Die Ankündigung eines einschneidenden Sanierungspakets beim Karstadt-Quelle-Konzern Ende September ist ein weiterer Schritt, Löhne und Sozialleistungen in einer Branche nach der anderen systematisch abzusenken. Seit diesem Frühjahr stehen in deutschen Traditions- und Prestigeunternehmen wie DaimlerChrysler, Siemens, Opel, Ford und Volkswagen in diesem Ausmaß bisher völlig unbekannte Senkungen auf der Tagesordnung. Nun wird dieses Karussell im Einzelhandel in ähnlichem Maßstab weitergedreht.
Mit dem in Umrissen vorgelegten Sanierungspaket reagiert die Unternehmensleitung des Karstadt-Quelle-Konzerns auf die in den letzten Jahren kontinuierlich gesunkenen Erträge, die sich bis Dezember zu einem vermutlichen Jahresverlust von über 1,3 Mrd. Euro auswachsen werden.
Geplant ist "die Konzentration des Unternehmens auf das Kerngeschäft" - die Warenhausaktivitäten -, indem Randaktivitäten eingestellt werden. So sollen die über 300 Geschäfte der Fachmarktketten Sinn-Leffers, der Modediscounter Wehmeyer, der Turnschuhanbieter Runners Point und das Spezialgeschäft Golf House abgestoßen werden.
Außerdem sollen von den 181 Warenhäusern 77 verkauft werden, weil sie unprofitabel sind oder eine Verkaufsfläche von weniger als 8.000 Quadratmetern haben. Im Bereich Versandhandel sollen die renommierten Marken Quelle und Neckermann "neu positioniert" und auf die "Wachstumsbranchen" Spezialversand, Ausland und E-Commerce konzentriert werden. Vor allem Verwaltungs- und Logistikprozesse sollen verschlankt bzw. ausgelagert werden.
Verschiedenen Angaben zufolge werden bis zu 10.000 Beschäftigte mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen müssen, während bis zu 20.000 von Ausgliederungen und anderen Maßnahmen betroffen sein werden. Derzeit hat der Konzern über 100.000 Beschäftigte.
Für die verbleibende Belegschaft sollen zur "Standortsicherung", "Arbeitsplatzerhaltung" und gar zur Abwendung einer Insolvenz Gehälter, Sonderzahlungen und Urlaub empfindlich gesenkt werden. Wie bei den meisten anderen Handelsunternehmen sollen übertarifliche Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld und Zahlungen für Heirat und Dienstjubiläen völlig wegfallen. Die Arbeitszeit soll auf 42 Stunden pro Woche erhöht und der Urlaub um fünf Tage verkürzt werden. Ziel ist eine Einsparung bei den Personalkosten in Höhe von 190 Mio. Euro. Eine Einigung mit den Betriebsräten und der Gewerkschaft Ver.di soll nach Vorstellung der Konzernleitung bis zum 14. Oktober erzielt werden.
Nur auf der Grundlage eines umsetzungsbereiten Sanierungsplans werden die Eigentümer dann bereit sein, auf einer außerordentlichen Hauptversammlung einer Kapitalerhöhung in Höhe von 500 Mio. Euro zuzustimmen. Die Banken haben ihr Einverständnis bereits signalisiert und langfristige Kredite in Aussicht gestellt, sollte es zur Einigung mit der Belegschaft und zur Kapitalerhöhung kommen.
Ver.di wird wie ihre Schwestergewerkschaft bei DaimlerChrysler oder Siemens wohl auch hier den Vorstandsplänen mehr oder weniger vorbehaltlos zustimmen. Das ist schon jetzt den Äußerungen ihrer Vertreter zu entnehmen. Obwohl "die Positionen weit auseinander liegen", bestätigen diese, dass die Verhandlungen "hart, aber mit partnerschaftlichem Ansatz" verliefen. Auch die Geschäftsleitung scheint sich sicher zu sein. Konzernsprecher Jörg Howe erklärte, dass die Gespräche "sehr konstruktiv" geführt werden: "Ich denke, wir werden uns in dieser Woche einigen."
Veränderungen in der Weltwirtschaft
Die Krise bei Karstadt-Quelle ist Ausdruck grundlegender Veränderungen in der Weltwirtschaft, auf die die herrschenden Kreise in Deutschland spätestens seit der Einleitung der Hartz-Reformen mit immer direkteren und massiveren Angriffen auf das Lebensniveau der breiten Mehrheit der Bevölkerung reagieren.
