Wen schlachtet das US-Militär in Ostafghanistan ab?

In einem Gefecht, das als größte Schlacht des Afghanistan-Kriegs bezeichnet wird, haben die US-geführten Truppen letzte Woche in der Nähe von Gardes in der Ostprovinz Paktia schätzungsweise 500 Kämpfer getötet. Die amerikanischen und alliierten Truppen erlitten in diesem ungleichen Gefecht nur minimale Verluste, sie bekämpften Kalaschnikows und Granatwerfer mit den neusten amerikanischen High-Tech-Waffen: mit Kampfhubschraubern, elektronisch gelenkter Munition und thermobarischen Bomben, die den Sauerstoff aus den Höhlenkomplexen saugen und alles Leben darin vernichten.

Hämisch rieben sich US-Kommandeure über das einseitige Schlachten die Hände. "Am Dienstag haben wir mehrere Hundert von ihnen mit Panzerfäusten und Granatwerfern auf dem Weg zum Schlachtfeld erwischt. Wir haben sie zermalmt und Hunderte von den Kerlen getötet," kommentierte Generalmajor Frank Hagenbeck. Ein hoher Verteidigungssprecher beschrieb der Washington Post einen anderen Fall: "Ungefähr hundert bis zweihundert al-Qaidas rannten aus den Höhlen, wohl weil sie dachten, wir würden sie in den Höhlen bombardieren. Wir haben sie mit A-10's aufgerollt [schwerbewaffnete Kampfflugzeuge zur Bekämpfung von Panzerkolonnen]."

US-Militärsprecher nennen den Feind regelmäßig "al-Qaida- und Taliban-Widerstandsnester" - eine Bezeichnung, die von den internationalen Medien unkritisch nachgeplappert wird. Wenn die oppositionellen Kämpfer trotz der erdrückenden Überlegenheit der gegen sie gerichteten Waffen starken Widerstand leisten, dann werden sie zu "fanatischen Taliban" und "terroristischen Kämpfern", die von Hunderten Arabern, Tschetschenen und Usbeken unterstützt werden. Associated Press berichtete: "Auf den Fluren des Pentagon werden die in den frostigen Bergen Ostafghanistans kämpfenden und sterbenden al-Qaida-Männer ‚Auswegslose' genannt."

Für keine dieser Behauptungen werden Beweise geliefert - es sei denn die Tatsache, dass die US-Militärmaschine auf Widerstand stößt. Der Feind wird als "al-Qaida" und "Terroristen" bezeichnet, um die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass die Kämpfe in Ostafghanistan noch etwas mit den Angriffen vom 11. September zu tun haben, und um die Schlächterei zu rechtfertigen. US-Vizepräsident Richard Cheney schloss Verhandlungen mit den Gegnern aus. Der einzige Weg, die Bedrohung zu beseitigen, sagte er, besteht darin, "die Terroristen zu kriegen, bevor sie weitere Angriffe auf uns begehen können."

Einige Berichte aus Gardes weisen allerdings in eine andere Richtung. Ein Artikel in der Los Angeles Times erklärte zum Beispiel, dass die Gegner der amerikanischen Truppen von Saifur Rahman Mansour angeführt würden, einem, "wie viele meinen, einheimischen Helden", der kein enger Gefährte Osama bin Ladens gewesen sei. Rahman, der auf etwa 40 Jahre geschätzt wird, ist der Sohn eines ehemaligen Gouverneurs von Paktia und kämpfte in den achtziger Jahren mit den von den USA unterstützten Mujaheddin gegen das sowjetisch-gestützte Regime in Kabul.

Wie viele lokale Milizkommandeure der Paschtunen-Stämme schloss sich Rahman den Taliban an. Die islamische Extremistenbewegung wuchs Mitte der neunziger Jahre rasch an - nicht in erster Linie, indem sie gegnerische Milizen besiegte, sondern indem sie sie kaufte, oder indem sie Unterstützung für ihre Vision eines islamischen Staates als Alternative zum existierenden Chaos gewann. Sobald die USA Pakistan verpflichteten, seine Unterstützung der Taliban einzustellen und sie finanziell und waffenmäßig auszutrocknen, fiel das lose Bündnis mit paschtunischen Stammesführern und Milizkommandeuren schnell auseinander.

