Mit Evian, wo sich eben die Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten trafen, verbindet man zuerst nur das dortige Mineralwasser. Dabei besitzt der kleine französische Ort eine durchaus bemerkenswerte Konferenzgeschichte, deren Höhepunkt die Flüchtlingskonferenz von 1938 darstellt. Dass diese Konferenz in den Geschichtsbüchern häufig unterschlagen wird, mag mit dem desaströsen Ende der Konferenz zusammen hängen.
Dabei würde sich ein Blick in die Geschichte lohnen, denn die Flüchtlingskonferenz bot ein Musterbeispiel für die Folgen der Appeasementpolitik gegenüber Deutschland. Abgehalten, um die Frage der vor dem Terror des Naziregimes Fliehenden zu lösen, erklärte sich kein teilnehmender Staat bereit, Flüchtlinge aus Deutschland aufzunehmen, um nicht dadurch die eigenen, guten Beziehungen zum Hitlerregime zu gefährden.
Im Vorfeld der Flüchtlingskonferenz
Nach der Besetzung und dem Anschluss Österreichs am 12. März 1938 an das nationalsozialistische Deutschland kam es zu immer brutaleren Ausschreitungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung und politischen Oppositionellen. Die verzweifelte Flucht Tausender aus Deutschland in die benachbarten Länder führte schließlich dazu, dass der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt am 23. März den westlichen Mächten den Plan einer Konferenz antrug, die sich der Frage der Flüchtlinge des Naziregimes annehmen sollte.
Der Plan war dabei weniger humanitären Gedanken verpflichtet, sondern stellte in erster Linie eine Reaktion auf wachsenden innenpolitischen Druck dar. Dabei sollte mit der Konferenz der Spagat gemeistert werden, einerseits die einflussreichen Befürworter einer liberaleren Einwanderungspolitik zu besänftigen und andererseits die politische Unterstützung der Verfechter einer restriktiven Flüchtlingspolitik nicht zu verlieren. Die Konferenz sollte diesen Balanceakt ermöglichen, indem die Aufnahme der Flüchtlinge getreu dem St. Florians-Prinzip anderen Staaten angetragen werden sollte.
Trotz des zunehmenden Terrors in Deutschland und Österreich, der im Juni unmittelbar vor der Konferenz in der Verhaftung tausender Menschen als "Asoziale" und "Arbeitsscheue" gipfelte, waren die Regierungen der westlichen Mächte nicht bereit, ihre Demutshaltung und Beschwichtigungspolitik gegenüber Deutschland aufzugeben.
Trotzdem wurde die Konferenz von der Presse schnell als das humanitäre Ereignis des Jahres hoch gejubelt. Doch bereits ein Blick in das Einladungsschreiben hätte klar gemacht, dass staatliche Interessen dem Schicksal der Flüchtlinge übergeordnet wurden. Formuliert wurde dort die Idee, dass die Finanzierung der Aufnahme der Flüchtlinge von privaten Organisationen getragen werden solle und dass mit der Konferenz kein Staat Verpflichtungen einzugehen habe, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als die jeweiligen Einwanderungsgesetze zulassen. (1)
Nachdem der ursprünglich vorgesehene Austragungsort Genf als Sitz des Völkerbundes, dem Vorläufer der Vereinten Nationen, an den Einwänden der Schweiz scheiterte, die um ihre Beziehungen zu Deutschland fürchtete, erklärte sich Frankreich widerwillig bereit, die Konferenz in Evian auf der französischen Seite des Genfer Sees abzuhalten.
Insgesamt 32 eingeladene Staaten schickten Delegierte, darunter Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Schweiz, Schweden, Irland und Dänemark aus Europa, nahezu alle nord- und südamerikanische Staaten sowie Australien und Neuseeland. Polen und Rumänien entsandten Beobachter. Neben Deutschland, Italien und Japan erging auch keine Einladung an die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Ungarn.
Im Vorfeld der Konferenz waren sowohl die USA als auch Großbritannien und das gastgebende Frankreich sorgfältigst bemüht, jeden Hinweis auf Hitler und das Naziregime zu unterlassen. Dementsprechend wurden auch nur zweitrangige Delegationen nach Evian geschickt und die Konferenz erhielt den Anstrich eines eher informellen Zusammentreffens.
