Drei Filme, die das Thema Faschismus behandeln: Der Stellvertreter von Constantin Costa-Gavras, Taking Sides von Istvan Szabó und Der Passierschein von Bertrand Tavernier.
Der Stellvertreter
Der in Griechenland geborene Constantin Costa-Gavras (69) dreht bereits seit Anfang der 1960-er Jahre Filme. Aufgrund der politischen Zugehörigkeit seines Vaters (er war staatlicher Funktionär und Mitglied der Kommunistischen Partei Griechenlands) konnte der junge Constantin sein Vorhaben, in Amerika Film zu studieren, nicht in die Tat umsetzen. Costa-Gavras begann Filme zu machen, als er in Paris lebte, und wurde von den politischen Umbrüchen der Zeit radikalisiert. Er drehte eine Reihe von Filmen, die sich mit verschiedenen Formen von politischer Unterdrückung auseinandersetzen.
Sein 1968 fertig gestellter Film Z war eine vernichtende Anklage der Militärjunta in Griechenland. Sein Film Das Geständnis (1969), der auf der Geschichte des Prozesses gegen das loyale Mitglied der Kommunistischen Partei Arthur London im Jahre 1951 beruht, ist einer der besten Filme, die sich mit der stalinistischen Unterdrückung in der Nachkriegszeit auseinandersetzen. Vermisst (1981) beschäftigte sich mit der Rolle der amerikanischen Regierung und ihrer Geheimdienste bei der Errichtung der Pinochet-Diktatur in Chile. Sein Film Music Box - Die ganze Wahrheit (1989) handelt von dem erschütternden Fund einer Tochter, die von der Beteiligung ihres Vaters an den Gräueltaten der Nazis erfährt.
Costa-Gavras wendet sich mit seinem neuesten Film wieder der Frage des Faschismus zu. Der Stellvertreter ist an das gleichnamige Theaterstück des deutschen Schriftstellers und Dramatikers Rolf Hochhuth angelehnt, das von Erwin Piscator 1963 inszeniert und zum ersten Mal aufgeführt wurde. Das Stück handelt davon, wie die Katholische Kirche im Zweiten Weltkrieg das Leid der Juden ignorierte, und seine Aufführung hat immer wieder zu empörten Reaktionen von Seiten der Kirche und des konservativen Establishments geführt. Nach der Premiere des Stücks im Jahre 1963 beschäftigte sich das deutsche Parlament mit Fragen und Kritik, die es hervorgerufen hatte. Nach seiner ersten Aufführung in Basel demonstrierten 4.000 Leute mit einem Fackelzug gegen das Stück.
Costa-Gavras‘ Film wurde bereits auf ähnliche Weise verdammt. Derzeit läuft in Frankreich eine Kampagne, um das Filmplakat zu verbieten, auf dem ein mit dem Hakenkreuz verschlungenes Kruzifix zu sehen sind. Auf einer Pressekonferenz in Berlin, wo das Theaterstück gerade vom Berliner Ensemble aufgeführt wird, war Costa-Gavras mit einem Radiojournalisten aus dem Vatikan konfrontiert, der ihn wegen seiner Darstellung der Katholischen Kirche in Der Stellvertreter angriff. Auf der gleichen Pressekonferenz wies Hochhuth darauf hin, dass die Filmrechte an seinem Stück bereits seit 38 Jahren zu haben sind, aber erst jetzt ein Regisseur, und zwar kein deutscher, den Mut gefunden habe, den Film zu drehen. Die kürzlich erfolgte Ankündigung von Papst Johannes Paul II, im Jahre 2003 einen Teil der geheimen Vatikanarchive freizugeben, die die Reaktion der Kirche auf die Nazis betreffen, muss zumindest teilweise dem Einfluss und der Wirkung von Hochhuths Theaterstück zugeschrieben werden.
