Zum dritten Mal in diesem Jahr hat die SPD bei einer Landtagswahl eine verheerende Niederlage erlitten. Nach Hamburg im Februar und Thüringen im Juni ist die Kanzlerpartei am vergangenen Sonntag auch im Saarland regelrecht eingebrochen. Alles deutet darauf hin, dass sich diese Entwicklung in zwei Wochen, wenn die Landesparlamente in Brandenburg und Sachsen neu gewählt werden, und im kommenden Frühjahr in Nordrhein-Westfalen fortsetzt. Die Union würde dann im Bundesrat über eine Zweidrittelmehrheit verfügen und die Zukunft der rot-grünen Bundesregierung stünde ernsthaft in Frage.
Im Vergleich zur letzten Landtagswahl vor fünf Jahren verlor die SPD im Saarland über hunderttausend Wähler. Hatten damals noch 247.000 für die Sozialdemokraten gestimmt, waren es diesmal nur noch 136.000. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 55 Prozent ein Rekordtief. Vor fünf Jahren hatten sich noch 69 Prozent an der Wahl beteiligt. Mit knapp 31 Prozent kam die SPD auf den niedrigsten Stimmenanteil seit 44 Jahren. Ihr bestes Ergebnis hatte sie 1990 mit 54 Prozent erzielt.
Die CDU konnte ihren Stimmenanteil leicht auf 47,5 Prozent erhöhen und ihre absolute Mehrheit im Landtag ausbauen, obwohl darin nun vier statt nur zwei Parteien sitzen. Die Grünen und die FDP, die im letzten Landtag nicht vertreten waren, überwanden beide knapp die Fünf-Prozent-Hürde.
In absoluten Zahlen büßte aber auch die CDU 44.000 Stimmen ein. Laut einer Analyse von Infratest-dimap blieben 61.000 SPD-Wähler und 34.000 CDU-Wähler den Urnen fern, 11.000 Wähler wechselten von der SPD zur CDU, während die restlichen für kleinere Parteien stimmten - neben den Grünen und der FDP auch für die rechtsextreme NPD (4%), die Familienpartei (3%) und die PDS (2,3%).
Das schlechte Abschneiden der SPD ist ein Ergebnis der weitverbreiteten Opposition gegen den sogenannten Reformkurs der Bundesregierung. Während in den neuen Bundesländern Woche für Woche Zehntausende gegen Hartz IV auf die Straße gehen, blieben bei der Saarland-Wahl aus dem selben Grund zahlreiche Wähler, die früher für die SPD gestimmt haben, den Wahllokalen fern. Laut Angaben von Wahlforschern verlor die SPD 28 Prozent ihrer traditionellen Stammwähler. Sie sprechen von "einem dramatischen Einbruch der Stimmen bei den Arbeitern".
Bezeichnenderweise konnte die CDU von den Verlusten der SPD kaum profitieren. Seit die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV begonnen haben, sind die Umfragewerte der Union, die zum Teil noch einschneidendere Sozialkürzungen fordert, merklich zurückgegangen. CDU-Ministerpräsident Peter Müller, der vor Ort als äußerst populär gilt, hatte ursprünglich mit einem Ergebnis von mehr als 50 Prozent gerechnet.
Während viele ehemalige SPD-Wähler einfach zuhause blieben, stimmte eine Minderheit für die NPD, die zuvor im Saarland nicht angetreten war und auf Anhieb 17.600 Stimmen gewann. Davon stammten etwa 5.000 von ehemaligen SPD-Wählern und eben so viele von früheren CDU-Wählern.
Gegen die rechtsextreme Partei, die enge Verbindungen zu militanten Neonazis unterhält, war noch im vergangenen Jahr ein Verbotsverfahren gelaufen. Es war schließlich gescheitert, weil bekannt wurde, dass ihre höchsten Führungsgremien massiv von V-Leuten des Verfassungsschutzes unterwandert sind. Nach dem guten Abschneiden der NPD im Saarland wird jetzt damit gerechnet, dass die Partei in zwei Wochen in Sachsen zum ersten Mal seit 1968 wieder in ein Landesparlament einzieht.