Das absehbare Scheitern der Konferenz
Als Leiter der amerikanischen Delegation wurde von Roosevelt nicht einmal ein Staatssekretär sondern sein Freund, der Industrielle Myron C. Taylor bestellt, ehemaliger Präsident der United Steel Corporation. Großbritannien schickte den für seine Judenfeindlichkeit bekannten Lord Winterton, während Frankreich durch Henri Bérenger vertreten wurde.
Diese drei legten bereits mit ihren Eröffnungsansprachen am 6. Juli 1938 den weiteren Ton der Konferenz fest. Nach grundsätzlichen Sympathieerklärungen für die Flüchtlinge wurde deutlich gemacht, warum man nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen könne. Myron Taylor verwies dabei noch "großzügig" auf die Anhebung der jährlichen Einwanderungsquote für deutsche Juden auf 27.000, erklärte aber gleichzeitig, dass die USA dem Wunsch der Völker nach Fortsetzung der Beschwichtigungspolitik folgen würden, um weder internationale Spannungen hervorzurufen noch soziale Unruhen ausbrechen zu lassen.
Während Frankreich in den Augen Bérengers seine Ressourcen bereits vollständig erschöpft hatte - was angesichts der Tatsache, dass die Flüchtlinge zum allergrößten Teil durch private Organisationen finanziell unterstützt wurden, eine glatte Lüge war -, verwies Lord Winterton auf die Überbevölkerung Großbritanniens und die hohe Arbeitslosigkeit. Da die Palästinafrage auf der Konferenz vorsorglich ausgeklammert wurde, konnte er aber die "frohe Botschaft" verbreiten, dass die englische Kolonie Kenia in Ostafrika einige hundert Flüchtlingsfamilien aufnehmen könnte.
Durch diese Vorgaben "ermutigt", erklärten auch die anderen teilnehmenden Staaten ihre Unzuständigkeit. Entweder wurde auf die hohe Arbeitslosigkeit verwiesen oder auf die Überbevölkerung und die bereits getätigten Anstrengungen, wie von den meisten europäischen Staaten, oder auf die landwirtschaftliche Struktur der Ökonomie, die es nur ermögliche, Bauern aufzunehmen aber keine "Intellektuellen und Händler", was hauptsächlich von den lateinamerikanischen Staaten vorgebracht wurde.
Die Staaten des Commonwealth, Kanada, Neuseeland und Australien, meinten, nicht unabhängig von ihrem britischen Mutterland entscheiden und nur angelsächsische Einwanderer aufnehmen zu können. Der Delegierte Australiens verstieg sich sogar zu der offen rassistischen Äußerung, dass man bisher kein Rassenproblem habe und sich auch keines künstlich importieren wolle.
Einzig die Dominikanische Republik erklärte sich bereit, Flüchtlinge für die Arbeit in der Landwirtschaft aufzunehmen. Präsident Trujillo, der 1930 durch Unterstützung der USA an die Macht gekommen war, verfolgte damit aber selbst rassistische Ziele: Die aufzunehmenden Flüchtlinge sollten durch Einheiraten die Hautfarbe der Bevölkerung der Dominikanischen Republik "aufhellen". Außerdem sollten sie die 20.000 haitianischen Arbeitskräfte ersetzen, die Trujillo ein Jahr zuvor wegen ihrer schwarzen Hautfarbe hatte abschlachten lassen. Die Ansiedlung von schließlich insgesamt 850 Juden hat sich Trujillo zusätzlich fürstlich entlohnen lassen.
Mit der Ausnahme Kolumbiens verlautete von keinem Delegierten auch nur ein Wort über das Terrorregime der Nazis in Deutschland gegenüber Juden und politischen Oppositionellen.
Neben den offiziellen Staatsvertretern nahmen noch etwa 40 private Organisationen, zumeist jüdische Vereinigungen, an der Konferenz teil. Ihnen wurde ein Nachmittag lang Zeit eingeräumt, ihre Einschätzungen vor einem Unterkomitee der Konferenz zu erläutern. Blauäugig von der Vorstellung getrieben, dass die Konferenz tatsächlich die Flüchtlingsfrage lösen würde, waren diese Organisationen untereinander derart heillos zerstritten, dass sie keinerlei Druck oder Einfluss auf die teilnehmenden Staaten ausüben konnten.
