Bushs Rede zur Lage der Nation: Kriegsfieber und Krise der Herrschenden

Der Bericht zur Lage der Nation, den George W. Bush am Dienstag vergangener Woche vor beiden Kammern des amerikanischen Parlaments abgab, widerspiegelte die tiefe Krise der US-Regierung. Das Kriegsfieber, das die Versammelten erfasst hatte, und Bushs aus Lügen und Drohungen bestehende Litanei erweckten den Eindruck, dass sich in der herrschenden Elite eine regelrechte Bunkermentalität breit gemacht hat und dass sie von wirtschaftlichen Widersprüchen getrieben wird, die sie überhaupt nicht versteht. Bush spricht für eine Regierung, die deshalb in den Krieg zieht, weil sie hofft, dass sie der Krise irgendwie Herr werden kann, wenn sie zu den Mittel der militärischen Aggression greift und das Öl am Persischen Golf erobert.

Wer sich die einstündige Tirade anhörte, musste sich irgendwann die Frage stellen, was George Orwell wohl zu diesen "Neusprech"-Perlen gesagt hätte. So bezeichnete Bush die riesige Invasionsarmee, die an den Grenzen des Irak zusammengezogen wird, als "die Männer und Frauen, die den Frieden bewahren werden".*

Ein weiteres Beispiel war die groteske Beteuerung an die Adresse der irakischen Bevölkerung: "Ihr Land ist nicht vom Feind umstellt - Ihr Feind regiert Ihr Land. Und der Tag, an dem er und sein Regime des Amtes enthoben werden, wird der Tag Ihrer Befreiung sein."

Zur selben Zeit sickerten Berichte aus dem Pentagon durch, dass die USA den Irak in den ersten 24 Stunden des Krieges mit bis zu 400 Cruise Missiles beschießen wollen. Diese Strategie, "Schock und Furcht" genannt, soll das Land durch reinen Terror zur Unterwerfung zwingen.

Außenminister Colin Powell hat sich unterdessen gegen den Vorwurf verwahrt, Washington führe Krieg, um sich die riesigen Ölvorkommen des Landes unter den Nagel zu reißen. Diese würden lediglich unter das "Mandat" der USA gestellt - ein Euphemismus für Kolonialherrschaft, der schon nach dem Ersten Weltkrieg in Mode kam.

In ähnlicher Weise thematisierte Bush auf innenpolitischem Gebiet die Armut in den USA. Er versprach, diesem Problem durch weitere Steuererleichterungen für die Reichen zu Leibe zu rücken. In Bezug auf die enorme Krise des Gesundheitswesens kündigte er Kürzungen des Medicare-Programms an, das die notdürftige Versorgung älterer Bürger gewährleistet.

Krieg ist Frieden, Besatzung ist Befreiung, und Kolonialismus ist Freiheit. Nur die Propaganda-Abteilung einer Regierung, die sich auf dem Niveau von Orwells "1984" befindet, könnte auf solche Formulierungen verfallen, wie sie Bush von seinem Teleprompter ablas.

Die Gangster und Sadisten, die an der Spitze der Bush-Administration und des Kongresses stehen, riss es vor Begeisterung von den Stühlen, als ihr Präsident versprach, "mit der ganzen Kraft und Macht des Militärs der Vereinigten Staaten" gegen ein verarmtes und unterdrücktes Land zu kämpfen, das bereits jetzt wegen früheren Kriegen und Wirtschaftssanktionen am Boden liegt.

Sie klopften sich auf die Schenkel, als Bush im Stil eines Mafia-Bosses die erfolgreiche Jagd seiner Regierung auf angebliche Terroristen erwähnte: Er rühmte sich der Verhaftung von mehr als 3000 Verdächtigen - größtenteils Immigranten, denen geringfügige Verstöße gegen das Einwanderungsrecht vorgeworfen wurde: "Viele andere hat ein anderes Schicksal ereilt. Sagen wir so - sie stellen für die Vereinigten Staaten und ihre Freunde und Verbündete nicht länger ein Problem dar."

