Die Abberufung des demokratischen Gouverneurs von Kalifornien, Gray Davis, und die Einsetzung des Filmstars Arnold Schwarzenegger war ein wichtiges Ereignis im politischen Leben der Vereinigten Staaten. Ganz besonders wurde durch die Wahl in Kalifornien die Kraftlosigkeit der Demokratischen Partei entlarvt, die sich wie schon beim Clinton-Impeachment und bei der gestohlenen Präsidentschaftswahl von 2000 als unfähig erwiesen hatte, einen ernsthaften Kampf gegen die extreme Rechte zu führen.
Dieser Artikel untersucht die Erfahrung der Gouverneurswahl von 1934 in Kalifornien, bei der der Schriftsteller Upton Sinclair, ein langjähriges Mitglied der Sozialistischen Partei Amerikas, für die Demokraten kandidierte, um den kalifornischen Gouverneursposten zu erobern. Die Wahl von 1934 enthält einige wichtige politische Lehren, die die Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre verständlicher machen.
Die Wahl von 1934 war eine praktische Widerlegung zahlreicher reformistischer Konzepte - besonders der Vorstellung, eine Massenbewegung könne die demokratische Partei für sich dienstbar machen und sie in ein Instrument für radikale, womöglich sogar sozialistische Veränderungen verwandeln.
Der Versuch Sinclairs, mit seinem Eintritt in die demokratische Partei das Gouverneursamt mit einem sozialdemokratischen Programm zu erobern, traf auf den entschlossenen Widerstand der Wirtschaftskreise. Er rief eine bösartige Gegenkampagne des Wirtschafts- und Medienestablishments hervor, die von der Führung der demokratischen Partei selbst unterstützt wurde.
Nach vier Depressionsjahren hatte 1934 der soziale Protest in den Vereinigten Staaten zugenommen. Franklin Delano Roosevelt hatte bei den Präsidentschaftswahlen von 1932 den Republikaner Herbert Hoover deutlich geschlagen und nach seiner Amtsübernahme den New Deal eingeleitet, ein Sammelsurium reformistischer Maßnahmen, mit denen das Vertrauen der Öffentlichkeit in den amerikanischen Kapitalismus wiederhergestellt werden sollte.
Roosevelts Wahl fiel in eine Zeit der globalen Krise und Unsicherheit. In Deutschland wandte sich die Bourgeoisie Adolf Hitlers faschistischer Bewegung zu, um die Arbeiterorganisationen zu zerschlagen und den Weg für die militärische Wiederbewaffnung des deutschen Kapitalismus zu ebnen. In Frankreich tauchten bewaffnete faschistische Banden auf den Straßen auf, und in Spanien beantworteten Arbeiter in Asturien die Einsetzung einer reaktionären Regierung mit einem bewaffneten Aufstand, der blutig unterdrückt wurde.
In den USA entwickelten sich 1934 in mehreren wichtigen Industriestädten große Streiks, die oft von Sozialisten oder radikalen Syndikalisten geführt wurden. Anders als bei früheren Versuchen errang die Arbeiterklasse in mehreren dieser Klassenschlachten wichtige Erfolge, was die Hoffnungen und Erwartungen breiter Schichten der Bevölkerung steigerte.
In Minneapolis gaben die Lastwagenfahrer, die von Mitgliedern der Communist League of America, den Anhängern des exilierten russischen revolutionären Führers Leo Trotzki, organisiert wurden, den Anstoß für eine ganze Reihe erfolgreicher Streiks, die zur Anerkennung der Gewerkschaft führten und die Grundlage für die Verwandlung der Teamsters Union aus einer relativ kleinen Facharbeitergewerkschaft in eine Massenorganisation nach dem Muster der Industriegewerkschaften legten.
Autoarbeiter in Toledo trotzten der Polizei und den Truppen der Nationalgarde und setzten einen Tarifvertrag durch, der innerhalb relativ kurzer Zeit zur Organisierung Dutzender Autowerke führte.
Dieser Aufschwung der Militanz der Arbeiterklasse war auch in Kalifornien zu spüren, wo der Zusammenbruch des Profitsystems zu einer verzweifelten sozialen Krise geführt hatte. In Los Angeles lebten 25 Prozent der Bevölkerung von der Wohlfahrt, die sich auf 4,50 Dollar im Monat belief. Die Krise wurde noch durch den Zustrom Hunderttausender ruinierter Farmer aus dem Dust Bowl des mittleren Westens und Arbeitslosen aus den ganzen USA verstärkt, die auf der Suche nach einem besseren Leben nach Kalifornien gezogen waren. Viele fanden nur auf den Feldern bei einem Stundenlohn von 10 bis 15 Cents Beschäftigung.