Die erbärmliche Abschlussresolution
Obwohl von Anfang an von allen Delegationen klar gemacht wurde, dass man keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen wollte, dauerte es zehn Tage, bis man sich auf eine Abschlussresolution einigen konnte. Die Resolution beinhaltete erwartungsgemäß keine Verpflichtungen zur Flüchtlingsaufnahme. Worauf man sich einzig einigen konnte, war die Konferenz zu einem ständigen Organ zu machen, in dem die Flüchtlingsfrage weiterhin auf internationaler Ebene debattiert werden konnte.
Die zehn Tage brauchte man, um auch die letzte Formulierung aus der Resolution zu streichen, die von der deutschen Regierung als Angriff aufgefasst werden konnte, um die Kompetenzen des einzurichtenden Intergovernmental Committee on Political Refugees (IGC) von dem Hochkommissariat für Flüchtlingsfragen des Völkerbundes abzugrenzen und den Sitz des neuen Komitees festzulegen. Frankreich war nicht bereit, Paris als Sitz zu akzeptieren, um seine Beziehungen zu Deutschland nicht zu gefährden. So wurde schließlich London als Sitz des IGC festgelegt.
Im Sinne der teilnehmenden Staaten war die Konferenz ein voller Erfolg. Man hatte der Öffentlichkeit gezeigt, dass man etwas für die deutschen Flüchtlinge tun wollte, ohne sich zu irgendetwas zu verpflichten. Nach einem gegenseitigen Schulterklopfen ging man auseinander, um sich im August 1938 in London wieder zu treffen.
Obwohl die Presse im Allgemeinen die Ergebnisse der Konferenz sehr wohlwollend aufnahm, gab es auch kritische Stimmen. Während Norman Bentwich, selbst Teilnehmer der Konferenz, die Ergebnisse noch beschönigend als "dünn und unaufregend, wie das Evianer Mineralwasser" bezeichnete (2), brachte der Auslandskorrespondent William Shirer die Konferenz schon am 7. Juli 1938 genauer auf den Punkt: "Ich bezweifle, dass viel herumkommen wird. Die Briten, Franzosen und Amerikaner scheinen zu besorgt zu sein, Hitler nicht zu nahe zu treten. Es ist eine absurde Situation: Sie wollen den Mann beschwichtigen, der für ihre Probleme verantwortlich ist." (3)
Im deutschen Hetzblatt Völkischer Beobachter, ein Sprachrohr des Naziregimes, fand sich folgerichtig am 13. Juli 1938 ein hämischer Kommentar unter dem Titel "Niemand will sie".
Flüchtlingspolitik im Anschluss an Evian
Dass man auch im Anschluss an die Konferenz nur sehr halbherzig die Flüchtlingsfrage anging, zeigte die Wahl Lord Wintertons zum Präsidenten des IGC. Ausgerechnet jener, der während der Konferenz die größten Einwände gegen die Einrichtung des IGC geäußert hatte.
Direktor des IGC wurde der amerikanische Jurist George Rublee, der bald in Verhandlungen mit den Deutschen trat. Die Verhandlungen beschränkten sich dabei wesentlich auf zwei Fragen: Wo die Flüchtlinge anzusiedeln waren und wer dafür bezahlen sollte. Gerungen wurde über das von den Deutschen konfiszierte Vermögen der Juden, das nach dem Willen des IGC zur Finanzierung der Emigration benutzt werden sollte, während die deutsche Regierung zu keinerlei Zugeständnissen bereit war. Keine Frage, dass auch bei diesen Verhandlungen die Lage der Flüchtlinge stets ausgeklammert blieb. Man ging sogar so weit, die deutschen Vorschläge nicht zu veröffentlichen, um die deutsche Regierung nicht zu kompromittieren.
Auch um den Ansiedlungsort wurde weiter gestritten. Der Vorschlag Madagaskar, das von den Deutschen favorisiert wurde, traf auf den erbitterten Widerstand Frankreichs, das keine deutschsprachige Minorität in seinen Kolonien dulden wollte. Aber auch an allen anderen Orten der Welt wurde den Flüchtlingen weiterhin der Zutritt verwehrt.
