Bushs "Folter GmbH" in Guantanamo

Internationales Rotes Kreuz wirft USA systematische Misshandlung vor

Ein vertraulicher Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) beschuldigt das amerikanische Militär, gegen Gefangene in dem Lager auf Guantanamo Bay bewusst Methoden eingesetzt zu haben, die "der Folter gleichkommen".

Der Bericht ist das Ergebnis eines nahezu einmonatigen Besuches des IKRK im Camp Delta auf Guantanamo. Er wirft den USA vor, dass Verhörbeamte psychologischen und physischen Zwang anwandten und dass sich medizinisches Personal an den Verhören beteiligte. Der Bericht nennt dies eine "grobe Verletzung der medizinischen Ethik."

Ein Memo, das aus dem Bericht zitiert und einige seiner Ergebnisse darstellt, ist der New York Times zugespielt und in der Ausgabe der Zeitung vom Dienstag veröffentlicht worden. Vorher war es an Rechtsanwälte des Weißen Hauses, des Verteidigungs- und Außenministeriums sowie den Kommandeur des Gefangenenlagers in Guantanamo verteilt worden.

Die Bush-Regierung hat die Beschuldigungen des Roten Kreuzes umgehend zurückgewiesen. Darauf angesprochen, wiederholte ein Sprecher des Pentagon die übliche formelhafte Antwort auf Anschuldigungen der Misshandlung von Gefangenen durch die USA: "Die Vereinigten Staaten betreiben in Guantanamo ein sicheres, humanes und professionelles Haftsystem, das wertvolle Informationen für den Krieg gegen den Terror liefert." Das Pentagon versicherte, dass ihr Personal in Guantanamo "eine umfassende und professionelle Ausbildung durchläuft, um sicherzustellen, dass die Rechte und die Würde der Gefangenen geschützt werden".

Es hat allerdings keinen Versuch von Vertretern der amerikanischen Regierung oder der Armee gegeben, die spezifischen Behauptungen konkret zu widerlegen. Der Bericht ist in seiner Detailliertheit wie in seiner Tragweite die bislang vernichtendste Anklage gegen den institutionalisierten und von der US-Regierung abgesegneten Einsatz von Folter gegen Gefangene, die im so genannten "Krieg gegen den Terror" als "feindliche Kämpfer" eingestuft werden.

Laut den Informationen der Times haben Ärzte und anderes medizinisches Personal auf Guantanamo direkt mit Militärs zusammengearbeitet und Daten über "geistige Gesundheit und Schwächen" der Gefangenen gesammelt. Diese Information wurde gewöhnlich in einer Gruppe namens "Verhaltenswissenschaftliches Beratungsteam" (B.S.C.T., Behavioral Science Consultation Team), informell "Biskuit" genannt, diskutiert. Dieses Team setzt sich aus Psychologen und anderen psychologischen Fachleuten zusammen.

Das Biskuit-Team traf sich regelmäßig mit dem medizinischen Personal von Guantanamo, um den medizinischen Zustand der Gefangenen zu diskutieren, so der Bericht. Eine solche "offensichtliche Integration von medizinischer Versorgung und Zwangssystem" habe zur Folge, dass Häftlinge herausfinden könnten, dass ihre Verhörbeamten genau über ihre Krankengeschichten Bescheid wissen. Als Folge verlieren die Gefangenen das Vertrauen in die Ärzte und andere, die für ihre Versorgung zuständig sind. Das medizinische Personal wird Bestandteil des Folter- und Verhörapparats. Seine Hauptaufgabe ist nicht länger die medizinische Versorgung der Gefangenen, sondern die Hilfe beim Gewinnen von Informationen in Verhören.

Leonard S. Rubenstein, der Vorsitzende von Ärzte für Menschenrechte, kommentierte diese Praxis gegenüber der Times so: "Der Einsatz von medizinischem Personal zur Erleichterung von missbräuchlichen Verhören versetzt es in eine unhaltbare Lage und verstößt gegen ethische Standards." Er fügte hinzu: "Wir müssen mehr über diese Praktiken erfahren, auch ob sie den Einsatz von Gesundheitspersonal beinhalten, die den notwendigen Grad an Schmerzen feststellen, der den Häftlingen zugefügt wird."

Der Einsatz von Ärzten im Dienste der Folterung von Gefangenen erinnert gespenstisch an die Arbeit von Dr. Josef Mengele, dem "Todesengel" der Nazis in Auschwitz. Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass die vom IKRK angeführten Methoden auf Guantanamo beschränkt sind und von den USA nicht auch anderswo auf der Welt in ihren Gefangenenlagern eingesetzt werden.

Das IKRK hat seit Januar 2002 Besuche in Guantanamo durchgeführt. Vor mehr als einem Jahr erklärte die Organisation öffentlich, dass die unbegrenzte Inhaftierung, bei der die Gefangenen nicht wüssten, ob oder wann sie freigelassen werden, zu psychischen Problemen führe. Beim Besuch im Juni bestätigte sich das. Außerdem wurde ein System entdeckt, mit dem der Wille von den ungefähr 550 Gefangenen im Lager gebrochen werden soll.

