Bush verordnet Lateinamerika Armut, Unterdrückung und Militarismus

Auf seiner jüngsten viertägigen Rundreise durch drei lateinamerikanische Länder klopfte George W. Bush die bekannten Sprüche über gesamtamerikanische "Partnerschaft" und Fortschritt in gegenseitigem Einvernehmen, die seit fünfzig Jahren jeder amerikanische Präsident im Gepäck führt. Allerdings hat der 11. September eine leichte Abwandlung der Washingtoner Rhetorik ausgelöst. Die Militärinterventionen, die von der CIA organisierten Staatsstreiche und US-gestützten Diktaturen, die das 20. Jahrhundert in dieser Region weitgehend prägten, werden fortan nicht mit mehr mit dem "Kampf gegen die kommunistische Unterwanderung", sondern mit dem "Krieg gegen den Terrorismus" gerechtfertigt.

Die erste Reise des Präsidenten in die Region südlich von Mexiko fand vor dem Hintergrund einer gesteigerten US-amerikanischen Intervention in Kolumbien statt. In den vergangenen zwei Jahren hat Washington diesem Land Waffenhilfe im Wert von mehr als zwei Milliarden Dollar gewährt. Nun drängt das Weiße Haus den Kongress, sämtliche Auflagen über die Verwendung dieser Gelder aufzuheben. Bislang ist ein Beschluss des Kongresses in Kraft, wonach diese Militärhilfe nur in die Drogenbekämpfung fließen darf.

Außerdem soll, wie die Regierung der USA bekannt gegeben hat, für den Schutz der Pipelines der amerikanischen Ölkonzerne künftig ein neues militärisches Konzept zum Tragen kommen. Namentlich soll das kolumbianische Militär von der Verpflichtung auf gängige internationale Menschenrechtsvorschriften befreit werden. Auch die bisherige Obergrenze für den Einsatz US-amerikanischen Militärpersonals soll fallen.

Zu Beginn seiner Reise sprach Bush vor einer Konferenz der Vereinten Nationen über globale Entwicklungshilfe in Monterrey (Mexiko). Er stellte dort einen direkten Zusammenhang zwischen der kläglichen Erhöhung der Auslandshilfe der USA (fünf Milliarden Dollar in den nächsten fünf Jahren) und den globalen militärischen Zielen Washingtons her. "Wir bekämpfen die Armut, weil Hoffnung die richtige Antwort auf Terror ist", sagte er. Bei der Finanzplanung tritt die Hoffnung allerdings hinter Marschflugkörpern und Streubomben zurück. Um 48 Milliarden Dollar sollen die Militärausgaben innerhalb von nur einem Jahr steigen.

Schätzungen der UN besagen, dass eine Erhöhung der von den reichsten Ländern gewährten Hilfsgelder um 50 Milliarden Dollar pro Jahr - nur wenig mehr, als die geplante Erhöhung des Verteidigungsetats der USA - ausreichen würde, um das erklärte Ziel der jüngsten Konferenz zu erreichen: Die Halbierung der Anzahl Menschen, die weltweit mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, bis zum Jahr 2015.

Bush machte deutlich, dass die USA nicht geneigt sind, ihre Großmut an die "Unwürdigen" unter den armen Ländern zu vergeuden. "Die Lehre unserer heutigen Zeit ist klar", erklärte er vor der UN-Konferenz. "Wenn Länder ihre Märkte abschotten und nur wenige Privilegierte alle Chancen für sich reservieren, kann Entwicklungshilfe - egal in welcher Höhe - nichts ausrichten. Wir müssen größere Hilfen von politischen und ökonomischen Reformen abhängig machen. Gerade indem wir auf Reformen bestehen, tun wir das Werk des Mitgefühls."

Der Präsident, der sein Amt einer knappen Mehrheit rechtsgerichteter, nicht gewählter Richter am Obersten Gerichtshof verdankt und der bis zum Hals im Enron-Skandal steckt, verlangte den Anwärtern auf US-Hilfsgelder zudem mit Nachdruck "Demokratie" und "Transparenz" ab. Viele Teilnehmer an der UN-Konferenz werteten diese "selektive" Vergabe von Hilfsgeldern als Rückfall in die Politik des Kalten Krieges. Damals bekamen diejenigen Länder Geld, die sich hinter die militärischen Aktionen und strategischen Interessen der USA stellten. Alle anderen wurden boykottiert.

