Im Zusammenhang mit der Beinahe-Abschaffung des Asylrechts 1993 wurde die Abschiebehaft in großem Umfang eingeführt. Sie gründet sich auf Paragraf 57 des Ausländergesetzes, einen Paragrafen mit langer und unheilvoller Tradition. Sein Vorläufer ist Paragraf 7 der Ausländerpolizeiverordnung, die auf die Nazis zurückgeht und von 1938 bis 1965 in Kraft war, um Ausländer, die nicht freiwillig ausreisten, unter Zwang abschieben zu können. Der Vorbereitung und Sicherstellung dieser Maßnahme diente die Abschiebehaft.
Heute genügt es, ohne gültige Aufenthaltsberechtigung in Deutschland aufgegriffen zu werden, um in Abschiebehaft genommen zu werden. Das betrifft Flüchtlinge, denen Asyl verweigert wird, ehemals geduldete Bürgerkriegsflüchtlinge, deren Duldung nicht verlängert und denen auch kein anderer Aufenthaltstitel angeboten wird, und Migranten im weitesten Sinne, die entweder ohne gültiges Visum eingereist sind, oder deren Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsgenehmigung nach Beendigung oder Abbruch eines Studiums abgelaufen ist.
Nach der seit Anfang der 1990er Jahre geltenden Rechtslage dürfen diese Menschen in Abschiebehaft genommen werden, um nach der Beschaffung von Pässen oder Passersatzpapieren ihre Ausreise sicherzustellen. Die Betroffenen geraten in eine aussichtslose und verzweifelte Lage. Der Grund ihrer Inhaftierung ist keine Straftat, derer sie sich schuldig gemacht hätten, sondern allein die restriktiven deutschen Gesetze, die sie zu "Illegalen" machen. Hinzu kommt, dass sich die Abschiebehaft bis zu 18 Monate hinziehen kann. In dieser Zeit sind die von Abschiebung bedrohten Menschen nahezu vollständig von der Außenwelt abgeschnitten und können sich weder um Rechtsbeistand noch - falls sie es vorziehen "freiwillig" auszureisen - selbst um ihre Ausreisepapiere kümmern.
Die Initiative gegen Abschiebehaft in Berlin hat dokumentiert, wie viele Menschen davon betroffen sind, und belegt auch anhand von Einzelbeispielen die verzweifelte Situation vieler Inhaftierter in der Abschiebehaft in Berlin. Einige Zahlen aus dieser Dokumentation:
Jährlich werden über 50.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben, die meisten von ihnen per Flugzeug. Jeden Tag werden 130 bis 140 Menschen zur Rückkehr in die Verhältnisse gezwungen, vor denen sie geflohen sind: Bürgerkrieg, ethnische oder sexistische Unterdrückung, politische Verfolgung, fehlende Lebensgrundlagen und -perspektiven.
Abschiebungen werden häufig durch BGS-Beamte oder private Sicherheitsdienste begleitet, die auch bereit sind, Gewalt anzuwenden. Wer sich wehrt, wird geschlagen, geknebelt und mit Psychopharmaka ruhiggespritzt. Dabei sind bereits mehrere Menschen getötet worden. Die Täter und die zuständigen Behörden wurden bisher nicht belangt, das Abschiebesystem nicht in Frage gestellt. Die toten und misshandelten Flüchtlinge und Migranten sind bewusst in Kauf genommene Opfer einer brutalen Abschiebepraxis.
Seit 1993 haben sich 99 Menschen angesichts ihrer drohenden Abschiebung aus Deutschland das Leben genommen oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon 45 in Abschiebehaft.
In Berlin wurden im Jahr 2000 insgesamt mehr als 7000 Menschen in Abschiebehaft genommen, zu jeder Zeit befanden sich dort etwa 50 Frauen und 250 Männer. Im Jahr 2001 waren es über 5000. Inhaftiert werden Personen zwischen 16 und 65 Jahren. Schwangere werden 6 Wochen vor und 6 Wochen nach der Entbindung im Krankenhaus untergebracht. Aufgrund des deutschen Vorbehalts zur UN-Kinderrechtskonvention können auch Minderjährige in Abschiebehaft genommen und ohne Begleitung abgeschoben werden. Flüchtlinge gelten ab 16 Jahren als verfahrensmündig und unterliegen dem restriktiven Asylbewerberleistungsgesetz sowie einem faktischen Ausbildungs- und Arbeitsverbot.
Die massenhafte Einführung der Abschiebehaft ist Bestandteil des Abbaus demokratischer Rechte und der beinahe völligen Abschaffung des Asylrechts in Deutschland. Sie ist Teil eines systematischen staatlichen Abschreckungs- und Einschüchterungssystems.
In Nordrhein-Westfalen werden in Moers und Neuss seit zehn Jahren Haftanstalten als Abschiebehafteinrichtungen genutzt. Die große Abschiebehaftanstalt in Büren besteht im Januar 2004 seit zehn Jahren. Nach offiziellen Angaben befanden sich im Jahr 2002 durchschnittlich zu jeder Zeit 599 Gefangene in Abschiebehaft, die meisten von ihnen über viele Monate. Allein in Büren waren zu einem Stichtag im April sieben Jugendliche unter 18 Jahren in Abschiebehaft, in Moers vier.