Die Geschichte konzentriert sich auf die reale Figur des Mediziners und Ingenieurs Kurt Gerstein, der zum Leiter des Instituts für Rassenhygiene ernannt wurde und später für die Lieferung des tödlichen Gases Zyklon B an die Konzentrationslager der Nazis verantwortlich war. Der Film setzt 1936 ein und beginnt mit Gersteins erschrockener Reaktion auf die ersten Versuche der Nazis, geistig behinderte Menschen mit Hilfe von Gas umzubringen. Als die Vernichtungspolitik bekannt wird und es zu Protesten kommt, sind die Nazis gezwungen, vorerst einen Schritt zurück zu machen und die Tötungen eine Zeit lang auszusetzen.
Mit Ausbruch des Krieges wird der christlich engagierte Gerstein zum Leiter des "Hygieneprogramms" der Nazis ernannt. Gerstein ist davon überzeugt, dass seine Aufgabe darin besteht, die Hygiene und Gesundheit der deutschen Truppen an der Front zu gewährleisten. Als er zu der Handvoll von SS-Führern hinzugezogen wird, die die Massenvernichtung der Juden organisieren, ist Gerstein abgestoßen von dem, was er sieht. Im Einklang mit seinen christlichen Überzeugungen wendet er sich an die Kirche und appelliert an sie, die systematische Auslöschung der Juden bekannt zu machen und gegen sie zu protestieren. Gerstein und sein einziger Verbündeter in Berlin, der junge Gesandte des Vatikans Ricardo, treffen auf eine Mauer von Verstocktheit und Widerstand, als sie versuchen, die Katholische Kirche dazu zu bewegen, die Verfolgung der Juden zu verurteilen.
Während das Pontifikat Ausflüchte macht, werden wir Zeuge, wie Juden in Viehwaggons in die Konzentrationslager in Osteuropa transportiert werden. Dann sehen wir die Waggons wieder leer durch das Land donnern, um neue Opfer aufzunehmen. Im starken Kontrast zu der Trostlosigkeit des Lagers, aus dessen Schornsteinen dicker Rauch steigt, zeigt Costa-Gavras die Paläste des Vatikans mit all ihrem Luxus und ihren herrlichen Gärten. Der Vatikan, erfahren wir, hat den besten Geheimdienst der Welt. Daraus folgt, dass der Papst über das Leid der Juden genau Bescheid weiß, schon bevor Ricardo und Gerstein sich an ihn wenden. Papst Pius XII verachtet Hitler, aber er betrachtet den Vorstoß der Nazis nach Osten als einzigen Weg, um den Kommunismus einzudämmen.
In der letzten Filmszene ist der Krieg zu Ende. Wir sehen einen Flüchtling von hinten, der einen Abgesandten des Vatikans um Unterstützung bittet. Es ist der direkte Vorgesetzte von Gerstein, der bereitwillig und wissentlich die Massenvernichtung der Juden organisiert hat. Der päpstliche Gesandte ist einverstanden, ihm bei seiner Reise nach Südamerika zu helfen. Nachdem der Holocaust mit Schweigen übergangen worden war, organisierte der Vatikan dann am Ende des Krieges die Flucht vieler hoher Naziführer ins Exil.
Hochhuth räumt heute ein, dass sein Stück von 1963 zu großzügig gegenüber Papst Pius XII war. Weitere Forschung, vor allem das Buch des englischen Autors John Cornwall (der selbst Katholik ist) hat ergeben, dass Pius XII Antisemit war. Hochhuths Stück bleibt wegen seiner Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Kirche und Faschismus weiterhin eines der wichtigsten Theaterstücke der Nachkriegszeit und Costa-Gavras ist bei seiner Verfilmung der Vorlage treu geblieben.
