Spanien: Demonstranten sprechen über die Anschläge in Madrid Aznars Lügen und die Nachwirkung der Wahlen

Die World Socialist Web Site sprach mit vielen Demonstranten in Madrid über den Aufruhr, der zur Wahlniederlage von Aznars Volkspartei (PP) geführt hatte, und über ihre Erwartungen in Bezug auf die neue Regierung der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE).

Juan, ein pensionierter Brauerei-Arbeiter, sagte unseren Reportern: "Ich hoffe, dass es unter einer PSOE-Regierung einen stärkeren Dialog mit den anderen Oppositionsparteien, den autonomen Regionen usw. geben wird. Ich hoffe, dass sie mehr für die alten Menschen tun wird. In der Wirtschaftspolitik wird sich die PSOE allerdings kaum von der PP unterscheiden. Was den Krieg betrifft, so denken die Menschen, dass die Truppen morgen zurückkommen. Sie liegen falsch, das wird dauern."

Jesús, José und David sind 23, 19 und 20 Jahre alt. "Die PSOE hat gewonnen, weil es auf der Linken ein taktisches Wahlverhalten gab", sagte David. "Ohne die Anschläge hätte die PP die absolute Mehrheit verloren, aber es hätte nicht für einen Wahlsieg der PSOE gereicht. Die Empörung über die Anschläge mobilisierte die Linke zur Wahl zu gehen, vor allem auch die jungen Leute und andere, die sonst nicht gewählt hätten. Es war mehr eine Wahl, um die PP abzusetzen, als die PSOE an die Macht zu bringen. Bushs Angriffe auf das Wahlergebnis, die Aussage, dass die Terroristen gewonnen haben, ist ein Angriff auf die demokratischen Rechte der spanischen Bevölkerung. Glauben sie, dass wir Idioten sind, oder was?"

Jesús erklärte, er hoffe, die PSOE-Regierung werde hinsichtlich der Wirtschafts- und Bildungsfragen sowie in Bezug auf demokratische Rechte einen anderen Kurs einschlagen als die PP. "Zapatero muss mit den neun Millionen Wählern der PP rechnen und mit den Führern der PP, die noch etwas anderes sind. Sie werden nicht still halten. Er muss vorsichtig vorgehen."

David fügte hinzu, wenn Zapatero nicht seine Versprechen halte, "werden sie mich nicht von der Straße wegbekommen. Wir werden immer wieder da sein."

José sagte: "Die Vereinigten Staaten haben kein Recht, in irgendein Land einzufallen, weil sie dessen Regierung nicht mögen. Die USA machen dies seit Jahren in Lateinamerika. Die amerikanische Bevölkerung wird von allen am meisten getäuscht. Sie ist nicht verantwortlich für die Taten ihrer Regierung."

Sara ist 19 Jahre alt und Erstwählerin. Sie sagte: "Ich habe Izquierda Unida [die Vereinigte Linke] gewählt, aber meine Stimme sollte dazu da sein, die PP loszuwerden. Ich konnte jedoch nicht aus taktischen Gründen die PSOE wählen, denn ich denke, dass Menschen an ihren Überzeugungen festhalten und ihre Stimme aus prinzipiellen, nicht aus taktischen Gründen abgeben sollen. Ich glaube nicht, dass irgendwer von ihnen irgendwas taugt, aber die PP war jenseits von all dem, total antidemokratisch, so dass alles andere nur besser sein kann.

Niemand hat Illusionen in die PSOE. Sie werden unsere Probleme nicht lösen. Sie sind das kleinere von zwei Übeln. Trotzdem hoffe ich, dass sie uns nicht im Stich lassen. Viele haben die PSOE nicht deshalb gewählt, weil sie von ihr überzeugt sind, sondern um die PP loszuwerden. Darum wissen sie, dass wir, wenn sie es schlecht machen, wieder auf den Straßen sein werden, vor allem die jungen Leute, die zum ersten Mal gewählt haben.