Alle afghanischen Vertreter in Gardes, die gegenwärtig mit den USA und ihrer Marionettenregierung in Kabul verbündet sind, kennen Rahman. Einige von ihnen kämpften in den achtziger Jahren gemeinsam mit ihm auf Seiten der anti-sowjetischen Mujaheddin, die sich in den Höhlenkomplexen des Shahi Kot Tales versteckten, wo auch die heutigen Kämpfe stattfinden. Sie bewundern seine Zähigkeit als Kämpfer und bezweifeln den Sinn der Operation Anaconda. Abdul Mutin, Kommandeur einer mit den USA verbündeten Miliz, gab zu: "Es gibt Leute, die sagen: ‚Saifur Rahman ist ein feiner Kerl. Warum müssen wir ihn bekämpfen?'"

Safi Ullah, Sprecher der Provinzshura (Verwaltungsrat), kommentierte: "Er ist in seiner Heimat, bei seinem Volk, berühmt, aber jetzt mögen ihn die Leute nicht so recht, weil er sich gegen die Interimsregierung gestellt hat. Die Shura von Gardes forderte ihn in den ersten Tagen nach dem Fall der Taliban auf, sich zu ergeben und nicht Männer gegen die Regierung um sich zu sammeln. Aber er tat es trotzdem."

Verhandlungen scheiterten, als die Behauptung aufkam, Rahman beherberge al-Qaida-Kämpfer, ein ungenauer Begriff, der auf alle Ausländer angewandt wird, z.B. auch auf Hunderte unerfahrene Jugendliche aus Pakistan und dem Nahen Osten, die letztes Jahr herbeiströmten, um das Taliban-Regime zu verteidigen. Bis zuletzt behauptete Rahman, keine Ausländer zu beherbergen, und forderte die Shura von Gardes auf, eine Delegation zu schicken, um das zu überprüfen. Selbst die Los Angeles Times hielt fest: "Es bleiben erhebliche Zweifel, wie viele derer, die den Amerikanern Widerstand leisten, wirklich al-Qaida Mitglieder sind und wie viele einfache Afghanen aus der Region."

Lokale Söldner

Durch die Art und Weise, wie die USA die Operation Anaconda organisierten, haben sie stillschweigend zugegeben, dass Rahman über Unterstützung in der Region verfügt. Anders als bei der Offensive in der Region Tora Bora wird diese Offensive von US-Truppen getragen, unterstützt von Sondereinheiten aus Frankreich, Deutschland, Australien, Kanada und Norwegen, während afghanische Milizen nur eine zweitrangige Rolle spielen.

In den Wochen vor Beginn der Operation heuerten die USA ungefähr 500 afghanische Soldaten von außerhalb der Region an und bildeten sie in der benachbarten Provinz Logar aus. Diese arbeitslosen afghanischen Jugendlichen bekommen 200 Dollar die Woche, damit sie unter Leitung der USA kämpfen, und erhalten eine rudimentäre Ausbildung in militärischer Taktik und dem Gebrauch einer einzigen Waffe. Nach dem ersten Training wurden diese Söldner als Kanonenfutter zur Unterstützung der amerikanischen und alliierten Truppen in den Kampf geworfen. Ein verwundeter Afghane, Khial Mohammed, sagte Reportern: "Unser Kommando war wirklich schlecht; das amerikanische Kommando war wirklich schlecht."

Andere afghanische Truppen wurden von Norden herangeführt - Tadschiken und Usbeken -, was zu Spannungen mit der einheimischen paschtunischen Bevölkerung führte. Die meisten örtlichen Milizkommandeure, auch die von der Kabuler Regierung von Hamid Karzai anerkannten, wurden absichtlich an den Rand gedrängt. General Ziauddin, der oberste Militärkommandeur in Gardes, beklagte sich: "Die Amerikaner konsultieren uns nicht." Als er seine Truppen zur Verstärkung an die hinteren Linien heranführte, wurde er angewiesen, sich zurückzuziehen und sich nicht in die Kämpfe "einzumischen".