Ein Problem des Films, das auch schon im Theaterstück zu finden ist, besteht darin, dass es schwer ist, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren. Gerstein (gespielt vor dem hervorragenden deutschen Schauspieler Ulrich Tukur) ist ein engagierter Christ und Mitglied der herrschenden Elite. Unter den gegebenen Bedingungen muss er vorsichtig sein, zu wem er was sagt, und sein Protest gegen das Verhalten der Nazis spielt sich größtenteils in seinem Inneren ab. Er spricht noch nicht einmal mit seiner Frau über den Konflikt mit seinen Vorgesetzten und seine Gewissensbisse drücken sich vorwiegend über die gequält verzogene Stirn aus. Gleichzeitig führt uns der Film in einer schnellen Reise durch die Vorbereitungen und die Politik der Nazis, die zur Schaffung der Konzentrations- und Vernichtungslagern führen. Diese werden mit der Trödelei und Zeitschinderei kontrastiert, die im Vatikan stattfindet. Viele Informationen sind aufzunehmen. Es ist allerdings zu hoffen, dass Der Stellvertreter ein großes Publikum findet. Wie Costa-Gavras auf der Pressekonferenz bemerkte, betrachtet er seinen Film nicht als ein geschichtliches Werk, das in keiner Verbindung zur Gegenwart steht. Er versteht es vielmehr als einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion in einer Zeit, in der neofaschistische Parteien wieder an Stärke gewinnen.
Taking Sides
Mit seinem neuen Film Taking Sides kehrt der in Ungarn geborene Regisseur Istvan Szabó zu einem Thema zurück, das er schon vorher in seinen Filmen behandelt hat - den Konflikt und das Schicksal des Künstlers, der seine Kunst der faschistischen Diktatur unterordnet. In Mephisto (1980) beschäftigte sich Szabó mit dem deutschen Schauspieler Gustav Gründgens, der sein Talent dem Naziregime zur Verfügung stellte. In Hanussen (1988) porträtierte er den Zauberer und Wahrsager, der Hitlers Aufstieg zur Macht vorausgesagt hatte und schließlich von den Nazis umgebracht wurde. Mephisto, der auf dem gleichnamigen Roman von Klaus Mann basiert, bietet einen Einblick in den Opportunismus von Künstlern wie Gründgens. In Hanussen unterließ es Szabó deutlich herauszustellen, dass die Hauptfigur in seinem Film ein Scharlatan war. Statt dessen legt der Film Parallelen zwischen den hypnotischen Gaben von Hanussen auf der einen und Adolf Hitler auf der anderen Seite nahe und lässt damit die Möglichkeit offen, den Faschismus als ein in erster Linie psychologisches Problem zu interpretieren.
In seinem jüngsten Film beschäftigt sich Szabó mit Wilhelm Furtwängler, Hitlers Lieblingsdirigenten. Taking Sides basiert auf dem Theaterstück des südafrikanischen Autors Ronald Harwood, der auch das Drehbuch geschrieben hat.
Die Handlung spielt in Berlin am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die amerikanische Armee beginnt mit der Befragung prominenter Gestalten des Naziregimes, um festzustellen, ob sie an faschistischen Gräueltaten beteiligt waren. Der Offizier, der mit der Befragung Furtwänglers (wundervoll gespielt von Stellen Skarsgard) betraut ist, ist der bodenständige amerikanische Major Steve Arnold (Harvey Keitel). Im zivilen Leben hat Arnold gegen Versicherungsbetrüger ermittelt und weiß, dass jeder einen schwachen Punkt hat und dort zu packen ist, wenn man es nur richtig anstellt. Er hat von oben den Befehl bekommen, Furtwänglers Kollaboration mit den Nazis zu beweisen, und ist entschlossen, seinen Mann dranzukriegen. Arnold war Teil der Truppen, die die Todeslager der Nazis befreiten, und er erzählt Furtwängler später im Film, dass er die Leichen schon kilometerweit vorher riechen konnte. Gleichzeitig hat Arnold keine Zeit für Kunst und Kultur und bezeichnet den Leiter der Berliner Philharmonie ständig als "Bandmann".
