Australien: Neuer Vorsitzender der Labor Party steht für schrankenlose Marktwirtschaft

Die Wahl des bekennenden Rechten Mark Latham zum neuen Vorsitzenden der Australian Labor Party (ALP) durch die Parlamentsfraktion vergangene Woche macht deutlich, dass die Partei die alten Rezepte des Sozialreformismus über Bord geworfen hat. Latham besiegte den ehemaligen Vorsitzenden Kim Beazley mit 47 zu 45 Stimmen und wird das Amt von Simon Crean übernehmen, der seinen Posten schon nach zwei Jahren wieder aufgegeben hat.

Die Labor-Abgeordneten stimmten nicht für Latham, weil er der populärere Kandidat gewesen wäre. Alle Umfragen, die am vor der Abstimmung veröffentlicht wurden, zeigten, dass Latham nur geringe Unterstützung in der Bevölkerung hat - noch nicht einmal ein Drittel der Unterstützung, die Beazley genießt, der selbst in den Augen der arbeitenden Bevölkerung weitgehend diskreditiert ist. Bei der Frage nach dem bevorzugten Ministerpräsidenten sprachen sich gerade einmal fünf Prozent für Latham aus.

Latham gewann die Abstimmung, weil die Labor-Abgeordneten wussten, dass sein rechtes politisches Programm die Zustimmung der mächtigsten Teile der herrschenden Kreise genießt. In den vergangenen sieben Jahren, seit der erdrutschartigen Niederlage der Labor-Regierung von Keating im Jahre 1996, wurde Latham aus wohlüberlegten Gründen besonders von den großen Medienunternehmern mit Rupert Murdoch an der Spitze systematisch aufgebaut.

In einem Artikel nach dem andern hat sich Latham in der Murdoch Presse und der Australian Financial Review als hemmungsloser Befürworter von Sozialkürzungen, von Steuersenkungen für Wohlhabende und des Abbaus von Sozialstaats- und Bildungseinrichtungen profiliert, wie es den Erfordernissen des globalen Kapitalismus entspricht. Nach dem Motto "Der Nutzer bezahlt" und im Namen von "individueller Verantwortung" und "Aktionärskapitalismus" forderte er die Abschaffung der letzten Errungenschaften des Sozialstaats der Nachkriegszeit.

Lathams Sieg ist ein klares und unmissverständliches Zeichen, dass die Labor-Führung dieses Programm übernommen hat, weil sie darauf hofft, die Unterstützung wichtiger Teile der Wirtschaft zurückzugewinnen. Sie hat Latham unterstützt, weil sie das als die beste Methode ansieht, ein zutiefst unpopuläres Programm einer feindlichen und entfremdeten Wählerschaft zu verkaufen. Obwohl das Abstimmungsergebnis recht knapp war, haben führende Mitglieder aller Labor-Fraktionen Latham aktiv unterstützt, sogar die Mitglieder der diversen Untergruppen der ehemaligen "Linken".

Den Linken zugerechnete Abgeordnete erhoben nicht einmal formalen Protest gegen Lathams marktwirtschaftliche Politik, sie begrüßten sie vielmehr überschwänglich. Sie boten keine personelle Alternative an, sondern sammelten sich entweder hinter Latham oder hinter Beazley, der auch ein ausgewiesener Rechter ist. Ihre politische Kapitulation vor diesem rechten Programm ist der sicherste Beweis für die völlige Erschöpfung und den Zusammenbruch jeder sozialreformistischen Perspektive.

Latham fasste seine Auffassung von Marktwirtschaftsindividualismus in seiner Rede nach dem Wahlsieg so zusammen: "Ich glaube an eine nach oben offene Gesellschaft, in der die Leute Aufstiegschancen und die Möglichkeit haben, für sich und ihre Familien ein besseres Leben zu erringen. Ich glaube an harte Arbeit. Ich glaube, dass sich Leistung lohen muss."

Unter dem Deckmantel von Chancengleichheit wendet sich Latham gegen die Vorstellung, die Gesellschaft habe die Verantwortung, soziale Grundbedürfnisse besonders ihrer schwächsten und verwundbarsten Glieder zu befriedigen. Noch bestehende soziale Einrichtungen sollen privatisiert und den Marktkräften überantwortet, der Einzelne sich selbst überlassen werden. Das Ganze ist eine fadenscheinige Rechtfertigung für die Vertiefung der gesellschaftlichen Kluft zwischen denen, die über Reichtum verfügen, oder es schaffen, ihn mit den rücksichtslosesten Methoden zu erwerben, und dem Rest der Gesellschaft, dem vorgeworfen und der sogar dafür beschimpft wird, "die Aufstiegschancen" nicht genutzt zu haben.