Kalifornien, besonders Südkalifornien, war lange eine gewerkschaftsfreie Bastion gewesen. 1919 wurde in Kalifornien das Gesetz gegen kriminellen Syndikalismus verabschiedet, das militante Gewerkschaftskämpfe praktisch illegal machte. Schon die Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation, wie z.B. der revolutionär-syndikalistischen Industrial Workers of the World, war ein schweres Verbrechen, das mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft werden konnte. Dutzende Arbeiter wurden unter diesem Gesetz ins Gefängnis geworfen.
Landarbeiter in Kalifornien gehörten zu den ersten, die unter dem Druck der Depression zu rebellieren begannen. Die Unterdrückung auf den Feldern provozierte Streiks und in einigen Fällen gewaltsame Zusammenstöße, bei denen die Plantagenbesitzer bewaffnete Schutztruppen mobilisierten, um die Streikenden niederzuschießen.
Im Mai 1934 traten die Hafenarbeiter in San Francisco in den Streik. Die Behörden mobilisierten Tausende Polizisten und Nationalgardisten gegen die Streikenden. Mehrere Arbeiter wurden getötet und Hunderte verletzt und verhaftet. Die Arbeiter reagierten mit einem viertägigen, stadtweiten Generalstreik, der von der American Federation of Labor (AFL) ausverkauft wurde, deren Führer ein Ende des Kampfs erzwangen. Aber die Hafenarbeitergewerkschaft überlebte und erzielte in den nächsten Jahren beachtliche Fortschritte.
Vor diesem Hintergrund gewann Upton Sinclair im August 1934 die demokratische Nominierung für den Posten des Gouverneurs von Kalifornien. Er erhielt bei den Vorwahlen mehr Stimmen, als alle anderen Bewerber zusammen.
Sinclair wurde im Jahre 1878 als Spross einer Südstaatenfamilie mit aristokratischen Verbindungen geboren. Sein Großvater war ein US-Admiral. Seinen Eltern aber ging es ziemlich schlecht, und sie waren oft auf die Unterstützung von Verwandten angewiesen.
Der junge Sinclair zeigte schon früh ein Talent zum Schreiben, obwohl seine ersten Arbeiten hauptsächlich aus Trivialliteratur bestanden. Er blieb bis 1905 ziemlich unbekannt, als sein Buch Der Dschungel ein großer Erfolg wurde.
Die zuerst als Fortsetzungsgeschichte in der sozialistischen Zeitschrift Appeal to Reason veröffentlichte Arbeit war eine ätzende Entlarvung der kapitalistischen Realität, gesehen durch die Augen von Jurgis Rudkus, einem in Chicago lebenden litauischen Einwanderer. Das Buch wird oft als eine Entlarvung der schlimmen Bedingungen in der fleischverarbeitenden Industrie beschrieben. Das ist aber nur ein Aspekt des Werks, das im Wesentlichen eine Anklage des Kapitalismus insgesamt ist. Sinclair kommentierte später: "Ich habe auf das Herz der Öffentlichkeit gezielt und habe sie zufällig in den Magen getroffen." (Upton Sinclair , American Rebel, Leon Harris, Thomas Y. Crowell & Co., 1975, S.70)
Sinclair ließ weitere ätzende Enthüllungen des Kapitalismus folgen. Er und andere linke Sozialkritiker wurden als Enthüllungsliteraten bezeichnet, ein Begriff, der von Präsident Theodore Roosevelt geprägt wurde. Weitere Romane Sinclairs nahmen unter anderem die Ölindustrie, die organisierte Religion und das akademische Establishment aufs Korn.
Ungefähr zur gleichen Zeit, als er Der Dschungel schrieb, wurde Sinclair in der Sozialistischen Partei aktiv und kam mit anderen sozialistischen Intellektuellen, wie dem Autor Jack London oder dem Anwalt Clarence Darrow, in Kontakt. Wie viele Intellektuelle, die in die Sozialistische Partei eintraten, orientierte sich Sinclair an ihrem reformistischen Flügel und erfuhr nie auch nur die elementarste marxistische Ausbildung. Die folgenden Ereignisse zeigten, dass seine Vorstellung von Sozialismus, wie die vieler anderer in der Bewegung, nie über eine vulgäre Mischung aus amerikanischem Radikalismus und Populismus hinausging.
