Interview mit Jamie Doran Regisseur von Massaker in Masar

Der Regisseur Jamie Doran hat für seine Dokumentarfilme aus den vergangenen 22 Jahren mehrere Preise gewonnen. Vor der Gründung seines eigenen TV-Unternehmens arbeitete er sieben Jahre lang für den britischen Sender BBC. Während der vergangenen acht Monate hielt er sich meistens zu Dreharbeiten in Afghanistan auf. Am 14. Juni gab er der WSWS das folgende Interview.

WSWS : Ihr Film streift auch die Ereignisse in der Festung Kala-i-Dschangi, befasst sich jedoch in erster Linie mit dem Schicksal aller 8000 Kämpfer, die sich in Konduz den amerikanischen Truppen ergaben.

Jamie Doran : Richtig. 8.000 Männer ergaben sich Amir Jahn, mit dem die Bedingungen der Kapitulation ausgehandelt worden waren. In dem Film sagt er, er habe die Gefangenen einzeln gezählt, und gibt ihre Zahl mit 8.000 an. 470 wurden nach Kala-i-Dschangi gebracht. Folglich wurde angenommen, dass rund 7.500 weiter nach Sheberghan gebracht wurden, doch dort kamen, wie er sagt, "nur 3.015 an. Wo sind die übrigen?"

WSWS : Wie erging es diesen 3.015 Überlebenden? Wurden sie freigelassen?

JD : Nein, die meisten sind nach wie vor dort inhaftiert. Einige lässt man laufen, doch die meisten sind noch im Gefängnis.

WSWS : Können Sie uns Näheres über die Zeugen sagen, die in dem Film über die Rolle der amerikanischen Streitkräfte aussagen?

JD : Es treten drei Angehörige des afghanischen Militärs auf, zwei gewöhnliche Soldaten und ein General. Außerdem kommt ein Taxifahrer zu Wort, der drei Container gesehen hat, aus denen Blut herausfloss. Er sagt, es sei schrecklich gewesen und ihm seien die Haare zu Berge gestanden. Dann äußern sich zwei der Lastwagenfahrer, die man gezwungen hat, die Container in die Wüste zu bringen. Den Zeugenaussagen zufolge muss die Gesamtzahl der Abtransportierten mindestens 1.500 betragen haben, wahrscheinlicher ist aber eine Zahl von bis zu 3.000.

WSWS : Gibt es außer den Aussagen dieser Zeugen noch weitere Hinweise auf eine Beteiligung des amerikanischen Militärs am Tod dieser 3.000 Häftlinge?

JD : Nein, überhaupt keine. Ich habe die Sache gerade deshalb schon vorzeitig an die Öffentlichkeit gebracht, weil mir aus Masar-i-Scharif eine Warnung zuging, dass sich Leute an den Gräbern in der Wüste zu schaffen machten. Die Gräber sind aber die einzigen Beweise, und es ist unbedingt wichtig, dass sie nicht angerührt werden.

WSWS : Wissen Sie, wer die Gräber zu vertuschen versuchte?

JD : Ja, aber ich sage es nicht. Ich sage nur, dass jeder bis zum Beweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat, und dass die wirklich Unschuldigen von einer unabhängigen Untersuchung nichts zu befürchten haben. Die Afghanen und die Amerikaner, um die es geht, haben von einer unabhängigen Untersuchung nichts zu befürchten, wenn sie unschuldig sind. Ich bin sicher, dass sie keine Einwände gegen eine solche Untersuchung haben werden.

WSWS : Ist es Ihrer Ansicht nach denkbar, dass eine solche Operation - der Transport und die Vernichtung von bis zu 3.000 Menschen - möglich ist, ohne dass die amerikanischen Truppen Bescheid wussten oder ihr Einverständnis signalisiert hatten?

JD : Wenn Sie nach meiner persönlichen Meinung fragen, so lautet die Antwort: nein. Beim Gefängnis Sheberghan befanden sich 150 amerikanische Soldaten. Hinzu kam noch das CIA-Personal. Meiner Meinung nach wäre es sehr unwahrscheinlich, dass ihnen ein Vorfall von solchen Ausmaßen hätte entgehen können.

WSWS : Bis zu welcher Ebene in der Befehlshierarchie der US-Armee war man Ihrer Ansicht nach im Bilde und damit Komplize?