Die Massenmedien und Latham stellten seine Wahl als "Generationenwechsel" dar. Aber der wesentliche Unterschied zwischen Latham und Beazley war wohl kaum ihr Alter - der eine ist 42, der andere 54. Lathams Sieg markiert eine scharfe politische Wende. Tonangebende Medien feierten ihn als Schritt, der das ganze politischen Spektrum weiter nach rechts rückt.

Der Herausgeber des Australian, Paul Kelly, drückte es am direktesten aus: "Mark Latham besitzt die Fähigkeit, eine Neuausrichtung der australischen Politik zu erzwingen, die sich gründlich von dem Anti-Howard-Gehabe unterscheidet, auf das sich Labor seit 1996 konzentriert hat." Ein Leitartikel der Australian Financial Review brachte "zwei Toasts" auf die Labor-Fraktion aus und nannte ihre Wahl die "kühnste Entscheidung", die Labor seit 1996 getroffen habe. Sie eröffne die Aussicht auf "eine neue Welle von wettbewerbsfördernden Wirtschaftsreformen".

Der Leitartikel des Australian applaudierte Labor für die Wahl eines Politikers, der "nicht der Sklave von Meinungsumfragen sein und nicht davor zurückschrecken wird, Labor-Anhänger - einschließlich Parteimitglieder und Gewerkschaftsführer - vor den Kopf zu stoßen". Gleichzeitig erteilte er Latham eindeutige Anweisungen. Um die Unterstützung der Zeitung zu erhalten, müsse er mit der Howard-Regierung bei der Durchsetzung des Abbaus der öffentlichen Gesundheitsversorgung, der Hochschulbildung und des Sozialstaats zusammenarbeiten.

Diese Kommentare zeigen eine wachsende Ungeduld darüber, dass der Prozess der Deregulierung und Restrukturierung, der 1983 unter Hawke und Keating begonnen wurde, unter Howard ins Stocken geraten ist. Howard kam an die Regierung, als sich nach dreizehn Jahren wirtschaftlicher Deregulierung, Privatisierung, sinkender Löhne und sich verschlechternder sozialer Bedingungen die Stimmung massiv gegen die Labor Party richtete. Er setzte 1996 in seinem ersten Haushalt die tiefen Einschnitte bei den Sozialprogrammen fort. Zwei Jahre später setzte er die stark regressive Mehrwertsteuer (GST) durch, mit der der größte Teil der Steuerlast auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt wurde.

Aber gegen die wachsende Opposition der Bevölkerung und wegen Differenzen in seiner Koalitionsregierung war er bisher nicht in Lage, auch nur eines der großen Projekte durchzusetzen, die auf der Wunschliste der Wirtschaft stehen: die völlige Streichung von Sozialprogrammen, die volle Privatisierung von Telstra, die Beseitigung aller Barrieren gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und gegen Entlassungen, sowie die Deregulierung der Medien.

Nachdem er anfänglich schon vor dem Scheitern gestanden hatte, gewann Howard 2001 die Wahlen, indem er die Angst vor Flüchtlingen und anschließend vor dem "Terrorismus" anheizte, um von der Verschlechterung der sozialen Lage abzulenken. Angesichts einer ständig wachsenden Opposition haben sich er und seine Minister seitdem immer wieder auf diese Taktik gestützt

Neue Lügen, Ablenkungen und Manöver werden benötigt, um die nächste Welle von "Wirtschaftsreformen" durchzusetzen. Für diese Rolle wird Latham aufgebaut.

Wie Latham aufgebaut wurde

Nachdem die Keating-Regierung 1996 mit dem schlechtesten Wahlergebnis der Labor Party in deren Geschichte aus dem Amt gejagt worden war, hatte Beazley versucht, sich von der unverhüllten Politik der freien Marktwirtschaft zu distanzieren, die die Labor-Regierung verfolgt hatte. Die Labor-Strategen kamen zu dem Schluss, dass sie den Mythos von Labor als einer Partei, die "sich um die Sorgen der kleinen Leute kümmert", wiederbeleben müssten, um die Unterstützung der Arbeiterklasse zurückzugewinnen. Im Wahlkampf 1998 tat Beazley, ein langjähriges prominentes Kabinettsmitglied, als ob er aus Fehlern gelernt hätte. Er sprach so viele soziale Themen an, wie er nur konnte - ohne sich auf konkrete Lösungen festzulegen.

