Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am gestrigen Donnerstag die Besetzung des Irak durch die USA und Großbritannien gutgeheißen. Er verabschiedete mit den Stimmen von 14 seiner 15 Mitglieder eine Resolution, die den Besatzungsmächten die faktische Regierungsgewalt und die uneingeschränkte Verfügung über die Öleinkünfte des Landes zuspricht. Syrien, das als nichtständiges Mitglied über kein Vetorecht verfügt, nahm nicht an der Abstimmung teil.
Der Abstimmung war ein vierzehntägiges Tauziehen zwischen den Sicherheitsratsmitgliedern vorausgegangen, das mit der schamlosen Kapitulation von Frankreich, Deutschland und Russland endete - der drei Länder, die sich am deutlichsten gegen den Krieg ausgesprochen hatten.
Die USA hatten am 9. Mai einen ersten Resolutionsentwurf vorgelegt, der austesten sollte, wie weit die anderen Mitglieder zu gehen bereit sind. Die Veto-Mächte Frankreich und Russland lehnten ihn ab, während sich Deutschland bedeckt hielt und sich als Vermittler anbot. Es folgte ein Wechselbad von politischem Druck und diplomatischem Entgegenkommen mit dem Ziel, die widerstrebenden Mitglieder weich zu klopfen. US-Außenminister Colin Powell besuchte Moskau und Berlin und telefonierte mehrfach mit den Regierungschefs und Außenministern der maßgeblichen Staaten. Der Resolutionsentwurf wurde viermal überarbeitet und enthielt am Schluss neunzig Änderungen, die aber allesamt nur Äußerlichkeiten betrafen und den Kern der Resolution nicht berührten.
Die Entscheidung fiel schließlich am Mittwoch Abend, als die Außenminister Frankreichs, Russlands und Deutschlands nach einem Treffen in Paris erklärten, sie würden der Resolution zustimmen. Alle drei betonten, dies bedeute "keine nachträgliche Legitimierung des Krieges". Diese Behauptung ist lächerlich. Sie kann das Ausmaß ihrer Kapitulation nicht verschleiern. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Indem sie die Besetzung des Irak sanktionieren, legitimieren sie implizit auch das Mittel, mit dem diese zustande kam - einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Oder würde ein Gericht, das einen Überfall für illegal hält, dem Täter hinterher die Beute zusprechen?
Die Sicherheitsratsresolution erteilt den kriegsführenden Mächten eine ausdrückliche Absolution für alle bisherigen und zukünftigen Verbrechen. Sie zieht alle "vorherigen, relevanten Resolutionen" des Sicherheitsrats zurück und räumt den USA und ihren Verbündeten die unbegrenzte Macht im Irak ein. Dies geschieht ohne zeitliche Befristung; entsprechenden Forderungen Frankreichs und Russlands gab die amerikanische Regierung nicht nach. Als einziges Zugeständnis darf der Sicherheitsrat nach einem Jahre den Erfolg der Resolution "überprüfen" und gegebenenfalls "weitere Schritte erwägen". Da die USA oder Großbritannien jeden neuen Beschluss durch ein Veto torpedieren können, hat dies keinerlei praktische Bedeutung.
Ebenso wichtig wie die politische Macht dürfte für die US-Regierung die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über die irakischen Ölmilliarden sein, welche die UN-Resolution den Besatzungsmächten einräumt. Auch hier wurden nur rein verbale Zugeständnisse an die Forderung nach einer internationalen Kontrolle gemacht. Vertreter der UN, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds dürfen dabei "mitwirken" - und nicht nur "kooperieren", wie es im ursprünglichen Resolutionsentwurf geheißen hatte. Praktisch läuft dies auf dasselbe hinaus - sie dürfen ihre Meinung sagen, entschieden und kassiert wird von den USA.
Mit der Zustimmung zu dieser Resolution hat der UN-Sicherheitsrat den illegalen Krieg gegen den Irak nachträglich gebilligt und die Verwandlung des Landes in ein Protektorat der USA mit dem Schein internationaler Legitimität versehen. Die Bedeutung der Resolution geht aber noch weiter. Sie schafft einen Präzedenzfall für zukünftige Eroberungskriege und rechtfertigt die Präventivschlags-Doktrin der Bush-Regierung. Wann immer die USA in Zukunft ein anderes Land überfallen - sei es der Iran, Syrien, Nordkorea - werden sie sich darauf berufen können.
Die Bush-Regierung habe "für ihre Interventionspolitik nachträglich bekommen, was sie vor dem Krieg vergebens anstrebte", kommentierte die Süddeutsche Zeitung : "den Segen der UN und damit zumindest den Schein von Legalität und Legitimität. Die Mächtigen in Washington werden mit dieser Resolution wedeln und ihren Kritikern sagen: Seht her, der Sicherheitsrat hat uns als Herrscher über den Irak bestätigt. Er hat damit implizit unseren Feldzug anerkannt und darüber hinaus unsere ganze Präventivschlags-Doktrin. Das alte Völkerrecht ist tot, es lebe das Recht des Imperium Americanum."