Die Rechtspartei, sonst auf Ausländerfeindlichkeit spezialisiert, hatte ihren Wahlkampf diesmal gegen Hartz IV ausgerichtet und gezielt an Protestwähler appelliert. "Schnauze voll" lautete eine ihrer Wahlparolen. Vor allem unter Schichten, die von Arbeitslosigkeit und sozialem Niedergang betroffen sind, fand sie damit eine gewisse Resonanz. Nach Angaben von Wahlforschen haben 10 Prozent der Arbeiter und 14 Prozent der Arbeitslosen für die NPD gestimmt. In Völklingen, Standort eines stillgelegten Stahlwerks, erreichten die Rechtsextremen 9,7 Prozent.
Die Stimmen für die NPD sind nicht Ausdruck einer gefestigten rechtsextremen Strömung, sondern das Ergebnis eines diffusen Protests, der sich angesichts des Fehlens jeder Alternative von Seiten der etablierten Parteien in reaktionäre Bahnen lenken lässt.
Das Saarland, wo in den sechziger Jahren jeder zehnte Einwohner in der Kohle- und Stahlbranche arbeitete, hat einen anhaltenden Niedergang durchgemacht. Von den ehemals 100.000 Arbeitsplätzen in der Montanindustrie sind nur noch 19.000 übrig, von den 18 Bergwerken nur noch zwei, von denen eines demnächst stillgelegt wird.
Aufgrund der vorwiegend katholischen Bevölkerung war das Saarland, das erst 1957 Teil der Bundesrepublik wurde, ursprünglich eine Hochburg der CDU. Das änderte sich gegen Ende der siebziger Jahre, als die Krise in der Stahlindustrie heftige Proteste der Belegschaften hervorrief. 1980 erhielt die SPD erstmals mehr Stimmen als die CDU, 1985 gewann sie die absolute Mehrheit und Oskar Lafontaine wurde Ministerpräsident.
Unter seiner Regie wurde die Montanindustrie dann weitgehend abgewickelt. In enger Zusammenarbeit mit Kurt Hartz, dem Bruder des VW-Personalvorstands und Namensgebers der Hartz-IV-Gesetze, gelang es ihm, die Arbeiter zu beschwichtigen und den Arbeitsplatzabbau geräuschlos über die Bühne zu bringen. Kurt Hartz verkörperte als saarländischer IG-Metall-Chef und Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion die Personalunion von SPD und Gewerkschaft.
1999 gelangte die CDU mit einem hauchdünnen Vorsprung zurück an die Macht. Lafontaine war inzwischen als SPD-Vorsitzender und Finanzminister in die Hauptstadt gegangen und wenige Monate später von allen politischen und Parteiämtern zurückgetreten. Die CDU versprach neue Arbeitsplätze, doch der wirtschaftliche und soziale Niedergang ging weiter. Mit 9,3 Prozent Arbeitslosen im Juni dieses Jahres liegt das Saarland deutlich über dem westdeutschen Durchschnitt. Und der hohe Schuldenberg von derzeit 7,5 Milliarden Euro steigt weiter an.
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass der SPD und zunehmend auch der CDU die Wähler davonlaufen.
Die SPD reagierte auf das Wahldebakel im Saarland, wie sie bereits auf frühere Niederlagen reagiert hat - mit dem Ruf: "Weiter so!" Ein führender Vertreter nach dem anderen trat vor die Presse um zu beteuern, dass es keine Abstriche bei Hartz IV geben werde und der "Reformkurs" fortgesetzt wird.
