In ihrem Bemühen, George W. Bush im denkbar schmeichelhaftesten Licht erscheinen zu lassen, hat die liberale Presse in den USA den letzten Rest von Anstand und journalistischer Integrität über Bord geworfen. Im Verlauf des letzten Monats sind auf den Seiten von Zeitungen wie der New York Times und der Washington Post regelmäßig Zeugnisse über die wunderbare Verwandlung des George Bush aus einer mittelmäßigen Figur zu einem großen Staatsmann erschienen.
Dieser Betrug und Selbstbetrug nahm letzte Woche, als Bush zur besten Sendezeit eine Pressekonferenz abhielt, die auf allen Fernsehkanälen ausgestrahlt wurde, wahrhaft groteske Formen an. Bushs gewundenes Auftreten entsprach dem, was er ist: ein sehr beschränkter Mann, weder intellektuell noch politisch in der Lage, mit der komplexen Situation fertig zu werden, die seit den Terroranschlägen in New York und Washington entstanden ist.
Am nächsten Tag veröffentlichte die New York Times einen entzückten Leitartikel mit der Überschrift "Mister Bushs neue Größe". Voller Bewunderung über die angebliche Verwandlung des Mannes, "der letztes Jahr nur knapp zum Präsidenten gewählt wurde", erklärte die Times: "Er wirkte selbstbewusst, entschlossen, seiner Sache sicher und schien die vielfältigen politischen und militärischen Herausforderungen vollständig zu beherrschen, die ihm nach den schrecklichen terroristischen Angriffen vom 11. September nun bevorstehen. Es war ein beruhigender Auftritt, der einer verunsicherten Nation wieder Zuversicht geben sollte."
Die einleitende Hymne gab den Ton für den Rest des Kommentars vor, der mit der folgenden Bemerkung schloss: "Alles in allem war es eine beeindruckende Erscheinung, die den Bürgern das Gefühl gab, dass ihr Präsident viel getan hat, um die Kompliziertheit dieser neuen globalen Krise zu meistern... [Bush] scheint ein Präsident zu sein, dem die Nation in diesen schwierigen Zeiten folgen kann."
Eine erstaunliche Einschätzung. Der hier beschriebene George W. Bush hat wenig Ähnlichkeit mit dem Mann, der am 11. Oktober im Weißen Haus eine Pressekonferenz gab. Jener Mann versuchte Ideen und Gedanken miteinander zu verbinden, die er offenbar gar nicht verstand. Das Ergebnis war eine Kette von Ungereimtheiten, Banalitäten und Ausflüchten. Man fragt sich, ob die Leitartikler der Times überhaupt auf derselben Pressekonferenz waren.
Die Pressevertreter im Weißen Haus taten ihr Bestes, um dem Präsidenten seine Sache zu erleichtern, und vermieden es sorgfältig, die verlogenen Behauptungen in Frage zu stellen, mit denen der Krieg in Afghanistan und der Angriff auf demokratische Rechte in den USA gerechtfertigt werden.
Niemand fragte Bush, wie eine Gruppe von Terroristen einen Plan durchführen konnte, Tausende umzubringen, das World Trade Center zu zerstören und das Pentagon zu bombardieren, ohne entdeckt oder aufgehalten zu werden. Kein Reporter sprach an, dass das Weiße Haus bis heute keine konkreten Beweise für Osama bin Ladens Schuld vorgelegt hat. In ihrer kollektiven Feigheit weigerten sich die Presseleute sogar, Bushs Bemühungen, der Presse einen Maulkorb zu verpassen, in Frage zu stellen. Nicht einmal angedeutet wurden die wirtschaftlichen und strategischen Ziele im rohstoffreichen Zentralasien. Das Wort, das mit "Ö" anfängt und mit "l" aufhört, fiel nicht.
Trotzdem erwies sich Bush als unfähig, die Politik seiner Regierung überzeugend darzulegen. Statt "selbstbewusst, entschlossen, seiner Sache sicher" sprach Bush vielmehr unsicher, unzusammenhängend und vage. Anstatt "die Kompliziertheit dieser neuen globalen Krise zu meistern", war der Präsident kaum fähig, die Formeln zusammenhängend zu wiederholen, die seine Berater für ihn formuliert hatten.
