Die Regierung Bush hält einen Mann aus einer puertoricanischen Familie, der in New York geboren ist, unbefristet in einem Militärbunker in South Carolina gefangen. Der Fall von Jose Padilla - oder Abdullah al Muhajir, wie er sich heute nennt - birgt eine extreme Gefährdung demokratischer Rechte in den Vereinigten Staaten. Die Exekutive stellt ihre autoritäre Selbstherrlichkeit zur Schau.
Die Bundesregierung hat den US-Bürger auf Geheiß des Präsidenten gefangengenommen und für unbegrenzte Zeit eingesperrt, ohne jede gerichtliche Verfügung und in Missachtung der elementaren juristischen Grundsätze der Unschuldsvermutung oder des Rechts auf einen Haftprüfungstermin (Habeas-Corpus -Akte).
Justizminister John Ashcroft gab die Verhaftung von Padilla/Muhajir am 10. Juni auf einer außerordentlichen Pressekonferenz bekannt, die er in Moskau während seines von langer Hand geplanten Zusammentreffens mit russischen Polizei- und Sicherheitskräften abhielt. Ashcroft nannte die Verhaftung "einen wichtigen Schritt im Krieg gegen Terrorismus" und erklärte: "Wir haben einen bekannten Terroristen gefangen, der dabei war, einen Plan auszuarbeiten, um eine radioaktive Bombe, eine sogenannte schmutzige Bombe‘, in den Vereinigten Staaten zu bauen und zur Explosion zu bringen."
Diese Erklärung verband grobe Entstellungen mit offenen Lügen. Muhajir war in Wirklichkeit vor fast fünf Wochen, am 8. Mai, "gefangen" worden, als er auf dem Rückweg von einem längeren Aufenthalt in Europa, Nahost und Südasien am O'Hare-Flughafen in Chicago ankam.
Während Muhajir offensichtlich vor einigen Jahren zu einer fundamentalistischen Form des Islam übertrat, als er eine ägyptische Frau heiratete, hat die Regierung noch keinen Beweis dafür vorgelegt, dass er ein Unterstützer von Al-Qaida und Osama bin Laden gewesen ist, geschweige denn sich an irgendwelchen terroristischen Aktivitäten beteiligt hat. In Wirklichkeit hat die Bush-Regierung seine Überführung von einem Gefängnis in New York City in einen Bunker der US-Navy in South Carolina angeordnet, um keine derartigen Beweise vorlegen zu müssen. Alles, was bisher veröffentlicht wurde, ist die unbewiesene Behauptung von Ashcroft und anderen Regierungsmitgliedern, die von den amerikanischen Medien brav nachgeplappert wird.
Es kann sein, dass Muhajir ein politischer Sympathisant bin Ladens und des islamistischen Terrorismus geworden ist, aber die Behauptungen, dass die Bush-Regierung einen größeren terroristischen Angriff auf die Vereinigten Staaten vereitelt hätte, sind nicht nur unbewiesen, sondern auch äußerst zweifelhaft.
Nach Ashcrofts ursprünglicher und als große Sensation behandelter Darstellung des Falls sahen sich andere Regierungsmitglieder gezwungen, seine Bemerkungen einzuschränken. Während der Justizminister behauptete, die US-Regierung habe "ein bereits angelaufenes terroristisches Komplott gestoppt", sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz auf einer Pressekonferenz: "Es gab keinen richtigen Plan. Wir haben diesen Mann im Anfangsstadium gestoppt." Regierungsmitglieder gaben daraufhin zu, dass kein Material zum Bau einer "schmutzigen Bombe" vorgefunden wurde und kein konkretes Zielobjekt ausgewählt worden war.