Als Nächstes gab Bush die Einrichtung eines "Nationalen Zentrums zur Bekämpfung terroristischer Bedrohungen" ("Terrorist Threat Integration Center") bekannt, das Funktionen der CIA, des FBI, des Pentagon und des jüngst geschaffenen Ministeriums für Heimatschutz vereinen soll. Mit der Schaffung dieser neuen Super-Spionage-Agentur wird der verfassungsmäßig garantierte Schutz der Einwohner und Bürger Amerikas vor staatlicher Bespitzelung Makulatur.

Regierungsvertreter hatten angekündigt, dass Bush in seiner Rede den Krieg gegen den Irak begründen werde, doch nichts dergleichen geschah. Bush leierte einmal mehr die angeblichen Vergehen des irakischen Regimes herunter, die man längst kennt und die längst widerlegt wurden.

Erst kamen die unbewiesenen und politisch unsinnigen Vorwürfe, der Irak unterhalte Verbindungen zur al-Qaida - obwohl bekannt ist, dass diese islamistische Bewegung ein Gegner säkularer nationalistischer Bewegungen wie der Baathisten im Irak ist. Dann wiederholte Bush, die irakische Regierung habe Aluminiumrohre gekauft, "die zur Herstellung von Nuklearwaffen geeignet sind", obwohl die Internationale Atomenergiebehörde aufgrund eigener Inspektionen im Irak diesen Vorwurf bereits für unhaltbar erklärt hat.

Mit zynischer Geste stellte Bush die Vorwürfe der UN, wonach der Irak die Vernichtung sämtlicher konventioneller Waffen aus den 1980-er Jahren noch nicht bewiesen habe, als Beweis für die heutige Existenz solcher Waffen hin - obwohl dies nicht einmal der Chef der Waffeninspekteure Hans Blix behauptet.

Als "moralische" Rechtfertigung für den Krieg verwies der US-Präsident auf Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wonach die irakische Geheimpolizei brutale Foltermethoden anwendet. "Wenn das nicht Böse ist, dann weiß ich nicht, was das Böse ist", erklärte Bush. Aber die moralische Entrüstung der US-Regierung über Folter ist bedingt. Es kommt immer darauf an, wer der Schuldige ist. Sämtliche grässlichen Methoden, die Bush erwähnte, finden sich seit Jahrzehnten in den Berichten von Menschenrechtsorganisationen über Diktaturen in Lateinamerika und anderswo, die von den USA unterstützt werden.

Überdies wenden die USA derzeit gegen ihre eigenen Häftlinge Verhörtechniken an, die als Folter gelten, und lieferten einige des Terrorismus Verdächtigte der Geheimpolizei in Ägypten, Jordanien, Saudi Arabien und Pakistan aus, wo dieselben Methoden wie im Irak zum Einsatz kommen. In manchen Berichten ist davon die Rede, dass Geheimagenten der USA direkt an diesen Folterverhören teilnehmen.

Und schließlich folgte noch der rituelle Vergleich von Saddam Hussein mit Adolf Hitler. "Im Lauf des 20. Jahrhunderts haben kleine Gruppierungen Kontrolle über große Nationen erlangt, Armeen und Waffenarsenale aufgebaut und sich daran gemacht, die Schwachen zu beherrschen und die Welt einzuschüchtern", erklärte Bush. Diese Worte beschreiben treffend die Politik, die er selbst betreibt, seit er durch die Manipulierung der Wahlen des Jahres 2000 an die Macht kam.

Er fuhr fort: "In diesem Jahrhundert ist die Ideologie von Macht und Herrschaft wieder aufgetaucht... Wieder einmal sind wir aufgerufen, die Sicherheit unseres Volkes und die Hoffnungen der gesamten Menschheit zu verteidigen."

