Erleichterte Einbürgerung in der Schweiz abgelehnt

Am letzten Sonntag, dem 26. September, lehnten die Schweizer Wähler in einer Volksabstimmung die erleichterte Einbürgerung von Ausländern der zweiten und dritten Generation ab.

Die Maßnahmen, die längst überfällig und von Regierung und Parlament mehrheitlich gebilligt worden waren, waren mit einer Revision der Bundesverfassung verbunden und unterlagen deshalb einer Volksabstimmung. Die Niederlage vom Sonntag stellt nun nach den Abstimmungen von 1983 und 1994 bereits die dritte Ablehnung einer solchen Einbürgerungserleichterung für Immigrantenkinder dar.

Es standen zu diesem Thema zwei Bundesbeschlüsse zur Abstimmung: Die erste Vorlage für eine erleichterte Einbürgerung für Ausländer der zweiten Generation - sogenannte "Secondos" - wurde mit 57 Prozent abgelehnt, während die zweite Vorlage, die eine automatische Staatsbürgerschaft für die dritte Generation vorsah, nur ganz knapp, mit 51,6 Prozent Nein- gegen 48,4 Prozent Ja-Stimmen verworfen wurde.

Außerdem standen am gleichen Tag noch zwei weitere Fragen zur Abstimmung: Zum einen musste über ein neues Gesetz abgestimmt werden, das den Lohnersatz für erwerbstätige Mütter in den ersten 14 Wochen nach der Niederkunft vorsieht. Die rechte SVP (Schweizerische Volkspartei) hatte im Frühjahr das Referendum dagegen ergriffen, aber das neue Mutterschaftsgesetz wurde am Sonntag mit 55,5 Prozent angenommen.

Die vierte Vorlage, die Volksinitiative "Postdienste für alle" eines aus Gewerkschaftern, Grünen und Sozialdemokraten bestehenden Komitees, sollte einer weiteren Privatisierung vorbeugen, wurde jedoch mit einer Mehrheit von nicht einmal 11.300 Stimmen knapp verworfen. Die Beteiligung lag insgesamt mit 53 Prozent etwas über dem Durchschnitt.

Die abgelehnten Bundesgesetze über die erleichterte Ausländerintegration waren nicht umwälzend. Die erste Vorlage sollte ausländischen Jungendlichen zwischen 14 und 24 Jahren eine erleichterte Einbürgerung ermöglichen, wenn sie mindestens fünf Jahre ihrer obligatorischen Schulzeit in der Schweiz absolviert haben und über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen. Damit hätten sie die oft schwierigen und langwierigen Einbürgerungsbedingungen abkürzen können. Die zweite Vorlage sollte den in der Schweiz geborenen Kindern das Schweizer Bürgerrecht von Geburt an automatisch zukommen lassen, wenn mindestens ein Elternteil in der Schweiz geboren oder fünf Jahre zur Schule gegangen ist.

Demagogische Kampagne der Blocher-Partei

Noch vor einem guten Monat, am 20. August, hatten alle Medien über eine Umfrage berichtet, der zufolge die Einbürgerungsvorlagen gute Chancen auf Annahme hatten. Die Umfrage ergab, dass 75 Prozent der erleichterten Einbürgerung der dritten Generation und 68 Prozent der für die zweite Generation zustimmen würden. Selbst unter den Anhängern der rechten SVP (Schweizerischen Volkspartei) sprachen sich damals 57 Prozent für die automatische Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation aus.

Die SVP hatte als einzige große Partei die Nein-Parole ausgegeben. Die SVP, die sich ursprünglich auf die ländliche Bevölkerung in evangelischen Gebieten stützte, ist unter der Führung des Milliardärs, Chemiefabrikanten und Rechtspopulisten Christoph Blocher scharf nach rechts gerückt und vertritt ähnliche Positionen wie die Freiheitlichen unter Jörg Haider in Österreich. Bei den Wahlen vom letzten Oktober wurde die SVP zur stärksten Partei und Blocher selbst bekleidet in der Allparteienregierung mittlerweile das Amt des Justizministers. Erwartungsgemäß weigerte er sich, öffentlich für die Annahme der vom eigenen Ministerium erarbeiteten Einbürgerungsgesetze einzutreten.