In den USA wurde 1939 und 1940 die Wagner-Rogers-Vorlage, durch die wenigstens 20.000 jüdischen Kindern die Einreise gewährt werden sollte, vom Senat blockiert.
Eine zweite internationale Flüchtlingskonferenz, die am 19. April 1943 begann, fand auf den Bermudas statt. Zu der gleichen Zeit kam es zum Aufstand im Warschauer Getto, der von den Deutschen brutal niedergeschlagen wurde. Aber die über polnische Untergrundsender verbreiteten Hilferufe blieben ungehört. Die Ergebnisse der Bermuda-Konferenz waren so mager, dass sie geheim gehalten wurden.
Die erbärmlichen Ergebnisse der Flüchtlingskonferenzen besiegelten das Schicksal Hunderttausender Menschen, die dem Naziterror zum Opfer gefallen sind. Dem IGC dagegen war ein längeres Leben beschieden. 1951 wurde es als Intergovernmental Committee for European Migration (ICEM) neu gegründet mit Sitz in Genf aber als Gegenstück und in Konkurrenz zum UNHCR, dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen. Das ICEM diente den Mitgliedsländern als Instrument der Truman-Doktrin, die die Eindämmungspolitik gegenüber der Sowjetunion begründete.
Immer tiefer in Angelegenheiten der unterentwickelten Staaten der Dritten Welt verwickelt wurde 1980 das "European" im Namen gestrichen, und mit dem Kollaps der stalinistischen Staaten Osteuropas wurde schließlich aus dem ICM die International Organisation for Migration (IOM).
Der IOM gehören heute etwa 100 Mitgliedsstaaten an. Obwohl sich der Aufgabenbereich stark ausgeweitet hat und mittlerweile die Entwaffnung von Guerillagruppen im Kosovo, Kongo oder in Angola umfasst, den Aufbau einer Zivilverwaltung im Kosovo und die Zuständigkeit für die Entschädigungszahlungen der nicht-jüdischen Zwangsarbeiter, liegt der Fokus weiterhin auf der Kontrolle und Verhinderung von Fluchtwanderungen.
Alleine im Jahr 2000 hat die IOM 450.000 Menschen "bewegt", zumeist in Form von erzwungener Rückkehr und der Durchsetzung von Abschiebungen. Die Zielorte umfassten praktisch alle Krisengebiete der Erde, u.a. Kosovo, Nordirak, Afghanistan und Sierra Leone.
Während die IOM einerseits die Auszahlung der Zwangarbeiterentschädigen an die Roma und Sinti durchführt, wobei sie sich Vorwürfen der Verzögerung der Zahlungen und der Einbehaltung von Geldern für die eigene Verwaltung ausgesetzt sieht, hat sie andererseits gleichzeitig die Rückführung der Roma in das Kosovo organisiert.
Evian 1938 - Evian 2003: Historische Lehren
Rein ökonomischen Nützlichkeitserwägungen verpflichtet, spielt bei der IOM das Schicksal der Menschen, die aus politischen und/oder wirtschaftlichen Gründen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen werden, keine Rolle. Mit der IOM haben sich die Staaten ein Instrument geschaffen, mit dem die während der Flüchtlingskonferenz begonnene Politik der Fluchtverhinderung erfolgreich und konsequent fortgeführt werden konnte. Die Unmenschlichkeit dieser Politik, die die eigenen, vor allem wirtschaftlichen Interessen höher setzt als Menschenleben, machte nicht einmal vor dem Terror des NS-Regimes in Deutschland Halt.
Aber man kann noch eine weitergehende Lehre aus der Flüchtlingskonferenz von Evian ziehen. Die teilnehmenden Staaten haben 1938 alles vermieden, was von der Hitlerregierung als "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" und als Angriff angesehen werden konnte. Obwohl Deutschland in den offiziellen Statements der Teilnehmer praktisch unerwähnt blieb und auch nicht zur Konferenz in Evian eingeladen wurde und daher keine offiziellen Delegierten entsandte, war es doch ständig präsent.