Unbestreitbare Realität ist dagegen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschheit - einschließlich der meisten Amerikaner - einen Krieg gegen den Irak ablehnt. Der Großteil der Menschheit sieht in Bushs Vorwürfen, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, ganz zu Recht einen zynischen Vorwand für einen Eroberungs- und Plünderungskrieg. Als "Ideologie von Macht und Herrschaft" gilt allgemein Bushs eigene Politik des "Präventivkrieges" und der Versuch seiner Regierung, die militärische Stärke der USA zu nutzen, um strategische Rohstoffquellen zu erobern und potenzielle Rivalen einzuschüchtern.

Die gesamte Rede zur Lage der Nation durchzog ein Unterton, der an Paranoia erinnerte und eine tief verwurzelte Feindschaft gegen den Rest der Welt erkennen ließ. An keiner Stelle versuchte Bush, die ehemaligen Verbündeten in Europa und Japan auf seine Seite zu gewinnen. Und diejenigen Aussagen Bushs, die ein Senator der Demokraten als "polternden Unilateralismus" charakterisierte, entlockten den versammelten Trägern der Staatsmacht verzückte Beifallsrufe.

Die herrschende Elite, für die Bush spricht und die er verkörpert, steht vor einer desolaten, systemimmanenten Wirtschaftskrise, die sie nicht lösen kann. Während Washington den Rest der Welt zur Hölle wünscht, ist die amerikanische Wirtschaft ironischerweise in wachsendem Maße abhängig von massiven Kapitalzuflüssen aus Europa, Asien, den Ölscheichtümern des Nahen Ostens und anderen Orten. Nur auf dieser Grundlage können die oberen Gesellschaftsschichten in den USA ihre extravaganten Reichtümer anhäufen.

Für den Monat November verzeichneten die USA ein Handelsbilanzdefizit von 40 Milliarden Dollar, und für das laufende Jahr wird ein Haushaltsdefizit von mindestens 500 Milliarden Dollar prognostiziert. Nur eine Orgie der Kreditaufnahme im Ausland - in Höhe von mehr als zwei Milliarden Dollar pro Tag - hält die amerikanische Wirtschaft in Gang. Eine Vertrauenskrise hinsichtlich der amerikanischen Volkswirtschaft, die sich im raschen Kursverfall des Dollars während der letzten Wochen bereits ankündigte, kann diesen starken Kapitalzufluss abschneiden und die Wirtschaft ins Trudeln bringen.

Zu Beginn umriss Bush die innenpolitischen Pläne seiner Regierung. Selbst im Bericht zur Lage der Nation, in dem traditionell die Stärke der USA beschworen wird, sah sich der Präsident gezwungen, die sozialen Krebsgeschwüre anzusprechen, die den amerikanischen Kapitalismus kennzeichnen. Bush erwähnte in diesem Zusammenhang die Zunahme von Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit, fehlende Krankenversicherungen für zig Millionen Menschen und eine derart hohe Zahl an Gefängnisinsassen, dass ein großer Teil der jüngeren Generation ohne Väter aufwächst.

Die wichtigste "Lösung", die Bush in petto hatte - abgesehen von "glaubensorientierten" Privatinitiativen - war eine groß angelegte Steuersenkung für die Reichen, um "die ungerechte Doppelbesteuerung von Dividenden aufzuheben", wie sein bevorzugter Schlachtruf lautet. Diese Politik führt dazu, dass das obere 1 Prozent der Gesellschaft mehr Geld besitzt als die unteren 95 Prozent zusammen.

Man rechnet damit, dass die Steuersenkungen das Haushaltsdefizit im nächsten Jahr um noch einmal 100 Milliarden Dollar in die Höhe treiben, zusätzlich zu dem diesjährigen Einnahmenausfall um rund 200 Milliarden Dollar. Die unvermeidliche Folgeerscheinung dieser Geschenke an die Finanzelite sind brutale Angriffe auf die Reste des Sozialsystems und eine drastische Erhöhung der Massensteuern, die vor allem die arbeitende Bevölkerung trifft.