Dem Bericht zufolge sind die angewandten Methoden seit den letzten Besuchen des IKRK "subtiler und repressiver" geworden. Die Verhörbeamten versuchten, sich die Häftlinge durch Anwendung von "erniedrigenden Akten, Isolationshaft, extremen Temperaturen und erzwungenen Körperhaltungen" gefügig zu machen. Gefangene wurden unablässig Lärm, lauter Musik und "einigen Prügeln" ausgesetzt.

Im Bericht heißt es weiter: "Der Aufbau eines solchen Systems, dessen erklärtes Ziel es ist, Informationen zu erhalten, kann nur als ein bewusstes System grausamer, ungewöhnlicher und erniedrigender Behandlung und als eine Form von Folter bezeichnet werden."

Der Artikel der Times zitiert weitere Quellen, von denen diese Vorwürfe bestätigt werden. Letzten Monat interviewte die Zeitung militärisches Wachpersonal, Geheimdienstleute und andere Beschäftigte im Camp Delta in Guantanamo, die "eine Reihe von Vorgängen" beschrieben, "von denen sie sagten, dass sie höchst missbräuchlich seien und sich über einen langen Zeitraum fortgesetzt hätten".

Die Times schreibt: "Eine übliche Methode bestand darin, Gefangene, die nicht kooperierten, bis auf die Unterwäsche auszuziehen, sie an Händen und Füßen an den Boden gefesselt in einen Stuhl zu setzen und sie dann zu zwingen, grelles Licht und laute Rock- und Rapmusik aus zwei nahen Lautsprechern zu ertragen, während die Klimaanlage auf volle Leitung aufgedreht war."

Folter von höchster Stelle abgesegnet

Die Bush-Regierung verteidigt die Methoden, die nach internationalem wie nach US-Recht eindeutig als Misshandlung oder erniedrigende Behandlung von Gefangenen verboten sind. Sie tut das zum einen, indem sie neue juristische Definitionen von Folter erfindet, die ihrer Sanktionierung gleichkommen, und zum anderen, indem sie behauptet, der Präsident habe die Vollmacht, in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber in Kriegszeiten die Misshandlung von Gefangenen zu erlauben.

Ein Memo des Justizministeriums vom August 2002 legte fest, was nach der verdrehten Logik der Bush-Regierung Folter sein soll. Das Memo wurde auf Anordnung von Alberto Gonzales verfasst, der damals Rechtsberater des Präsidenten war und jetzt Bushs designierter Justizminister ist.

Wenn diesem Memo zufolge eine Verhörsperson "weiß, dass seine Handlung schwere Schmerzen hervorruft", es ihm aber auf deren Verursachung "nicht ankommt, dann fehlt es ihm am spezifischem Vorsatz, auch wenn er nicht in gutem Glauben handelt". Der Täter macht sich nur dann der Folter schuldig, "wenn er mit der ausdrücklichen Absicht handelt, einer Person in seiner Gewalt schwere Schmerzen oder Leiden zuzufügen".

Mit anderen Worten, Folter ist dann keine Folter, wenn der spezifische Vorsatz der Verhörsperson nicht das Zufügen von Schmerzen ist, sondern irgendein anderer Zweck, wie das Gewinnen von Informationen. Natürlich würde kein Folterer jemals einen solchen Vorsatz zugeben, egal wie sadistisch und grausam seine Verbrechen sind. Jedes Folterregime in der Geschichte, von der Spanischen Inquisition bis zu den Nazis, hat außerdem die Verfolgung ihrer Gegner als notwendiges Mittel im "Krieg" gegen die Ketzerei, den Kommunismus, den Terrorismus usw. gerechtfertigt.

Eine Erklärung von Generalstabschaf General Richard B. Myers widerspiegelt die wirkliche Haltung der Bush-Regierung und der Militärführung. Für sie sind diejenigen, die vom US-Militär eingekerkert und misshandelt werden, Untermenschen, deren Folterer nicht ans internationale Recht gebunden sein sollten. Als Reaktion auf den Bericht des IKRK erklärte Myers: "Wir sind ganz sicher nicht der Meinung, dass es Folter ist." Er fuhr fort: "Man sollte nicht vergessen, mit was für Leuten wir es da unten [in Guantanamo] zu tun haben. Das sind Leute, die keine moralischen Werte haben."

Siehe auch:
Murat Kurnaz: Seit zweieinhalb Jahren in Guantanamo eingesperrt
(20. Mai 2004)
Ein Gespräch mit dem Anwalt des in Guantanamo inhaftierten Bremers Murat Kurnaz
( 20. Mai 2004)
Freiheit für David Hicks und alle Gefangenen von Guantanamo Bay!
( 25. Juli 2003)
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