Nach Serbien (2000) und Georgien (2003) vollzieht sich in der Ukraine zum dritten Mal in Folge ein Regimewechsel nach dem selben Strickmuster: Sogenannte Demokratiebewegungen, die massive finanzielle, ideologische und logistische Unterstützung amerikanischer und europäischer Institutionen genießen, setzen das bestehende Regime so lange unter Druck, bis es einem neuen, stärker westlich orientierten weicht.
Die Protagonisten der "orangen Revolution" in der Ukraine berufen sich ganz offen auf die "Rosenrevolution" in Tiflis und auf die "friedliche Revolution" in Belgrad, die den Sturz von Slobodan Milosevic bewirkte. Aktivisten der serbischen Otpor haben die georgische Kmara und die ukrainische Pora beraten. In Belgrad leitet Otpor-Aktivist Aleksandar Maric mittlerweile ein "Zentrum für gewaltlosen Widerstand", das Aktivisten schult und, so der Zürcher Tagesanzeiger, "die Belgrader Revolution weltweit exportiert". Zu seinen Kunden gehören neben den Aktivisten aus Georgien und der Ukraine auch die Gegner von Hugo Chavez in Venezuela sowie die zimbabwische Opposition unter Morgan Tsvangirai.
Die westliche Presse hat den Umsturz in Belgrad, Tiflis und Kiew propagandistisch begleitet und in den glühendsten Farben als "demokratische Revolution" geschildert. Danach sind die Ereignisse wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Kaum ein Journalist hat sich die Mühe gemacht, nachzuforschen, was aus den demokratischen Versprechungen der neuen Machthaber geworden ist.
Berichte von Amnesty International und anderen Organisationen zeigen jedoch, dass sich die Lage gerade in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat. Die Verfolgung und Misshandlung von politischen Gegnern ist auch unter den neuen "demokratischen" Machthabern an der Tagesordnung. Für die Bevölkerung der Ukraine sollte dies eine Warnung sein.
Serbien
Die Ergebnisse der "friedlichen Revolution" in Serbien stellen sich laut dem Jahresbericht 2004 von Amnesty International wie folgt dar: "Folterungen und Misshandlungen durch Polizeibeamte waren nach wie vor weit verbreitet, insbesondere im Zusammenhang mit der,Operation Sabre’."
Im Rahmen der "Operation Sabre" (Säbel) waren nach der Ermordung von Premierminister Zoran Djindjic der Ausnahmezustand verhängt und in knapp einem Monat 10.000 Menschen ohne Haftbefehl festgenommen worden. Amnesty International berichtet detailliert über einige Fälle:
"Am 14. März wurden Goran Petrovic und Igor Gajic in Kruševac in Serbien festgenommen und bis zum 13. Mai ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Berichten zufolge hat man sie gefoltert, um Geständnisse aus ihnen herauszupressen. Dem Vernehmen nach stülpten Beamte ihnen Tüten über den Kopf, die sie zuklebten, und traktierten beide Männer mit Schlägen. Igor Gajic wurde erst mit Wasser begossen und dann mit Elektroschocks gefoltert.
Im Juni wurde drei Polizeibeamten in Pljevlja in Montenegro vorgeworfen, Admir Durutlic, Dragoljub Dzuver, Jovo Dosovic und Mirko Gazdic gefoltert zu haben, um von ihnen das Geständnis zu erzwingen, mit Drogen gehandelt zu haben. Berichten zufolge haben sie Admir Durutlic mit Schlägen und Tritten unter anderem gegen die Genitalien traktiert. Die Polizisten schlugen ihn nieder und steckten seinen Kopf vornüber in die Toilette. Dragoljub Dzuver wurde wiederholt in den Magen und gegen die Rippen geschlagen. Die vier Männer mussten die Nacht auf der Polizeistation zubringen, wo sie erneut verprügelt worden sein sollen. Nach ihrer Entlassung wurden bei einer medizinischen Untersuchung zahlreiche Blutergüsse und Striemen festgestellt."
Auch die Unterdrückung von Minderheiten setzte sich unter dem neuen Regime fort. Dazu schreibt Amnesty:
"Angehörige der Roma waren weiterhin Diskriminierung ausgesetzt. In einem im April vorgelegten Memorandum des Europäischen Zentrums für die Rechte der Roma, einer internationalen Nichtregierungsorganisation, und des UN-Hochkommissars für Menschenrechte wurden diskriminierende Praktiken in fast allen Lebensbereichen festgestellt. Vor Anschlägen durch rassistische Gruppen schienen die Behörden den Angehörigen der Roma nur wenig Schutz zu bieten. Nachdem in einer Siedlung in Belgrad eine Gruppe Jugendlicher im Februar Roma mit Baseballschlägern angegriffen hatte, erfolgte seitens der Behörden offenbar keinerlei Reaktion.