"Freier Handel" und "wirtschaftliche Reformen", mit denen die lateinamerikanischen Volkswirtschaften den in den USA beheimateten transnationalen Konzernen unterworfen werden, stellen laut dem US-Präsidenten den einzig gangbaren Weg zu wirtschaftlicher Entwicklung dar. Etwas unverblümter äußerte sich Finanzminister Paul O'Neill. Hilfen für andere Länder, meinte er, seien ohnehin nur "Wohlfahrtsmaßnahmen", eine "wirkliche wirtschaftliche Entwicklung" könne nur stattfinden, "wenn Kapital in diese Länder fließt, um Arbeitsplätze zu schaffen".

Presseberichten zufolge hatte Bush damit gedroht, die Konferenz zu boykottieren, als die US-Regierung erfuhr, dass die Regierungen von Chile und Brasilien eine Resolution einbringen wollten, die Nothilfen für Argentinien forderte. Die Wirtschaft dieses lateinamerikanischen Landes, ein Musterbeispiel für die von Bush vertretene Politik der offenen Märkte und "Reformen", befindet sich derzeit im freien Fall. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen ist in den letzten fünf Jahren um 8.950 Dollar gesunken und beträgt jetzt nur noch 3.190 Dollar. Das Land, das von Washington in den neunziger Jahren als Modell gefeiert wurde, verzeichnet inzwischen eine Arbeitslosigkeit von 25 Prozent. Es gibt mehr Armut als je zuvor, und die Landeswährung hat im Laufe von nur zwei Monaten 75 Prozent ihres Werts eingebüßt.

Aus gutem Grund machte Bush bei seiner Rundreise einen großen Bogen um Buenos Aires. Seine gesalbten Worte über den "freien Markt" hätten auf die sozialen Tumulte in diesem Land wohl nicht gerade beruhigend gewirkt. Auch in Brasilien, dem größten Land Lateinamerikas, konnte der Präsident keinen Zwischenstopp einlegen. Es hätte etwas befremdend gewirkt, dort den "freien Handel" zu propagieren, nachdem Washington soeben Strafzölle gegen brasilianische Stahlexporte verhängt hat.

In den drei Ländern, die ihm verblieben, traf Bush mit leeren Händen ein. Er brachte keine Zusagen für nennenswerte Hilfsgelder mit und zeichnete ein Bild des wirtschaftlichen und sozialen Wohlergehens dieser Nationen, das in schreiendem Gegensatz zur Realität stand. In Mexiko ist die Armutsrate, wie aus einem Bericht der nationalen Sozialakademie hervorgeht, seit 1994 um 300 Prozent gestiegen. 40 Millionen Menschen sind betroffen, davon 26 Millionen Ureinwohner.

In Peru, Bushs zweiter Station, hatte die Regierung unter Alejandro Toledo den Besuch des US-Präsidenten vorbereitet, indem über die Hauptstadt Lima ein regelrechter Belagerungszustand verhängt worden war. 22.000 Soldaten und Polizisten waren auf den Straßen. Jede Art von Demonstration war verboten. Eine kleine Protestveranstaltung gegen Bush im Stadtzentrum wurde von der Polizei unter Einsatz von Tränengas rasch aufgelöst, 18 Personen wurden verhaftet. Zur gleichen Zeit bezogen zwei US-amerikanische Kriegsschiffe, die mit Marschflugkörpern bestückt und mit Elite-Einheiten besetzt sind, Stellungen vor der Hafenstadt Callao, um sich für ein mögliches Eingreifen bereit zu halten.

Bush lobte Toledo als Symbol für die lateinamerikanische Demokratie, weil er es geschafft habe, in Wahlen dem korrupten und autoritären Regime unter Alberto Fujimori die Stirn zu bieten - das zu den engsten Verbündeten von George Bush senior gehört hatte. Peru ist von demselben wirtschaftlichen Abwärtssog erfasst worden wie Argentinien. Die Arbeitslosenrate ist in die Höhe geschnellt, vielerorts kam es deshalb zu Arbeiterunruhen. Toledo war gewählt worden, nachdem Fujimori im vergangenen Jahr das Land fluchtartig verlassen hatte. Heute erzielt Toledo in Umfragen weniger als 30 Prozent Zustimmung.