Der erste Weltkrieg brachte den wachsenden Opportunismus in der sozialdemokratischen Zweiten Internationale an den Tag. Alle großen sozialdemokratischen Parteien Europas, mit Ausnahme der russischen Bolschewisten, verrieten ihre Verpflichtung, die internationale Solidarität der Arbeiterklasse hochzuhalten und gegen die Kriegsteilnahme ihrer eigenen Regierung zu kämpfen. Statt dessen zerfiel die sozialistische Internationale in ihre nationalen Bestandteile, die die militärische Mobilmachung ihrer jeweils eigenen Regierung unterstützten.
In den Vereinigten Staaten herrschte auf dem bedeutenden reformistischen Flügel der Sozialistischen Partei starker Widerstand gegen die formale Opposition der Bewegung gegen den Kriegseintritt der USA. Sinclair ging noch weiter. Er trat 1915 aus der Partei aus und erklärte: "Ich glaube, die Alliierten erfüllen eine zivilisatorische Mission..." (American Rebel, S.157)
Nach dem Krieg trat Sinclair wieder in die Sozialistische Partei ein, die durch den Austritt ihres internationalistischen Teils sehr geschwächt war. Abgestoßen von dem Verrat der Sozialdemokratie und inspiriert vom Beispiel der russischen Revolution war der militantere Flügel der alten Sozialistischen Partei zum Kern der amerikanischen Kommunistischen Partei geworden.
Durch die Spaltung verlor die Sozialistische Partei stark an politischer Bedeutung und geriet unter die Kontrolle einer kleinen Gruppe von Parlamentariern und Gewerkschaftsbürokraten. Sinclair lehnte zwar revolutionäre Methoden ab, sympathisierte aber mit der Sowjetunion. Wie viele andere linke Intellektuelle dehnte aber auch er seine Sympathie für die Sowjetunion auf die aufstrebende sowjetische Bürokratie unter Josef Stalin aus. Er sah über Stalins Abwendung von sozialistischen und internationalistischen Prinzipien und die Unterdrückung seiner linken Gegner hinweg, deren überragender politischer und theoretischer Führer Leo Trotzki war.
Sinclair, eine international bekannte Größe, lebte ein völlig anderes Leben als die Arbeiterklasse. Er pflegte Umgang mit vielen Reichen und Berühmten Südkaliforniens, wo er inzwischen wohnte.
1933 trat Sinclair erneut aus der Sozialistischen Partei aus und gab seine Kandidatur für die Nominierung der Demokraten für das Gouverneursamt bekannt. Sinclair war der Phantasie erlegen, eine Partei der Kapitalistenklasse von innen her übernehmen zu können.
Sinclairs Eintritt in die demokratische Partei nahm eine allgemeine Sammlungsbewegung der amerikanischen Sozialdemokratie, des Stalinismus und des Radikalismus hinter der demokratischen Partei und der Roosevelt-Regierung vorweg. In Kalifornien hatte die Entscheidung Sinclairs, den Demokraten beizutreten, sofortige verheerende Folgen für die Parteiorganisation der Sozialisten. Die Hälfte der Mitglieder verließ die Partei und schloss sich Sinclairs Wahlkampf an.
Zwei Jahre später, im Jahre 1936, riefen die Führer der Sozialistischen Partei David Dubinsky von der Gewerkschaft der Damenschneider, Sidney Hillman von der Vereinigten amerikanischen Textilarbeitergewerkschaft und andere prominente Mitglieder dazu auf, Roosevelt zu wählen, und spalteten die Bewegung.
1934 folgte die amerikanische Kommunistische Partei noch der vom stalinistischen Regime in Moskau verordneten ultralinken Linie und prangerte deswegen Sinclair als "Sozialfaschisten" an. Aber auf ihrem siebten Weltkongress gab die von Moskau dominierte Komintern ihre ultralinke Orientierung auf und entschied sich für die Volksfrontpolitik. Sie verlangte von den angeschlossenen Parteien, sogenannte progressive kapitalistische Politiker zu unterstützen und sogar Koalitionsregierungen mit bürgerlichen Parteien einzugehen. Entsprechend begann die KP der USA, Roosevelt zu unterstützen.