Während der Boomjahre der fünfziger und besonders der sechziger Jahre waren der Sozialstaat in der Bundesrepublik im Namen der "Sozialpartnerschaft" ausgeweitet und die Arbeiterklasse sowie die Mittelschichten weitgehend in den gesellschaftlichen Konsens einbezogen worden. Der Lebensstandard wurde für eine breite gesellschaftliche Mehrheit auf ein historisch und international bis dahin nicht erreichtes Niveau gehoben.
Bei Arbeitskämpfen Anfang der siebziger Jahre wurden Reallohnerhöhungen von bis zu 12 Prozent im Durchschnitt aller Arbeitnehmer durchgesetzt. Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherungen wurden auf alle Arbeiter- und Angestelltengruppen ausgeweitet und sukzessive gesteigert.
Man sprach von der sogenannten "Zweidrittelgesellschaft" - zwei Dritteln ging es recht gut, während man sich nur um die Zukunft des unteren Drittels Sorgen machen müsse. Ein anderer populär gewordener Begriff sprach bereits in den fünfziger Jahren von einer "nivellierten Mittelstandsgesellschaft".
In diesem Aufschwung konnten Karstadt zur größten Kaufhauskette Deutschlands anwachsen und das Versandhandelsunternehmen Quelle, das 1997 mit der Karstadt AG fusioniert wurde, zu einem Milliardenimperium werden. Die jetzigen Haupteigentümer sind die Milliardenerben von Grete und Gustav Schickedanz, die Ende der zwanziger Jahre den Quelle-Versandhandel gegründet und ihn während des Nachkriegsbooms zu einem Milliardenkonzern aufgebaut hatten. Die Erben halten an der Karstadt-Quelle AG 54 Prozent. Allein die Tochter Madeleine Schickedanz besitzt knapp 42 Prozent. Ihr Gesamtvermögen wird auf 1,7 Mrd. Euro veranschlagt.
Diese Zeiten sind jetzt unwiderruflich vorbei. Auf den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1971 und die erste Ölkrise 1973, die das Ende des Nachkriegsbooms einläuteten, reagierte die deutsche Bourgeoisie, indem sie den Anstieg der Sozialausgaben drastisch abbremste und deren Finanzierung auf eine enorme Ausweitung der Staatsverschuldung verlegte.
Hatte das Wachstum der Sozialausgaben in der Zeit von 1960 bis 1970 jährlich rund 10 Prozent und von 1970 bis 1975 sogar durchschnittlich 14 Prozent betragen, wurde dieser Anstieg für die Jahre bis 1980 auf 6,5 Prozent und die Jahre von 1980 bis 1985 auf 3,8 Prozent zurückgefahren. Die Staatsverschuldung, die bis 1974 kontinuierlich um die Marke von 20 Prozent geschwankt hatte, wurde bis 1989 verdoppelt.
Während in den achtziger Jahren zuerst in Großbritannien und den USA unter Thatcher und Reagan massive Angriffe auf Löhne und Sozialstandards geführt wurden, gelang es der deutschen Industrie, ihre Konkurrenzfähigkeit vor allem durch Produktivitätssteigerungen mit der Einführung neuester Technologien aufrechtzuerhalten, ohne das soziale Niveau derartig anzutasten. Auch infolge ihrer stark in den Weltmarkt integrierten Produktion konnte sie überproportional vom Aufschwung nach der Wirtschaftskrise von 1981/82 profitieren.
Die Einverleibung der DDR ab 1990 verschaffte der deutschen und auch der europäischen Produktion mit der Durchführung eines massiven Staatsprogramms zunächst weiteren Spielraum. Die Staatsverschuldung schnellte aber auf über 60 Prozent hoch.
Gleichzeitig veränderten die Produktivitätssteigerungen, mit denen die Finanzierung des Sozialstaates aufrechterhalten wurde, ihren Charakter. In den neunziger Jahren erfolgten diese in immer größerem Ausmaß mit der Auslagerung arbeitsintensiver Bereiche ins Billiglohnausland - nach Osteuropa bis hin nach Asien. Die Arbeitslosigkeit nahm kontinuierlich auf über 10 Prozent zu (die wirkliche Rate liegt nach den verschiedenen "Veränderungen" der statistischen Erfassung bekanntermaßen weit höher).
