Nach der amerikanischen Invasion im Irak bemühen sich die europäischen Staatsoberhäupter auf politischer Ebene aktiv um eine Versöhnung mit der Bush-Regierung. Eine Stellungnahme der Europäischen Union (EU), die anlässlich ihres Athener Gipfeltreffens am 17. April herausgegeben wurde, legitimiert effektiv Washingtons Krieg.
Die EU-Resolution verliert kein Wort darüber, dass der Krieg ohne das Mandat der Vereinten Nationen (UN) und somit unter Bruch des Völkerrechts geführt wurde. Ebenso wenig erwähnt sie die Tausenden Opfer unter der Zivilbevölkerung sowie die Toten und Verletzen, die geächteten Waffen wie Streubomben zum Opfer fielen. Weiterhin findet sich in der Resolution kein Hinweis darauf, dass die amerikanischen Besatzungstruppen nach dem Zusammenbruch des baathistischen Regimes weder die Bevölkerung vor Plünderern und anderen kriminellen Elementen geschützt, noch die Zerstörung irakischer Kulturschätze von Weltbedeutung in den nationalen Museen und Bibliotheken verhindert haben.
Tatsächlich findet sich in der Resolution kein Wort der Kritik am Verhalten der Vereinigten Staaten nach dem Krieg, obwohl es Vorfälle gab, wo amerikanische Soldaten das Feuer auf Gruppen von unbewaffneten Zivilisten eröffneten, und derzeit gerade die Einsetzung einer Art Kolonialregime unter dem amerikanischen General Tommy Franks und dem Ex-General Jay Garner vorbereitet wird.
Statt dessen akzeptiert die EU, dass der Irak in der unmittelbaren Nachkriegsperiode von "Koalitionskräften", d.h. den Vereinigten Staaten mit britischer Unterstützung, regiert werden müsse. Sie sollen die Verantwortung für "eine sichere Umgebung" übernehmen, vermutlich indem sie jeden erschießen, der gegen die Besetzung des Iraks ist. Die EU stellt die absurde Behauptung auf, dass dies in Übereinstimmung mit dem Ziel stehe, "dem irakischen Volk" die Möglichkeit zu geben "selbst die neue Zukunft ihres Landes zu gestalten".
Die größte Sorge der europäischen Mächte besteht darin, die Vereinten Nationen wieder ins Spiel zu bringen, um auf diesem Wege ihren eigenen ökonomischen und geopolitischen Interessen im Mittleren Osten Geltung zu verleihen. Ein Großteil der Diskussion über die Resolution bestand in einem Tauziehen zwischen Großbritannien und Frankreich um die Frage, ob die Rolle der UN als "wichtig" oder "zentral" beschrieben werden sollte. Der britische Premierminister Tony Blair bevorzugte "wichtig", während der französische Präsident Jacques Chirac auf die Formulierung "zentral" bestand. Chirac setzte sich durch, aber ein britischer Sprecher wies darauf hin, dass die Resolution für die UN eine zentrale Rolle und nicht die zentrale Rolle vorschlägt.
Die EU akzeptierte, dass die "zentrale" Rolle der UN zunächst lediglich darin bestehen wird, humanitäre Hilfe zu leisten. Nur mit der Zustimmung der Bush-Regierung kann ihre Rolle ausgedehnt werden, um ihre "einzigartige Fähigkeit und Erfahrung beim Wiederaufbau von Nationen nach Konflikten" zum Tragen kommen zu lassen.
Die Resolution wurde in Zusammenarbeit mit dem UN-Generalsekretär Kofi Annan verabschiedet.
Dass Chirac sich bei der Begriffswahl durchsetzte, bedeutet nur einen Pyrrhussieg. Keiner der europäischen Führer zweifelt daran, dass die Bush-Regierung vorhat, den Irak in ein amerikanisches Protektorat zu verwandeln, und sich gegen jeden Versuch wenden wird, das Land unter die Kontrolle der Vereinten Nationen zu stellen.
