Am Dienstag morgen, den 3. Dezember, verfügte das Bezirksgericht von Catanzaro (Kalabrien, Süditalien) im Rahmen eines Haftprüfungstermins die sofortige Freilassung von 18 Globalisierungsgegnern, die am 15. November inhaftiert worden waren. Sieben von ihnen, unter ihnen mehrere Mitglieder der alternativen Gewerkschaften COBAS, saßen seit über zwei Wochen in den Gefängnissen von Viterbo, Latina und Trani, die übrigen standen unter Hausarrest. Sie waren der "subversiven Tätigkeit" und der "Beeinträchtigung der Wirtschaftsordnung" beschuldigt worden. Diese Anklagen bleiben trotz der Aufhebung der Haftbefehle auch weiterhin bestehen.
Am Mittwoch, nur einen Tag nach der Entscheidung von Catanzaro, erließ die Staatsanwaltschaft von Genua Haftbefehle gegen 23 weitere Globalisierungsgegner in Norditalien und ließ 45 Wohnungen durchsuchen. Die Opfer dieser zweiten Verhaftungswelle werden beschuldigt, für Verwüstungen am Rande des G8-Gipfels in Genua im Juli 2001 verantwortlich zu sein.
Am Dienstag wurde außerdem bekannt, dass die Staatsanwaltschaft in Genua keine Anklage gegen den Polizisten erheben wird, der während des G8-Gipfels den Demonstranten Carlo Giuliani erschossen hatte.
Verhaftungen im Süden
Die jetzt Freigelassenen waren am 15. November in den süditalienischen Städten Cosenza, Tarent, Neapel, Reggio Calabria und Vibo Valenzia verhaftet und sofort in Hochsicherheitsgefängnisse gebracht worden, in denen sonst nur Terroristen oder Mafiosi einsitzen.
Die Verhaftungswelle erfolgte kaum eine Woche, nachdem in Florenz 500.000 Menschen gegen die Kriegsvorbereitungen gegen den Irak demonstriert hatten. Einige der Verhafteten hatten maßgeblich an der Vorbereitung der Demonstration und des Europäischen Sozialforums mitgewirkt, in dessen Rahmen sie stattfand.
Unter den Verhafteten befanden sich Gewerkschafter und bekannte Mitglieder linker Organisationen: Salvatore Stasi, führendes Mitglied der Basisgewerkschaft COBAS von Tarent, Francesco Caruso und Giuseppe Fonzino, die Organisatoren der Netzwerke "No global" und "Disobbedienti", und der Leiter der "Rete del Sud ribelle" (Netze des rebellischen Südens), der Journalist Francesco Cirillo. Weitere Personen wurden unter Hausarrest gestellt, unter ihnen zwei Soziologen der Universität von Kalabrien, Anna Curcio und Antonino Campenni, sowie der Theologe Giancarlo Mattia.
Die Anklagen lauten auf politische Verschwörung mit dem Ziel, die Regierungsarbeit zu stören, sowie Verbreitung subversiver Propaganda und gewaltsame Störung der vom Staat vertretenen Wirtschaftsordnung. Außerdem kommen in einigen Fällen noch folgende Anschuldigungen hinzu: Angriff auf Verfassungsorgane, unbefugtes Tragen von Waffen, Widerstand gegen die Staatsgewalt, die Besetzung von Gebäuden und das Anstiften zur Missachtung der Gesetze der öffentlichen Ordnung.
Während der Anhörung von Catanzaro versuchte der Staatsanwalt Domenico Fiordalisi, eine Verbindung zwischen den Angeklagten und den Brigate Rosse zu konstruieren, die für zahlreiche Terroranschläge verantwortlich sind. Er forderte, derart gefährliche "Subversive" müssten weiterhin hinter Schloss und Riegel gehalten werden, zu viel Toleranz nütze nur dem Terrorismus. Dennoch setzten die drei Richter die Angeklagten schließlich einstimmig auf freien Fuß.
Juristische Farce
Das Verfahren gegen die Globalisierungsgegner ist eine juristische Farce. Es richtet sich gegen politische Gegner der Regierung und der herrschenden Klasse, die ihre Opposition durch Meinungsäußerungen und die Organisierung von sozialem Protest Ausdruck verleihen. Es liegen keinerlei geringsten Beweise für kriminelle Gewaltverbrechen vor. Die konkreten Vorwürfe beziehen sich durchwegs auf Äußerungen der politischen Gesinnung und halten ernsthaften juristischen Kriterien nicht stand.