Die bewusste Entscheidung, keine Flüchtlinge aufzunehmen, basierte daher nicht nur auf juden- und ausländerfeindlichen Überzeugungen, obwohl diese auch eine Rolle gespielt haben. Mit der bereitwilligen Aufnahme von Flüchtlingen hätten die Staaten gleichzeitig ein Zeichen gesetzt, dass in Nazideutschland Menschen aus politischen und rassistischen Gründen verfolgt und misshandelt werden. Im Scheitern der Flüchtlingskonferenz von Evian drückte sich der politische Unwille der beteiligten Staaten aus, dem Naziregime ernsthaft entgegenzutreten. Die Appeasementpolitik, die sich in der Haltung der Österreichfrage und später gegenüber der Tschechoslowakei niederschlug, fand auch in der Flüchtlingsfrage ihren tragischen Widerhall.
Die Politik der Annäherung und Beschwichtigung findet nun in diesen Tagen, an denen die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen und Russlands sich zu ihrem G8-Gipfel wieder in Evian treffen, ihre Fortsetzung. Auch wenn man historische Analogien nicht zu weit treiben sollte, lassen sich doch Parallelen ausmachen.
Nachdem die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Russlands öffentlichkeitswirksam die Kriegsresolution im UN-Sicherheitsrat, die den brutalen Angriffskrieg der USA und Großbritannien gegen den wehrlosen Irak legitimieren sollte, abgelehnt haben, haben sie sich danach unwillig gezeigt den imperialistischen Interessen der USA ernsthaft entgegenzutreten.
Was mit der Bereitstellung der amerikanischen Luftbasen und der Überflugsrechte begann, setzte sich beim Vierergipfel Frankreichs, Deutschlands, Belgiens und Luxemburgs vor einem Monat in Brüssel fort. Ein Wort der Kritik an die amerikanische Regierung, über das Abschlachten Tausender Iraker und der illegitimen Besetzung des Iraks suchte man dort vergebens. Stattdessen überboten sich die Teilnehmer beim Verteilen von Ergebenheitsadressen an Washington.
Am 22. Mai schließlich haben genau die Staaten, die sich zuvor noch ihrer Kritik an der US-Regierung brüsteten, der UN-Resolution zugestimmt, die den Krieg und die Besetzung des Iraks im Nachhinein legitimiert. Die Vertreter Deutschlands, Frankreichs und Russlands hatten nichts gegen die Installation eines Kolonialregimes einzuwenden, dass den Besatzungsmächten die Regierungsgewalt und Verfügung über die Öleinkünfte auf unbestimmte Zeit sichert.
Auf der Flüchtlingskonferenz 1938 fiel einem der Delegierten auf, dass Evian rückwärts gelesen "naive", das englische Wort für naiv, ergibt. War es 1938 naiv zu glauben, dass die internationale Staatengemeinschaft Deutschland ernsthaft verurteilt und eine Lösung für die Flüchtlinge findet, wäre es 2003 naiv gewesen damit zu rechnen, beim G8-Treffen in Evian etwas anderes als Treueschwüre in Richtung USA vernehmen zu können.
Die Flüchtlingskonferenz von Evian 1938 bestärkte das Naziregime, ihren grausamen Terror gegen Juden und Oppositionelle weiter zu verschärfen, wie die Appeasementpolitik insgesamt in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mündete. Die Unterwürfigkeit der europäischen Regierungen gegenüber den imperialistischen Interessen der USA wird die amerikanische Regierung ebenso darin bestärken, diese noch rücksichtsloser als bisher schon zu verfolgen, was zwangsläufig zu immer tiefergehenden Spannungen zwischen Europa und den USA führen wird.
Anmerkungen
1) Vgl. Foreign Relations of the United States - 1938, Washington 1955, Vol. I, S. 740-741.
2) Norman Bentwich, The Evian Conference and After. In: Fortnightly, Vol. 144, New Series, 1938, S. 287.
3) William Shirer, Berlin Diary 1934-1945. London 1941; zit. nach S. Adler-Rudel, The Evian Conference on the Refugee Question, Yearbook of the Leo Baeck Institute, Vol. 13, 1968, S. 251.