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Operation Anaconda keineswegs ein Kampf zur Ausräucherung von "verstockten Terroristen" und "Al-Qaida Widerstandsnestern" ist, sondern in erster Linie einen lokalen afghanischen Milizführer in die Schranken weisen soll, der über erhebliche Sympathie in der Region verfügt. In einem Artikel in der Washington Post hieß es dazu: "Selbst wenn es nur von einer Minderheit sein sollte, - die Unterstützung für [Rahman] Mansour ist in der Region immer noch beachtlich, und einige afghanische Vertreter glauben, dass Bewohner heimlich al-Qaida Truppen in der Gegend von Shahi Kot mit Nahrungsmitteln und Waffen versorgen."

Diese und ähnliche Kommentare in anderen Artikeln lassen den wirklichen Grund für die riesige US-Militäroffensive gegen Rahman erkennen. Operation Anaconda steht sowohl im Zusammenhang mit den Plänen der Bush-Regierung, den "Krieg gegen den Terrorismus" auf andere Länder auszudehnen, wie auch damit, andere örtliche Warlords davor zu warnen, die Autorität der schwächlichen Karzai-Regierung herauszufordern. Ein geheimer, Ende Februar an die Presse durchgesickerter CIA-Bericht warnte, Afghanistan könnte im Chaos versinken, wenn die Konkurrenz zwischen rivalisierenden Milizen nicht unterdrückt und Spannungen zwischen ethnischen Gruppierungen und Stämmen nicht unter Kontrolle gehalten würden.

Aber es gibt auch Bedenken wegen der zunehmenden örtlichen Vorbehalte gegen die Militäroperationen der USA, vor allem unter den paschtunischen Stämmen im Südosten Afghanistans. Dutzende Zivilisten sind bei Bombenangriffen und Angriffen von Sondereinheiten ums Leben gekommen, und viele weitere wurden verwundet. Zu guter Letzt hatte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im vergangenen Monat endlich zugegeben, dass bei einer Razzia in zwei Gebäuden mindestens 16 Männer getötet worden waren, die loyal zur Kabuler Regierung standen. Gleichzeitig schloss er aus, dass zukünftige Operationen sorgfältiger geplant würden. Er sagte: "Ich glaube nicht, dass das ein Irrtum ist," und schloss jedwede Disziplinarmaßnahme aus.

Ein von der Washington Post berichteter Vorfall gibt einen Eindruck von der wachsenden Feindschaft unter den Afghanen gegen die US-Militärpräsenz. Der Reporter beschrieb eine plumpe Propagandaaktion in Gardes, die die Bevölkerung veranlassen sollte, dem US-Militär Informationen über den Aufenthaltsort von "al-Qaida-Kräften" zu geben. Patriotische Lieder plärrten aus einem Lautsprecher und Beamte teilten Flugblätter aus, in denen die Bewohner aufgefordert wurden, nach "verstockten Feinden der Freiheit und der Unabhängigkeit" Ausschau zu halten und "sich zusammenzuschließen und ihre Verstecke zu verraten".

Das Flugblatt bot Informanten 4.000 Dollar Belohnung - ein Vermögen im vom Krieg gezeichneten Gardes. Die Washington Post kommentierte: "Es ist einfacher, den Knopf eines Kassettenrecorders zu drücken und Flugblätter mit einem Versprechen auf Belohnung zu verteilen, als tatsächlich die Kultur einer Region zu ändern, die sich lange mit den islamischen Radikalen identifiziert hat, die Afghanistan bis letzten Herbst regiert haben. Einige warfen einen Blick auf die Flugblätter und zerrissen sie, weil sie es ablehnten, ihre Nachbarn zu verraten.... Andere, die dieser Idee unübersehbar feindlich gegenüberstanden, waren nicht bereit, sich einem amerikanischen Journalisten gegenüber entsprechend zu äußern. Sie schauten einfach nur grimmig drein und gingen weiter."

Die Befürchtung ist, dass eine Figur wie Rahman, unabhängig von seinen eigenen Absichten, zum Anziehungspunkt für die zunehmende Feindschaft gegen die USA und die Regierung von Hamid Karzai werden könnte. Das Ziel der Operation Anaconda besteht nicht nur darin, diese Bedrohung brutal zu eliminieren, sondern auch jede andere politische Opposition einzuschüchtern und zu terrorisieren.

Siehe auch:
Der Krieg in Afghanistan und die Krise der politischen Herrschaft in Amerika
(14.März 2002)
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