In Lima legte Bush das Hauptgewicht auf Militärhilfe. Er zog eine Verbindungslinie zwischen dem 11. September und einer Bombenexplosion nahe der US-Botschaft wenige Tage vor seiner Ankunft. Vertreter der beiden wichtigsten peruanischen Guerillagruppen - Leuchtender Pfad und Tupac Amaru (MRTA) - bestritten jede Verantwortung für diese Autobombe, die neun Peruaner in den Tod riss. Beide Gruppen sind von der Fujimori-Regierung weitgehend vernichtet worden, und die Überlebenden fordern mittlerweile ein Ende des bewaffneten Kampfes und ihre Beteiligung an einer "Wahrheitskommission", die Beweise für die Verbrechen des Fujimori-Regimes zusammentragen soll.

Die Polizei hat bislang noch keine Verdächtigen benannt, einige Vertreter der peruanischen Linken schreiben die Explosion allerdings Fujimori-Anhängern im Militär zu und sprechen von einer möglichen Beteiligung der CIA.

Bush erklärte die USA und Peru zu "Partnern im Kampf gegen den Terrorismus" und versprach, er werde "die militärischen Bemühungen Perus unterstützen, das Einsickern von Terroristen wie etwa der FARC (Revolutionary Armed Forces of Colombia) zu verhindern". Toledo seinerseits bekräftigte, dass Peru Militärlager, die es früher an der umstrittenen Grenze zu Ecuador unterhalten hatte, an die kolumbianische Grenze verlagt habe. Im Anschluss an Bushs Besuch dementierte der peruanische Außenminister Meldungen, wonach beide Seiten überein gekommen seien, US-Militärbasen in Peru einzurichten.

Unbeachtet blieb hingegen die Forderung der Toledo-Regierung, dass sie Einblick in die CIA-Akten über den verhassten Chef der Geheimpolizei unter Fujimori erhalte. Dieser Mann, Vladimiro Montesinos, hatte Massaker, Mord- und Folterkommandos befehligt, dabei einen großen Teil des politischen Establishments bestochen oder erpresst und Hunderte Millionen Dollar veruntreut. Schließlich wurde er unehrenhaft aus der peruanischen Armee entlassen, weil er Militärgeheimnisse an die USA verraten hatte. Montesinos hatte lange Jahre für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet.

Sowohl US-amerikanische als auch peruanische Regierungsangehörige gaben bekannt, dass Bush und Toledo über den Fall Lori Berenson gesprochen haben. Diese amerikanische Staatsangehörige war im Jahr 1996 von einem geheimen, maskierten Militärgericht wegen "Vaterlandsverrats" verurteilt worden, weil sie angeblich Verbindungen zu MRTA-Mitgliedern unterhielt. Die peruanische Seite bezeichnete den Fall nun als "vollständig abgeschlossen". Der US-Präsident, so Regierungsvertreter, habe seinen "Respekt" vor einem zweiten unrechtmäßigen Prozess zum Ausdruck gebracht, bei dem dasselbe illegale Beweismaterial verwendet worden war wie vor dem Militärgericht. Dabei war die 32-jährige New Yorkerin wegen Unterstützung der Guerilla zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Berenson beteuert bis heute konsequent ihre Unschuld und betont, dass sie ausschließlich wegen ihrer politischen Ansichten und wegen ihres Mitgefühls für die Opfer des Fujimori-Regimes eingesperrt werde.

Da die Regierung Bush die Unterstützung der Toledo-Regierung für eine US-Intervention in Kolumbien gewinnen möchte, lag dem Präsidenten nichts daran, sich für Berenson zu verwenden. Zweifellos wollte er sich auch deshalb nicht für sie einsetzen, weil die Organisation der amerikanischen Staaten vor kurzem die USA dafür getadelt hat, dass sie den afghanischen Kriegsgefangenen, die ohne Anklage oder Verfahren auf dem Marinestützpunkt Guantanamo auf Kuba festgehalten werden, grundlegende Menschenrechte vorenthält.