Als Kopf der angeblichen "kriminellen Vereinigung" stellt die Anklage den 52-jährigen Journalisten Francesco Cirillo hin. Cirillo leitet die Organisation "Rete del Sud ribelle" und ist als Verfasser von Artikeln gegen Mafia und Korruption bekannt. In den achtziger Jahren wurde er schon einmal wegen Mitgliedschaft in einer linksextremen Vereinigung inhaftiert. Damals soll er zeitweise eine Zelle mit Renato Curzio, einem Führer der Brigate Rosse, geteilt haben. Doch außer dieser konstruierten Verbindung liegt gegen ihn nichts vor.
Der Vorwurf des "unerlaubten Waffenbesitzes" reduziert sich darauf, dass man in seinem Haus eine Gasmaske, Holzstöcke und einen schwarzen Sturzhelm gefunden hatte. Die spektakulärste Aktion, die die "Rete del Sud ribelle" bisher durchführten, war eine gewaltfreie Besetzung von Arbeitsämtern am 2. Juli 2001 in verschiedenen Städten.
Gegen Francesco Caruso, den 28-jähriger Sprecher der "Disobbedienti" (Ungehorsamen) von Neapel, werden lächerliche Vorwürfe vorgebracht, wie er habe in einem Zeitungsinterview "Seattle als Potential des Aufstands gepriesen". Der Vorwurf des "unautorisierten Besitzes von Waffen" stützt sich auf einen Videofilm, den die Polizeisondergruppe ROS am 17. März 2001 während einer Demonstration in Neapel gedreht hat. Er soll Caruso in der Gesellschaft gewaltbereiter, mit Knüppeln bewaffneter Demonstranten zeigen.
Caruso erklärte dazu: "Als ich sah, wie sie Stöcke auspackten, ging ich hin und sagte zu ihnen, sie sollten verschwinden." Die ROS (Ragguppamento Operativo Speciale dei carabinieri) ist eine besondere Polizeieinheit, die mit dem Geheimdienst zusammenarbeitet und schon während der Demonstration von Genua durch ihr provokatives Verhalten aufgefallen war.
Der Verteidiger von Caruso, Giuliano Pisapia, wies alle Anschuldigungen als verfassungswidrig zurück und wies darauf hin, dass der Straftatbestand der politischen Verschwörung dem faschistischen Strafkodex entnommen sei. In der Tat stammt der Artikel 270 aus der Zeit des Faschismus; er stellt bereits die Planung von Aktivitäten unter Strafe, die gegen die italienische Regierung und Wirtschaftsordnung gerichtet sind. Aufgrund dieses Artikels können theoretisch heute noch Angeklagte wegen Gesinnungsverbrechen zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt werden.
Das Innenministerium der Regierung Berlusconi versuchte schon seit geraumer Zeit, die wachsende soziale und politische Opposition zum Schweigen zu bringen. Die Verhaftungen in Süditalien waren wohl ein erster Versuch, der jetzt in Genua und anderen norditalienischen Städten wiederholt werden soll. Gleichzeitig weisen die Freilassungen im Süden und die gleichzeitige Verhaftungswelle im Norden auf Konflikte im Innenministerium und Justizapparat hin.
Ein Staatssekretär des Innenministeriums, Alfredo Mantovano von der neo-faschistischen Alleanza Nazionale, hatte die Verhaftungen in Süditalien mit den Worten kritisiert: "So schafft man Märtyrer, während die Schuldigen von Neapel und Genua noch ungestraft herumlaufen", und hatte die Freilassung der Gefangenen von Cosenza vorausgesagt.
Deren Verhaftung war von Innenminister Giuseppe Pisanu betrieben worden, einem Mitglied von Forza Italia, der als Strohmann Berlusconis gilt. Dieser hatte eine Woche vor der Antikriegsdemonstration in Florenz hysterisch erklärt, man müsse mit der "sicheren Verwüstung von Florenz" rechnen, weil sich Horden gewaltbereiter Autonomer auf die Stadt zu bewegten.
In Cosenza fand er schließlich eine lokale Justizbehörde, die bereit war, politischen Gegnern der Regierung auf der Grundlage von Strafgesetzen aus der Zeit des Faschismus den Prozess zu machen.
Staatsanwalt Domenico Fiordalisi, der die Anklage erhob, hatte schon seit anderthalb Jahren gegen Globalisierungsgegner und politische Aktivisten in seiner Region ermittelt, ihre Telefongespräche abgehört, E-mails und Internetseiten ausgewertet und Mitglieder beschattet. Seine Treue zur Regierung hatte er unter Beweis gestellt, als er Anfang dieses Jahres den Streik boykottierte, mit dem die Richter gegen die willkürliche Änderung des Strafrechts zu Berlusconis Gunsten protestierten.