Bush fehlen sowohl die geistigen wie auch die moralischen Fähigkeiten, um die Folgen der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen abzusehen. Die unlösbaren Widersprüche des kapitalistischen Systems schlagen sich bei der amerikanischen herrschenden Elite in der Auffassung nieder, dass sie ihren Wohlstand nur durch militärische Aggression verteidigen kann. Außerdem hält sie den Krieg für ein geeignetes Mittel, das Augenmerk der arbeitenden Bevölkerung von der unlösbaren sozialen und wirtschaftlichen Krise im eigenen Land abzulenken.

Wie der Kniefall der Demokratischen Partei zeigte, ist diese Ideologie nicht nur Bush und seinem engsten Zirkel zu eigen. Bekannte Demokraten wie die Senatsabgeordneten Hillary Clinton und Joseph Lieberman leiten die sogenannte Opposition, indem sie Bushs Ergüsse mit stehenden Ovationen bedachten. Die Einwände der führenden Demokraten gegen die Kriegspolitik der Regierung beschränken sich auf geringfügige taktische Überlegungen, dass man noch ein paar Wochen abwarten sollte, um vielleicht doch noch die Zustimmung der UN zu einer Invasion zu erreichen. Die sogenannte "Parteilinke" um Senator Edward Kennedy beschränkt sich auf ohnmächtige Appelle nach einer zweiten Abstimmung, bevor Bush zum Einsatz militärischer Gewalt ermächtigt sei.

Unabhängig vom unmittelbaren Ausgang eines Einmarsches im Irak muss der Kurs, den der US-Imperialismus eingeschlagen hat, zwangsläufig in einer Katastrophe enden. Ein Krieg im Irak wird Hunderte Millionen Menschen im Nahen und Mittleren Osten, in Asien und in Afrika, die keine Wiederkehr kolonialer Unterdrückung hinnehmen wollen, in ihrer Empörung und ihrem Widerstand bestärken. Im Irak selbst werden die Massen niemals die Besatzung durch die USA oder die Errichtung eines Marionettenregimes akzeptieren. Sie werden sich zur Wehr setzen, und die amerikanischen Jugendlichen, die als Kanonenfutter für die Ölmonopole und die Konzernelite ausersehen sind, werden diesen Widerstand mit ihrem Leben bezahlen.

Der Krieg wird die Gegensätze zwischen den imperialistischen Mächten verstärken, die sich in den wachsenden Spannungen zwischen Europa und Amerika bereits abzeichnen. Wenn es ihnen gelingt, mit ihrer militärischen Stärke die Kontrolle über das Öl am Persischen Golf zu erlangen, setzen die USA zwangsläufig einen neuen, weltweiten Kampf um Rohstoffe, Märkte und strategisch wichtige Gebiete in Gang, der einem neuen Weltkrieg den Weg ebnet.

Im Inland wird der Krieg die soziale Polarisierung verstärken, da ein immer größerer Anteil des Nationaleinkommens auf die Finanzoligarchie und das Militär entfallen wird. Die krasse Ungleichheit, die diese - durch einen Spruch des Obersten Gerichtshofs willkürlich eingesetzte- Regierung der Reichen der Gesellschaft aufzwingt, muss früher oder später zu politischen Unruhen in Amerika selbst führen.

Diese kommende politische Oppositionsbewegung kann dem globalen Ausbruch des amerikanischen Imperialismus nur entgegentreten, indem sie eine sozialistische Alternative zu Krieg, Unterdrückung und sozialer Ungleichheit vertritt und sich auf den Boden des gemeinsamen Kampfs der internationalen Arbeiterklasse stellt. Die World Socialist Web Site und die Socialist Equality Party haben sich die politische Vorbereitung einer solchen Bewegung zur Aufgabe gemacht.

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* Die Zitate, die in diesem Artikel angeführt werden, haben wir einer von der US-Botschaft autorisierten Übersetzung der Rede entnommen, die unter http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Irak/bush-lage.html abgerufen werden kann.

(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - März/April 2003 enthalten.)
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