Am späten Mittwoch Abend endete nach neun Tagen der Streik in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg und Berlin/Brandenburg.
IG Metall und Arbeitgeber einigten sich am Mittwochabend in Baden-Württemberg auf einen zweistufigen Abschluss. Zwar gilt der neue Tarifvertrag rückwirkend ab dem 1. März 2002, die Lohnerhöhung gibt es aber erst ab Juni. Ab diesem Zeitpunkt steigen die Löhne und Gehälter um 4,0 Prozent an, ab 1. Juni 2003 um weitere 3,1 Prozent. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 22 Monaten bis zum 31. Dezember 2003. Der Vertreter der Arbeitgeber Otmar Zwiebelhofer errechnete für das Jahr 2002 ein durchschnittliches Ansteigen der Lohnkosten von 3,46 Prozent.
Damit ist ein Streik beendet, der von Seiten der Gewerkschaft von Anfang an das Ziel hatte, den wachsenden Protest in den Betrieben gegen die sich verschlechternde soziale Situation zu kanalisieren. Im Interesse der Bundesregierung sollte kontrolliert Druck abgelassen werden. Mit dem Streik sollte verhindert werden, dass sich mitten im Bundestagswahlkampf auch nur die Möglichkeit einer unkontrollierten Entwicklung gegen die Bundesregierung ergibt. Mit allen Mitteln versucht die IG Metall so abzuwenden, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) aufgrund einer breiten Opposition in der Bevölkerung die kommende Bundestagswahl verliert, wie dies seinem Vorgänger Helmut Kohl (CDU) 1998 geschehen war.
Seit Montag dem 6. Mai streikten die Metall- und Elektroarbeiter in Baden-Württemberg und ab vergangenen Montag auch in Berlin/Brandenburg für höhere Löhne. In Westdeutschland, nämlich in Bayern, war zuletzt vor sieben Jahren gestreikt worden, in Berlin und Brandenburg im Jahre 1930!
Die Industriegewerkschaft Metall (IGM) reagierte mit der Ausrufung des Streiks auf die weit verbreitete schlechte Stimmung innerhalb der Belegschaften. Nach vier Jahren rot-grüner Regierung haben die Arbeiter und ihre Familien aufgrund der Politik der Bundesregierung, der Gewerkschaften und der starken Preiserhöhungen mit Einführung des Euros spürbar weniger im Geldbeutel. Nachdem die Reallöhne auch in den letzten vier Jahren weiter gesunken sind, waren die Arbeiter es leid, weiterhin vertröstet zu werden.
Denn während die Nettogewinne der Unternehmen zwischen 1980 und 2000 um 96,5 Prozent stiegen, sank der reale Nettolohn der Arbeiter im selben Zeitraum um 0,4 Prozent. Gleichzeitig hat sich die Arbeitslosenquote im selben Zeitraum von 3,3 auf 9,6 Prozent verdreifacht. Die direkten Profiteure der Gewinnsteigerungen vor allem in den letzten Jahren waren die Manager. Seit 1999 erhöhen sie sich im Durchschnitt ihre Gehälter jährlich (!) um ca. 30 Prozent. Allein in den zwei Jahren von 1998 bis 2000 stiegen die Vorstandsgehälter aller im Deutschen Aktienindex (DAX) vertretenen Unternehmen um 64 Prozent.
Die Gewinne wurden vorwiegend durch eine verstärkte Arbeitshetze in den Betrieben erwirtschaftetet. Die Produktivität, die Leistung je Beschäftigtem in der metallverarbeitenden Industrie stieg zum Beispiel in den Jahren 1995 bis 2001 um fast 40 Prozent. Aufgrund der ungleichen Verteilung der auf dem Rücken der Beschäftigten erwirtschafteten Gewinne "brodelte" es in den Betrieben, so die Gewerkschafter vor Ort. Viele Vertrauensleuteversammlungen in den Betrieben hatten vor der Tarifrunde Forderungen von 9 bis 12 Prozent aufgestellt (im Durchschnitt 10,4 Prozent).
Die Gemütslage in den Betrieben spiegelte sich auch in den Abstimmungsergebnissen zum Streik wider. In Baden-Württemberg stimmten 90 Prozent von rund 220.000 stimmberechtigten Gewerkschaftsmitgliedern für Kampfmaßnahmen. In Berlin/Brandenburg gab es rund 86 Prozent Ja-Stimmen. In beiden Bezirken lag die Wahlbeteiligung bei rund 95 Prozent. Die IG Metall konnte aufgrund der Stimmung unter den Arbeitern gar nicht anders, als einen Streik einzuleiten, wollte sie nicht die Kontrolle verlieren.