Der EPIC Plan
Zur Bekanntgabe seiner Kandidatur für die demokratische Nominierung schrieb Sinclair die Broschüre Ich, der Gouverneur von Kalifornien, und wie ich die Armut beseitigte - eine wahre Geschichte der Zukunft. Darin entwickelte er seinen Plan "Die Armut in Kalifornien beseitigen" ("End Poverty in California"), der unter dem Kürzel EPIC populär wurde. Er sah die Übernahme von brach liegenden Farmen und Fabriken durch den Staat vor, und ihre Verwandlung in Kooperativen, die unter Verwendung von Wertgutscheinen miteinander Handel treiben sollten. In Sinclairs Vision sollten diese Kooperativen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen konkurrieren und ihre Überlegenheit beweisen. Die "Produktion für die Bedürfnisse" sollte über die "Produktion für Profit" triumphieren.
Andere Aspekte des Plans bestanden aus konventionelleren Reformen - eine progressive Unternehmens- und Einkommenssteuer, eine Erbschaftssteuer, eine Entlastung bei der Grundsteuer für kleine Hausbesitzer und öffentliche Arbeitsprogramme.
Die Publikation des EPIC-Plans wurde in der breiten Öffentlichkeit enthusiastisch begrüßt. Eine diffuse aber breite EPIC-Bewegung breitete sich über Kalifornien aus. Fast 2000 EPIC-Ortsgruppen entstanden. Die Bewegung gab sogar eine Zeitung heraus, die Epic News, die wohl zeitweise eine Auflage von bis zu einer Million Exemplare hatte.
Sinclairs Plan zur Schaffung von Kooperativen als Lösung für die Massenarbeitslosigkeit der Depression ignorierte grundlegende gesellschaftliche und politische Realitäten. Erstens unterstellte er, dass es möglich sei, Armut und Arbeitslosigkeit alleine in Kalifornien, getrennt von den übrigen USA zu beseitigen - ganz zu schweigen vom Rest der Welt. Darüber hinaus unterstellte er, die Roosevelt-Regierung in Washington von der Vernünftigkeit des Plans überzeugen und die Kapitalisten zum Stillhalten bewegen zu können, obwohl die EPIC-Bewegung die Absicht verkündet hatte, die "Produktion für Profit", den Eckpfeiler des kapitalistischen Systems, in Frage zu stellen.
Sinclairs Plan industrieller und landwirtschaftlicher Kooperativen beinhaltete Ideen, die linke amerikanische Intellektuelle schon seit langem hegten, und die auf utopische Sozialisten wie Edward Bellamy zurückgingen, den Autor des Romans Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf 1887. Mitglieder der Utopischen Gesellschaft Amerikas, einem Ableger der Technokratenbewegung, spielten zu Beginn eine wichtige Rolle in der EPIC-Bewegung. Das EPIC-Programm machte großzügige Anleihen bei ihren Konzeptionen, die einen von einer technologischen Elite rational organisierten Kapitalismus zum Inhalt hatten.
Allen diesen Vorstellungen war die Ablehnung des Klassenkampfs als Vehikel des Sozialismus gemeinsam. Im Zentrum stand die Konzeption des amerikanischen Exzeptionalismus - die Vorstellung, dass die Vereinigten Staaten eine einzigartige Gesellschaft seien, frei von den Klassenkonflikten Europas.
In Sinclairs Augen war eines der wichtigsten Ziele seines Wahlkampfs die Vermeidung der Gefahr einer Revolution, indem der gesellschaftlichen Unzufriedenheit ein reformistischer Ausweg gewiesen wurde. Am Vorabend der Wahl erklärte Sinclair: "Unser altes industrielles System liegt in Trümmern und ein neues System muss aus diesem Chaos aufgebaut werden. Wenn die Demokratie das nicht schafft, dann werden wir einen Bürgerkrieg erleben, der zum Faschismus und letztlich zum Bolschewismus führt. Um diesen Gang der Dinge zu verhindern, stellen wir dem Volk von Kalifornien einen Plan vor." (Endangered Dreams, The Great Depression in California, Kevin Starr, Oxford University Press, 1996, S.151)
Aber die Wirtschaftselite Kaliforniens wollte von EPIC nichts wissen. Sie reagierte auf Sinclairs Kampagne mit einer wüsten Opposition, die an Hysterie grenzte.
Sinclair und seine Anhänger waren auf den Gegenangriff der Wirtschaft nach dem Sieg des Schriftstellers in den Vorwahlen bei den Demokraten nicht vorbereitet. Das lag zum Teil daran, dass Sinclair seinen Sieg nicht erwartet hatte. Sein Triumph bei den demokratischen Vorwahlen war für ihn genauso eine Überraschung, wie für seine Gegner.