Was am letzten Samstag passiert ist, war wirklich großartig. Obwohl die Regierung darauf bestand, die [baskische Separatistengruppe] ETA sei für die Bombenanschläge verantwortlich, begannen die Menschen durch die internationale Presse zu verstehen, dass es auch Al Qaida gewesen sein konnte. Um sechs Uhr abends versammelten sich Menschen vor der Zentrale der PP, um Mitternacht dann marschierten die Leute zum [Rathausvorplatz] Puerta del Sol, dann zum Bahnhof Atocha, und immer mehr Menschen schlossen sich dem Zug an, so dass der Verkehr zum Erliegen kam. Es gab keine Polizei, um sie aufzuhalten. Es war absolut spontan. Es gab Kurznachrichten über Mobiltelefone und Internet, Nachrichten mit der Botschaft: Die Regierung lügt und hält Informationen zurück usw. Das alles wurde hier in der Presse nicht berichtet.

Ich denke, dass Zapatero die Truppen zurückholen muss. Aus eigenem Interesse, denn sonst wird er dafür bezahlen müssen. Ich würde es bevorzugen, wenn die Vereinten Nationen dort wären, obwohl es am besten wäre, wenn gar keine Truppen da wären. Aber gleichzeitig herrscht im Irak solch ein Chaos...

Wenn die PSOE ihre Versprechen nicht einlöst, werden wir wieder auf die Straße gehen, ihren Rücktritt und eine neue Regierung fordern."

In Bezug auf die Vorwürfe, dass der Sieg der PSOE einen Sieg des Terrorismus bedeute, sagte der 19-jährige Jerónimo: "Dies ist keine Kapitulation vor dem Terrorismus. Die Leute hatten schon vorher von dieser Regierung die Schnauze voll. Es war eine Regierung von Lügnern. Trotzdem ist es eine Schande, dass so etwas Schlimmes passieren musste, bevor die Menschen sich dazu entschlossen haben, ihre Stimme gegen die PP abzugeben.

Ich denke, dass Bush und Blair einen Schock erlitten haben und sehr unglücklich darüber sind, ihren besten Freund und Alliierten verloren zu haben, aber dies war eine Tat der Bevölkerung, die nicht von Feigheit zeugte sondern vielmehr von großem Mut. Wir wollten nie diesen Krieg, wir haben schon vor einem Jahr gegen diesen Krieg demonstriert, und die Warnungen, dass ein solcher Anschlag passieren konnte, wurden bestätigt. Das Problem besteht darin, dass die Regierung nie auf die Bevölkerung gehört hat."

José Ramón ist 53 Jahre alt und ein Unterstützer der Izquierda Unida. Er sagte: "Vieles hat zum Wahlsieg der PSOE beigetragen. Es gab eine aufgestaute Empörung über das antidemokratische Verhalten der PP-Regierung, über ihre Dekrete im Bereich der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, die einen Generalstreik provozierten, und über ihre Unterstützung für den Krieg. All dies kulminierte in dem gesamten Prozess der Missinformation während der 36 Stunden nach dem Anschlag."

Seine Frau Matilde fügte hinzu: "Es gab auch ein taktisches Wahlverhalten von Menschen, die unter anderen Umständen die IU gewählt hätten, und anderen, die der PSOE ihre Stimme gaben, um die PP-Regierung rauszuwerfen, weil wir sehen konnten, dass ansonsten noch einmal der Faschismus in Spanien an die Macht gebracht worden wäre.

Wir hoffen, dass es eine Veränderung gibt in der Art und Weise, wie Dinge geregelt werden, aber Zapatero muss dies den Menschen vorführen, besonders denjenigen von der Linken, die die PSOE trotz ihrer Vorgeschichte gewählt haben. Die PSOE-Regierung muss beweisen, dass sie in der Kriegsfrage, vor allem aber auch in der Wirtschaftspolitik anders vorgeht. Die Menschen müssen weiterhin auf der Straße bleiben und verlangen, dass sie gemäß dem Willen der Bevölkerung handelt."

Ihr Mann ergänzte: "Aznar loszuwerden ist nur der erste Schritt. Jetzt müssen wir sehr achtsam sein. Wir sollten der Regierung eine Chance geben, zumindest die ersten 100 Tage, die traditionell jeder neuen Regierung gegeben werden.

