Nun haben wir es also schwarz auf weiß: Auch das Wahlversprechen von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Deutschland werde sich in keiner Weise an einem Krieg gegen den Irak beteiligen, ist nur noch Makulatur. Im Streit um mögliche deutsche Besatzungen in Awacs-Aufklärungsflugzeugen über dem Irak hat Schröder die Katze endgültig aus dem Sack gelassen. Der Kanzler will offensichtlich dem Wunsch der USA nachkommen und auf Anforderung im Nahen Osten deutsche Soldaten zur Verfügung stellen.
In der ARD-Sendung "Farbe bekennen" sagte Schröder, Deutschland werde sich zwar nicht an einer militärischen Intervention beteiligen, "zum Schutz" des NATO-Bündnisses aber seine Verpflichtungen erfüllen. "Und das bedeutet natürlich auch, dass zum Schutze des Bündnisgebietes (...) auch Awacs-Flugzeuge mit deutschen Soldaten besetzt sein werden."
Schröder rechtfertigte diese Entscheidung mit der spitzfindigen Behauptung, Awacs-Flugzeuge seien "keine Instrumente, mit denen man operativ Krieg führen kann". Die Maschinen würden im Übrigen, so der Bundeskanzler weiter, im Ernstfall zum Schutz des Nato-Partners Türkei, also im Bündnisgebiet eingesetzt. Schröder verwies ausdrücklich darauf, dass er die Entscheidung, deutsche Soldaten für Awacs-Aufklärungsmissionen im Grenzgebiet zu Irak bereitzustellen, mit Bundesaußenminister Joschka Fischer abgesprochen habe.
Ein durchsichtiges Täuschungsmanöver! Bekanntlich ist die militärische Aufklärung unabdingbare Voraussetzung und damit Teil jeder operativen Kriegführung - die Beteiligung deutscher Soldaten als Besatzungen von Awacs-Aufklärungsflugzeugen wäre demnach ein eindeutiger Kriegsbeitrag Deutschlands!
Schröders Auffassung widersprachen inzwischen die verteidigungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU sowie von Bündnis 90/Die Grünen, Christian Schmidt und Winfried Nachtwei. Laut SPIEGEL-online erklärte Schmidt, Awacs-Maschinen könnten gegnerische Flugzeuge oder Schiffe in weiter Entfernung erkennen und Gegenmaßnahmen steuern. Zu jeder Besatzung gehörten mehrere Jägerleitoffiziere, die zum Beispiel Zielzuweisungen an eigene Jagdbomber durchführen könnten. Das wäre eine aktive Beteiligung deutscher Soldaten, die einem Kampfeinsatz entspreche. Spätestens seit dem Awacs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 müsse Schröder dies wissen. Auch Nachtwei räumte die von Schmidt beschriebene Einsatzmöglichkeit ein. (SPIEGEL-online, 12. Dezember 2002)
Der "Meinungswechsel" der rot-grünen Regierung hatte sich bereits vor einigen Wochen abgezeichnet, nachdem die US-Regierung den Druck auf Berlin merklich verstärkt hatte. Bereits die - offensichtlich mit Washington abgestimmte - israelische Anfrage nach Patriot-Flugabwehrraketen und "Fuchs"-Transportpanzern brachte die Bundesregierung merklich in Verlegenheit.
Daher auch die peinliche Verwechslung der angefragten Transportpanzer mit den gleichnamigen, als Defensivwaffe geltenden ABC-Spürpanzern durch Verteidigungsminister Peter Struck. Während in der Regierung Konsens über die Lieferung von Patriot-Raketen an Israel herrscht, da diese angeblich der Selbstverteidigung Israel dienten und Deutschland die moralische Pflicht zur Unterstützung des jüdischen Staates habe, ist die Regierung in der Frage der Lieferung von "Fuchs"-Transportpanzern gespalten, zumal die israelische Regierung keinen Hehl daraus machte, dass sie diese Panzer auch in den besetzten palästinensischen Gebieten einzusetzen gedenke.
Die entscheidende Wende in der Haltung Berlins kam Ende November, als führende SPD-Politiker klarstellten, Deutschland werde den Vereinigten Staaten auch ohne UN-Mandat für einen Irak-Krieg Überflugrechte gewähren. Am 27. November 2002 meldete ARD-Videotext (Tagesschau) unter der Headline "Bewegungs- und Transitrechte für USA": "Bundeskanzler Schröder hat den USA im Falle eines Irak-Krieges umfassende Bewegungs- und Transitrechte in Deutschland zugesagt. Den USA und den NATO-Partnern würden Überflugrechte gewährt sowie die Nutzung von US-Einrichtungen einerseits und deren Schutz andererseits gewährleistet."
Während Teile der Grünen noch darauf beharrten, den USA diese Rechte nur dann zu gewähren, wenn der UN-Sicherheitsrat einen Angriff ausdrücklich absegnet, ist Außenminister Joschka Fischer wie üblich schon einen Schritt weiter. In Brüssel stellte Fischer die rhetorische Frage, ob für ein militärisches Vorgehen überhaupt eine zweite UN-Resolution nötig sei. Die Resolution 1441 sei in diesem Punkt "unentschieden", so der Obergrüne, die Unterscheidung zwischen einem mandatierten und einem nicht-mandatierten Einsatz daher "eine Debatte von gestern".