In einem massiven Versuch, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, erklärte Ashcroft, dass Muhajir die Schlüsselfigur in einem Al-Qaida-Plan gewesen sei, eine radioaktive Waffe zu zünden - eine konventionelle Explosionsvorrichtung mit einer Hülle von radioaktivem Material - die zu "massenhaftem Tod und Verletzung" hätte führen können. Diese Erklärung wurde die Grundlage für sensationelle Medienberichte, obwohl Experten auf diesem Gebiet dem Auswärtigen Ausschuss des Senats sagten, dass ein solches Gerät zwar zu ernsthafter Langzeitkontaminierung führen könnte, aber in Wirklichkeit relativ wenige Opfer fordern würde.
Ashcroft sagte, dass Muhajir in Pakistan gewesen sei, "um Geräte zur radioaktiven Streuung zu erforschen", obwohl es zumindest völlig unklar ist, wie er das mit seinem Grundschulabschluss und bei seinem geringen Kenntnisstand der Landessprache erreichen konnte. Bisher hatten amerikanische Warnungen, Al-Qaida könnte über Nukleartechnologie verfügen, ehemalige sowjetische Wissenschafter und Waffentechniker als Quellen ins Visier genommen, nicht jedoch ehemalige Angehörige von Großstadt-Straßengangs.
Noch unerklärlicher ist die Entscheidung, Muhajir zu verhaften, sobald er in den Vereinigten Staaten eintraf. Laut Ashcroft und seinen Helfershelfern hatten sie zu einer Zeit von Muhajir/Padillas Rolle als Al-Qaida-Repräsentant erfahren, als dieser wegen Verstoßes gegen die Einwanderungsbestimmungen in einem pakistanischen Gefängnis saß. Die Bush-Regierung organisierte seine Freilassung. Darauf überwachten US-Geheimdienste seine Reise von Pakistan über Zürich und Ägypten in die Vereinigten Staaten. FBI-Agenten waren während des letzten Stücks der Reise an Bord des Flugzeugs und nahmen ihn fest, als er in O'Hare durch den Zoll ging.
Eine auf der Hand liegende Frage wurde Ashcroft nicht gestellt: Warum, wenn Muhajir von Kontinent zu Kontinent verfolgt werden konnte, wurde er verhaftet, sobald er einen Fuß auf amerikanischen Boden setzte? Wenn er eine solche Schlüsselfigur in einer Verschwörung zur Ermordung Tausender Amerikaner war, warum verfolgten ihn die amerikanischen Behörden nicht weiter, um seine Mitarbeiter und Mitverschwörer innerhalb des Landes aufzuspüren?
Statt eines führenden terroristischen Kopfs ist Muhajir viel wahrscheinlicher - wenn überhaupt - ein unbedeutender Sympathisant des islamischen Fundamentalismus, dessen Verhaftung angeordnet wurde, um Bushs politisches Ansehen und den Ruf der Geheimdienste aufzupolieren.
Die Ankündigung kommt zu einem verdächtig günstigen Zeitpunkt, ist doch die Bush-Regierung von den Enthüllungen angeschlagen, dass CIA und FBI Warnungen vor den Terroranschlägen vom 11. September ignoriert oder unterdrückt haben. Ashcroft gab sich größte Mühe, in seiner Erklärung in Moskau die gute Zusammenarbeit der zwei US-Geheimdienste zu loben.
Ein alarmierender Präzedenzfall
Rechtliche Überlegungen waren ein bedeutender Faktor bei Muhajirs Überstellung in militärischen Gewahrsam. Er ist wegen keines Verbrechens angeklagt worden. Die Regierung hat seine Verhaftung und Inhaftierung damit begründet, dass er ein unentbehrlicher Zeuge in der Untersuchung der Anschläge des 11. September sei - jene rechtliche Scharade, mit der Hunderte muslimischer Immigranten in den letzten neun Monaten eingesperrt wurden.
Ein Bundesrichter in Manhattan hatte eine geheime Anhörung für den 11. Juni angesetzt und schien geneigt zu sein, der Regierung aufzugeben, Muhajir entweder anzuklagen oder ihn freizulassen. Die Alternative, über die sich das Verteidigungs- mit dem Justizministerium abgesprochen hatte, bestand darin, Muhajir mindestens zeitweilig außer Reichweite der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu bringen.