An einer Stelle im Film sehen wir Szenen aus einem Trainingsvideo, das für amerikanische Soldaten wie Arnold gemacht wurde, die nach dem Krieg die Besatzung in Deutschland stellen. Das Video warnt vor jeder Form der Verbrüderung, deutet an, dass sich überall noch Naziagenten verstecken, und gibt zu verstehen, dass alle Deutschen gleichermaßen für die faschistische Diktatur verantwortlich sind. Arnolds Eifer, mit der Nazidiktatur abzurechnen, ist lobenswert, aber das Stück verweist immer auch auf die große Portion von Pragmatismus, die auf seiner Seite zu finden ist. Als er Beweise erhält, dass ein Mitglied von Furtwänglers Orchester Informant des nationalsozialistischen Geheimdienstes war, schüchtert Arnold den Mann ein und besticht ihn, damit er Furtwängler belastet. Die Doppelmoral, für die Arnold persönlich steht, war in weitaus größerem Maße von der amerikanischen Militärverwaltung und anderen Besatzungsmächten betrieben worden, die parallel zu den Nürnberger Kriegsverbrechertribunalen führende Mitglieder der Nazielite auswählten, die ihre Karrieren wiederaufnehmen und fortsetzen durften, wenn es den Westmächten von Nutzen schien.
Ein Großteil der Handlung spielt in Arnolds Büro. Die Stärke des Stückes und des Films besteht in der Gegenüberstellung von verschiedenen Argumenten, die im Laufe der Befragung Furtwänglers aufkommen und seine Schuld erst belegen, dann widerlegen. Arnold ist überzeugt, dass Furtwängler Mitglied der Nazipartei war, aber im Verlauf seiner Ermittlungen muss er zugeben, dass dies nicht der Fall ist. Es werden auch Beweise dafür vorgelegt, dass Furtwängler tatsächlich mehreren Juden zur Flucht vor der Verfolgung durch die Nazis verholfen hat. Obwohl Furtwängler der Lieblingsdirigent von Hitler war, hat er nie den Hitlergruß gezeigt.
Furtwänglers leidenschaftlichste Verteidigerin ist Arnolds eigene persönliche Sekretärin Emmi Straube. Die junge Frau hat selbst das Konzentrationslager überlebt, in das sie von den Faschisten gebracht wurde, weil ihr Vaters an einem Plan zur Ermordung Hitlers beteiligt war. Die Musik von Furtwängler, besonders seine Interpretation von Beethovens Neunter Symphonie, gab Emmi die geistige Stärke, die schrecklichen Entbehrungen und die emotionalen Anforderungen des Krieges zu überstehen. In einer weiteren Wendung enthüllt Emmi, dass ihr Vater in Wirklichkeit lange Zeit die Nazipolitik unterstützt hatte: "Mein Vater beteiligte sich erst an der Verschwörung, als er merkte, dass wir den Krieg nicht gewinnen konnten." Der Film erzählt auch von Karrierismus und besonders von Furtwänglers Rivalität mit dem jüngeren und aufstrebenden Dirigenten Herbert von Karajan, der Mitglied der NSDAP war.
Harwood und Szabó wollen zeigen, dass die Zuweisung von Schuld und Unschuld in einer Diktatur nicht immer leicht und unkompliziert ist. Ihr eigenes letztes Wort im Film scheint zu Gunsten von Furtwängler auszufallen. In der Schlussszene sehen wir Originalaufnahmen von einem Konzert, das Furtwängler vor einem Publikum aus Naziführern gegeben hat. Als das Konzert zu Ende ist, schreitet Hitler persönlich zum Dirigentenpult, um Furtwänglers Hand zu schütteln.
Wie üblich hält Furtwängler seinen Dirigentenstab in der rechten Hand, was es ihm möglich macht, den Hitlergruß nicht zu zeigen, aber nun streckt ihm Hitler seine Hand entgegen. Furtwängler ist gezwungen, sie zu schütteln, aber im nächsten Moment sehen wir, wie Furtwängler ein Taschentuch in die linke Hand nimmt, um sich den Schweiß des verachteten Führers von der Hand abzuwischen.