Sie konnte den Streik zwar nicht verhindern, aber wie hat sie ihn geführt? Die IGM-Spitze hatte die hohen Lohn-Forderungen aus den Betrieben bereits auf eine 6,5-Prozent-Forderung für die Tarifauseinandersetzung heruntergeschraubt. "Mindestens eine Vier" sollte nach Tarifabschluss vor dem Komma stehen. Wie immer rechnen die Gewerkschaften sich ihren Abschluss schön, jetzt eben auf 4 Prozent Lohnerhöhung.
Gleichzeitig wurde die Taktik des sogenannten "Flexi-Streiks" angewandt, um einen richtigen Streik zu verhindern. Der "Flexi-Streik" hatte letztendlich nur ein Ziel: die Aufrechterhaltung der Produktion und die Erwirtschaftung satter Gewinne - trotz Streik. Anders als sonst wurden nicht mehr einige große Betriebe über einen längeren Zeitraum bestreikt, sondern ganz "flexibel" wurde mal hier mal dort gestreikt, jeweils für einen Tag. Im Grunde genommen eine Aneinanderreihung von Warnstreiks. Zu größeren Einbußen und daher zu Druck auf die Unternehmer führte dies nicht. Das Handelsblatt kommentierte kurz: "Mal hier ein Tag Streik, mal dort, das bekommt man mit moderner Produktionsplanung einigermaßen in Griff." Der am ersten Tag bestreikte Porsche-Konzern plant zum Beispiel, den rund zehn Millionen Euro hohen Umsatzausfall später mit Sonderschichten wieder auszugleichen.
Offiziell wird diese Art des Streiks von der IG Metall gewählt, "um größere Schäden zu vermeiden", wie Zwickel sagt, und vor allem um den Arbeitgebern keinen Anlass zur Aussperrung zu liefern: Betriebe, die nicht produzieren können, weil etwa ihr Zulieferer bestreikt wird, können ihre Beschäftigten ohne Lohn nach Hause schicken. Diese erhalten weder von der Gewerkschaft Streikgeld noch wie früher vom Arbeitsamt Kurzarbeitergeld.
Ein Arbeitskampf inklusive Aussperrung birgt daher enormen sozialen und politischen Sprengstoff. Eine offene Klassenauseinandersetzung fürchten die Gewerkschaftsbürokraten aber wie der Teufel das Weihwasser. "Wir stehen ab sofort zu Verhandlungen bereit", erklärte Zwickel am ersten Streiktag in aller Frühe am Werkstor. Der sogenannte Arbeitskampf hatte da erst einige Minuten zuvor begonnen. Auch in den folgenden Tagen beteuerte der IGM-Vorsitzende immer wieder: "Unser Ziel ist, nach Streikbeginn möglichst schnell zu einem akzeptablen Tarifabschluss zu kommen."
Das Argument für den "Flexi-Streik", damit werde die Aussperrung verhindert, schlägt allerdings voll auf die Bundesregierung aus SPD und Grünen und auf deren Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zurück. SPD und Grüne versprachen vor der Wahl den Arbeitern, den sogenannten Anti-Streik-Paragrafen 116, der 1986 von der Regierung Helmut Kohls (CDU) erlassen worden war, zu ändern. Dieser Paragraf legt fest, dass bei Aussperrungen kein Kurzarbeitergeld gezahlt wird. Die rot-grüne Bundesregierung hat dies nicht getan, und zwar mit ausdrücklicher Unterstützung der Gewerkschaften.
Der Bundesminister für Arbeit und Soziales Walter Riester (SPD), der noch vor vier Jahren Zwickels Stellvertreter in der IG Metall war, schrieb in einem Brief an die IG Metall vom 28. Juni 2001: "Die Ankündigung,... §146 SGB III [den früheren § 116 AFG] auf den Prüfstand zu stellen, bezog sich auf einen von mehreren notwendigen Schritten, das Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung zu überprüfen und gegebenenfalls auch zu ändern. In der gegenwärtig vorbereiteten Reform des SGB III haben wir uns allerdings bewusst - u. a. auch nach Absprache im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit - darauf verständigt, das Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung nicht mehr in dieser, sondern in der nächsten Legislaturperiode anzugehen."
Im Klartext: Gewerkschaften, Bundesregierung und Unternehmer verabredeten im Bündnis für Arbeit, den Anti-Streik-Paragrafen nicht zu ändern. Dies fügt sich nahtlos in die gesamte Sozial- und Wirtschaftspolitik der rot-grünen Regierung ein. Ob Renten-, Gesundheits- oder Steuerpolitik, die Lasten wurden den Unternehmern genommen und der arbeitenden Bevölkerung aufgebürdet.
Die Bundesregierung läuft daher Gefahr, von ihren Wählern in der kommenden Bundestagswahl im September durch Enthaltung abgestraft zu werden, wie es sich bereits bei der letzten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt abzeichnete, in denen die SPD die größten Verluste seit dem Zweiten Weltkrieg erlitt.