In den letzten Wochen vor der Abstimmung entfesselte die SVP gegen die Vorlagen eine millionenschwere Propaganda. Auf einer Reihe demagogischer Plakate mobilisierte sie gegen die Einbürgerungserleichterung. Da wurde z.B. vor dem Überhandnehmen "schmarotzender Ausländer" mit Schweizer Bürgerrecht oder vor einer "Islamisierung" der Schweiz gewarnt. Ein SVP-Plakat zeigte Bin Laden mit Schweizer Pass. Auf der SVP-Homepage wurden falsche Zahlen veröffentlicht, um nachzuweisen, dass eine Annahme der neuen Gesetze zu unkontrollierbaren Masseneinbürgerungen führen würde.

Kurz vor der Abstimmung beteiligten sich auch mehrere große Medien an der Ausländerhetze, indem sie das Thema "Raser auf Schweizer Autobahnen" aufbauschten und die Schuld daran den in der Schweiz lebenden albanischen und serbischen Jugendlichen in die Schuhe schoben.

Das Abstimmungsergebnis zeigt nun, dass diese Propagandakampagne vor allem in der ländlichen Bevölkerung der deutschen Schweiz Wirkung zeigte. Während die westlichen französischsprachigen Kantone und die Städte Zürich, Bern, Basel, Schaffhausen, St.Gallen und Solothurn der erleichterten Einbürgerung zustimmten - wobei die französischsprachigen Städte die größte Mehrheit aufwiesen -, reagierten die deutschsprachigen Kantone und das Tessin mit Ablehnung. Interessant ist, dass gerade die Gebiete mit relativ hohem Ausländeranteil mit Ja stimmten, während die Bewohner von Regionen mit weniger Immigranten dagegen waren. In Genf wurden die beiden Vorlagen mit knapp 68 und 71 Prozent gutgeheißen. In Appenzell-Innerrhoden waren es nur 24 und 30 Prozent.

Die drei anderen Regierungsparteien - die Sozialdemokratische Partei (SPS), die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und die Christlich-demokratische Volkspartei (CVP) - hatten zwar offiziell die Ja-Parole ausgegeben, dem propagandistischen Trommelfeuer der SVP-Populisten aber nichts entgegengesetzt.

Am Tag nach der Abstimmung schrieb die Neue Zürcher Zeitung, man müsse "die anderen drei Bundesratsparteien fragen, wieso ihnen die beiden Vorlagen nicht mehr wert waren.... Sie haben gar keine Kampagne geführt und sich bloß öffentlich über den SVP-Stil aufgehalten. Für diese Politiker ist das ‚Engagement’ im Abstimmungskampf kein Ruhmesblatt."

Der Tagesanzeiger schrieb: "Unser Land hätte profitiert, wenn es gelungen wäre, junge, längst integrierte Ausländer, die Steuern zahlen und AHV-[Renten]-Beiträge entrichten, stärker an unser Land zu binden. Allerdings hätten die Befürworter eine Kampagne führen müssen". Der von der SVP bewusst verbreiteten Angstkampagne habe keine Partei widersprochen. Für die Berner Zeitung ist die Ablehnung der erleichterten Einbürgerung ein "Sieg der Demagogen".

Obwohl es angesichts der demagogischen SVP-Kampagne und der Gleichgültigkeit der übrigen Parteien nicht verwunderlich ist, dass die erleichterte Einbürgerung schließlich scheiterte, ist dies doch keine hinreichende Erklärung dafür, warum sich ein derart großer Teil der Bevölkerung empfänglich für die Propaganda einer rechts-populistischen Partei zeigte.

Die Antwort ist, dass es in der heutigen Schweiz keine progressive politische Tendenz gibt, die für die Interessen der arbeitenden Bevölkerung kämpft und für einen sozialistischen Ausweg aus der drohenden Wirtschaftskrise eintritt. Es existiert keine Partei, die für die internationale Einheit der Arbeiterklasse eintritt, um gegen die Auswirkungen der Globalisierung zu kämpfen. Niemand setzt sich aktiv dafür ein, die zahlreichen ausländischen Arbeitskräfte, die das Funktionieren der Schweizer Wirtschaft erst ermöglichen, politisch und kulturell zu integrieren.