Aus Angst und Protest gegen ihre Abschiebung greifen Betroffene immer wieder zu Verzweiflungstaten. So hat sich am 31. Juli Hüseyin Dikic vor seiner angedrohten Abschiebung in die Türkei in einer Ausländerbehörde des Kreises Gütersloh selbst angezündet. An den Folgen dieser Aktion ist er vor kurzem gestorben.
Es ist kein Wunder, dass sich Menschen, die nur in Haft genommen werden, um ihre Abschiebung aus Deutschland sicherzustellen, und die menschenunwürdigen Haftbedingungen und einer schlechten Behandlung durch das Bewachungspersonal ausgesetzt sind, zur Wehr zu setzen versuchen. In der Abschiebehaftanstalt in Berlin ist es deshalb bereits mehrmals zu Hungerstreiks gekommen.
Am letzten Hungerstreik Ende Januar beteiligten sich 68 Gefangene, vorwiegend Emigranten aus russisch-sprachigen Ländern und einige Inder. Sie forderten die sofortige Entlassung von Menschen, die aus juristischen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, aber trotzdem über sechs Monate in Haft sind, ein Ende der menschenunwürdigen Behandlung durch das Bewachungspersonal und eine Verbesserung der unzumutbaren hygienischen Zustände.
Ein Bericht der Frankfurter Rundschau vom 11. März wirft ein Schlaglicht auf die von Abschiebehaft Betroffenen: "Zu DDR-Zeiten war das Grünauer Gebäude ein Frauengefängnis. Seit 1995 bringt das Land Berlin dort Abschiebehäftlinge unter. Es ist ein Sammelpunkt der Gestrandeten, die sich in Deutschland ein besseres Leben aufbauen wollten, aber nicht durften. Wie Larissa aus Aserbeidschan, eine zupackende Frau von 34 Jahren, die mit Unterbrechungen seit zehn Jahren in der Bundesrepublik gelebt hat. In Hannover und Berlin hat sie alte Menschen zu Hause gepflegt, schwarz, versteht sich. Manchmal klingelt ihr Handy und eine alte Frau fragt, ob sie heute kommen könne. Larissa kann nicht. Sie sitzt in Abschiebehaft."
Bei einem anderen Abschiebehäftling, der in dem Bericht kurz vorgestellt wird, handelt es sich um einen Studenten aus Moldawien, der einen Selbstmordversuch hinter sich hat. Er ist inzwischen frei, aber ausreisepflichtig. Er muss also jederzeit damit rechnen, nach Moldawien abgeschoben zu werden. Legal besteht für ihn keine Möglichkeit, erneut nach Deutschland einzureisen. Würde er es dennoch versuchen, würde ihn die Bundesrepublik zunächst für die Abschiebehaft zur Kasse bitten und 60 Euro pro Tag hinter Gittern von ihm verlangen. Das ist genauso viel, wie er als Buchhalter in Moldawien im Monat verdienen kann, wenn er dort überhaupt einen entsprechenden Job bekommen könnte.
Dies wiederum wirft ein Licht darauf, warum Menschen versuchen, in Deutschland oder anderen europäischen Ländern zu arbeiten und zu leben. Solange sich an den verzweifelten Lebensbedingungen in vielen Ländern der Erde nichts ändert, werden immer wieder Menschen unter Lebensgefahr versuchen, diesen Verhältnissen zu entfliehen.
Die Reaktion der deutschen Behörden und Politiker, ob in Berlin oder anderswo, ist die Verschärfung ihrer Abschreckungspolitik. Das Bemühen, verstärkt private Sicherheitsdienste für die Drecksarbeit in Abschiebehaftanstalten, bei der Abschiebung und in Gefängnissen allgemein einzusetzen, um die Länderhaushalte zu entlasten, stellt erneut unter Beweis, dass die Politiker von SPD, PDS und Grünen genauso wie CDU/CSU und FDP keine andere Antwort auf soziale und politische Probleme haben, als verstärkte Repression.
Die Lage der Asylsuchenden und Immigranten hat sich seit der Regierungsübernahme von SPD und Grünen 1998 und ihrer Wiederwahl 2002 keineswegs verbessert, sondern massiv verschlechtert. Obwohl die Zahl der Asylsuchenden aufgrund der restriktiven Gesetze und abschreckenden Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen auf einen historischen Tiefpunkt gesunken ist, nehmen Abschiebungen auch von lange hier lebenden, bisher geduldeten Schutzsuchenden und ihren Familien zu. Abgeschoben werden auch Menschen, die Arbeit haben, deren Kinder hier geboren sind, in die Schule gehen oder eine Ausbildung machen und voll integriert sind. Dass dies erklärte Politik der rot-grünen Bundesregierung ist, macht ein Vermerk vom Dezember 2001 klar: "Die Bundesregierung wird auch zukünftig alle Schritte ergreifen, um eine sichere und effektive Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer - erforderlichenfalls auch gegen deren Willen - durchzusetzen."