Großbritannien, Italien und Spanien haben bislang den amerikanischen Kriegskurs und Washingtons koloniale Ziele im Irak unterstützt und damit die Hoffnung verbunden, dass sie im Gegenzug einen Anteil der Kriegsbeute erhalten. Nun rücken Frankreich und Deutschland von ihrer früheren taktischen Opposition gegen den Krieg ab. Sie hoffen hierdurch ihre angeschlagene Position gegenüber den Vereinigten Staaten zu festigen, die kriegslüsternsten und antieuropäischen Stimmen in der Bush-Regierung zu besänftigen und ihre eigenen Wirtschaftsinteressen im ölreichen Irak zu schützen.
Bereits vor dem Gipfel hatten sich Paris, Berlin und Moskau größte Mühe gegeben, eine Annäherung an Washington zu erreichen. Sobald der militärische Sieg festzustehen schien, begannen verzweifelte Versuche, die Brücken zu den Vereinigten Staaten wieder aufzubauen. Der deutsche Kanzler Gerhard Schröder traf sich auf dem Weg zum Gipfel mit Blair, um dadurch in Dialog mit Bush zu gelangen, während Chirac den amerikanischen Präsidenten zum ersten Mal nach sechs Wochen anrief und dabei versprach, in allen Fragen hinsichtlich des Iraks "pragmatisch und von Fall zu Fall zu handeln".
Die Unterwürfigkeit der europäischen Mächte vor der Kriegskamarilla in Washington wird die Ansprüche des amerikanischen Imperialismus auf Welthegemonie nur noch weiter beflügeln. Die Bush-Regierung stößt bereits Drohungen gegenüber Syrien aus, die die Möglichkeit eines militärischen Angriffs einschließen.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Frankreich, Deutschland und Russland bei all ihren Anbiederungsversuchen kurz abgefertigt werden. Die führenden Kriegstreiber in der Bush-Regierung genießen die Demütigung Europas und stellen sich gegen jedes Zugeständnis an Rivalen der USA. In den vergangenen Tagen haben der stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und der amerikanische Finanzminister John Snow gesagt, dass die wesentlich Rolle, die Frankreich, Deutschland und Russland bei der Sicherung der Zukunft des Iraks spielen können, im Erlassen der irakischen Schulden in Höhe von mehreren Milliarden Dollar besteht. Angesichts der Tatsache, dass die irakischen Öleinkünfte genutzt werden, um die Kriegskosten zu decken, würde dies einer indirekten Zahlung Europas an Amerika gleichkommen.
Die Verachtung, die man für Europa hegt, zeigte sich exemplarisch in einem Artikel, der am 14. April in der Washington Post erschien. In ihm wird erklärt, die Vereinten Nationen könnten "eingeladen werden, bei bestimmten kurzfristigen Hilfsmaßnahmen und Aufgaben der Zivilverwaltung zu helfen". Weiter heißt es darin, der Grund für die Aufnahme Frankreichs als ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat sei 1945 eine "Psychotherapie für eine Krise des Selbstwertgefühls, ausgelöst durch schlechtes Verhalten", gewesen.
Der Artikel fährt fort: "Frankreich, Deutschland, Russland und die Vereinten Nationen verfügen über keine Grundlage, um Forderungen zu stellen. Sie taten alles in ihrer Macht stehende, um Saddam Hussein an der Macht zu halten, wodurch sie eine Mitschuld an Tyrannei und Kriegsverbrechen tragen."
Indem die bürgerlichen Regierungen in Europa jetzt im Nachhinein den illegalen und räuberischen Krieg der Vereinigten Staaten rechtfertigen, erfüllen sie der Bush-Regierung einen wichtigen Dienst, denn diese braucht kaum etwas so dringend wie internationale Glaubwürdigkeit. Die europäischen Regierungen sind sich über die weit verbreitete Antikriegsstimmung in ihren eigenen Ländern und auf der ganzen Welt, auch in den Vereinigten Staaten, sehr wohl im Klaren. Wenn sie nun zu verstehen geben, dass die Eroberung des Iraks gerechtfertigt war, weil das Regime von Saddam Hussein gestürzt wurde, und dass Demokratie und Fortschritt durch Angriffskrieg und militärische Besatzung unter der Schirmherrschaft des amerikanischen Imperialismus erreicht werden können, so säen sie Verwirrung und helfen Washington, die öffentliche Meinung - vor allem in den Vereinigten Staaten selbst - zu bestimmen und weitere, noch brutalere militärische Abenteuer vorzubereiten.