Sein wichtigster Konkurrent war der Karrierepolitiker George Creel, der schon in der Regierung von Präsident Woodrow Wilson gedient hatte. Sinclair hatte noch nie ein Wahlamt bekleidet, hatte aber schon einmal für die Sozialistische Partei für den Posten des Gouverneurs kandidiert.
Die Abstimmung signalisierte eine wichtige Wende in der politischen Landschaft Kaliforniens. Der Staat war seit Jahrzehnten fest in der Hand der Republikaner, und die Anzahl der registrierten Wähler der Republikaner übertraf die der Demokraten normalerweise um das Dreifache. Zum Teil als Ergebnis der EPIC-Bewegung übertraf 1934 die Wähler-Registrierung der Demokraten in Kalifornien zum erstenmal im zwanzigsten Jahrhundert die der Republikaner. Sinclair erhielt in den Vorwahlen mehr Stimmen als sein republikanischer Gegner, Gouverneur Frank Merriam. Angesichts dessen erschien zum ersten Mal seit 1899 in Kalifornien die Wahl eines demokratischen Gouverneurs möglich.
Kurz nach seinem Vorwahlsieg gab Sinclair seine Absicht bekannt, mit Präsident Roosevelt zusammenzutreffen. Roosevelt war jedoch keineswegs scharf darauf, Sinclair seinen Segen zu geben, der vom größten Teil des demokratischen Establishments als zu radikal eingeschätzt wurde. Vor allem fürchtete Roosevelt mit der Unterstützung für Sinclair die Finanz- und Wirtschaftselite vor den Kopf zu stoßen, die er gerade für die Politik des New Deal gewinnen wollte. Gleichzeitig wollte er aber auch den Sieger der demokratischen Vorwahlen in Kalifornien nicht offen desavouieren.
Schließlich stimmte Roosevelt einem Treffen mit Sinclair zu. Er bestand aber darauf, das Treffen öffentlich als "unpolitisch" anzukündigen.
Für ihn typisch, versuchte Roosevelt seinen Gast zu umgarnen und zu entwaffnen, sich aber zu nichts konkret zu verpflichten. Sinclair aber nahm den Eindruck mit, die stillschweigende Unterstützung des Weißen Hauses zu genießen. Er glaubte, Roosevelt werde das Konzept der "Produktion für Bedürfnisse" öffentlich unterstützen.
In Wirklichkeit bemühte sich der Präsident, die größtmögliche Distanz seiner Regierung von der EPIC-Bewegung zu wahren. Ein Berater kommentierte, dass Roosevelts Haltung zu Sinclair aus zwei grundlegenden Elementen bestehe: nichts zu tun und nichts zu sagen. (American Rebel, S.302) Gegen Ende des Wahlkampfs ging Roosevelt zu offener Sabotage über - und lieferte die Wahl den Republikanern gegen das Versprechen zukünftiger Zusammenarbeit aus.
Nach seinem Besuch bei Roosevelt klapperte Sinclair weitere Regierungsmitglieder ab, bei denen er die gleiche freundliche, aber unverbindliche Behandlung erfuhr. Wieder interpretierte Sinclair das diplomatische Ausweichen der Regierungsmitglieder in der optimistischsten Weise und missverstand es als Versprechen für künftige Unterstützung. Er fuhr voll Zuversicht nach Hause.
Die Bewegung gegen Sinclair
Zurück in Kalifornien organisierten Wirtschaftsinteressen eine finanziell gut ausgestattete Bewegung gegen Sinclairs Wahlkampf. Es wurde jede Anstrengung unternommen, die Kandidatur des republikanischen Gouverneurs Frank Merriam zu propagieren, einem reaktionären politischen Leichtgewicht, der nur wegen des plötzlichen Todes von Gouverneur James Rolph im Amt war.
Bezeichnend für das Klima der Unterdrückung, das die Regierung Rolph geschaffen hatte, war eine Gräueltat, die sich 1933 ereignete. Als ein Mob in das Gefängnis von San Jose einfiel und zwei des Mordes an dem Erben eines Kaufhausbesitzers Verdächtige lynchte, begrüßte Rolph dieses Verbrechen. Er erklärte: "Dies ist das beste Beispiel, das Kalifornien dem Land je gegeben hat. Wir zeigen dem Land, dass der Staat Entführungen nicht toleriert." (Endangered Dreams, S.149)
Während des ganzen Gouverneurswahlkampf von 1934 folgte Merriam der Strategie, so weit eben möglich den Mund zu halten und seinen Strippenziehern in der Wirtschaft das schmutzige Geschäft zu überlassen. Louis B. Mayer, der Chef der Metro-Goldwyn-Mayer Studios, setzte sich an die Spitze der Anti-Sinclair Kampagne, die sich in der Gruppe United for California organisierte. Selten zuvor, wenn überhaupt jemals, hatte man eine derartige Bösartigkeit in einem wichtigen Wahlkampf in den USA erlebt. Die Kampagne, Sinclair zu stoppen, vereinte buchstäblich das gesamte Wirtschaftsestablishment im Staat und hatte die Unterstützung aller wichtigen Presseorgane.