Im Mai wurde eine inoffizielle Siedlung der Roma in Belgrad zerstört. Die annähernd 250 Bewohner, größtenteils Angehörige der Roma aus dem Kosovo, wurden zwangsweise vertrieben, ohne dass man ihnen alternative Unterkünfte zur Verfügung stellte."
Laut dem jüngsten Bericht von "Reporter ohne Grenzen" nimmt Serbien-Montenegro auf dem Index zur weltweiten Pressefreiheit wegen der Ermordung eines Journalisten den schlechten Rang 77 ein. Der ermordete Journalist hatte zu einem Korruptionsskandal recherchiert, in den der Premierminister von Montenegro verwickelt sein soll.
Georgien
Georgien ist seit der Machtübernahme von Michail Saakaschwili, einem in den USA ausgebildeten 36-jährigen Rechtsanwalt, auf dem Index von "Reporter ohne Grenzen" von Rang 73 auf Rang 94 abgerutscht. Die Lage der Pressefreiheit, die schon unter Saakaschwilis Vorgänger Schewardnadse desolat war, hat sich also weiter verschlechtert.
Die Menschenrechtsorganisation International Federation for Human Rights (FIDH) bringt in einem offenen Brief vom Juli dieses Jahres (http://www.fidh.org/article.php3?id_article=1585) ihre "Besorgnis über die jüngste Entwicklung der Menschenrechte in Georgien" zum Ausdruck. Die Organisation beanstandet unter anderem, dass Präsident Saakaschwili die Vollmacht erhalten habe, das Parlament aufzulösen sowie Richter zu ernennen und zu entlassen.
Bereits im Januar habe die Polizei zwei friedliche Proteste gegen soziale Probleme gewaltsam aufgelöst. In einem Fall sei dabei der Demonstrant Zaal Adamia nach dem Protest in seinem Haus von der Polizei bewusstlos geschlagen und dann auf die Wache geschleppt worden. Im März habe die Polizei die Kirche eines "extremistischen Priesters" gestürmt und dabei dreißig Menschen verprügelt. Im anderen Fall habe der Polzeichef persönlich eine weibliche Demonstrantin zusammengeschlagen.
Eine Demonstration im Dorf Krtsanisi gegen den Bau einer Ölpipeline wurde am 9. Juni 2004 laut FIDH mit "exzessiver Gewalt" aufgelöst, ebenso wie ein Hungerstreik von Erdbebenopfern in der Hauptstadt Tiflis im Juli. Einer der Hungerstreikenden soll von der Polizei krankenhausreif geschlagen worden sein. Saakaschwili verteidigte dieses Vorgehen der Polizei später.
Die Menschenrechtsorganisation schreibt weiter:
"Die zunehmenden Fälle von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und willkürlicher Verhaftung sind ebenfalls ein Grund zu tiefer Besorgnis für die FIDH und das HRIDC (Human Rights Information and Documentation Center). Die Polizei praktiziert verschiedene Foltermethoden - Schläge mit Gummiknüppeln oder mit Stuhlrücken, Einsperren in einen Tresor, auf den von außen geschlagen wird, Aufhängen des Opfers an den Händen, Elektroschocks usw. - um Geständnisse zu erpressen und Beweise zu erlangen, die manchmal völlig falsch sind.
Außerdem verurteilen FIDH und HRIDC aufs schärfste die Tatsache, dass Menschenrechtsverteidiger ebenfalls oft das Ziel von Gewalt sind. Zum Beispiel wurde am 4. Mai Herr Levan Sakhavadze, Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation ‘Frühere politische Gefangene für Menschenrechte’, von unbekannten Angreifern schwer verprügelt."
Während das Regime Saakaschwili demokratische Rechte mit Füßen tritt, hat es die Erwartungen seiner westlichen Unterstützer in vollem Umfang erfüllt. Der amerikanische Regierungssender "Radio Free Europe" zog in einem Artikel die Bilanz nach einem Jahr Rosenrevolution:
"Die Anstrengungen der Regierung, Haushaltsdisziplin einzuführen, haben geholfen, die Staatskassen wieder zu füllen, während Maßnahmen getroffen wurden, das sowjetisch anmutende Bildungssystem zu reformieren, die Wirtschaft zu privatisieren und Militär und Polizei zu modernisieren. Unter Saakaschwilis Regierung hat Georgien auch seine Beziehungen zu internationalen Finanzinstitutionen und mit der Europäischen Union verbessert."
Bereits im Februar hatte Saakaschwili US-Präsident Bush besucht und stolz darauf hingewiesen, dass US-Ausbilder Tausende georgische Soldaten trainieren und dass Georgien die Aufnahme in EU und NATO anstrebt.