Latham betonte demgegenüber die Notwendigkeit, Keatings Politik der wirtschaftlichen Vernunft weiterzuentwickeln. Er strebte eine noch marktwirtschaftlicheres Programm an, das von der "Selbstverantwortung" bei Bildung, Gesundheit und Arbeitsmarkt ausging und von Sozialhilfeempfängern verlangte, bereits erhaltene Leistungen zurückzuzahlen - oder dafür zu arbeiten.

Vor der Wahl von 1998 veröffentlichte er das Buch Civilising Global Capital, in dem er darauf bestand, Labor nach dem Vorbild von Blairs "New Labour" in Großbritannien umzumodeln. Die Forderungen der globalen Kapitalmärkte nach dem Abbau aller sozialen Zugeständnisse der Vergangenheit an die Arbeiterklasse müssten erfüllt werden, aber irgendwie trotzdem der Anschein einer Politik der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit aufrechterhalten werden.

Er schlug zum Beispiel vor, armen Familien die Sozialhilfe zu kürzen, wenn sie "ihre Verantwortung als Erzieher zuhause" nicht wahrnähmen. Latham lehnte die Vorstellung ab, dass chronisch unterfinanzierte Schulen eine Quelle sozialer Ungleichheit seien. "Bildungsdefizite können nicht einfach durch bessere Schulen für die Armen beseitigt werden", schrieb er.

Beazley kritisierte Lathams Vorschlag, die Selbstfinanzierung der höheren Bildung einzuführen - ein Schritt zur Ausweitung des Bildungsgutscheinsystems - weil er die Proteste von Eltern, Studenten und Akademikern fürchtete. Als Labor die Wahl verloren hatte, weigerte sich Latham, in Beazleys Schattenkabinett einzutreten - eine Entscheidung, für die die Medien ihn lobten - und blieb bis nach den Wahlen von 2001 ein Hinterbänkler. In dieser Zeit selbst gewählten Exils aus der Labor-Führung schrieb Latham regelmäßig Beiträge für Murdoch-Zeitungen und die Australian Financial Review unter Titeln wie "Die Armen brauchen den Kapitalismus" und "Labor muss seine Linke los werden".

Bei den Wahlen 2001 kalkulierte Beazley, dass die Feindschaft gegenüber der Howard-Regierung ausreichen werde, um Labor wieder an die Regierung zu bringen. Sein Programm war buchstäblich nicht von dem Howards zu unterscheiden. Als Howard dazu überging, gegen Asylbewerber zu hetzen und den "Krieg gegen den Terror" zu propagieren, stellte sich Beazley voll hinter ihn. Diese parteiübergreifenden Positionen erlaubten es Howard, genügend Wahlunterstützung zurückzugewinnen, um zum dritten Mal die Regierung bilden zu können.

Nach seiner Niederlage wurde Beazley durch Crean ersetzt, der die Notwendigkeit verkündete, eine programmatische Alternativen anzubieten. Aber auch sein Programm unterschied sich nur geringfügig von dem Howards. Selbst Labors Pose, die Steuerpläne der Howard-Regierung zu bekämpfen, wurde fallengelassen.

Wieder in Creans Schattenkabinett, begann Latham sich als "Rowdy" aufzuführen - indem er sich als lautstarker Gegner des politischen, Medien- und Wirtschaftsestablishments gab. Das war ein plumper Versuch, Unterstützung für Labor in der Arbeiterklasse zurückzugewinnen. Anfang des Jahres beschimpfte er während der Massenproteste gegen den Irakkrieg George W. Bush als den "inkompetentesten und gefährlichsten Präsidenten seit Menschengedenken" und nannte den Ministerpräsidenten John Howard einen "Arschkriecher", weil er sich der Invasion angeschlossen hatte.

Diese Woche legte Latham Wert darauf zu betonen, dass er nicht das Militärbündnis mit den USA habe in Frage stellen wollen. Auf seiner Pressekonferenz bekräftigte er seine Unterstützung für den Krieg gegen den Terror, seine lebenslange Verpflichtung auf das Bündnis mit Amerika und seinen Wunsch nach "sehr sehr guten Beziehungen" zu Washington. In gewissem Grade vertritt Latham die Position jener Teile der australischen Bourgeoisie, die Vorbehalte gegen die enge Bindung der Howard-Regierung an die Bush-Administration haben, weil das möglicherweise ihre lukrativen Operationen in Asien gefährden könnte.

Vor allem aber war Lathams Rhetorik ein Versuch, dem Labor-Kadaver neues Leben einzuhauchen. In einer Redensammlung, die er im Juni unter dem Titel "Aus den Vorstädten: der Aufbaue einer Nation aus den Wohnvierteln heraus" veröffentlichte, erklärte er, warum das für die "Revitalisierung Labors" unverzichtbar sei: "Wir müssen gegen das Establishment sein. Die Benachteiligten wollen, dass wir an den Bäumen schütteln und für sie am Käfig rütteln. Sie wollen uns weniger respektabel und weniger orthodox."