Bushs letzte Station war El Salvador, das er als "eines der strahlenden Lichter Lateinamerikas" bezeichnete. Dieses Land in Zentralamerika, das im Bürgerkrieg der achtziger Jahre 70.000 Menschenleben verloren hat - die meisten von ihnen Arbeiter und Bauern, die von US-trainierten Todesschwadronen des Militärs ermordet wurden - ist heute in einem höheren Maße sozial gespalten und verarmt als zu Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 1979. Angaben der UN zufolge leben 48 Prozent der 6,1 Millionen Einwohner in Armut. Während das Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung niedriger ist als vor einem Vierteljahrhundert, verfügt das wohlhabendste Fünftel der Bevölkerung nun über 55,3 Prozent des Gesamtvermögens, während auf das ärmste Fünftel nur 3,7 Prozent entfallen.

In ganz Lateinamerika ist die soziale Krise, die auf ein Jahrhundert wirtschaftliche Ausbeutung seitens der USA zurückgeht, durch eine Reihe von Naturkatastrophen verschlimmert worden. Eine Dürre hat Selbstversorgern auf den Dörfern die Ernte kaputt gemacht, sodass Hunderttausende keine Nahrung mehr haben. In Guatemala kam eine Studie des Gesundheitsministeriums in jüngster Zeit zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent der Bevölkerung unter Mangelernährung leiden und 46 Prozent der fünf Millionen Kinder des Landes chronisch unterernährt sind.

Während seines fünfeinhalb Stunden währenden Aufenthalts traf sich Bush zu einem "Arbeitsessen" mit den Präsidenten Zentralamerikas, brachte aber keine neuen Programme für die Millionen Menschen in dieser Region, die zu wenig oder gar nichts zu essen haben.

Tausende Arbeiter und Studenten protestierten unterdessen gegen den Besuch des US-Präsidenten. Ihre Demonstrationen erinnerten darüber hinaus an den 22. Jahrestag der Ermordung von Erzbischof Oscar Romero durch eine rechtes Todeskommando. Nur wenige Wochen vor seinem Tod hatte der katholische Prälat ein Ende der US-Militärhilfe gefordert, da sie benutzt werde, um unbewaffnete Zivilisten zu ermorden.

In El Salvador wurde Bush ebenso wie in Peru gedrängt, Freihandelsabkommen in Kraft zu setzen, die den Produkten der Region ungehinderten Zugang zu den Märkten der USA ermöglichen würden. Doch der US-Präsident ging keinerlei Verpflichtungen ein. Washington hält den "Freihandel" als hehres Prinzip hoch, während es ihm in Wirklichkeit nur darauf ankommt, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die den Banken und multinationalen Konzernen mit Sitz in den USA die Ausplünderung der Volkswirtschaften Lateinamerikas erschweren, und gleichzeitig die europäischen und japanischen Konkurrenten fernzuhalten.

Jahrzehnte eben dieser Politik haben auf dem gesamten Kontinent zu einer sozialen Katastrophe geführt. Die Auslandsverschuldung der Länder dieser Region ist auf nahezu 800 Milliarden Dollar angestiegen und verschlingt mittlerweile allein in Form von Zinsen und Gebühren einen großen Anteil des Haushalts der betroffenen Länder. Laut Angaben der Economic Commission for Latin America (CEPAL) ist die Anzahl der Armen in der Region in den Jahren 1998 bis 2000 von 200 Millionen auf 224 Millionen gestiegen. Viele weitere Millionen werden ins Elend getrieben, sobald die in den USA und weltweit stattfindende Rezession auf die dortigen Volkswirtschaften übergreift.

Diese Bedingungen werden zwangsläufig in ganz Lateinamerika explosive soziale Erschütterungen auslösen. Bushs Rundreise, die in erster Linie den "Kampf gegen den Terrorismus" ausweiten sollte, lässt eindeutig darauf schließen, dass Washington eine weitere Runde konterrevolutionärer Gewalt vorbereitet, um sich die Kontrolle über den seit langem beanspruchten "Hinterhof" der USA zu sichern.

Siehe auch:
Abwertung der argentinischen Währung
(12. Januar 2002)
Die Vereinigten Staaten nehmen Venezuela ins Visier
( 6. Januar 2001)
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