JD : Ich wiederhole: Da sich 150 amerikanische Soldaten und eine Reihe CIA-Mitarbeiter in der Nähe des Gefängnisses Sheberghan aufhielten, wäre es überaus seltsam, wenn sie von diesen Gräueltaten nicht gewusst hätten.

WSWS : In Ihrem Film berichten Zeugen von der Beteiligung amerikanischer Militärangehöriger an der Folter und Erschießung afghanischer Häftlinge.

JD : In dem Film wird der Vorwurf erhoben, dass amerikanische Soldaten gefoltert hätten, doch der Hauptvorwurf, was die Anzahl der Betroffenen angeht, ist, dass ein amerikanischer Offizier einen der Zeugen angewiesen hat, die Container aus Sheberghan wegzuschaffen, bevor sie von Satelliten aus fotografiert werden könnten. Außerdem sprach einer der Fahrer von 30 bis 40 amerikanischen Soldaten, die am Ort der Morde und beim Begraben von Überlebenden in der Wüste beteiligt gewesen seien.

WSWS : Gibt es Hinweise auf die Beteiligung amerikanischer Soldaten an der Erschießung der Opfer in der Wüste?

JD : Ich habe überhaupt keine Beweise dafür, dass amerikanische Truppen an diesen Erschießungen in der Wüste beteiligt gewesen wären. Gleichzeitig gibt es weitere Zeugen für die Existenz des Massengrabs in der Wüste. Es handelt sich um Menschenrechtsaktivisten, die es bereits vor mir in der Wüste entdeckt haben und meinen Film nun als "bislang fehlendes Bindeglied" bezeichnen. Nachdem sie das Grab gefunden hatten, hoben sie unter Aufsicht der UN eine kleine Fläche aus, wo sie bereits 15 Leichen fanden. Sie schätzen, dass in einem Teil der Wüste dort rund 1000 Leichen liegen. Auch sie fordern eine Bewachung des Grabes, das im Moment von niemandem geschützt wird, sodass es ein Leichtes ist, die Beweise zu manipulieren.

WSWS : Welche Forderungen erheben Sie angesichts der Beweismaterialien, die Ihr Film aufführt?

JD : Ich bin Reporter, ich erhebe keine Forderungen. Ich sage nur, dass die Beweise bewacht werden müssen. Es ist unbedingt wichtig, dass das Grab so lange beschützt wird, bis eine internationale Untersuchung stattfinden kann.

WSWS : Wie wurde Ihr Film aufgenommen?

JD : Er hat unwahrscheinlich eingeschlagen. Aus der ganzen Welt gingen Nachfragen ein. Sogar in Amerika gibt es Interesse. Es war erstaunlich. Ich erhielt Anfragen aus Südafrika, Australien und aus allen europäischen Ländern.

WSWS : Soll der Film einem breiteren Publikum gezeigt werden?

JD : Wie Sie wissen, handelt es sich um einen kurzen Film, den ich an die Öffentlichkeit gebracht habe, um eine Beschädigung der Gräber zu verhindern. Der eigentliche Film wird in etwa fünf bis sechs Wochen fertig sein und erhebliche Konsequenzen für die Beteiligten nach sich ziehen.

WSWS : Welche Risiken zeigten sich bei den Dreharbeiten?

JD : Ich arbeitete als unabhängiger Reporter in Afghanistan - damit ist eigentlich alles gesagt. Meine eigene Lage spielt für mich keine Rolle, ich mache mir aber Sorgen um die Reporter, mit denen ich dort zusammenarbeite, und besonders um die Zeugen, die mit ihrem Auftritt in diesem Film alles riskiert haben. Sie mussten diese Interviews nicht geben. Sie haben sich dadurch in große Gefahr begeben. Keiner von ihnen hat dafür einen einzigen Cent erhalten. Ich wiederhole, dass ihnen ihre Auftritte in dem Film in keiner Weise vergütet wurden und dass sie sich damit nur einer extremen Gefährdung aussetzen. Es muss unbedingt sofort etwas geschehen, um die Gräber und damit die Beweise zu schützen. Wer unschuldig ist, hat nichts zu befürchten.

Siehe auch:
Hunderte Kriegsgefangene in Masar-i-Scharif abgeschlachtet
(30. November 2001)
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