Ergebnis eines langen Niedergangs

Vor hundert Jahren galt die Schweiz noch als das liberalste Land Europas, in dem sich Künstler und Wissenschaftler niederlassen konnten, zu denen z.B. der Physiker Albert Einstein, der Dichter Rainer Maria Rilke, der Maler Giovanni Segantini, die Eltern des Malers Paul Klee und andere gehörten. Zürich war ein Zufluchtsort für politisch Verfolgte aus ganz Europa, unter ihnen Friedrich Engels, Georg Plechanow, Rosa Luxemburg, Lenin und Trotzki.

Der linke Flügel der Schweizer Arbeiterbewegung war eng an die Zweite Internationale angeschlossen, die Gewerkschaften waren vom Breslauer Herman Greulich aufgebaut worden, und 1915 organisierten Marxisten aus zahlreichen Ländern im Berner Oberland die Zimmerwalder Konferenz gegen den ersten Weltkrieg.

Im Lauf der 1920-er Jahre, nach der Niederlage des Landesstreiks von 1918 und der Spaltung der internationalen sozialistischen Bewegung, schlug die Schweizer Sozialdemokratie jedoch den Weg der Klassenzusammenarbeit ein. 1937 unterzeichneten die Gewerkschaften einen Friedenspakt mit Unternehmern und Regierung, in dem sie sich ausdrücklich zum Verzicht auf Streiks und andere Methoden des Klassenkampfs verpflichteten, und 1943, während des Zweiten Weltkriegs, zog der erste SPS-Minister in den Bundesrat, die Schweizer Regierung ein. So entstand die heutige sogenannte "Konkordanz-Demokratie", deren Allparteienregierung keine offizielle Opposition zulässt.

Damit hatte die unabhängige Arbeiterbewegung faktisch aufgehört, politisch zu existieren. Die Auswirkungen davon zeigen sich heute, unter veränderten Bedingungen der Wirtschaftsglobalisierung, besonders deutlich: Während der bisher geschützte Lebensstandard rasch sinkt und die Arbeitslosigkeit sich in wenigen Jahren von 0,4 auf vier Prozent verzehnfacht hat, verfügt die Arbeiterklasse über keine politische Stimme. Das Ergebnis ist das Vordringen rechter Populisten.

Obwohl bekannt ist, dass die SVP von Millionenspenden von Banken und Großindustrie lebt, obwohl sie mit ihren Forderungen nach Steuersenkung und Deregulierung - "gegen den linken Filz" wie sie es nennt - sich ganz klar an den sozialen Errungenschaften der arbeitenden Bevölkerung vergreift, kann sie bei Wahlen und Abstimmungen ihren Einfluss bei einem Teil der Bevölkerung ausbauen.

Davon unabhängig führt die kritische soziale Lage zwangsläufig zu immer stärkeren gesellschaftlichen Konflikten. Das zeigt sich an der wachsenden Zahl von Aktionen gegen Sozialabbau, Privatisierungen und Entlassungen. Schon am 4. November 2002 hatte ein gemeinsamer Streik von über zehntausend wütenden Bauarbeitern den offiziellen Friedenspakt durchbrochen. Und nur zwei Tage vor der Abstimmung beteiligten sich am 23. September 2004 in mehreren Städten Tausende am gesamtschweizerischen Aktionstag gegen den sozialen Kahlschlag im öffentlichen Dienst.

Diese Konflikte werden in den nächsten Monaten noch zunehmen und zeigen die Dringlichkeit der Aufgabe, auch in der Schweiz die politischen Perspektiven der Vierten Internationale und der World Socialist Web Site bekannt zu machen.

Siehe auch:
Schweizer Parlamentswahlen: Politischer Konsens am Ende? Schweiz: Das Ende der Konkordanzdemokratie
(4. November 2003)
Weitere Artikel über die Schweiz
( 18. Dezember 2003)

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