Die größten Konzerne Kaliforniens finanzierten die Anti-Sinclair Kampagne mit einer Kriegskasse von zehn Millionen Dollar, eine für die damalige Zeit wahrhaft enorme Summe. Zu den Einzahlern gehörten Southern Edison, Southern Pacific Railroad, Standard Oil und Pacific Mutual.
Mayer sammelte auch von anderen Studiobossen Beiträge ein und zwang seine Studioangestellten, einen Tageslohn zu spenden. Die Anti-Sinclair Kräfte heuerten eine große Werbe- und Marketingfirma an, die eine Propagandakampagne entwickeln sollte. Der Historiker Arthur Schlesinger Jr. beschrieb diese Kampagne als den "ersten Public Relations Blitzkrieg der amerikanischen Geschichte". (The Age of Roosevelt, Vol III, The Politics of Upheavel, Arthur M. Schlesinger Jr., Houghton Mifflin, 1960, S.118)
Zweiundneunzig Prozent der Zeitungen unterstützten den Amtsinhaber Frank Merriam und fünf Prozent den Kandidaten der Progressiven Partei, Raymond Haight. Die übrigen waren neutral. Nicht eine unterstützte den demokratischen EPIC-Kandidaten. Aber selbst Neutralität war gefährlich, wie das Beverly Hills Bulletin feststellen musste. Die Zeitung wurde fast in den Bankrott getrieben, weil Firmen ihre Werbedollars als Strafe für eine relativ ausgewogene Berichterstattung über den Wahlkampf zurückzogen.
Die Presse verleumdete Sinclair als "Kommunisten" und "Bolschewisten". Typisch war eine Kolumne vom 5. Oktober 1934 in der Los Angeles Times, die erklärte, die EPIC-Bewegung drohe "Kalifornien zu sowjetisieren". EPIC wurde mit einer "feindlichen Flotte" verglichen, die vor unseren "Küsten" lauere, und weiter hieß es: "Gentlemen - und Ladies - Das ist nicht Politik, das ist Krieg." (The Campaign of the Century, Upton Sinclair's Race for Governor of California and the Birth of Media Politics, Greg Mitchell, Random House, 1992, S.300)
Die Times und andere Zeitungen sagten einen Zustrom von Arbeitslosen nach Kalifornien voraus, sollte Sinclair gewählt werden. Der kalifornische Verband der Grundbesitzer erklärte seine Unterstützung für Merriam mit der Parole: "Merriam oder Moskau" (The Campaign of the Century, S.298) In Presseberichten hieß es, Vorstände der Filmindustrie bereiteten sich darauf vor, ihre Studios aus Kalifornien abzuziehen, sollte Sinclair gewinnen.
Merriams Parteigänger überfluteten die Post mit Anti-Sinclair Traktaten. In einer der ersten zielgerichteten Versandkampagne stimmten sie ihre Botschaften auf das jeweilige Zielpublikum ab. Von Universitätsprofessoren über Christen bis zu Pfadfindern erhielten alle speziell ausgerichtete Anti-EPIC-Pamphlete.
Die Kampagne gegen Sinclair beschränkte sich nicht auf literarische Anstrengungen. Im Kampf gegen die EPIC-Bewegung setzte die Wirtschaft ganz unterschiedliche schmutzige Tricks ein. Metro-Goldwyn-Mayer produzierte Propagandastreifen, in denen scheinbare Merriam-Sympathisanten - in Wirklichkeit Schauspieler, die einfache Wähler mimten - als nüchterne, eloquente Berufstätige und Geschäftsleute vorgestellt wurden, während Anhänger Sinclairs als Misstrauen erweckende Typen mit verschlagenem Blick zu sehen waren, die oft mit starkem ausländischem Akzent sprachen. Andere Filmchen zeigten Vagabunden auf Güterzügen, wiederum von Schauspielern dargestellt, die in Erwartung eines Sieges Sinclairs sich auf den Weg nach Kalifornien machten. Die Schmutzkampagne wurde als objektive Nachrichtenberichterstattung ausgegeben und kostenlos an Kinos verteilt.