Was er zuerst "den ersten und wir hoffen einzigen [Krieg] des 21. Jahrhunderts" genannt hatte, wurde beim zweiten Mal zur "ersten Schlacht im Krieg des 21. Jahrhunderts", und wieder ein paar Minuten später zu "den neuen Kriegen des 21. Jahrhunderts".
Hinsichtlich des Charakters des Krieges, seiner Dauer und seinen Zielen hatte Bush wenig zu sagen, außer der Versicherung, es sei "ein ganz neuartiger Krieg", eine Phrase, die er vielfach wiederholte. Wieder und wieder klammerte er sich an solche Formeln. Wiederholt sprach er davon, den "Bösewicht" Bin Laden "auszuräuchern".
Bushs Bemerkungen enthielten offensichtliche Widersprüche. Ein Reporter, wies darauf hin, dass sich US-Beamte nicht sicher sind, ob sich Bin Laden noch in Afghanistan aufhalte, und fragte, ob der "Krieg gegen Terrorismus" gewonnen werden könne, wenn das Hauptziel nicht aufgefunden werde. Bush antwortete, dass "Erfolg oder Misserfolg nicht von Bin Laden" abhängen und fuhr fort: "Erfolg oder Misserfolg hängen davon ab, den Terrorismus überall auf der Welt auszureißen, wo er existiert. Er ist nur eine Person, ein Teil eines Netzwerks."
Wie der Terrorismus weltweit "ausgerissen" werden kann, ohne den Mann zu fangen oder zu eliminieren, den die USA beschuldigen, der Top-Terrorist der Welt zu sein, erklärte er nicht. Nachdem er im ersten Atemzug die Bedeutung Bin Ladens heruntergespielt hatte, schrieb Bush ihm im nächsten enorme Macht zu und behauptete, der saudische Exilant halte "ein ganzes Land als Geisel" und habe "ein Land gezwungen, sein radikales Gedankengut zu akzeptieren".
Ein weiterer Reporter wies auf die Warnungen des FBI vor neuen Terroranschlägen an jenem Tag hin und stellte die völlig legitime Frage: "Angesichts des ganz allgemeinen Charakters der Warnung, was kann sie erreichen, außer die Leute von dem abzuhalten, was Sie ihnen geraten haben, nämlich zu ihrem normalen Leben zurückzukehren...?" Bush war sichtlich in Schwierigkeiten, als er dieses Rätsel auflösen sollte.
Es gehe um "eine allgemeine Bedrohung für Amerika", sagte er und fügte hinzu: "Wäre es um eine spezifische Gefahr gegangen, hätten wir diejenigen kontaktiert, denen die Bedrohung gegolten hätte." Er fuhr fort, das amerikanische Volk könne "beruhigt sein", wenn offizielle Stellen vor bevorstehenden Angriffen warnten, denn dies zeige, dass die Regierung "auf der Hut" sei. Dann führte er "gute Neuigkeiten" an: steigende Buchungen im kommerziellen Luftverkehr und im Hotelgewerbe. "Wir kehren zur Normalität zurück", erklärte Bush.
Das war eine typische Ungereimtheit à la Bush. Einerseits wollte er dem Verdacht begegnen, dass mit der Warnung des FBI Panik erzeugt und die Öffentlichkeit hinter seine Kriegspolitik und seine Angriffe auf demokratische Rechte gebracht werden sollte. Deshalb betonte er, dass die Bedrohung durch einen unmittelbaren Angriff real sei. Doch aus dieser düsteren Prognose leitete er dann irgendwie ab, dass die angemessene Reaktion der amerikanischen Bevölkerung darin bestehe, "zur Normalität zurückzukehren".
