Von den Medien weitgehend unkommentiert machte kürzlich eine eher unscheinbare Meldung die Runde: Die Bundesregierung beschloss am 10. August die Privatisierung der Deutschen Flugsicherung (DFS). Von dem in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen sollen unter Zurückbehaltung einer Sperrminorität 74,9 Prozent verkauft werden.
Diese Entscheidung verdeutlicht ein weiteres Mal, was von den Wahlkampfbeteuerungen von SPD und Grünen zu halten ist, die angeblich ihre "soziale Ader" wieder entdeckt haben. Sie halten an ihrem bisherigen Kurs fest, in allen Lebensbereichen die sozialen Standards weiter zurückzufahren und das Prinzip von Markt und Konkurrenzkampf an die erste Stelle zu setzen.
Im Fall der DFS ist das besonders pikant, weil neben den Arbeitsbedingungen der Fluglotsen auch die Sicherheit der täglich nach zehntausenden zählenden Flugreisenden auf dem Spiel steht. Unwillkürlich fühlt man sich an die Flugzeugkatastrophen vor drei bzw. vier Jahren über dem Bodensee und auf dem Mailänder Flughafen Linate erinnert. Auch Flugzeugabstürze jüngeren Datums werfen grundlegende Sicherheitsfragen auf, befinden sich aber noch in Untersuchungen.
Was im Sommer 2002 über dem Bodensee passierte, ist dagegen im Detail bekannt. Zwei Flugzeuge stießen zusammen, weil die Schweizer Flugsicherung Skyguide personell und technisch unterbesetzt war. 71 Menschen kamen ums Leben. Zwei Jahre später wurde der diensthabende Fluglotse von einem Verwandten der Opfer aus Rache ermordet.
Im Oktober 2001 raste auf dem Mailänder Flughafen ein Kleinflugzeug in ein Linienflugzeug, weil die Flugsicherung völlig überlastet war und ebenfalls an notwendiger technischer Ausrüstung gespart wurde. In einem Aufsehen erregenden Prozess verurteilte ein italienisches Gericht die diensthabenden Fluglotsen zu drakonischen Haftstrafen. (Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt.)
Verkehrsminister Manfred Stolpe begründete die Privatisierungsentscheidung der Bundesregierung damit, einen maßgeblichen Anteil zur Stärkung des Luftverkehrsstandortes Deutschland zu leisten: "Mit diesem Gesetz verbessern wir die Konkurrenzfähigkeit der DFS innerhalb Europas, gerade im Hinblick auf die zu erwartende Konsolidierung der europäischen Flugsicherung.... Zudem steigen damit auch die Chancen, die Leistungsfähigkeit und Effizienz der DFS auf höchstmöglichem Niveau zu erhalten." Die Maßnahme werde zu sinkenden Flugsicherungsgebühren und damit zu niedrigeren Kosten bei den Fluggesellschaften führen.
Bei einem Regierungswechsel im September wäre die Bestätigung des Gesetzentwurfes durch Bundestag und Bundesrat nicht hinfällig, sondern würde nur um etwa ein halbes Jahr hinausgeschoben. Alle Bundestagsfraktionen (die PDS gehört nicht dazu) hatten die Regierung im April in einem interfraktionellen Antrag darauf gedrängt, die Gesetzesvorlagen noch in diesem Jahr einzubringen, um bei der Durchsetzung der EU-Politik nicht hinter anderen Ländern zurückzufallen.
Hintergrund für diese Entscheidung ist das langfristige Projekt der Europäischen Union, einen einheitlichen europäischen Luftraum (Single European Sky) zu schaffen. Dabei geht es um die Umstrukturierung des europäischen Luftraumes - weg von der Aufteilung nach Ländergrenzen, hin zu größeren Lufträumen, die an den Hauptverkehrsströmen orientiert sind.
Dieses an sich fortschrittliche Projekt wird jedoch gleichzeitig dazu benutzt, über die Einführung von Wettbewerb auch in diesem sensiblen Bereich, der wegen der großen Sicherheitsrisiken bisher striktester staatlicher Kontrolle unterlag, vor allem die Ausgaben für die Beschäftigten drastisch zu senken. Alles, was Profit und Marktstärke entgegensteht, soll Stück für Stück beseitigt werden. Die europäische Luftfahrtindustrie und somit auch der gesamte europäische Wirtschaftsstandort sollen in dem immer härteren internationalen Konkurrenzkampf durch sinkende Transportkosten gestärkt werden.
Die Bundesregierung erklärt dies unumwunden: "Diese gesetzlichen Vorgaben und insbesondere die durch die Kapitalprivatisierung der DFS zu erwartenden Effizienzsteigerungen" lassen erwarten, "dass es zu Kostensenkungen für die Luftverkehrswirtschaft kommen wird."
So ist es schon jetzt ausgemachte Sache, dass von den gegenwärtig in der EU existierenden 40 Anbietern für Flugsicherung nur eine Handvoll übrig bleiben werden. Vor allem die kleineren Länder wie Holland, Belgien oder die osteuropäischen Mitgliedsstaaten werden in den größeren Lufträumen aufgehen und deren Flugsicherungen entweder von denen der großen Nachbarn geschluckt oder einfach stillgelegt.
Das soll so funktionieren, dass sich von einem - noch nicht festgelegten - Zeitpunkt an, Flugsicherungsunternehmen für die künftigen Lufträume für eine mehrjährige Periode bewerben. Teilnahmevoraussetzung ist, dass sie vorher von einer nationalen bzw. europäischen Behörde entsprechend den Sicherheits- u. a. Kriterien zertifiziert und zugelassen wurden. Bei der Ausschreibung soll das Unternehmen den Zuschlag bekommen, das "sicher, effizient und kostengünstig" arbeitet.
