Die Grünen im Römer, dem Rathaus der Stadt Frankfurt am Main, haben drastische soziale Kürzungen vorgeschlagen. Im Dezember veröffentlichten sie "Reformvorschläge für eine zukunftsfähige Stadtpolitik", die Hunderte einschneidende Kürzungsvorschläge enthalten. So wollen sie die städtischen Zuschüsse im sozialen, im Alten- und Jugendbereich reduzieren, mehrere Stadtbüchereien und städtische Ämter schließen, die Schwimmbäder in eine GmbH überführen und künftig im Gesundheitsamt keine Aids-Beratung mehr anbieten. Der CDU-Fraktionschef Uwe Becker begrüßte die Vorschläge.
Mit ihrem Papier reagieren die Grünen auf Frankfurts akute Finanzkrise. Die Stadt ist faktisch pleite und muss seit dem 9. Dezember 2002 auf kurzfristige Bankkredite zurückgreifen, um ihren drängendsten finanziellen Verpflichtungen nachzukommen - zum Teil sogar, um damit die Zinsen für ihre langfristigen Schulden bei den gleichen Banken zu zahlen. Die Sozialhilfezahlungen, die Löhne und Gehälter der städtischen Bediensteten und Handwerkerrechnungen können nur noch mit Hilfe solcher kurzfristiger Kredite finanziert werden.
Laut Peter Heine, dem Leiter des städtischen Kassen- und Steueramtes, steht die Stadt allein in den letzten drei Dezemberwochen "mit rund 90 Millionen Euro kurzfristig geliehenen Geldes bei den Banken in der Kreide". Man hole sich das "kurze Geld" bei etwa zwölf verschiedenen Banken, "wir leihen aber auch über Finanzmakler", sagte Heine.
Ende Dezember hatte der Stadtkämmerer Horst Hemzal (CDU) erklärt, er rechne damit, dass diese Phase, in der die Stadt auf Bankenkredite angewiesen sei, die nächsten zehn Jahre andauern werde. Bis 2006 drohe ein zusätzlicher kumulierter Fehlbetrag im städtischen Haushalt von 1,8 Milliarden Euro. Er kündigte an, alle städtischen Mitarbeiter im Alter zwischen 55 und 65 Jahren in den Ruhestand zu versetzen.
Der Frankfurter Magistrat wird zur Zeit von dem sogenannten "Römer-Bündnis", einer großen Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP regiert.
Der Grund für die katastrophale finanzielle Lage der Stadt liegt vor allem in einem drastischen Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen um etwa 200 Millionen Euro. Die Absurdität dieser Situation wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass in Frankfurt 329 Banken mit einem Geschäftsvolumen von über zweitausend Milliarden Euro ansässig sind.
Die Grünen machen in ihrem Sparentwurf in erster Linie die neue Steuergesetzgebung der Bundesregierung für die Finanzmisere verantwortlich. Die rot-grüne Koalition in Berlin hat seit ihrem Amtsantritt 1998 den großen Konzernen, Banken und Vermögenden zahlreiche Steuergeschenke gemacht und damit die Finanzprobleme der Kommunen akut verschärft. Allein das Aufkommen aus der Körperschaftssteuer fiel aufgrund der Steuerreform 2000 von über 20 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf einen Negativbetrag im folgenden Jahr; die Finanzämter mussten den Konzernen netto 426 Millionen Euro zurückerstatten.
Die Frankfurter Grünen sehen ihre Aufgabe nun darin, im untern Bereich, bei den Armen der Gesellschaft, das Geld wieder reinzuholen, was die Bundesgrünen in Berlin an die Reichen ausgeteilt haben.
Seit der Zeit, als der Grüne Tom Koenigs von 1993-1997 Finanzdezernent der Stadt Frankfurt war, zählen jedoch auch die kommunalen Grünen selbst zu den aktiven Interessenvertretern der Banken. Um Frankfurt auf den Einzug der Europäischen Zentralbank vorzubereiten, hatte sich Koenigs damals Wolfgang Nierhaus, Inhaber eines Kreditinstituts und CDU-Stadtrat, aus den Chefetagen der Deutschen Bank als Berater in sein Büro geholt. Während seiner Amtszeit als Kämmerer hatte er in Frankfurt bereits drastische Einsparungen durchgesetzt.