Die zweite Person am Gericht von Cosenza, die sich damals dem Streik gegen Berlusconi widersetzt hatte, die Richterin Nadia Plastina, wurde jetzt mit der Leitung der Voruntersuchungen gegen die Globalisierungsgegner betraut. Sie übernahm bereitwillig alle Ermittlungsergebnisse der Sonderpolizei ROS und stellte zwei Tage vor Beginn des Sozialforums in Florenz die Haftbefehle aus.
Auch gegen die süditalienische COBAS war bereits Monate zuvor ermittelt worden: Schon am 31. Mai war eine Razzia auf die Büros von COBAS in Tarent durchgeführt worden, neun ihrer Mitglieder wurden dabei verhaftet und Computer und Dokumente konfisziert. Unter den Festgehaltenen waren Personen, die Berichte über Polizeigewalt im Gefolge der Ereignisse in Neapel und Genua im letzten Jahr verfasst hatten. Auch diese Personen wurden beschuldigt, gegen den Paragraphen 270 verstoßen zu haben.
Schreckliche Haftbedingungen
Nach seiner Freilassung berichtete Francesco Caruso der Zeitung il manifesto über die Bedingungen seiner Inhaftierung.
Im Hochsicherheitstrakt von Trani war er zuerst in eine fensterlose Zelle gesteckt worden, zwei mal zwei Meter groß, wo es nicht mal einen Stuhl gab und er wie ein Tier auf dem Boden saß. Nach einer langwierigen erkennungsdienstlichen Behandlung habe er in einer weiteren Isolationszelle drei Tage ohne Lektüre, Radio oder Fernsehen verbracht. Von einem ihn besuchenden Parlamentarier habe er sich schließlich Stift und Papier geben lassen, um wenigstens schreiben zu können.
Dann wurde er ins Gefängnis von Viterba verlegt, wo er weitere drei Tage in Isolationshaft verbrachte, bis er schließlich in eine Gemeinschaftszelle mit andern Häftlingen zusammenkam und zum Beispiel Gaetano kennen lernte: "Der bezahlt eine gepfefferte Rechnung: acht Monate Gefängnis, weil er in einem Supermarkt acht Mozzarellakäse gestohlen hat; das heißt praktisch einen Monat Haft pro Käse."
Die Bedingungen seien dramatisch, berichtete Caruso: In Viterba höre man die Schreie der Gefangenen die ganze Nacht. "Es ist nicht wahr, dass es für Drogenabhängige und Aids-Kranke spezielle Abteilungen gibt, es sind dort alle bunt durcheinander gemischt. Einer hatte einen epileptischen Anfall, und die Mitgefangenen riefen: Zu Hilfe, ein Arzt!‘ Sie schrieen von zwei bis um fünf Uhr früh, aber es kam nicht mal ein Hund."
Caruso erklärte: "Wenn du mit dieser Situation so unmittelbar in Berührung kommst, dann wird dir klar, dass hier das ganze menschliche Elend abgeladen wird, dass hier die Verzweifelten, die Unglücklichsten der Gesellschaft landen. Die wirklich Kriminellen sind hier nicht zu finden."
Während der Anhörung vom letzten Freitag kam es zu einer zwölfstündigen Protestdemonstrationen mehrerer Hundert Menschen vor den Toren des Gerichts in Catanzaro. In der Öffentlichkeit mehrt sich die Kritik an der jüngsten Repressionswelle des Staates. Seit Wochen skandieren Demonstrationsteilnehmer in zahlreichen Städten Italiens: "Wir sind alle subversiv!"
In Cosenza beteiligten sich 60.000 an einer Demonstration für die Freilassung der Gefangenen, darunter auch die Bürgermeisterin der Stadt. In Ferrara bezichtigten sich 75 Universitätsprofessoren und Persönlichkeiten aus Parteien und öffentlichen Institutionen selbst der politischen Konspiration.
Neben diesen Protesten finden außerdem fast täglich Kundgebungen und Aktionen italienischer Metallarbeiter statt, von denen sich ebenfalls schon einige Gruppen mit den gefangenen Globalisierungsgegner solidarisiert haben. Seit Wochen protestieren streikende Fiat-Arbeiter gegen die geplanten Massenentlassungen, es kommt zu Besetzungen von Betrieben, Autobahnen und Bahnhöfen. Am 30. November fand in Neapel eine Massendemonstration von über 200.000 Teilnehmern gegen Entlassungen und Sozialabbau statt.