Wegen ihrer Größe ist der DFS die Rolle eines solchen dominierenden, aggressiven Marktteilnehmers zugedacht, zu dem sie schon seit Jahren umgewandelt wird. 1993 ist sie aus der Neustrukturierung der damaligen Bundesanstalt für Flugsicherung entstanden. Damit war sie eine privatrechtliche Organisation und ihre Mitarbeiter keine Staatsbeamten mehr.
Im Vorfeld der nun umzusetzenden EU-Beschlüsse zur weiteren Privatisierung wurde von 2001 bis 2004 ein Effizienzsteigerungsprogramm durchgesetzt, mit dem bei einem Umsatz von gegenwärtig knapp 930 Mio. Euro rund 100 Mio. Euro an Ausgaben gekürzt wurden. Das reicht aber noch nicht.
Hauptproblem seien wegen der "ausgesprochen hohen Personalintensität" noch immer die Kosten. Die DFS ist im Europavergleich die fünftteuerste Flugsicherung, obwohl im Jahr 2006 bereits das dritte Mal in Folge die Gebühren gesenkt werden, die den Fluggesellschaften für jeden Flug in Rechnung gestellt werden.
Deshalb arbeitet die Unternehmensberatung Bearing Point in der DFS gegenwärtig noch radikalere Umstrukturierungen aus. DFS-Chef Dieter Kaden sagte, dass die im Moment noch bundeseigene DFS in wenigen Jahren nicht mehr wieder zu erkennen sein werde.
Bis 2010 sollen so 500 bis 600 und nicht dementierten Angaben zufolge sogar bis zu 1000 der 5400 Stellen auch durch betriebsbedingte Kündigungen abgebaut werden. Es wird betont, dass der Personalabbau nicht im "operativen" Bereich, d. h. dem der 1800 Fluglotsen erfolgen soll, sondern nur in der Verwaltung.
Parallel dazu wird die Zuständigkeit der DFS auf das so genannte Towergeschäft der Regionalflughäfen ausgeweitet. Im Tower eines Flughafens erfolgen die Start- und Landeabwicklung sowie die Organisation des Verkehrs auf dem Flughafen selbst. Die bisher in Landesregie geführten Kontrolltürme der Regionalflughäfen werden in die eigens gegründete "The Tower Company" verschoben. Das ist eine Tochtergesellschaft der DFS, die sich für die Betreuung von Regionalflughäfen dem Wettbewerb stellen soll und in der nicht der DFS-Tarifvertrag gilt, sondern die Mitarbeiter für wesentlich geringere Löhne arbeiten müssen. Der Wettbewerb um das Towergeschäft der Regionalflughäfen soll ab Mitte 2006 beginnen.
Ein Mitglied der Gewerkschaft der Fluglotsen erklärte zu all diesen Veränderungen, dass damit "die wirtschaftlichen Zwänge noch höher angesiedelt werden, als das jetzt schon der Fall ist". Bisher war die DFS "nicht ohne Grund eine Non-Profit-Organisation. Sicherheit hat ihren Preis." Was den zukünftigen Wettbewerb betrifft, dass also ein billigerer Anbieter einen früheren ablösen könne, kommentierte er damit: "Das kann man sich in die Haare schmieren. Das ist technisch und personell unmöglich, dass einfach ein anderer Anbieter die Aufgaben der DFS übernehmen kann. Dann ist hier alles lahm gelegt."
Er spricht damit das aus, worum es der EU eigentlich geht: nicht Wettbewerb per se, der in dieser Branche ziemlich irreal ist, sondern privatwirtschaftliche Strukturen schaffen, um die Kosten zu senken.
Aber auch das Niveau der Flugsicherheit wird zwangsläufig darunter zu leiden haben, selbst wenn die Regierung das Gegenteil behauptet und glaubt, aus den Fehlern bei der Privatisierung der Schweizer Fluglotsen oder vor gut drei Jahren bei der Privatisierung der britischen Flugsicherung NATS gelernt zu haben. Dort war es zu erheblichen Sicherheitsrisiken gekommen, die mehrere Beinahe-Katastrophen und unzählige Verspätungen zur Folge hatten.
Bei Sicherheit und Pünktlichkeit wurde bei der DFS bisher ein sehr hoher Standard gehalten, der sie gegenwärtig europaweit an der Spitze stehen lässt, und das in dem Land mit dem komplexesten Luftraum Europas. 96 Prozent der in Deutschland abgewickelten 2,7 Millionen Flüge konnten 2004 ohne jegliche Verzögerungen oder Sicherheitsprobleme abgewickelt werden.
Mit der Liberalisierung des Luftraums holt die europäische herrschende Klasse das nach, was in den USA schon Anfang der achtziger Jahre eingeleitet wurde. Einen Streik der Fluglotsengewerkschaft PATCO 1981, bei dem es um die Erhöhung des Personals infolge der gestiegenen Belastung ging, beantwortete die damalige Reagan-Regierung mit der Entlassung von 11.000 Fluglotsen und drastischen Lohnkürzungen, um die Kosten für den US-Luftverkehr zu senken.
Die Pläne der EU zum Luftverkehr sind Teil einer breit angelegten Politik, in allen Bereichen die Kosten für die Konzerne zu senken, um ihnen eine bessere Position im sich immer weiter verschärfenden internationalen Konkurrenzkampf zu verschaffen. In Bezug auf die Verkehrsstrukturen gehören dazu ebenso die Privatisierungen der Staatsbahnen und Autostraßen, die auf Kosten von Beschäftigten und von Sicherheit durchgesetzt werden.