Die Bush-Regierung steht einer wachsenden Krise im Innern gegenüber, was der Presse bereits Anlass zu Spekulationen gegeben hat, ob Bush in die Fußstapfen seines Vaters treten und die nächsten Präsidentschaftswahlen trotz gewonnenem Krieg verlieren wird. Das Weiße Haus versucht, unpopuläre Sparmaßnahmen in gesellschaftlich zentralen Bereichen zu einem Zeitpunkt durchzusetzen, wo die Wirtschaft in ernsthaften Schwierigkeiten steckt und viele amerikanische Bundesstaaten effektiv bankrott sind. Gleichzeitig verfolgt die Regierung eine Kriegspolitik, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht unterstützt wird.
Der EU-Gipfel in Athen unterstreicht die politischen Gefahren, die der Position jener Tendenzen in der Antikriegsbewegung innewohnen, die Deutschland, Frankreich oder Russland als Gegengewicht zum amerikanischen Militarismus betrachten. Chirac, Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin vertreten auf politischer Ebene ihre eigene Bourgeoisie und sind nicht in der Lage, sich dem Kriegsstreben ernsthaft entgegenzustellen. Im Wesentlichen weigerten sich diese Regierungen die amerikanischen Kriegspläne gutzuheißen, weil sie ihre eigenen Interessen in der Region bedroht sahen und weil der amerikanische Militarismus und Unilateralismus den globalen Interessen der europäischen Mächte zuwiderläuft.
Sie sind innerhalb bestimmter Grenzen bereit, die Antikriegsstimmung in der Bevölkerung zu benutzen, um ein Druckmittel gegen Washington zu haben. Aber sie waren durchgehend feindlich gegenüber dem ersten Ausdruck einer antiimperialistischen Bewegung von globalem Ausmaß, weil sie fürchten, dass diese ihrer Kontrolle entgleiten und ihre eigenen vitalen Interessen gefährden kann.
Die Antikriegsstimmung in der Bevölkerung bleibt bestehen. Der Athener Gipfel wurde von Tausenden Demonstranten belagert, die auch die britische Botschaft und die Luftfahrtgesellschaft British Airways angriffen.
Das Kriegsstreben entspringt nicht nur den subjektiven Intentionen der rechten Kriegskamarilla, die in den Vereinigten Staaten an der Macht ist. Seine Wurzeln liegen in der Krise des globalen Kapitalismus, die ihren explosivsten und übelsten Ausdruck in der sozialen und politischen Krise des amerikanischen Kapitalismus findet.
Gegenwärtig genießen die Vereinigten Staaten einen massiven militärischen Vorteil gegenüber ihren europäischen Rivalen, was nicht zuletzt auch auf die derzeitigen Beschwichtigungsversuche gegenüber Washington zurückzuführen ist. Dies wird jedoch nur ein Ansporn sein für die laufenden Bestrebungen, Europa in eine Militärmacht zu verwandeln, die es mit den Vereinigten Staaten aufnehmen kann - eine Politik, die nur auf der Grundlage eines umfassenden Angriffs auf den Lebensstandard und die demokratischen Rechte der europäischen Arbeiterklasse durchgeführt werden kann.
Vor dem Athener Gipfel trafen sich Frankreich, Deutschland und Russland in St. Petersburg, um eine gemeinsame Strategie zu diskutieren, und das Europäische Parlament stimmte für den Aufbau der europäischen Streitkräfte durch eine gemeinsame Verteidigungs- und Rüstungspolitik. Belgien hat mit französischer und deutscher Unterstützung ein Gipfeltreffen zur europäischen Verteidigung für den 29. April angesetzt.
Daher hat die herrschende Klasse in Europa auch mit ihren Versuchen, eine von Washington unabhängige Position zu entwickeln, nichts weiter zu bieten als eine alternative Form des Militarismus, der den Schrecken eines neuen Wettrüstens und die Gefahr eines dritten Weltkriegs mit sich bringt.