Die Menschen sollten wachsam sein, erklärte er. Aber als er dann - zwei Mal - gefragt wurde, worin denn diese Wachsamkeit eigentlich bestehen solle und wie einfache Menschen sich selbst schützen könnten, wusste Bush wieder nicht weiter. "Wenn die Menschen in Amerika etwas Verdächtiges sehen, etwas nicht der Norm Entsprechendes, dann sollten sie die örtlichen Sicherheitsbehörden verständigen", sagte er.
Als Antwort auf die letzte Frage der Pressekonferenz - "Wonach sollen Menschen Ausschau halten und was sollen sie der Polizei oder dem FBI melden?" - konnte Bush nicht mehr sagen als: "Wenn Sie verdächtige Leute bei Chemiefabriken herumlungern sehen, melden Sie es den Behörden."
So beschrieb die Times den Versuch des Präsidenten, auf diese Fragen zu antworten: "Mr. Bush ging besonders wirkungsvoll auf die Sorgen des amerikanischen Volkes ein. Er sprach einfühlsam darüber, dass jederzeit neue terroristische Angriffe erfolgen könnten, beschrieb aber gleichzeitig die vielen Vorkehrungen, mit der die Regierung die Heimatfront verteidigt. Er zeigte sich fest entschlossen, wenn es darum ging, die Nation zu beschützen, und väterlich, wenn er den Menschen den ruhigen Ratschlag gab, ihr alltägliches Leben so weit wie möglich fortzusetzen."
In dieser Mischung aus Speichelleckerei und Irreführung sticht eine Behauptung hervor, weil sie in Frage stellt, ob die Autoren der Pressekonferenz überhaupt beigewohnt haben. Es ist faktisch falsch, dass Bush "die vielen Vorkehrungen, mit der die Regierung die Heimatfront verteidigt", beschrieb. Er hat nichts dergleichen getan.
Die Times fuhr fort: "Mit einer Mischung aus klaren Worten, staatsmännischem Auftreten und einer Prise Humor hier und da nutzte Mr. Bush die Pressekonferenz, um seine Positionen in Bezug auf viele Kernfragen des Kriegs gegen den Terrorismus klarer und schärfer herauszuarbeiten." Die von der Zeitung gepriesenen "klareren" und "schärferen" Positionen bestanden in der Weigerung, eine zeitliche Begrenzung des Krieges zu nennen, und in Andeutungen darüber, dass in Afghanistan ein Marionettenregime eingesetzt würde, für das die UNO ein legales Feigenblatt liefern solle.
Die Times pries Bush außerdem dafür, dass er den Irak bedrohte, ohne die USA auf einen sofortigen Angriff auf Bagdad festzulegen. Dies wäre "ein Schritt, zu dem die Nation gegenwärtig[Hervorhebung hinzugefügt] noch nicht bereit ist", heißt es in dem Leitartikel.
Besonders angetan war die Times von Bushs Gerede über humanitäre Hilfe für das "verarmte Volk von Afghanistan". Als "von Herzen kommend" beschrieb sie Bushs widerlichste Zurschaustellung von Heuchelei - seinen Aufruf an amerikanische Kinder, Spenden an die Kinder in Afghanistan zu schicken.
In diesem Zusammenhang überging die Times allerdings ein entlarvendes Eingeständnis. Bush hatte nebenbei über Washingtons "früheres Engagement in den afghanischen Gebieten" gesprochen und erklärt, dass seine Regierung aus dieser Erfahrung gelernt habe, dass "wir nicht einfach weggehen sollten, sobald ein militärisches Ziel erreicht ist".
Bush spielte dabei auf die amerikanische Unterstützung für die islamistischen Mujaheddin während der sowjetischen Invasion in den 80er Jahren an. Es ist wohlbekannt, dass sich unter den Guerillas, die von der CIA in dieser Zeit bewaffnet und finanziert wurden, auch Osama bin Laden und die Vorgänger der Taliban befanden. Keine Regierung hat eine wichtigere Rolle als die amerikanische dabei gespielt, diese reaktionären Kräfte in Afghanistan hoch zu züchten. Als die sowjetischen Truppen dann abgezogen waren, überließ Washington die Bevölkerung den rivalisierenden Warlords und islamisch fundamentalistischen Milizen. Das Ergebnis waren Jahre des Bürgerkrieges, die das Land weitgehend zerstörten.
