Schröders Politik der geschlossenen Augen

Bundesregierung sucht Annäherung an die USA

"’Never explain; never complain.’ Also: Keine Rechtfertigungen, keine Beschwerden. Ich will unsere Zeit darauf verwenden, gemeinsam mit Ihnen nach vorn zu blicken." - Mit diesen Worten fasste Gerhard Schröder am 9. Mai die Orientierung der deutschen Außenpolitik nach dem Irakkrieg zusammen. Der Bundeskanzler sprach auf einer Festveranstaltung zum 100jährigen Bestehen der American Chamber of Commerce in Berlin.

Ähnlich äußerte sich Außenminister Joschka Fischer in einem Interview mit der Zeit : "Jetzt nützt es nichts, die Diskussionen von gestern zu führen", sagte er über den Irakkrieg. "Nun geht es um die Zukunft."

Nach den Spannungen und Konflikten der vergangenen Monate ist die Bundesregierung offenbar entschlossen, so zu tun, als wäre nichts gewesen. Wie sie in die Zukunft blicken will, während sie die Augen vor der Vergangenheit und der Gegenwart verschließt, bleibt dabei allerdings ihr Geheimnis.

Schröder beschwor in Berlin die "gemeinsamen Werte", die Deutschland und die USA zu einer "vitalen Freundschaft" verbänden - die "Achtung der Grund- und Menschenrechte", das Bekenntnis zu "Freiheit und Demokratie", zur "internationalen Legalität" und zu einem "internationalen System rechtsstaatlicher Institutionen". Den Krieg gegen den Irak, in dem sich die US-Regierung brutal über diese Werte hinweggesetzt hatte, erwähnte er dabei mit keinem Wort.

Sein Schweigen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Krieg eine tiefe Zäsur in den internationalen Beziehungen darstellt. Die US-Regierung hat sich über das Völkerrecht und die Mehrheit des UN-Sicherheitsrats hinweggesetzt und unmissverständlich zu verstehen gegen, dass sie in Zukunft keine andere Autorität respektieren wird als das eigene Interesse und die eigene militärische Stärke.

Die Haltung von Schröder und Fischer ist unter diesen Umständen gleichbedeutend mit einer nachträglichen Legitimation des Krieges und der Besetzung des Irak. Fischer bestreitet dies zwar in der Zeit, fügt aber sofort hinzu: "Wie immer man zur Frage eines Krieges im Irak gestanden hat: In dem Moment, in dem der erste Schuss gefallen ist, ist der Erfolg des Neuordnungsansatzes für die europäische Sicherheit von entscheidender Bedeutung." Sein Interview erschien unter der Überschrift: "Saddam Husseins Sturz ist ein Grund zur Freude."

In der Praxis ist die Bundesregierung den USA bereits weit entgegengekommen. So hat Berlin verhaltene Zustimmung zur UN-Resolution signalisiert, mit der Washington die Verwandlung des Irak in ein faktisches US-Protektorat sanktionieren lassen will. Das US-Außenministerium hatte bereits letzte Woche Sonderbotschafter Kim Holmes an die Spree geschickt, um der Bundesregierung die Einzelheiten des Entwurfs zu erläutern.

Am Freitag machte Schröder dann am Rande des französisch-deutsch-polnischen Gipfels in Breslau deutlich, dass er die Rolle des Vermittlers übernehmen und Paris und Moskau zur Zustimmung bewegen wolle. Er glaube, dass man in der Frage der UN-Resolution zu einer befriedigenden Lösung kommen könne, sagte er. Das sei der Wunsch Deutschlands und dafür arbeite die Bundesregierung.

Die Veto-Mächte Frankreich und Russland stehen den amerikanischen Besatzungsplänen für den Irak wesentlich ablehnender gegenüber - nicht zuletzt weil davon französische und russische Ölkonzerne betroffen sind, die mit der Regierung Saddam Husseins langfristige Förderverträge abgeschlossen hatten.

Am morgigen Freitag treffen Schröder und US-Außenminister Powell in Berlin zusammen - die erste Begegnung des Bundeskanzlers mit einem amerikanischen Regierungsmitglied seit Monaten. Es wird erwartet, dass es dabei zu einer weiteren Annäherung in der Frage der UN-Resolution kommt.

Auch ein Einsatz der Bundeswehr im Irak wird inzwischen in Erwägung gezogen. Laut einer Meldung des Spiegel soll Bundesverteidigungsminister Peter Struck seinem Amtskollegen Donald Rumsfeld im vertraulichen Gespräch versichert haben, Berlin habe nichts gegen einen Einsatz der Nato im Irak einzuwenden. Struck weilte vergangene Woche zu Besuch in Washington. Ob dabei auch deutsche Truppen zum Einsatz kommen, soll Struck offen gelassen haben, da darüber der Bundestag entscheiden muss. Innerhalb der Regierungskoalition, so der Spiegel, sei die Entsendung der Bundeswehr aber längst aus einer Prinzipien- zu einer Zeitfrage geworden. Prinzipielle Einwände dagegen gebe es nicht.

Die Antikriegshaltung, die SPD und Grünen im vergangenen September den Wahlsieg bei der Bundestagswahl einbrachte, erweist sich damit immer deutlicher als Farce. Mit der nachträglichen Legitimierung des Kriegs und der amerikanischen Besetzung stärkt die Bundesregierung die Falken in der amerikanischen Regierung, für die der nächste Krieg nur ein Frage der Zeit ist, und fällt all jenen in den Rücken, die in Amerika und weltweit gegen den Krieg aufgetreten sind.

Ihre Hoffnung auf eine Aussöhnung mit der US-Regierung ist allerdings illusorisch. Schröder und Fischer betonen bei jeder Gelegenheit, dass sie sowohl für die Einheit Europas und als auch für ein Bündnis mit den USA einträten, und dass sich diese beiden Ziele nicht widersprächen.

"Die enge deutsch-französische Freundschaft und Zusammenarbeit ist für das gemeinsame Europa ebenso unerlässlich wie Europas transatlantische Partnerschaft", sagte Schröder in Berlin. "Niemand sollte versuchen, Deutschland vor die unsinnige Wahl zu stellen zwischen seiner Freundschaft mit Frankreich und seiner Freundschaft mit den USA." Ein einiges und starkes Europa sei "auch im Interesse der USA". Es gebe "in unserer Partnerschaft nicht ‚zu viel Amerika’, sondern ‚zu wenig Europa’."

Ähnlich äußerte sich Fischer in der Zeit. Die wirtschaftliche Stärke der EU habe "nicht dazu geführt, dass die eine Seite gegen die andere steht, die Macht Europas gegen die Amerikas", sagte er.

Doch wenn die vergangenen Wochen eines gezeigt haben, dann ist es die Tatsache, dass Washington nicht bereit ist, einen ebenbürtigen Partner neben sich zu dulden. Es hat seinen Einfluss in Europa rücksichtslos ausgenutzt, um den Kontinent zu spalten. Mit ihrer Anbiederung an die US-Regierung leistet die Bundesregierung dieser Entwicklung Vorschub.

Siehe auch:
Die Vergewaltigung des Irak
(15. Mai 2003)
Nach dem Irakkrieg
( 6. Mai 2003)
Die wahre Rolle der deutschen Regierung
( 12. April 2003)
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