In seiner umfangreichen Furtwängler-Biografie The Devil‘s Music Master präsentiert Sam Shirakawa viele Beweise dafür, dass Furtwängler bestimmte Aspekte der Nazipolitik ablehnte. So schrieb Furtwängler beispielsweise 1933 einen offenen Brief an Goebbels, in dem er gegen Maßnahmen protestierte, die jüdische Künstler ins Exil gezwungen hatten - er erwähnt namentlich Bruno Walter, Otto Klemperer und Max Reinhardt. Er nahm auch Gefahren auf sich, um jüdische Mitglieder seines Orchesters zu schützen.
Die Führung der Nazis war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass Furtwängler kein verlässlicher Verbündeter war, aber, wie Goebbels in einer Diskussion feststellte: "Es ist mir egal, ob Furtwängler ein Nationalsozialist ist oder nicht. Von mir aus kann er uns so viel kritisieren, wie er will. Derzeit ist er den Ärger wert. Er ist vielleicht kein politischer Vertreter, aber er gibt uns eine Fassade." (Zitat aus dem Englischen übertragen)
Ein wesentlicher Aspekt zum Verständnis des Charakters und der Laufbahn Furtwänglers ist das Verständnis des Dirigenten von seiner eigenen Kunst. Er gehörte sicherlich nicht zu der Art von Künstlern wie Gründgens, der den Faschismus schamlos nutze, um seiner Karriere auf die Sprünge zu helfen und sein Vermögen zu vergrößern. Furtwängler war nicht interessiert am Faschismus als einem Mittel zum eigenen persönlichen Aufstieg und er lehnte Hitlers Angebot ab, ihm eine luxuriöse Wohnung zur Verfügung zu stellen. Aber in einem zentralen Punkt hat er große Ähnlichkeit mit Gründgens: Beide Männer glaubten, dass ihre jeweiligen Bereiche der Kunst in sich abgeschlossene Welten seien, die vor der gesellschaftlichen Realität geschützt und bewahrt werden müssten. Shirakawa schreibt über Furtwängler: "Er war überzeugt, dass die höchste und größte Musik eine Welt für sich ist und ein viel reichhaltigeres und unendlich befriedigenderes Universum zu bieten hat als die bloße Realität mit ihrer sklavischen Bindung an Zufall und Schicksal." (Seite 10)
Und in einer Diskussion im Jahre 1937 mit dem italienischen Dirigenten Arturo Toscanini (der ursprünglich Mussolini unterstützte und später einer seiner erbittertsten Gegner war) bemerkte Furtwängler: "Ich persönlich glaube, dass es für Musiker keine versklavten und freien Länder gibt. Menschen sind überall dort frei, wo Wagner und Beethoven gespielt werden, und wenn sie nicht vor vornherein frei sind, dann werden sie es, wenn sie diese Werke hören. Die Musik führt sie in Bereiche, in denen die Gestapo ihnen nichts anhaben kann." (Seite 217, Zitat aus dem Englischen übertragen]
Wenn von der Zusammenarbeit prominenter und talentierter Künstler mit faschistischen Diktaturen eines gelernt werden kann, dann ist dies, dass solch ein "puristisches" Verständnis der Kunst katastrophale Konsequenzen hat. Es erlaubt nicht nur die Manipulation des Künstlers durch die reaktionärsten Elemente, sondern es leugnet und verdreht auch die Rolle des gesellschaftlichen Lebens und der historischen Entwicklung in der Musik selbst. Die Aufführung von Beethovens Werken machte normalen Deutschen während des Zweiten Weltkriegs zweifellos Mut, aber Beethovens eigene Musik kann nicht wirklich verstanden und geschätzt werden ohne ein Verständnis der Rolle, die die revolutionären Ereignisse des späten 18. Jahrhunderts in seiner Kunst spielten. Die Verleugnung einer solchen Beziehung ist sicherlich ein Schlüssel zu Furtwänglers Anpassung an die Nazis. Diese Frage wird in Taking Sides kaum angesprochen, und dies schadet dem Film und seinem Anliegen.