Damit hatte Bush, als er seine Ausführungen mit einer Zurschaustellung seines Mitgefühls schloss und die furchtbaren Lebensbedingungen von Afghanistans Kindern beschrieb, bereits ungewollt auf die Verantwortung der USA für eben diese Bedingungen hingewiesen.
Es gab noch weitere bemerkenswerte Passagen, die von der Times lieber gar nicht genannt wurden. Dazu zählten etwa Bushs Behauptung, dass der große Fehler im Vietnamkrieg darin bestanden habe, gewählten Regierungsvertretern die Kontrolle über die Aktionen des Militärs zu überlassen, sein dümmliches Bekenntnis, die Lehre aus den Ereignissen vom 11. September bestehe darin, dass es "das Böse auf der Welt " gibt, und sein "Erstaunen" über den weitverbreiteten Hass auf die USA in der arabischen und moslemischen Welt.
Wie ist diese Kombination von Ignoranz und Unehrlichkeit zu erklären? Bush ist ein Mann, der in den letzten zwanzig Jahren, wenn nicht während seines ganzen Lebens, kein ernsthaftes Buch gelesen hat. Er weiß fast nichts über die Geschichte und noch weniger über Zentralasien. Er führt Krieg in einem Teil der Welt, von dem er keine Ahnung hat. Es ist zweifelhaft, ob er vor dem 11. September die an Afghanistan grenzenden Länder hätte aufzählen können. Er beherrscht die Fakten nicht und kann keine faktisch und historisch fundierte Verallgemeinerungen treffen. Ohne solche Fähigkeiten ist es aber unmöglich, ernsthaft Politik zu machen. Er ist vollkommen ungeeignet für sein Amt. In den führenden Kreisen von Politik und Medien der herrschenden Klasse ist das alles wohl bekannt.
Die Redakteure der Times wussten, dass Bushs Pressekonferenz nichts mit ihrem kriecherischen Kommentar zu tun hatte. Warum haben sie dann aber ein derart schamloses Machwerk veröffentlicht?
Die Medien sind fest entschlossen, eine Wiederholung der sogenannten "Glaubwürdigkeitslücke" wie in der Zeit von Vietnam zu verhindern und deshalb die Behauptungen der Regierung nicht in Frage zu stellen. Diese offene Verwandlung der Presse in einen propagandistischen Arm der Regierung ist ein Ausdruck der tiefgehenden Degeneration der demokratischen Institutionen in Amerika.
Artikel und Kommentare wie der in der New York Times sind Legion. Sie widerspiegeln die Verachtung der herrschenden Elite für die Öffentlichkeit. Die Medien beeinflussen nicht einfach nur die öffentliche Meinung. Die amerikanische Politik hat ein Stadium erreicht, wo die öffentliche Meinung selbst zu einem künstlichen Produkt geworden ist. Lügen und Halbwahrheiten sind die Zutaten eines ausgeklügelten Systems der Manipulation, das nur entfernt an Fakten anknüpft und nichts mit den Sorgen und Stimmungen der Bevölkerung zu tun hat. Die öffentliche Meinung ist die Art und Weise, in der die reiche Elite und ihre Vertreter in der Regierung ihre Ansichten verpacken. Das Medienwesen ist zu einer Übung in Massentäuschung und Selbstbetrug geworden. Es ist ein geschlossener Kreis, der die extreme Entfremdung des politischen Systems von der einfachen Bevölkerung widerspiegelt.
Trotz aller Umfragen, die eine überwältigende Zustimmung für den Krieg zeigen, gärt in der amerikanischen Bevölkerung ein tiefes Unbehagen und Angst, dass der Konflikt außer Kontrolle geraten könnte. Es ist unausweichlich, dass die enorme soziale Ungleichheit und politische Entfremdung, durch die sich die amerikanische Gesellschaft auszeichnet, Ausdruck in enormen Erhebungen finden wird, auf die eine abgehobene herrschende Elite und ihre Propagandisten in den Medien schlecht vorbereitet sind.