Diese Entscheidung wurde in geheimer und politisch höchst bedenklicher Weise getroffen. Präsident Bush erließ eine Regierungsverordnung in seiner Eigenschaft als oberster militärischer Befehlshaber. Darin bezeichnete er Muhajir als "feindlichen Kämpfer, der eine ernste und fortgesetzte Bedrohung des amerikanischen Volkes und der nationalen Sicherheit darstellt". Der Gefangene wurde aus seiner New Yorker Gefängniszelle geholt, in ein Regierungsflugzeug gesetzt und zu einer Marinebasis in Charleston, South Carolina gebracht. Muhajirs Anwältin, Donna Newman aus New York City, wurde über seine Verlegung nicht informiert. Seitdem wurde ihr der Zugang zu ihm verweigert.
Beamte des Justizministeriums führten zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs aus dem Zweiten Weltkrieg als rechtliche Grundlage an, Muhajir in militärischen Gewahrsam zu überführen. In den zwei Fällen ging es um US-Bürger deutscher und italienischer Herkunft, die als Saboteure oder Soldaten für die Achsenmächte gedient hatten. Diese Fälle fanden jedoch vor dem Hintergrund einer formellen Kriegserklärung gegen Deutschland und Japan statt, die vom Kongress verabschiedet worden war. Zur Legitimation des gegenwärtigen "Krieges gegen den Terrorismus" wurde keine solche verfassungsmäßig vorgeschriebene Erklärung verabschiedet. In beiden Fällen wurden die Gefangenen zudem vor Gericht gestellt - einer vor ein Militärtribunal, der andere vor ein Kriegsgericht. Im Fall von Muhajir gibt es jedoch keine Gerichtsverhandlungen irgendwelcher Art, sondern unbefristete Inhaftierung bis zum Ende des "Kriegs gegen den Terror", von dem Vertreter der Bush-Regierung erklärt haben, dass er Jahrzehnte dauern könne.
Die willkürliche Entscheidung und die unbegrenzte Dauer von Mujahirs Einkerkerung haben Proteste von Bürgerrechtsgruppen ausgelöst, die darauf hingewiesen haben, dass die hier geltend gemachten Regierungsvollmachten gegen jeden amerikanischen Bürger eingesetzt werden könnten.
Selbst die Washington Post, die fast jede repressive Maßnahme der Bush-Regierung seit dem 11. September gebilligt hat, schrieb einen kritischen Leitartikel, in dem sie warnte: "Das Vorgehen der Regierung in diesem jüngsten Fall verstößt gegen elementare Grundsätze des gesellschaftlichen Lebens in einem Rechtsstaat." Die Post fuhr fort: "Wenn diese Position zutrifft, dann könnte nichts den Präsidenten - selbst in Abwesenheit einer formellen Kriegserklärung - daran hindern, jedweden Amerikaner als feindlichen Kämpfer einzustufen. Ohne die Richtigkeit der Beschuldigung vor einem Gericht beweisen zu müssen, könnte das Militär dann diese Person für immer einsperren. Und dann könnte sie den Gefangenen daran hindern, sich einen Anwalt zu nehmen und nachzuweisen, dass die Regierung in Wirklichkeit ganz falsch liegt. Wenn das so ist, dann sind niemandes Verfassungsrechte mehr sicher."
Die Washington Post, wie auch die anderen von der Wirtschaft kontrollierten Medien, unterlässt es jedoch tunlichst, auf den schreienden Widerspruch zwischen den diktatorischen Maßnahmen der Bush-Regierung und ihrer Behauptung hinzuweisen, einen Krieg zur Verteidigung der "Freiheit" zu führen. In Wirklichkeit ist der beispiellose Angriff auf demokratische Rechte seitens der Bush-Regierung die innenpolitische Ergänzung des Militarismus in der amerikanischen Außenpolitik.