USA: Zahl der Gefangenen auf Rekordniveau

Ein am 26. Juli veröffentlichter Bericht des Justizministeriums zeigt, dass der Gefängnisboom in den Vereinigten Staaten kaum nachlässt, obwohl die Kriminalitätsrate im vergangenen Jahrzehnt gesunken ist.

Die "der Besserung unterzogene Bevölkerung", wie sie im Bericht bezeichnet wird - damit gemeint sind Alle, die im Gefängnis sitzen, auf Hafturlaub sind oder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurden - erreichte zum Ende des vergangenen Jahres die Rekordzahl von beinahe 6,9 Millionen Menschen. Diese Zahl entspricht etwa 3,2 Prozent der erwachsenen US-Bevölkerung und beinahe der gesamten Einwohnerschaft von New York City, der größten Stadt des Landes.

Nach den Statistiken des Justizministeriums ist die Zahl der Menschen, die unter Bewachung stehen, seit dem Jahre 1980 von 1.842.100 sprunghaft auf die heutigen 6,9 Millionen angestiegen, was eine Zunahme um 400 Prozent in nicht einmal 25 Jahren bedeutet - einem Zeitraum, in dem die Bevölkerung des Landes um weniger als 20 Prozent gewachsen ist.

Obwohl die Kriminalitätsraten gesunken sind, sorgen harte Urteilssprüche und Auflagen sowie die anhaltende Kampagne zur Inhaftierung bei kleineren Drogendelikten dafür, dass die Zahl der Gefangenen so hoch wie nie zuvor ist.

Die Zahl der Gefängnisinsassen liegt weiterhin und seit nunmehr sieben Jahren bei über zwei Millionen. Im Jahr 2003 saßen davon 691.301 in kommunalen und regionalen, 1.387.269 in bundesstaatlichen und nationalen Haftanstalten. Diese Zahlen entsprechen einer Steigerung um 3,9 bzw. 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Eine Rekordzahl von 4,8 Millionen Erwachsenen befand sich im Jahr 2003 auf Bewährung oder Hafturlaub, das waren 73.000 mehr als noch 2002. Von diesen insgesamt 4,8 Millionen waren 4.073.19987 auf Bewährung (entspricht einer Steigerung von 1,2 Prozent gegenüber 2002) und 774.588 auf Hafturlaub. Anders als die Bewährungsstrafe, die eine Haftstrafe ersetzt, bedeutet Hafturlaub eine ständige Überwachung nach einer vorzeitigen Freilassung aus dem Gefängnis. Im Bundesstaat Texas, der landesweit die höchste Zahl an Haftstrafen und Todesurteile aufweist, sind insgesamt 534.260 Menschen auf Bewährung oder Hafturlaub. Kalifornien steht mit 485.039 an zweiter Stelle.

Die Vereinigten Staaten weisen bereits die höchste Zahl an Gefangenen weltweit auf. In den 1990-er Jahren gab es eine Zeit, als Russland, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, Amerika bei der Zahl der Gefängnisinsassen den Rang ablief. In der letzten Zeit haben aber umfassende Amnestien dafür gesorgt, dass sich die Lage in den überfüllten russischen Gefängnissen entspannt hat. Nach einem nie da gewesenen Boom beim Gefängnisbau und steigenden Ausgaben für Polizei und Haftanstalten im vergangenen Vierteljahrhundert haben die Vereinigten Staaten in diesem Bereich nun die unangefochtene Führung erlangt.

Im Jahre 1980 betrug die Zahl der Insassen in den USA 503.000. Im Jahre 1990 waren es bereits mehr als 1.148.000 und nochmals zehn Jahre später 1.937.000. Die Steigerungsrate hat zwar seit Beginn dieses Jahrhunderts nachgelassen, aber wenn sie auf dem derzeitigen Stand bleibt, werden am Ende des laufenden Jahrzehnts etwa 2,5 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten inhaftiert sein.

Die gesellschaftlichen Folgen und die soziale Bedeutung dieser Entwicklung werden in den Medien oder der "gehobenen Gesellschaft" kaum diskutiert und kamen auch auf dem jüngst abgehaltenen Parteitag der Demokraten in Boston nicht ernsthaft zur Sprache. Doch dass sich die Zahl der Männer und Frauen im Gefängnis, auf Bewährung und in Hafturlaub im Laufe des vergangenen Vierteljahrhunderts vervierfacht hat, ist das direkte Ergebnis einer staatlicher Politik, die von den beiden großen kapitalistischen Parteien einvernehmlich auf kommunaler, bundesstaatlicher und föderaler Ebene umgesetzt wurde. Sie stellt letztlich einen polizeistaatlichen Angriff auf Teile der Arbeiterklasse dar.

Generell sind Minderheiten und die ärmsten Teile der Arbeiterklasse besonders betroffen. Etwa 56 Prozent aller Amerikaner auf Bewährungsstrafe sind weiß, 30 Prozent schwarz und 12 hispanischer Abstammung. Von den Hafturlaubern sind 41 Prozent Schwarze und 18 Prozent Hispanos. Im Vergleich dazu stellen die Hispanos und Schwarzen zusammen nur etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung.