Die schamlose Kapitulation von Berlin, Paris und Moskau ist ein Schlag gegen alle, die in Europa, den USA und anderswo gegen diesen Krieg aufgetreten sind. Sie stärkt Bush und seine Hintermänner in den USA und die Kräfte der Reaktion weltweit. Sie bestätigt die Warnung der World Socialist Web Site, dass man sich im Kampf gegen den Krieg weder auf die europäischen Regierungen noch auf die Vereinten Nationen, sondern nur auf eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse stützen kann.
Die rot-grünen Koalition in Berlin hatte noch im letzten Herbst die Bundestagswahl gewonnen, weil sie sich gegen die amerikanischen Kriegspläne aussprach. Nun versucht sie noch nicht einmal, ihre Kehrtwende zu rechtfertigen. Bundeskanzler Schröder und sein Außenminister Fischer betonen lediglich, es gelte in die Zukunft zu blicken und das Verhältnis zu Washington zu verbessern - als würde ein Verbrechen wie der Irakkrieg ungeschehen, wenn man die Augen davor verschließt.
Die konservative Regierung in Paris hat zwar ihr Unbehagen über die UN-Resolution geäußert - man hätte sich eine stärkere Rolle der UNO gewünscht, kommentierte ein Sprecher des Präsidenten - eine Zustimmung aber als "alternativlos" bezeichnet. Deutschland und Russland wünschten zur Zeit keine erneute Auseinandersetzung in den Vereinten Nationen, sagte ein französischer Diplomat, und Frankreich sei "nicht daran interessiert, sich für die Zukunft von ihnen abzukoppeln, weil man nicht ausschließen kann, dass die Amerikaner zu einem späteren Zeitpunkt wieder einmal versuchen werden, ihre Politik gewaltsam durchzusetzen".
Präsident Jacques Chirac hat deutlich gemacht, dass es ihm vor allem darum ging, den G8-Gipfel zu retten, den Frankreich vom 1. bis 3. Juni in Evian am Genfersee austrägt. Chirac fürchtet offensichtlich, dass ein Scheitern des Gipfels die Krise der Weltwirtschaft drastisch verschärfen könnte. Es sei die Aufgabe aller Gipfelteilnehmer, sagte er, "der Welt eine Botschaft des Vertrauens zu übermitteln: Wir sind entschlossen, alles zu tun, damit wie Weltwirtschaft wieder in Gang kommt." Die US-Regierung ihrerseits hatte Chirac zu verstehen gegeben, dass es vom Abstimmungsverhalten Frankreichs im Sicherheitsrat abhänge, ob in Evian eine "eisige" oder eine freundliche Stimmung herrschen wird.
Unabhängig vom Ausgang des Treffens in Evian wird das Nachgeben von Paris und Berlin die Bush-Regierung darin bestärken, ihre Interessen noch rücksichtsloser und einseitiger zu verfolgen als bisher. Langfristig wird das die Spannungen zwischen Europa und den USA nicht abbauen, sondern vertiefen. Dasselbe gilt für die Konflikte innerhalb Europas selbst.
Um der aggressiven Außenpolitik Washingtons wirksam entgegenzutreten, müsste Europa vereint vorgehen. Aber der wachsende Konflikt mit den USA entzieht der Politik des Ausgleichs und der Kompromisse den Boden, mit der die europäischen Regierungen den Kontinent bisher Schritt für Schritt zusammengeführt haben. Sowohl Deutschland als auch Frankreich treten immer offener mit dem Anspruch auf, in Europa den Ton anzugeben. Der US-Regierung war es unter diesen Umständen ein leichtes, die innereuropäischen Gegensätze und Animositäten zu nutzen, um jeder gemeinsamen Außenpolitik den Boden zu entziehen.
Hinzu kommt, dass die Verschärfung der sozialen Gegensätze innerhalb Europas die Regierungen an die Seite Washingtons treibt. Sie können nicht die eigene Bevölkerung angreifen und gleichzeitig einen Konflikt mit Washington durchstehen. Die Popularität, die Chirac und Schröder aufgrund ihrer Stellungnahmen gegen den Krieg hinzugewannen, ist längst wieder verflogen. In Frankreich haben die Massenproteste von Lehrern und öffentlich Beschäftigten gegen die Rentenreform die Regierung Raffarin ins Schlingern gebracht; in Deutschland kann Schröder seine "Agenda 2010" in der eigenen Partei nur durch ständige Rücktrittsdrohungen durchsetzen.
Unter diesen Umständen ziehen es beide Regierungen vor, sich mit den USA zu arrangieren. Sie lehnen zwar das unilaterale amerikanische Vorgehen ab, nicht aber den neokolonialen Inhalt der amerikanischen Politik - internationale Militärinterventionen zur Sicherung von Handel und Rohstoffen und zur Unterdrückung jeder Form von politischer und sozialer Opposition. Einer der Gründe, weshalb sie jetzt die Errichtung eines Kolonialregimes in Bagdad unterstützen, ist die Angst, dass der Widerstand gegen die amerikanische Besatzung außer Kontrolle geraten und die gesamte Region in Aufruhr stürzen könnte. In diesem Fall würden sie den USA auch militärisch beistehen.