Die massive Verlagerung immer höherwertiger Produktion aufgrund des immer größer werdenden internationalen Konkurrenzdrucks macht diesen Spagat der deutschen und auch europäischen Bourgeoisie (vor allem in Frankreich, den Benelux-Staaten oder Österreich) nicht länger möglich. Auf breiter Front werden nun die Sozialsysteme "reformiert", indem sie in immer höherem Tempo abgebaut werden, und in den Unternehmen immer schärfere Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen durchgesetzt.
Folgen für den Einzelhandel
Diese Entwicklungen haben auch im Einzelhandel in den vergangenen Jahrzehnten zu gravierenden Veränderungen geführt. Weil die Kaufkraft stagniert - seit 1993 sind die Einzelhandelsumsätze um 1,4 Prozent zurückgegangen -, reagierte die Branche, indem sie in beschleunigtem Tempo zum Teil hochspezialisierte "Discounter" mit modernsten Technologien auf der "grünen Wiese" errichtete. Die Gesamtverkaufsfläche vergrößerte sich seit 1993 um über 26 Prozent, während die Zahl aller in der Branche Beschäftigten um mehr als 6 Prozent zurückging. Die Zahl der höher qualifizierten und besser bezahlten Beschäftigten reduzierte sich noch stärker.
Der Marktanteil der klassischen Warenhäuser, in denen man buchstäblich alles bei einem ausgebildeten Fachverkäufer im Zentrum jeder nicht allzu kleinen Stadt kaufen konnte und deren Konzept bis in die Kaiserzeit zurückreicht, ging dabei immer weiter zurück: seit den siebziger Jahren von 12,2 auf 3,8 Prozent. Marken wie Wertheim, Hertie oder Horten gingen in den beiden verbliebenen Warenhausketten Karstadt und Kaufhof auf.
In der laufenden Debatte um die Warenhaussparte bei Karstadt wird hervorgehoben, dass es dem Konkurrenten Kaufhof gelungen sei, eine relativ stabile Marktnische zu finden. Er spezialisierte sich auf die besserverdienende Kundschaft und bietet für diese eine Alternative zu den Discountern. Er bietet mit seinem "Galeria"-Konzept, das verstärkt auf Luxus- und Delikatesswaren setzt, ein Warensortiment an, das sich "schnell und mit relativ hohem Gewinnanteil" verkaufen lässt.
Karstadt dagegen habe den "Trend verschlafen" und wird als "Dinosaurier" der Branche bezeichnet. In den achtziger und neunziger Jahren sei ein unsortiertes Sammelsurium entstanden, das sich zuletzt "in Rabattschlachten verzettelte". Der traditionelle Versandhandel von Quelle und Neckermann geriet wegen des Internethandels in die Defensive.
Zu den Hauptschuldigen wurden die früheren Vorstandsvorsitzenden Walter Deuss und Wolfgang Urban erklärt. Deuss, von 1983 bis 2000 im Amt, steht für die Eingliederung von Neckermann, Wertheim und Hertie, die Fusion mit Quelle und den Zukauf etlicher weiterer Ketten. Sein Nachfolger Urban, der an diesem Kurs weiter festhielt, wurde im Juni 2004 mit einer Abfindung von 10 Millionen Euro vorzeitig entlassen. Noch im Frühjahr 2003 war sein Vertrag vorfristig vom Aufsichtsrat bis 2009 verlängert worden.
Der neue Vorstandsvorsitzende Christoph Achenbach und der kürzlich neu ernannte Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Middelhoff, der lange Jahre den Bertelsmann-Konzern geleitet hatte, sollen den Konzern entsprechend den neuen Marktbedingungen umbauen.
Auf die Hilfe der Gewerkschaft Ver.di werden sie dabei fest zählen können. Ver.di hatte nicht nur den Führungswechsel und die Abfindungszahlung im Aufsichtsrat kommentarlos mitgetragen. In den derzeit laufenden Verhandlungen hat die Gewerkschaft schon jetzt deutlich gemacht und wird es im Laufe der kommenden Wochen und Monate mit Taten zeigen: Sie sieht sich wie ihre Schwesterorganisationen in den anderen Branchen bei der Durchsetzung weitreichender Angriffe gegen die Belegschaften als Juniorpartner der Geschäftsleitung.