Mitte Dezember brachte er auf einer Sitzung des Parteirats auch die neue Parteispitze auf diese Linie, nachdem sich die frischgekürte Vorsitzende Angelika Beer zuvor noch anderslautend geäußert hatte. Fischer machte nach Angaben von Teilnehmern noch einmal deutlich, dass die Resolution 1441 als Mandat für einen Militärschlag ausgelegt werden könne. (Süddeutsche Zeitung, 17. Dezember 2002)
In gleichem Sinne äußerte sich auch der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler: Überflugrechte "werden auf jeden Fall gewährt. Das ist schon zugesagt". Eine Verweigerung von Überflugrechten bei einem amerikanischen Angriff ohne UN-Mandat, wie es der Grünen-Parteitag gefordert habe, unterscheide sich von dem, "was die Grünen-Regierungsmitglieder mitgetragen haben", ließ Erler wissen.
Auch der innenpolitische Sprecher der SPD, der Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz, widersprach der Forderung des Grünen-Parteitags, den Amerikanern im Falle eines Angriffs ohne UN-Mandat Überflugrechte und die Nutzung ihrer Militärbasen in Deutschland zu verweigern. Wiefelspütz behauptete, es gebe eine klare Rechtslage, die völkerrechtlich verbindlich sei. Demnach hätten die USA sowohl Überflug- als auch Nutzungsrechte für ihre Militärbasen und Flughäfen in Deutschland. "Der klaren Rechtslage wegen gibt es nichts zu erlauben."
Offenbar hat der SPD-Innenexperte weder die einschlägigen internationalen Verträge studiert, noch das deutsche Grundgesetz aufmerksam gelesen. Klar ist die Rechtslage in der Tat - allerdings im völlig entgegengesetzten Sinn. Die geplante US-Aggression erfüllt nämlich alle Kriterien eines Angriffskriegs und verstößt demnach nicht nur gegen das Völkerrecht und gegen geltende internationale Verträge. Zu nennen wären hier: die Charta der Vereinten Nationen (Artikel 2), die Genfer Konvention IV zum Schutze der Zivilbevölkerung vom 12. August 1949 (Artikel 51) und die Schlussakte von Helsinki 1975/NATO-Vertrag (Artikel 51).
Die Beteiligung an einem Angriffskrieg ist der Bundesrepublik Deutschland darüber hinaus durch ihre eigene Verfassung, das Grundgesetz (Art. 26 Absatz 1), unter Strafandrohung ausdrücklich verboten. Und § 80 des Strafgesetzbuches legt fest: "Wer einen Angriffskrieg (...), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft."
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Im Interview mit der taz nach den rechtlichen Gründen seiner Einschätzung der "klaren Rechtslage" befragt, kam der "juristisch versierte Politiker der Regierungskoalition" (Wiefelspütz über Wiefelspütz) denn auch merklich ins Schleudern. Auf die Frage "Überflugrechte hätten die USA demnach also nur, solange sie sich an das Völkerrecht halten?" antwortete Wiefelspütz: "Ja, aber davon gehe ich, wie gesagt, aus." "Und wenn die USA ohne UNO-Mandat einen unzulässigen Präventivkrieg gegen den Irak beginnen, dann haben sie keine Überflugrechte?" Wiefelspütz: "Ich werde mich hier nicht auf akademische Gedankenspiele einlassen." (taz, 13. Dezember 2002)
Fügen wir hinzu: Auch ein Mandat des UNO-Sicherheitsrats, diesem Erfüllungsgehilfen des US-Imperialismus, würde an der Völkerrechtswidrigkeit eines US-Angriffskriegs gegen den Irak nicht das Mindeste ändern!
Bei der Beurteilung der "Rechtslage" für eine deutsche Kriegsbeteiligung sind das Grundgesetz sowie das Völkerrecht die oberste Norm. Ihnen sind, rechtlich gesehen, alle zwischenstaatlichen Abkommen untergeordnet, auch der NATO-Vertrag vom 4. April 1949.
Im Übrigen tritt auch nach dessen Artikel 5 der so genannte Bündnisfall erst nach einem bewaffneten Angriff gegen eines oder mehrere Mitglieder des Bündnisses in Europa oder Nordamerika ein. "Die Feststellung, ob dies der Fall ist, steht nicht zur freien Disposition der Vertragsstaaten. Artikel 5 wie auch der gesamte NATO-Vertrag stehen vielmehr unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Vereinbarkeit mit der UN-Charta und dem geltenden übrigen Völkerrecht. Artikel 7 NATO-Vertrag stellt dies ausdrücklich klar." (So der Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth gegenüber der Frankfurter Rundschau vom 14. September 2001.)
Selbst die Bush-Regierung hat aber bisher nicht behauptet, der Irak habe die USA militärisch angegriffen! Auch wenn die Bush-Regierung also wider Erwarten entscheiden sollte, sich zur Durchführung eines Angriffs auf den Irak des Bündnisse zu bedienen, würde dies - rechtlich gesehen - keineswegs den Eintritt des Bündnisfalles bedeuten, wie es fälschlich in den deutschen Medien des öfteren suggeriert oder sogar ausdrücklich behauptet wird.