Kurz vor der Wahl veröffentlichte der Literary Digest eine gefälschte Wählerumfrage, die angeblich einen Zusammenbruch von Sinclairs Wahlkampf belegte und dem demokratischen EPIC-Kandidaten nur 25 Prozent der Stimmen gab. Die breite Publizierung der Umfrage trug zur Demoralisierung des Sinclair-Lagers bei. Später wurde bekannt, dass das Magazin die Gebiete mit der stärksten Unterstützung für Sinclair in seiner Umfrage ausgespart hatte.
Anhänger Merriams erhoben Einspruch gegen die Registrierung Tausender demokratischer Wähler in Los Angeles. Der Oberste Gerichtshof Kaliforniens wies diese Einsprüche wenige Tage vor der Wahl zurück und bezeichnete sie "als scheinheiligen Vorgang und einen Missbrauch des Gerichts". Trotzdem drohten Vertreter der Republikaner noch am Wahltag, persönlich die Registrierung von Wählern anzuzweifeln. Die Drohungen erzielten den gewünschten Effekt, demokratische Wähler einzuschüchtern und die Wahlbeteiligung in Gebieten, die für Sinclair entscheidend waren, niedrig zu halten.
Demokraten lassen Sinclair im Stich
Alle diese Anstrengungen hätten wahrscheinlich nicht ausgereicht, Sinclair zu stoppen, wenn nicht die demokratische Partei ihn im Stich gelassen und sabotiert hätte. In den meisten Distrikten stellte sich die Führung der demokratischen Partei Kaliforniens hinter Merriam und George Creel, den Sinclair in den Vorwahlen besiegt hatte, und erklärte ihre Unterstützung für den republikanischen Amtsinhaber.
Man hatte Sinclair im Glauben gelassen, Roosevelt werde in einer für den 22. Oktober geplanten nationalen Radioansprache seine Unterstützung für den EPIC-Plan erklären. Roosevelt erwähnte EPIC in seiner Ansprache aber nicht einmal, die sich als eine kurze Rede über die Bedeutung privater Wohltätigkeit herausstellte.
Derweil gab Roosevelts Chef für die Öffentlichkeitsarbeit, James Farley, bekannt, dass ein Brief an die EPIC-Zentrale, in dem Sinclair Unterstützung zugesagt wurde, nicht autorisiert gewesen sei. Farley sagte, ein Mitglied seiner Abteilung habe einen Fehler gemacht.
Die Roosevelt-Regierung versuchte Sinclair durch Manöver hinter den Kulissen dazu zu bewegen, zugunsten des Kandidaten der Progressiven Partei, Haight, auf die Kandidatur zu verzichten. Als dieser Plan fehlschlug, schloss Roosevelt einen Handel mit Merriam. Roosevelt werde Sinclair nicht unterstützen, wenn der republikanische Gouverneur seine Wiederwahl nicht propagandistisch als eine Absage an den New Deal ausschlachten werde.
Ein Insider der Roosevelt-Regierung, der Chef der Währungsbehörde J.F.T. O'Connor, unterbreitete Merriam diesen Vorschlag. In einer Unterredung am 31. Oktober sagte Merriam, dass er die Anstrengungen der kalifornischen Demokraten zugunsten seiner Kandidatur zu würdigen wisse, und sicherte Roosevelt seine "Kooperation" zu. Er versprach O'Connor, er werde seine Wiederwahl nicht als eine Ablehnung der Politik der Regierung hinstellen. (The Campaign of the Century ; S. 482-83)
Sinclair erreichte trotz der vereinten Anstrengungen der Wirtschaft, der Medien und des Establishments der Demokraten und der Republikaner ein starkes Ergebnis. Er erhielt mit 879.537 Stimmen fast 40 Prozent, gegenüber 1.138.620 Stimmen für Merriam und 302.519 Stimmen für Haight. Der republikanische Kandidat verpasste also die absolute Mehrheit.
Es ist durchaus möglich, dass Sinclair mit der Unterstützung Roosevelts hätte gewinnen können. Die Wahlen von 1934 brachten auf Bundes- wie auf Staatsebene erdrutschartige Siege der Demokraten. In Kalifornien selbst wurden viele von der EPIC-Bewegung unterstützte Kandidaten ins Staatsparlament gewählt.