Eine echte Angst, die ich habe, ist, dass die PSOE-Regierung die so genannten Anti-Terror-Maßnahmen weiterführen wird, die einen Angriff auf demokratische Rechte bedeuten. Was dies betrifft, so fürchte ich wirklich, dass die PSOE-Regierung klein beigeben wird.

Izquierda Unida hat der PSOE eine große Transfusion von rotem Blut gegeben, rote Stimmen, und darauf sind wir stolz. Ohne die IU wäre es nicht zu diesem Ergebnis gekommen. Die PSOE hätte nicht so abgeschnitten, wie sie es getan hat, wenn nicht die IU ihr Gewicht auf die Waagschale der PSOE gelegt hätte.

Ich denke, dass Bush und Blair vielmehr über die Art und Weise erschrocken sind, wie die PP verloren hat, als über die reine Tatsache, dass sie abgesetzt wurde. Wenn die PSOE in einer normalen Wahl gewonnen hätte, hätten ihnen das nicht so viel ausgemacht. Aber die PP wurde durch so etwas wie einen halben Volksaufstand gestürzt, und das jagt ihnen solche Angst ein."

Bruno, 18 Jahr alt, erklärte: "Die Hauptsorge des Kapitals ist Geld und im Irak Öl und in Afghanistan der Öltransport. Wir aber müssen den Irakern helfen, ihre eigene Demokratie hervorzubringen, indem wir ihnen helfen, Wege zu finden, wie die Demokratie durch die Bevölkerung selbst entwickelt werden kann. Die Truppen sollten da sein, aber nicht, um etwas zu entscheiden oder durchzusetzen, sondern um zu helfen."

Sein Freund Sergio sagte, dass die UN den Menschen in Afghanistan nicht geholfen hat. "Afghanistan ist in Stämme gespalten, unter feudalen Herrschern aufgeteilt, und Bush kümmert es nicht. Sie haben sicher gestellt, dass sie die wenigen Stellen kontrollieren, die sie wegen des Öltransports interessieren. Der Rest ist ihnen egal."

Angeles sagte: "Es gab bereits eine Stimmung gegen die PP und den Krieg, wie die vorausgegangenen Massendemonstrationen bewiesen haben. Es gibt einen wichtigen Ansehensverlust der linken Regierungen wie der von Blair, aber auch hier. Die frühere PSOE-Regierung hat sich an den Kriegen gegen Irak, Jugoslawien und Afghanistan beteiligt. [...] Es gab eine Unruhe in der Gesellschaft, die sich nicht politisch ausdrückte. Es gab eine enorme Enthaltung bei Wahlen. Die Bomben und die Lügen der Regierung haben die Menschen mobilisiert. Als die ETA zum zweiten Mal jede Verantwortung für die Madrider Bomben zurückgewiesen hatte, gab es einen Moment, in dem die Menschen begriffen, dass die Regierung sie belügt.

Innerhalb von nur wenigen Stunden kam es zu einer abrupten Veränderung. Ich denke, dass in Spanien eine wichtige politische Ära beginnt. Wir man sieht, sind die Menschen auf der Straße, mobilisiert und nicht länger bereit, Lügen und Tricks hinzunehmen. Die Menschen haben über das letzte Jahr hinweg und vor allem in den vergangenen Tagen unglaublich viel gelernt. Sie sind sich ihrer eigenen Stärke viel mehr bewusst. Es gab keine Alternative zu der PSOE. Die Menschen sahen sie als einzigen Weg, um die PP abzusetzen. Eine neue und interessante politische Ära hat begonnen.

Die Bombenanschläge wurden vom islamistischen Terrorismus ausgeführt, aber es ist nicht klar, wer die Fäden gezogen hat. Es gibt nicht nur eine Verbindung zwischen bin Laden und der CIA, sondern das Töten von Schülern, Studenten und Arbeitern, die auf dem Weg zur Arbeit sind, verweist auf eine 'schwarze Hand', einen anderen Urheber hinter der Gräueltat. Diese trägt alle Kennzeichen eines faschistischen Anschlags. Sie erinnerten mich an die faschistischen Anschläge auf den Bahnhof im italienischen Bologna."

Siehe auch:
Hunderttausende demonstrieren in Spanien
(24. März 2004)
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