Heute greifen die Grünen in ihren "Reformvorschlägen für eine zukunftsfähige Stadtpolitik" zum klassischen Konzept der Konservativen und fordern in erster Linie die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Sie schreiben: "Noch immer leistet sich die Stadt Frankfurt eine Vielzahl selbstgesetzter, freiwilliger Aufgaben und versteht sich der Konzern Stadt‘ als eine Verwaltung, die möglichst umfassend alle Aufgaben in Eigenregie wahrnimmt und durchführt. Wir Grüne im Römer plädieren für ein Leitbild der Stadt Frankfurt, das sich in der Wahrnehmung der Aufgaben und im Dienstleistungsangebot für die Bürgerinnen und Bürger zukünftig vor allem auf die Gewährleistung ausrichtet und konzentriert und weniger darauf, alles in Eigenregie selbst durchführen zu wollen."
Die Grünen beklagen sich, die Stadt sei bisher nicht hart genug gegenüber sozialen Ansprüchen gewesen: "Die politische Kraft reichte oftmals nicht, um Ansprüche abzuwehren."
Danach werden die einzelnen Kürzungsvorschläge auf 17 Seiten erläutert.
Zum Beispiel soll beim Frankfurt-Pass für Bedürftige die vergünstigte Fahrkarte für das öffentlichen Nahverkehrsnetz gestrichen werden. Bei der ambulanten und stationären Altenpflege soll das kommunale Programm um zehn Prozent reduziert werden; ebenso sämtliche Zuschüsse für die Jugendhilfe. Die Gebühren für die städtischen Kindertagesstätten sollen erhöht und mehrere Stadtteilbüchereien geschlossen werden. Die städtische Großküche, die die Kindertagesstätten täglich mit Essen versorgt, soll privatisiert werden.
Im Jugend- und Sozialamt sollen zehn Prozent aller Planstellen gestrichen werden, das sind 23 der 230 heutigen Arbeitsplätze. Dabei hat der Sozialbereich schon bisher die größten Probleme, mit viel zu wenig Personal und Mitteln seinen ständig wachsenden Aufgaben gerecht zu werden. Die Grünen wollen außerdem in allen städtischen Ämtern, mit Ausnahme der Kindertagesstätten und Krankenhäuser, die Wiederbesetzungssperre grundsätzlich aufrechterhalten, d.h. frei werdende Stellen nicht wieder besetzen.
Sie schlagen vor, dass die Stadt bei der Drogenbekämpfung ihr Programm zur Finanzierung der Ersatzdroge Methadon einstellt. Die Aids-Beratungsstelle im Stadtgesundheitsamt soll geschlossen werden, Patienten und Hilfesuchende werden stattdessen in private Arztpraxen oder Krankenhäuser geschickt, die sowieso schon überlastet sind.
Im Kulturbereich wollen die Grünen die städtischen Zuschüsse für private Theater, wie das English Theatre, die Komödie, das Fritz-Rémond-Theater und das Volkstheater bis 2006 um fünfzig Prozent reduzieren. Was die Museen angeht, so sollen die städtischen Anteile an Private verkauft und die Museen darauf in eine aus dem Verkaufserlös finanzierte Stiftung überführt werden. Das Amt für Wissenschaft und Kunst soll aufgelöst werden.
Die Schulen sollen unter dem schönen Schlagwort "mehr Autonomie" ihre Finanzen in Zukunft noch mehr als bisher selbst verwalten. Die Stadt soll sich nach dem Willen der Grünen dafür einsetzen, dass auch das Personal- und das Lehrmittelbudget, die bisher vom Land verwaltet werden, den einzelnen Schulen selbst übertragen werden. Das wird bei der chronischen Überbelegung vieler städtischen Schulen unausweichlich zu einer Situation führen, wie sie gegenwärtig schon in vielen englischen Städten herrscht: Die Schuldirektoren sind dort in der Zwangslage, sich zwischen einem dringend benötigten Lehrer, einem Computer oder einer Putzkolonne zu entscheiden, und die Lehrer müssen oftmals die Arbeit von zwei oder noch mehr Lehrkräften ausfüllen, um den Mindestunterricht aufrechtzuerhalten.