Die Sabotage Sinclairs legte die sehr engen Grenzen des New Deal offen. Selbst inmitten der tiefsten historischen Krise des Kapitalismus durften Sozialreformen enge Grenzen nicht überschreiten. Nichts konnte geduldet werden, was auch nur indirekt das Recht auf Privateigentum in Frage stellte. Um das sicherzustellen, opferte Roosevelt bewusst die Kontrolle der Demokraten in einem wichtigen Bundesstaat.
Sinclair lernte wenig aus dem Debakel und hielt, wie ein Historiker feststellte, mit kindlichem Vertrauen an seinem Glauben an Roosevelt fest (Endangered Dreams, S.155). Sinclair hat die Bedeutung von Roosevelts Verrat nie verstanden. Er zog sich aus der aktiven Politik zurück und wandte sich wieder dem Schreiben zu.
Trotz ihrer Sabotage an Sinclair wurde die demokratische Partei eine bedeutende politische Kraft in Kalifornien, was zumindest teilweise der EPIC-Bewegung geschuldet ist. 1936 gewannen Roosevelt und die Demokraten den Staat mit großer Mehrheit. Verraten und desillusioniert fiel die EPIC-Bewegung bald auseinander, was von den Stalinisten der Kommunistischen Partei noch befördert wurde, die entsprechend ihrer Volksfrontorientierung für die vollständige Unterordnung unter Roosevelt eintraten.
Mehrere EPIC-Kandidaten spielten später bei den Demokraten eine wichtige Rolle. Sheridan Downey, Sinclairs Vizegouverneurskandidat, wurde 1938 in den US-Senat gewählt. Augustus Hawkins, der als EPIC-Kandidat ins Staatsparlament und später im Wahlkreis Watts von Los Angeles in den US-Kongress gewählt wurde, spielte eine wichtige Rolle im US-Repräsentantenhaus und wurde ein Gründungsmitglied des Gruppe der Farbigen im Kongress.
Die nachdenklicheren EPIC-Anhänger waren durch die Erfahrungen des Wahlkampfs verbittert, und einige zogen radikale Schlussfolgerungen. Der liberale Historiker Schlesinger kam nicht umhin festzustellen, dass das Ergebnis der Wahl "bei einigen die Frage aufwarf, ob Demokratie und das Profitsystem kompatibel seien". (The Politics of Upheaval S.122)
In der kalifornischen Wahl von 1934 drückten sich in kristallisierter Form Tendenzen aus, die schon seit längerem in der amerikanischen Politik gegenwärtig waren - besonders der Mythos, dass soziale Gleichheit durch eine Orientierung auf die demokratische Partei erreicht werden könnte. Wie schon bei früheren Gelegenheiten priesen Radikale und Reformer eine der beiden Parteien der amerikanischen Wirtschaftselite als Interessenvertreter des kleinen Mannes und halfen dadurch mit, eine mögliche Herausforderung des Kapitalismus zu neutralisieren und sozialen Protest in für die herrschende Ordnung harmlose Kanäle zu lenken.
Heute macht die Tiefe der Krise des amerikanischen und des Weltkapitalismus es der demokratischen Partei immer schwerer, ihre traditionelle Rolle als Blitzableiter für soziale Unzufriedenheit zu spielen. Die Politik der Demokraten ist immer weniger von der der Republikaner zu unterscheiden, weil die Demokraten sich unterwürfig an das Programm der extremen Rechten anpassen.
Unter diesen Bedingungen braucht die Wirtschaft die Unterstützung kleinbürgerlicher "linker" Kräfte - wie der Grünen Partei und ähnlicher Tendenzen - die sich auf Teile der demokratischen Partei orientieren oder die Illusion verbreiten, die Demokraten könnten in eine progressive sozialreformerische Partei verwandelt werden. Die zentrale politische Aufgabe der amerikanischen Arbeiterklasse ist es weiterhin, von der demokratischen Partei zu brechen und den Weg des unabhängigen politischen Kampfs auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms zu beschreiten.
Literatur:
Leon Harris, Upton Sinclair: American Rebel, Thomas y. Crowell & Co., 1975
Greg Mitchell, The Campaign of the Century: Upton Sinclair's Race for Governor of California and the Birth of Media Politics, Random House, 1992
Kevin Starr, Endangered Dreams: The Great Depression in California, Oxford University Press, 1996
Arthur M. Schlesinger Jr., The Age of Roosevelt, Vol III: The Politics of Upheaval ; Houghton Mifflin, 1960