Kaum wurde Latham im August zum Schattenfinanzminister berufen, machte er sich daran, seine Beziehungen zur Wirtschaftselite als Vertreter einer neuen Welle Keating'scher "Wirtschaftsreformen" wieder fester zu knüpfen. Einer seiner Vorschläge, den er sich von der Blair-Regierung ausgeborgt hatte, sieht vor, jedem neugeborenen Kind ein Investmentkonto zuzuteilen, das mit 18 Jahren fällig werden soll, um "eine Gesellschaft von Besitzern und nicht nur von Arbeitern" zu schaffen. Lathams Konstruktion würde die Tendenz zur Privatisierung von Bildung und anderen wichtigen Dienstleistungen beschleunigen und letztlich von den Familien und ihren Kindern verlangen, für sich selbst zu sorgen (oder zu sehen, wie sie zurecht kommen).

Er griff die Howard-Regierung in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen von rechts an und beschuldigte sie, eine extravagante und verschwenderische Regierung zu sein, die Milliarden Dollar vergeudet habe. Es war kein Zufall, dass Keating Lathams Sieg als einen "Neuanfang" begrüßte. So wie Keating die wirtschaftliche Deregulierung durchgesetzt hatte, die die vorhergehende Fraser-Regierung von 1976-83 nicht geschafft hatte, so hofft Latham auf die Unterstützung der Wirtschaftselite, indem er eine unternehmerfreundlichere Wirtschaftspolitik verspricht, als die Howard-Regierung sie zustande bringt.

Latham sucht eine Basis für einen erneuten Angriff auf den Sozialstaat, indem er an die verwirrtesten und rückständigsten Schichten unter den Arbeitern, sowie an besser gestellte Elemente appelliert. Er ist einer Meinung mit Howard, wenn es um die Verteufelung von Flüchtlingen geht. In der Vergangenheit hat er Mitglieder der Labor Party, die gefordert haben, das automatische Einsperren von Flüchtlingen weniger strikt zu handhaben, als eine "verknöcherte linke Gruppe" angeprangert und sie als "Weicheier" beschimpft.

Latham nützt seine Kindheit in der Green Valley Siedlung in einem der Arbeiterviertel im Westen Sydneys zynisch aus, um sich selbst als Musterexemplar für seine Vorstellung einer "Aufsteigergesellschaft" hinzustellen. In Wirklichkeit ist er ein gieriger, eigensüchtiger politischer Trickser, der von früher Jugend an in der Labor Party die bürokratische Karriereleiter hochstieg und Zeit seines Erwachsenenlebens hauptamtlicher Parteifunktionär war.

Zu den Mythen, die er über sich streut, gehört, dass er zu einer neuen Generation "ambitionierter" Wähler gehöre. Aber was für Ambitionen meint er? Alle abhängig Beschäftigten haben Hoffnungen und Träume: ein anständiger Lebensstandard, gut bezahlte und sichere Beschäftigung, gute Gesundheitsversorgung, Ausbildung und Sozialleistungen und eine bessere, friedliche Zukunft für ihre Kinder. Diese gesellschaftlichen Ambitionen können nur durch eine kollektive Neuorganisation des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens realisiert werden, die es von dem Zwang befreit, für Profit produzieren zu müssen.

Lathams gesellschaftspolitische Rezepte haben genau die entgegengesetzte Stoßrichtung: die Schaffung von Instrumenten, mit denen Arbeiter gegeneinander ausgespielt werden können, und die Durchsetzung immer größerer sozialer Ungleichheit. Vor einigen Wochen griff er eines der Lieblingsthemen von Murdoch auf und forderte die Senkung der Steuer auf höhere Einkommen - für Einkommen bis zu 80.000 Dollar im Jahr.

Lathams Wahl ist das Ergebnis eines langen politischen Prozesses. Schon 1983 hat Labor sein früheres sozialreformistisches Programm in der Praxis aufgegeben. Mit Latham hat Labor nun offen und unmissverständlich das Programm der ungezügelten freien Marktwirtschaft übernommen, um den Ansprüchen des globalen Kapitals Genüge zu tun, was unvermeidlich zu einer weiteren Verschärfung der gesellschaftlichen Polarisierung führen wird.

Siehe auch:
Gefängnisstrafe für Führer von One Nation schafft undemokratischen Präzedenzfall
(11. September 2003)
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