Besonders zynisch ist der Absatz über die städtischen Bauämter, wo es heißt: "Das Straßenbauamt ist nicht in der Lage, die zur Verfügung stehenden Mittel auszugeben, weil es das Personal dazu nicht hat." Daraus wird nicht etwa die Konsequenz gezogen, die Wiederbesetzungssperre aufzuheben, sondern es wird gefordert: "Reduzierung der Mittel für die Straßenunterhaltung um drei Millionen, Reduzierung der Personalmittel um zwei Millionen".
Die 14 städtischen Schwimmbäder sollen in eine Bäder GmbH überführt werden, was einem Vorschlag der CDU entspricht. Schließlich stimmen die Grünen zu, dass der Zoo Frankfurt eine neue Trägerform finden soll, sei es GmbH, Stiftung oder Aktiengesellschaft, um eine Privatisierung vorzubereiten.
In dem Papier der Grünen heißt es zwar: "Vermögensveräußerungen... verringern nicht das strukturelle Defizit". Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Privatisierungen für sie in allen Problembereichen die Lösung darstellen. So können und sollen auch die städtischen Anteile am Flughafen, den Stadtsparkassen, der Messe Frankfurt und vielen anderen Objekten verkauft werden.
Die Grünen betrachten jeden Bereich des städtischen Lebens in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Profitmaximierung: Büchereien, Schwimmbäder, Museen, Gesundheitsdienste, ja sogar Schulen und Krankenhäuser müssen ihrer Meinung nach rentabel funktionieren - oder abgestoßen werden.
Der verschärfte Sparkurs war unmittelbar nach den Bundestagswahlen von Lutz Sikorski, dem Fraktionschef der Grünen im Römer angekündigt worden. Er griff die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth von rechts an und erklärte, der Konsolidierungsprozess für die städtischen Finanzen sei überfällig, es dürfe "jetzt kein Wegducken einer Partei oder der Oberbürgermeisterin mehr geben". Noch im letzten Frühjahr war die grüne Schuldezernentin Jutta Ebeling für eine Senkung der Kindertagesstätten-Gebühren eingetreten.
Das neue Sparprogramm der Grünen hat große Ähnlichkeit mit den vor wenigen Monaten erschienenen "konzeptionellen Meilensteinen der CDU-Fraktion auf dem Weg zur Konsolidierung des städtischen Haushalts", und das ist kein Zufall. Die ursprüngliche Umwelt- und Antiatomkraftpartei, die sich vor zwanzig Jahren auf die studentische Protestgeneration stützte, vertritt heute die Interessen einer wohlhabenden Schicht der Mittelklasse. Viele ihrer damaligen Mitglieder haben Karriere gemacht und gehören inzwischen zur wirtschaftlichen Führungsebene.
Die Partei hatte schon bei ihrem Eintritt in die hessische Landesregierung 1985 ihre ursprünglichen "ökologischen, basisdemokratischen und pazifistischen" Ansprüche an den Nagel gehängt und ihre staatstragende Funktion unter Beweis gestellt. Heute schwenkt sie offen auf alte CDU-Forderungen ein. Nach den letzten Kommunalwahlen war es sogar zu Gesprächen zwischen den Grünen und der CDU über eine schwarz-grüne Koalition im Römer gekommen, die schließlich am Widerstand der grünen Basis und einem abtrünnigen CDU-Abgeordneten scheiterte, der es vorzog, einen Republikaner zu unterstützen.
Der Kurs der Grünen im Römer zeigt ebenso wie die arbeiterfeindliche Politik der SPD in der Bundesregierung, weshalb der CDU-Rechte Roland Koch bei den Umfragen für die Hessenwahl vom 2. Februar vorne liegt. Er stützt sich nicht auf eine Rechtswende in der Bevölkerung, sondern auf die tiefe Enttäuschung, Demoralisierung und Frustration breiter Kreise über die SPD und die Grünen.