Peer Steinbrück, der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, wo in drei Wochen Kommunal- und im kommenden Frühjahr Landtagswahlen stattfinden, sagte am Wahlabend in der ARD: "Ich bin dafür, dass Hartz IV so realisiert wird." Man dürfe vor den Argumenten der Hartz-IV-Gegner nicht einknicken, die SPD dürfe sich nicht taktisch, opportunistisch oder populistisch aufstellen. Mit anderen Worten: Die Wähler und die Demonstranten können tun und lassen was sie wollen, die SPD hält stur an ihrem Kurs fest.
Steinbrück gehört zu jenen typischen SPD-Apparatschiks, der voller Verachtung auf die eigenen Wähler blicken. Nach Abitur, zwei Jahren Bundeswehr und vier Jahren Volkswirtschaftsstudium absolvierte er eine 30-jährige Karriere in diversen Ministerien und Staatskanzleien, ohne sich jemals einer demokratischen Wahl zu stellen. Vor zwei Jahren erbte er das Amt des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten von Wolfgang Clement, der als Wirtschaftsminister nach Berlin ging. Im nächsten Jahr muss er sich zum ersten Mal den Wählern stellen - und wie es aussieht, werden sie ihn davonjagen.
Ins selbe Horn wie Steinbrück stieß sein Arbeitsminister und Parteivorsitzender Harald Schartau, ein langjähriger IG-Metall-Funktionär. "Man kann keine Reform machen und sich kurz danach von dieser Reform distanzieren", erklärte er.
Der Vorsitzende der Grünen, Reinhard Bütikofer, behauptete in grotesker Verkennung der Wirklichkeit, die SPD habe im Saarland Stimmen verloren, weil sich führende saarländische SPD-Politiker vom Reformkurs der Bundesregierung distanziert hätten. Die Grünen, die sich vorbehaltlos mit diesem Kurs identifiziert hatten, hätten dagegen Stimmen hinzugewonnen. Kein Wunder, hat doch eine Studie der Universität Mainz gezeigt, dass inzwischen die Grünen, und nicht die FDP, die eigentliche "Partei der Besserverdienenden" sind. Die Studie untersuchte, wie viele Wähler über ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von 3000 Euro und mehr verfügen. Bei den Grünen waren es 32 Prozent, wesentlich mehr als bei der Union (26 Prozent) und der FDP (20 Prozent). Die SPD rangierte mit knapp 17 Prozent hinter der PDS.
Die SPD-Zentrale orchestrierte eine groteske Kampagne, Oskar Lafontaine zum Sündenbock für die Wahlniederlage zu machen. Er sei der Partei mitten im Wahlkampf in den Rücken gefallen, und habe so mit zur Wahlniederlage beigetragen, hieß es unisono.
Der frühere Parteivorsitzende hatte anfangs den SPD-Spitzenkandidaten Heiko Maas unterstützt und war als Redner auf Wahlveranstaltungen aufgetreten. Als dann die Demonstrationen gegen Hartz IV losgingen, forderte er in einem Spiegel -Interview den Rücktritt von Kanzler Schröder und trat auf einer Leipziger Demonstration als Diskussionsredner auf.
Lafontaine trägt tatsächlich Mitverantwortung für die Politik und den Niedergang der SPD. Seine Kritik an Schröder ist hohl und demagogisch, hat er doch wiederholt ähnliche Vorstellungen und Konzeptionen vertreten. Die Politik, die er vorschlägt - eine Rückkehr zur Reformpolitik der siebziger Jahre - ist illusorisch, da sie die veränderte Weltlage völlig ignoriert. Bei aller sozialer Rhetorik verteidigt Lafontaine vorbehaltlos die Grundlagen der kapitalistischen Ordnung. Aber das ist nicht der Grund, weshalb die SPD Lafontaine angreift. Sie wirft ihm vor, dass er sich an die Stimmung der Demonstranten anpasst und die Agenda 2010 kritisiert. Hier wird der Bote für die Nachricht verantwortlich gemacht.