Der Passierschein
Bertrand Tavernier hat sich in seinem neuen Film Der Passierschein ebenfalls dem Konflikt zwischen dem Künstler und der Diktatur zugewandt. Ort der Handlung ist Frankreich und Taverniers Charaktere sind Beschäftigte in der Filmindustrie, die unter dem faschistischen Vichy-Regime weiterhin Filme produzieren. Tavernier sieht seinen Film als Tribut an reale Persönlichkeiten, besonders an den Filmemacher Jean Devaivre, mit dem Tavernier lange zusammengearbeitet hat und der die Hauptperson in Der Passierschein ist. Ähnlich wie Taking Sides will Tavernier zeigen, dass Widerstand und Kollaboration mit der faschistischen Diktatur viele verschiedene Formen annahmen. Während viele Künstler, vor allem viele jüdische Künstler, zum Verlassen des Landes gezwungen waren, blieben andere zurück und versuchten ihren eigenen Weg und Mittel zu finden, um dem französischen Faschismus entgegenzutreten.
Der Passierschein konzentriert sich auf drei Individuen: den begabten Schriftsteller und Drehbuchautor Jean Aurenche, der alle Versuche der Faschisten ablehnt, ihn in ihre Filmindustrie zu integrieren; den Regisseur Jean Devaivre, der die angebotene Arbeit für die deutsche Filmgesellschaft Continental akzeptiert, aber gleichzeitig in seiner freien Zeit Sabotageakte gegen den deutsche Krieg ausführt; und den Regiegehilfen Jean-Paul Le Chinois, der Jude und Mitglied der Kommunistischen Partei ist und in der Filmindustrie arbeitet, um der Widerstandsbewegung zu helfen.
Travenier versucht mit Der Passierschein ein umfangreiches Bild zu zeichnen - es gibt im Film über hundert Rollen mit Sprechanteil und er umfasst die gesamte Kriegszeit. An verschiedenen Stellen im Film hat Tavernier Szenen eingefügt, in denen die Charaktere korrekt den bürgerlichen Widerstand gegen das Vichy-Regime kritisieren, der von De Gaulle aus seinem britischen Exil organisiert wurde. Auch die Politik der Kommunistischen Partei wird zu Recht kritisch hinterfragt. Kurz vor Ende des Krieges riskierte die KP das Leben ihrer Kader (wie das von Jean-Paul Le Chinois), als sie sie aufrief, ihre Tarnung aufzugeben und in den offenen, bewaffneten Widerstand gegen das Regime zu treten. Allerdings wird keine dieser Fragen wirklich gründlich erforscht.
Obwohl er am Anfang des Films eine prominente Rolle spielt, scheint der Charakter von Aurenche später beiseite gedrängt zu werden, um Platz zu machen für eine Konzentration auf die Figur des Devaivre. Wahrscheinlich hat die enge Beziehung zu Devaivre dem Regisseur am Ende nicht geholfen. Devaivre hat versucht, den Film auf gerichtlichem Wege zu stoppen. Er behauptet falsch dargestellt worden zu sein, weil er nicht als der Bürgerliche gezeigt wird, der er in Wirklichkeit ist, und weil er niemals seine Frau zur Begrüßung geküsst habe! Obwohl man Taverniers Film einen übergroßen Ehrgeiz vorwerfen kann, stellt er einen sehr wertvollen Versuch dar, die Komplexität des Lebens und der Kunst unter dem Faschismus aufzuarbeiten.
Keiner dieser drei Filme kann als vollendetes Kunstwerk betrachtet werden. Alle drei Regisseure versuchen zu viel in ihre Filme zu packen, was das Betrachten zum Teil schwer macht. Dass etablierte Regisseure sich bemühen, einige der wichtigsten politischen und historischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts anzugehen, ist trotzdem anerkennenswert und kann wesentlich dazu beitragen, dem zeitgenössischen Film und der Kunst im Allgemeinen neues Leben einzuflößen.