegsführung - sich selbst als die vorherrschende und unbestreitbare Weltmacht zu etablieren. Als es darum ging, dieses Ziel zu erreichen, bedeutete das Leben von Hunderttausenden Japanern recht wenig.
Quellen:
[1] Nach dem Krieg veröffentlichte Zahlen über die Höhe amerikanischer Verluste durch eine Invasion waren reine Erfindung und wurden weitgehend im Nachhinein zur Rechtfertigung des Atombombeneinsatzes hervorgezaubert. Wir werden uns mit dieser Frage in diesem Artikel nicht befassen; eine Analyse darüber gibt der Essay von Barton Bernstein "A Postwar myth: 500,000 US lives saved" in Hiroshima's Shadow" von Kai Bird und Lawrence Lifschultz, The Pamphleteer’s Press, Stony Creek, Connecticut: 1998.
[2] Ein Historiker beschrieb den Feuersturm von Tokio folgendermaßen: "Die ersten Flugzeuge, die die japanische Hauptstadt erreichten, warfen Brandbomben, die dafür gedacht waren, die Brände auszulösen, die den nachkommenden Bomber als Wegweiser in den anzupeilenden Gebieten dienen würden. Das Zielgebiet schloss Industrie- und Gewerbeansiedlungen und dicht bevölkerte Gegenden mit leichten und hoch brennbaren Wohnhäusern ein. War das Gebiet einmal klar durch Flammen markiert, warfen dann Angriffswellen von B-29 Bombern hunderte Tonnen von Brandbomben ab. Sie schufen einen Brand von monumentaler Größe, der noch verstärkt wurde durch die Winde, die in jener Nacht über Tokio wehten. Die Brände zerstörten ein Gebiet von etwa sechzehn Quadratmeilen, verursachten derartige Turbulenzen, daß niedrig fliegende Flugzeug durch die Luft gewirbelt wurden und tötete so viele Japaner, dass den Mannschaften der B-29 Bomber vom Gestank brennenden Fleisches übel wurde" (Walker, J. Samuel, Prompt & Utter Destruction: Truman and the use of Atomic bombs against Japan, The University of North Carolina Press, Chapel Hill: 2004. S. 27)
[3] Stimson, Henry. Henry Stimson Papers, Sterling Library, Yale University. National Security Archive: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB162/15.pdf.
[4] "Notes of the Interim Committee Meeting Thursday, 31 May 1945, 10:00 A.M. to 1:15 P.M.—2:15 P.M. to 4:15 P.M." p. 13-14. National Security Archive: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB162/12.pdf.
[5] Zu diesen Wissenschaftler gehörte der große ungarische Physiker Leo Szilard. Obwohl er half, die Bombe zu entwickeln, hegte er bald Zweifel, ob man sie einsetzen sollte. In einem Auszug des oben zitierten Protokolls desselben Treffens des Interim Committee warnte Leslie Groves, der für das Manhattan-Projekt verantwortliche General, vor bestimmten "unerwünschten Wissenschaftlern...von zweifelhafter Verlässlichkeit und schwankender Loyalität", womit er sicherlich vor allen Dingen diejenigen meinte, die über die Anwendung der Bombe besorgt waren. (Ibid. S. 14). Das Interim Committee lehnte auch die Idee ab, die Nukleartechnologie mit der Staatengemeinschaft zu teilen, um ein atomares Wettrüsten mit der Sowjetunion zu vermeiden; diese Position wurde auch von vielen Wissenschaftlern, die am Projekt arbeiteten, geteilt.
[6] Offner, Arnold. Another such victory: President Truman and the Cold War, 1945-1953, Stanford University Press, Stanford: 2002. S. 92.
[7] Jackson, Gabriel. Civilization & Barbarity in 20th-Century Europe, Humanity Books, Amherst, New York: 1999. S. 176-77. Szilard bemerkte treffend im Jahre1960: "Wenn statt unser die Deutschen Atombomben auf Städte geworfen hätten, hätten wir dies als Kriegsverbrechen bezeichnet und hätten in Nürnberg die Deutschen, die sich dieses Verbrechens schuldig gemacht hätten, zum Tode verurteilt und gehenkt".
(Aus http://en.wikipedia.org/wiki/Atomic_bombings_of_Hiroshima_and_Nagasaki.)
[8] Stimson, Henry. Henry Stimson Diary. 14. Mai 1945. S. 2 . National Security Archive: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB162/7.pdf
[9] Ibid. 15. Mai 1945. p. 1.
[10] Davies, Joseph. Tagebuch, 21. Mai 1945. National Security Archive: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB162/8.pdf.
[11] Alperovitz, Gar. The Decision to Use the Atomic Bomb, Vintage Books, New York: 1995. s. 124.
[12] Truman-Interview mit Jonathan Daniels, 12. November 1949. Zitiert aus Alperovitz, S. 239.
[13] Zitiert aus Hasegawa, Tsuyoshi. Racing the Enemy: Stalin, Truman and the Surrender of Japan, Harvard University Press, Cambridge: 2005. S. 158.
[14] "‘Magic’—Diplomatic Summary, War Department, Office of Assistant Chief of Staff, G-2, No. 1204—July 12, 1945, Top Secret Ultra." National Security Archive: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB162/29.pdf
[15] Zitiert aus Alperovitz, S. 268. [16] Zitiert aus Alperovitz, S. 415. [17] Zitiert aus Alperovitz, S. 113-114. [18] In seinem Tagebuch schrieb Truman dass er "sicher" war, dass Japan die Potsdamer Erklärung nicht akkzeptieren würde, " aber wir werden ihnen die Chance gegeben haben". Das heißt, die Erklärung war eine pro-forma Erklärung, die dazu dienen sollte, eine Rechtfertigung für eine Entscheidung zu liefern, die schon getroffen worden war: die Anwendung der Atombombe. Für eine teilweise Niederschrift von Trumans Tagebuch s. :
http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB162/38.pdf.
[19] Alperovitz, S. 429-430.
[20] McCormick, Thomas J. America’s Half-Century: United States Foreign Policy in the Cold War and After, The Johns Hopkins University Press, Baltimore: 1995. s. 44 -45.