Die insgesamt härtere Bestrafung und der so genannte Krieg gegen Drogen in den vergangenen Jahren hatten verheerende Konsequenzen für schwarze Männer, obwohl der Drogenkonsum unter den Minderheiten nicht höher ist als in der Bevölkerung insgesamt. Jeder achte Schwarze im Alter von 20 bis 40 Jahren befindet sich hinter Gittern, wohingegen dies nur auf einen unter 63 weißen Männern zutrifft. Von den schwarzen Männern im Alter von 22 bis 30 Jahren, die keinen Highschool-Abschluss haben, befanden sich 1999 nicht weniger als 41 Prozent in Haft. Diese unglaubliche Zahl dürfte heute noch höher liegen.

Es stecken zahlreiche wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Überlegungen hinter dieser bewussten Repressions- und Inhaftierungspolitik gegen die Schichten der Bevölkerung, die am stärksten unter Unterdrückung leiden und sich am wenigsten wehren können. Eines kann mit Sicherheit gesagt sein: Das Anwachsen der Sträflingszahlen um 400 Prozent hat kaum etwas mit der Kriminalitätsrate zu tun. Kriminalitätsstatistiken waren hilfreich, um einen Law-and-Order-Kurs durchzusetzen, aber der Gefängnisboom dient einem ganz anderen Zweck. Er ist in erster Linie ein Mittel, um dem Problem der Langzeitarbeitslosigkeit beizukommen und die Arbeiterklasse auf der Grundlage von Law-and-Order-Demagogie zu spalten, wofür kaum verhüllte Rassestereotypen zum Einsatz gebracht und Ängste geschürt werden.

Der Gefängnisboom hat eine Million oder noch mehr neue Arbeitsplätze für Wächter und anderes Personal geschaffen, und zwar größtenteils in verarmten ländlichen Regionen, wo keine anderen Jobs zu bekommen sind. Er hat auch die offizielle Arbeitslosenquote "verbessert", da die Menschen hinter Gittern nicht als arbeitslos gelten. Die Zunahme der Gefängnisinsassen hat bestimmte arbeitsintensive Wirtschaftsbereiche mit einem Vorrat an Sklavenarbeitern versorgt, und die Nachfrage nach Gefängnisarbeit ist rasant gestiegen. Auch wenn der Gefängnisboom fraglos mit hohen Kosten einherging, lautet das Urteil der Verantwortlichen bis heute, dass sich die Investitionen lohnen.

Die Gefangenenstatistiken, die von der Regierung selbst veröffentlicht wurden, widerlegen die Lüge, dass der Kapitalismus nach dem Zusammenbruch des Stalinismus und verschiedener Formen des nationalen Reformismus auf der ganzen Welt die ihm innewohnenden Widersprüche gelöst und seine Überlegenheit als Gesellschaftssystem bewiesen hat.

Ein renommierter Wissenschaftler auf dem Gebiet des Strafvollzugs stellte im vergangenen Jahr die Frage: "Warum sollten im Land der Freiheit zwei Millionen Männer, Frauen und Kinder eingesperrt sein?" Ja, warum eigentlich?

Das "Land der Freiheit" ist heute von einem Niveau der Ungleichheit gekennzeichnet, wie man es aus den ärmsten Regionen der Welt kennt. Die bürgerliche Demokratie, die sich entwickelte, und die demokratischen Rechte, die in den ersten 200 Jahren der amerikanischen Geschichte erkämpft wurden, sind mit diesem Ausmaß gesellschaftlicher Polarisierung nicht in Einklang zu bringen.

Unter Bedingungen, wo Millionen Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie in den vergangenen 20 Jahren verloren gegangen sind und wo viele Bereiche der Wirtschaft so dereguliert worden sind, dass der Ausbeutung und Profitmaximierung praktisch nichts mehr im Wege steht, gibt es für Millionen von Arbeitern und Jugendlichen einfach keine Zukunft mehr. Die Antwort der herrschenden Oligarchie darauf wird nicht offen ausgesprochen. Sie äußert sich in Begriffen wie "öffentliche Sicherheit", dem "Krieg gegen Drogen" und in jüngster Zeit dem "Krieg gegen den Terrorismus". Und dies bedeutet schlicht einen unablässigen Angriff auf den Lebensstandard und die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse im In- und Ausland. Für Millionen von Arbeitern und Jugendlichen endet die Zukunft hinter Gittern oder sie werden zu Kanonenfutter in imperialistischen Kriegen, wie dem derzeitigen im Irak.

In Relation zur Gesamtbevölkerung sitzen in den Vereinigten Staaten dreimal mehr Menschen in Haft als im Iran, viermal mehr als in Polen, fünfmal mehr als in Tansania und siebenmal mehr als in Deutschland. Dies ist ein sehr bedeutendes Anzeichen für das Ausmaß der gesellschaftlichen und ökonomischen Krise, die das Zentrum des Weltkapitalismus selbst erfasst hat.

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